Versicherungen
3. Dezember 2014

Eiopa fordert nationale Aufseher zu Wachsamkeit auf

Der Startschuss für das neue Versicherungsaufsichtsregime Solvency II ist kaum mehr als zwölf Monate entfernt. Und bei den Aufsichtsbehörden werden derzeit allerhand Daten ausgewertet und Stressszenarien skizziert. Sie zeigen, dass die Unternehmen noch nicht ausreichend für mögliche Krisen gewappnet sind.

Die gute Nachricht zuerst: Nach Einschätzung der deutschen Finanzmarktaufsicht Bafin werden die deutschen Lebensversicherer den Einstieg in die Kapitalanforderungen unter Solvency II bewältigen können, und zwar auf der Basis von Übergangsmaßnahmen und der sogenannten Volatilitätsanpassung. Das hat die sogenannte „Vollerhebung Leben“ Mitte November 2014 gezeigt. Nur eine kleine Schar von Unternehmen mit einem Marktanteil von zusammen weniger als einem Prozent mangelte es an Eigenmitteln. Die Bafin hatte zuvor alle 87 deutschen Lebensversicherer zu ihrer voraussichtlichen Eigenmittelsituation unter Solvency-II-Bedingungen befragt. Dauert die Niedrigzinsphase allerdings weiter an, müssen die Lebensversicherer in der vorgesehenen 16-jährigen Übergangsphase nach Einschätzung von Felix Hufeld, Exekutivdirektor der Versicherungsaufsicht, „erhebliche Anstrengungen unternehmen“, um ihre Kapitalbasis zu stärken. 
Ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen lägen die Eigenmittel zum Stichtag 31. Dezember 2013 bei etwa einem Viertel der Unternehmen unter den Anforderungen. Der Marktanteil dieser Kandidaten liegt bei circa zehn Prozent. Aber: Die Zahl dürfte aufgrund des weiteren Zinsrückgangs zuletzt weiter angestiegen sein. Die Bafin schätzt indessen, dass für die deutschen Lebensversicherer unter aktuellen Kapitalmarktbedingungen ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen eine Eigenmittellücke von etwa 15 Milliarden Euro bestünde. Diese Lücke hänge stark vom Niveau der Kapitalmarktzinsen ab und könne daher nur als Indikation dienen. 
Eiopa untersucht brenzlige Szenarien
Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (Eiopa) hat sich in diesem Jahr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie widerstandsfähig die Versicherungsunternehmen in Europa gegen mögliche negative Entwicklungen sind, insbesondere gegen eine lang anhaltende Phase niedriger Zinsen. Eigens dafür wurde in den vergangenen Monaten der zweite „Stresstest“ in der noch jungen Geschichte der 2011 installierten Behörde durchgeführt. Er gilt als deutlich tiefgründiger als sein Vorläufer und zeichnet sich durch einen hohen Informationsgehalt aus. Und für künftige Untersuchungen dieser Art kann davon ausgegangen werden, dass die Detailschärfe weiter wächst. Denn mit der Einführung von Solvency II müssen die Unternehmen mehr Interna preisgeben. 
Das Ziel des Stresstests bestand unter anderem darin, die Widerstandsfähigkeit der Versicherer im Hinblick auf eine Kombination aus historischen und hypothetischen Marktverwerfungen zu analysieren. Gabriel Bernardino, Chairman der Eiopa, präsentierte Anfang Dezember die Ergebnisse des Stresstests. Wichtige europäische und nationale Versicherungsunternehmen und -gruppen waren darin einbezogen. 
Der Eiopa-Stresstest ist neben der „Vollerhebung Leben“ der Bafin eine weitere Bewährungsprobe für den deutschen Versicherungssektor unter den Bedingungen von Solvency II. Während die Vollerhebung auf der Grundlage passgenauer und unternehmensindividueller Daten basiert, rechneten die Teilnehmer des Eiopa-Stresstests auf der Grundlage standardisierter Vorgaben Stressszenarien durch, ohne die vielfältigen Übergangsvorschriften von Solvency II vollständig auszuschöpfen. Auch greift die Erhebung nicht auf interne Modelle der Unternehmen zurück, die sie in einem besseren Licht dastehen ließen. Stattdessen hätten alle Unternehmen die Standardformel der Aufsicht genutzt. Deshalb schaffe er Vergleichbarkeit und zeige den Aufsichtsbehörden in der EU, inwieweit die Unternehmen auf Solvency II vorbereitet sind. 
Zum Teilnehmerkreis gehörten sowohl Unternehmen aus den Sparten Schaden- und Unfallversicherung als auch Kranken- und Lebensversicherer. Wichtige Erkenntnis: Auch der Eiopa-Stresstest hat gezeigt, dass eine andauernde Niedrigzinsphase für den deutschen Versicherungssektor eine große Herausforderung ist. 
Der aktuelle Stresstest basiert auf zwei Elementen und zwei unterschiedlichen Teilnehmergruppen. Auf der einen Seite geht es im sogenannten Core-Modul darum, die Assets von Versicherungsgruppen einem Stresstest hinsichtlich der Vermögenspreise zu unterziehen. Daneben wurden versicherungsspezifische Szenarien durchgerechnet. Hier wurden schwere makroökonomische Verwerfungen ebenso durchgespielt wie versicherungsspezifische Schocks (massive Stornowelle, „Langlebigkeit“, Naturkatastrophen). Auf der anderen Seite widmet sich der neue Eiopa-Stresstest mit seinem Low-Yield-Modul auf unternehmensindividueller Ebene der Frage, welche Folgen ein anhaltendes Niedrigzinsumfeld auf die Unternehmen hat. Die Versicherungsaufseher sprechen von einem „Japanese-like scenario“. 
Das sogenannte Core-Modul basiert auf der Annahme schwerer Verwerfungen. Ihm liegt die Annahme von Kursverlusten von bis zu 42 Prozent zugrunde. Und das über alle Anlagen hinweg. Hier haben 60 Versicherungsgruppen und 107 Unternehmen teilgenommen. Das sogenannte Zinsmodul mit den „japanischen Verhältnissen“ absolvierten 225 individuelle Unternehmen. Sie wurden auch mit dem untypischen Szenario eines scharfen Anstiegs der Renditestrukturkurve konfrontiert.
Die Ergebnisse im Detail 
Eine erste Erkenntnis der Untersuchung zeigt, dass der europäische Versicherungssektor unter den Prämissen von Solvency II und ohne Betrachtung möglicher Stressszenarien finanziell gut ausgestattet ist. Bei 14 Prozent der Unternehmen lag das Solvency Capital Requirement (SCR) aber unter der Schwelle von 100 Prozent. Nach Lesart der Aufseher fällt es diesen Unternehmen schwer, ihre Verpflichtungen gegenüber Versicherungskunden und Leistungsempfängern mit der geforderten Wahrscheinlichkeit von 99,5 Prozent zu erfüllen. Für die Branche dürfte dieser Fauxpas aber von untergeordneter Bedeutung sein. Denn die betreffenden Unternehmen halten lediglich drei Prozent der betrachteten Vermögenswerte. Doch der eigentliche Stresstest ging deutlich weiter.
So förderte die Untersuchung die Erkenntnis zutage, dass die Versicherungsgesellschaften anfälliger sind für ein „double hit“-Stressszenario. In einem solchen Fall treten Kursverluste und ein Rückgang des „risikolosen“ Zinssatzes gleichzeitig auf und machen den Unternehmen doppelt zu schaffen. Unter dieser Prämisse hätten nur noch 56 Prozent der Firmen ein ausreichendes Kapitalpolster. Laut Eiopa sind kleinere Versicherer einem solchen Szenario stärker ausgesetzt als große Versicherungsgruppen. 
Bei einem Viertel wird es eng
Bereits ein anhaltendes Niedrigzinsumfeld allein würde die Assekuranz vor erhebliche Probleme stellen. Denn wie die Untersuchung weiter zeigt, würden 24 Prozent der Versicherer ihre angepeilte SCR verfehlen. Problematisch für einige Unternehmen wird es schließlich spätestens nach acht bis elf Jahren, wenn es darum geht, Zinsversprechen einzuhalten. Wie der Untersuchung zu entnehmen ist, sehen sich insbesondere die Versicherungsgesellschaften in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz mit negativen Cashflows konfrontiert. Daraus schließen die Versicherungsaufseher auf Probleme in den Portfolios, sowohl was die Duration betrifft, aber auch bei der internen Verzinsung müssten die Unternehmen gegensteuern. 
Wie aus der Präsentation von Gabriel Bernardino hervorgeht, leiden vor allem die Versicherer jener Länder unter einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld, in denen Garantieprodukte weit verbreitet sind, darunter die Bundesrepublik Deutschland. 
Vor dem Hintergrund der landesspezifischen Ergebnisse will Eiopa nun zeitnah Gespräche mit den  nationalen Versicherungsaufsehern führen. Man wolle die Aufsichtsbehörden ermutigen, sich für weitere Schritte zu wappnen. Es gehe insbesondere um den Fall, dass die Krisenszenarien Realität werden. Die Behörden sollen Schritte einleiten, damit die Unternehmen mögliche Kapitallücken schließen. Das umfasst nicht nur Kapitalerhöhungen, sondern erstreckt sich auch auf den Umbau der Unternehmensbilanzen. Hier beobachtete Bernardino beispielsweise „Konzentrationen“ auf der Aktiva-Seite, etwa bei großen Anleihepositionen weniger Emittenten, die durch ein erhebliches Marktrisiken gekennzeichnet sind. 
Gleichwohl zeigte sich Bernardino erfreut darüber, dass die Unternehmen die Diversifikation ihrer Assets vorantreiben. Er stuft den Stresstest als „vorbeugendes Überwachungswerkzeug“ ein, als ein Paket von schwerwiegenden „Was dann?“-Szenarien, mit denen sich die Versicherer gegen die unterschiedlichsten makroökonomischen und versicherungsspezifischen Schocks auseinandersetzen. Er sei eben kein Test, den man bestehen oder durch den man durchfallen kann. Eigens durch die Annahme schwerwiegender Marktverwerfungen erhalte die Aufsicht Anhaltspunkte, an welchen Stellen die Unternehmen besonders anfällig sind. Es sei nun an den nationalen Aufsichtsbehörden, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. 
Abschließend freute sich Bernardino darüber, dass die Partizipationsrate in den einzelnen Teilnehmerländern nie unter 50 Prozent lag. Damit sei das selbstgesteckte Ziel der Eiopa erreicht worden. 
portfolio institutionell newsflash 03.12.2014/Tobias Bürger
Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert