Statement
27. Juni 2022

Engagements statt Ausschlüsse

Für Investoren und Unternehmen wurde Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren immer wichtiger. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Anlagehorizonte zu kurz geworden sind: In den 1960er-Jahren betrug die durchschnittliche Haltedauer der an der New Yorker Börse notierten Aktien sieben Jahre. Jetzt ­werden sie nach Angaben von Thomson Reuters schon nach etwa sechs Monaten wieder verkauft.¹ Oft scheint es nichts Wichtigeres zu geben als die neusten Quartalszahlen. Aber ob eine Anlage tatsächlich auch nachhaltig ist, hat mit der ­Unternehmensentwicklung im abgelaufenen Vierteljahr nicht viel zu tun. Nachhaltigkeit ist ein langfristiges Thema.

Zunehmend fürchtet man daher, dass auch Unternehmen zu kurzfristig denken, vielleicht ausgelöst durch kurzfristig ­denkende Anleger. Denn Kurzsichtigkeit kann soziale oder ökologische Probleme verursachen – oder zumindest verschärfen –, die letztlich das gesamte Wirtschaftssystem infrage ­stellen. Nachhaltigkeit ist daher kein reiner Altruismus, ­sondern etwas durchaus Eigennütziges. Wenn uns die Umwelt egal ist, werden wir verletzlicher – wie ein Vogel, der sich ein Nest baut und den nahenden Waldbrand nicht sieht. Wie aber können wir mit unseren Anlagen in börsennotierte Wert­papiere am besten für mehr Nachhaltigkeit sorgen?

Sind Ausschlüsse die Lösung?

Wenn man sich die vielen neuen ESG-Fonds der vergangenen Jahre ansieht, könnte man meinen, dass ein Portfolio ­ausschließlich aus „guten“ Unternehmen die Lösung ist – ein Portfolio nur aus Unternehmen mit einem guten ESG-Profil. Alle anderen Firmen würden dann ausgeschlossen. Das ist nicht per se eine schlechte Strategie. Es scheint nur logisch, dass ­Unternehmen, die die wichtigen sozialen und ökologischen Probleme ernst nehmen, ceteris paribus langfristig erfolg­reicher sind als ihre Verursacher, die Mensch und ­Umwelt schaden. Aber die Ceteris-paribus-Klausel gilt nun einmal nicht in der realen Welt.

Wenn ein Unternehmen zwar Gutes tut, aber seine Gewinne langfristig nicht steigert, weil es beispielsweise ­keine dauer­haften Wettbewerbsvorteile hat, ist es wohl kaum eine gute ­Anlage. Und selbst wenn es der Konkurrenz langfristig überlegen ist, wird der Ertrag wohl enttäuschen, wenn man zu einem viel zu hohen Kurs einsteigt. Viele Unternehmen, Branchen und ganze Sektoren des Anlageuniversums gelten ESG-orientierten Investoren mittlerweile als unwürdig. Dazu zählen die klassischen „Sündenbranchen“, Firmen mit schlechten ESG-Kennzahlen und Unternehmen mit umstrittenen Aktivitäten. Zu den „Sündenaktien“ zählen meist Alkohol-, Tabak- und Glücksspielwerte, die Sexindustrie und Waffenhersteller.

Manche meinen, dass man solche Firmen einfach auf die schwarze Liste setzen sollte. Aber kann man dadurch wirklich etwas verändern und die Gesellschaft voranbringen? Wem nützt es, wenn man eine Firma einfach aus dem Portfolio ­ausschließt? Verbessert das wirklich die Welt, so wie sich ­ESG-orientierte Anleger erhoffen? Wir halten das für unwahrscheinlich, vor allem bei börsennotierten Titeln, bei denen es für jeden Verkäufer auch einen Käufer gibt.

Ausschlüsse und Kapitalkosten

Schon unseren Kindern vermitteln wir, dass ein Problem nicht verschwindet, wenn man es ignoriert. Nur die wenigsten ­Probleme lösen sich von selbst. An der Börse macht man ein Problem durch Ausschlüsse oder den Verkauf von Positionen zum Problem eines anderen. Man entledigt sich seiner Verantwortung, statt sie wahrzunehmen. Die Anhänger von ­Ausschlüssen argumentieren, dass dadurch die Kapitalkosten der betroffenen Unternehmen steigen. Auf den ersten Blick klingt das plausibel: Der Kapitalmarkt, so die Überlegung, ­bestraft mangelnde Nachhaltigkeit über den Preismechanismus. Und tatsächlich wurde schon manches Unternehmen so zur Verantwortung gezogen oder zumindest ­wachgerüttelt. Aber gilt das auch jetzt noch? An den großen und liquiden Märkten, an denen wir in der Regel investieren, sieht es ­unserer Ansicht nach anders aus. Dafür gibt es drei einfache Gründe:
1. Wenn kritische Investoren einfach verkaufen, können sie keinen Druck mehr ausüben.
2. Kapital ist zurzeit billig. Unternehmen können leicht an neues Geld kommen. Der erzwungene Verzicht einzelner Kapitalgeber dürfte daher kaum etwas bewirken.
3. Vor allem aber kennen wir keine empirischen Belege dafür, dass Ausschlüsse die Kapitalkosten steigern und damit die Geschäftsleitung beeinflussen.

Veränderungen durch Engagement

Was also können nachhaltige Investoren tun? Ganz einfach: Sie sollen sich engagieren, als verantwortliche Treuhänder des ­ihnen anvertrauten Kapitals. Unterschätzen Sie nicht Ihre Macht! Dennoch müssen wir unsere Grenzen kennen: Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir ein Unternehmen besser verstehen als die Menschen, die es leiten.

Wir sollten aber keine Zweifel an unseren Prioritäten lassen. Wir erwarten von der Geschäfts­leitung, dass sie langfristigen Mehrwert anstrebt, nicht kurzfristige ­Gewinnmaximierung. Wir erwarten Sorgfalt und einen Blick für soziale und ökologische Externalitäten, die ­irgendwann zu hohen Kosten führen können. Und wenn konstruktives ­Engagement nichts bewirkt, können wir unser Stimmrecht ausüben. Engagement und ­Abstimmungsteilnahme ­gehen dann Hand in Hand. Anders als ein reines Engagement zeigen Abstimmungen auf Hauptversammlungen die aktuelle ­Stimmung der Investoren. Sie ­können unkooperative Unternehmen zwingen, bindende Aktionärs­anträge umzusetzen.

Viele aktivistische Kleinanleger gehen recht aggressiv vor. Viel einflussreicher sind aber große Asset Manager und Investoren. Durch gemeinsame Initiativen haben große wie kleine ­Aktionäre viel Einfluss und können echten Wandel bewirken. Wir glauben, dass das Engagement durch eine solche ­Zusammenarbeit gewinnt und treten für konstruktive ­Diskussionen ein. Alles in allem können solche Gemeinschaftsinitiativen zu einem wirksameren und besseren ­Engagement führen, sodass sich wirklich etwas ändert.

Beim Thema aktive Eigentümerverantwortung denken die meisten Menschen an Aktien. Aber wie steht es um Anleihen, vor allem um solche mit langer Restlaufzeit? Bisweilen gibt es einen natürlichen, aber auch gesunden Grundkonflikt ­zwischen Anleihegläubigern und Aktionären, etwa bei der Kapital­allokation. Aber beide Gruppen wünschen sich einen klugen Umgang mit ESG-Themen, unter denen die Cashflows langfristig leiden könnten. Außerdem sind sie sich darin einig, dass ein Unternehmen in der Lage sein soll, seine Schulden und sein Kapital zurück­zuzahlen. Für die langfristige Wert­entwicklung von Anleihen wie Aktien halten wir es für wichtig, dass Anleihegläubiger wie Eigentümer denken, also wie ­Aktionäre. Auch sie sollen in ­einem konstruktiven Dialog Einfluss­möglichkeiten nutzen. Bei einer negativen Vorauswahl können sie das nicht.
Die meisten Investoren wollen nur eins: hohe risikoadjustierte Langfristerträge. Als Investmentmanager ist es unsere Pflicht, uns bei der Anlage von Kundengeldern wie langfristig ­denkende Eigentümer zu verhalten. Ausschlüsse mindern hingegen ­unseren Einfluss auf die Unternehmen und die Pläne, die sie verfolgen. Ausschlüssen helfen uns also nicht, die Ziele ­unserer Kunden zu erreichen.

Wir halten kluges Engagement und kluge Abstimmungs­teilnahme für entscheidend, um nachhaltigen Mehrwert zu schaffen und das Wirtschaftswachstum zu fördern. Bitte ­beachten Sie, dass auch ein nachhaltiger Investmentansatz ­keine Erträge garantiert. Alle Anlagen, auch solche mit ESG-Integration, gehen mit gewissen Risiken einher, einschließlich des möglichen Verlusts des investierten Kapitals.

1) Reuters, https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-short-termism-anal/buy-sell-repeat-no-room-for-hold-in-whipsawing- markets-idUSKBN24Z0XZ.

„Es braucht auch die rechte Gehirnhälfte“

Interview mit Barnaby Wiener
Chief Sustainability Officer, MFS Investment Management

Warum ist ESG für Sie heute wichtig?

In mancher Hinsicht war ESG schon immer ein wichtiger Teil meines Investmentansatzes, weil ich schon immer in nachhaltige Unternehmen investieren wollte, also in gut geführte Unternehmen, die lange Bestand haben. Ich habe auch schon immer großen Wert auf ­Managementqualität und Unternehmenskultur gelegt. Aus meiner Sicht ist das ein wesentlicher Aspekt des nachhaltigen Investierens. In den vergangenen fünf bis zehn ­Jahren sind mir jedoch einige ­erhebliche Schwächen unseres Systems bewusst geworden.
Und mit System meine ich nicht nur die Asset-Management-Branche, sondern das gesamte Finanz- und Wirtschafts­system, zu dem wir gehören. Meiner Einschätzung nach wird hier eindeutig zu kurz gedacht. Das ist problematisch, wenn man langfristige Werte schaffen will. Es ist aber auch kontraproduktiv für die ­Gesellschaft, weil dadurch der Anreiz besteht, sich falsch zu verhalten. Im ­Zusammenhang damit sind mir ­einige soziale und ökologische Herausforderungen bewusst geworden. Wenn wir also wollen, dass unser ­System und die Asset-Management-Branche weiter bestehen, müssen wir mithelfen, diese ­Herausforderungen zu lösen. Deshalb ist mir ESG heute wichtiger denn je.

Wie könnte die Finanzbranche ihren Umgang mit den Themen verbessern?

Die meisten Ansätze erfordern sowohl qualitative als auch quantitative ­Analysen, und bei ersteren kommt es auch auf die rechte Gehirnhälfte an, nicht nur auf die linke. In der Investmentwelt ist der Einsatz der rechten ­Gehirnhälfte aber quasi inakzeptabel. Das ist ein Problem. In seinem Buch „The Master and His Emissary“ untersucht Iain McGilchrist, wie der Mensch versucht, diese beiden Bereiche seines Gehirns zu trennen – in einen logischen, vernunftgesteuerten und einen intuitiven, ­kreativen Teil. Und das hatte schlimme Folgen, weil beide Teile maßgeblich für den Erfolg der Menschheit sind. Und das gilt auch für das Investieren. Viele ­Ansätze erfordern disziplinierte, objektive, modellbasierte Analysen, aber wir müssen auch unsere kreative, intuitive Seite nutzen. Durch sie gewinnen wir häufig wichtige Erkenntnisse.

Was halten Sie von ESG-Integration?

Darauf legen Kunden und Regulierungsbehörden immer mehr Wert. Das ist gut und wichtig. Die meisten in unserem Investmentteam halten ESG-Integration für einen wesentlichen Teil unserer ­Aufgabe. Und dabei geht es auch um die Betrachtung weniger gut oder kaum ­modellierbarer Faktoren der Investmentgleichung. So gehen wir einen wichtigen Teil des Problems an, das wiederum auf das kurzfristige Denken zurückzuführen ist. Menschen, und vor allem solche, die in Aktien oder Anleihen von Unternehmen investieren, können sehr zahlenverliebt sein. Sie betrachten die Rentabilität eines Unternehmens über einen recht kurzen Zeitraum, um einzuschätzen, ob es die Erwartungen erfüllen oder übertreffen kann. Dabei geht es immer um Gewinne. Aber tatsächlich besteht dann das Risiko, dass man weniger leicht ­modellierbare, aber mindestens genauso wichtige Eigenschaften eines langfristig erfolgreichen Unternehmens möglicherweise ­unterschätzt.

Gibt es Nachhaltigkeitsthemen, auf die Sie besonders achten, weil sie ein erhebliches Risiko oder eine enorme Chance für Ihre Strategien sind?

Die Energiewende steht derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit, und das ist gut so. Vernachlässigt wurden dagegen die landwirtschaftliche Lieferkette, in der enorm viel CO₂ emittiert wird, sowie ­andere ökologische und soziale Risiken, wie Bodenerosion, Zerstörung der ­Artenvielfalt und zum Teil erhebliche soziale Missstände. In der weltweiten landwirtschaftlichen Lieferkette sind Kinderarbeit und moderne Sklaverei wohl recht weit verbreitet.
Es kann für Unternehmen sehr schwer sein, immer zu wissen, was in ihrer ­Lieferkette vor sich geht. Ihre direkten Zulieferer haben sie recht gut im Blick, aber darüber hinaus ist das nicht der Fall. Aber am Ende sind sie für das alles auch verantwortlich.
Interessant finde ich übrigens natürliche Lösungen, die zur Verhinderung ­weltumspannender Krisen beitragen können. Hier befasse ich mich zurzeit viel mit Forst- und Meereswirtschaft.

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