Traditionelle Anlagen
19. Dezember 2013

ESG-Faktoren als Risikoindikatoren für Investoren von Unternehmensanleihen

Die klassische Risikoanalyse und ihre rein ökonomischen Kennzahlen greifen zu kurz. Eine PRI-Arbeitsgruppe hat ­gezeigt: Auch ESG-Faktoren haben einen Einfluss auf die Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Gerade Investoren mit mittel­-­ bis langfristigem Anlagehorizont sollten deshalb ihre Risikoanalysen um ESG-Faktoren erweitern.

Gastbeitrag von Dr. Solveig Pape-Hamich,
Teamleiterin Investmentstrategien, Nachhaltigkeit der KfW-Bankengruppe,
Vorsitzende der PRI-Arbeitsgruppe „Fixed Income – Unternehmensanleihen“

Die UN-Initiative „Principles for Responsible Investment“ (PRI) hat sich zur Aufgabe gemacht, Investoren zum verantwortungsvollen Investieren zu motivieren, um so einen Beitrag zu den großen ­Herausforderungen der Zeit – wie beispielsweise knapper werdende Ressourcen bei steigender Weltbevölkerung oder Umweltverschmutzung – zu leisten. Verantwortungsvolles Investieren ist keine neue Anlageklasse, sondern kann als Erweiterung des herkömmlichen ­Investmentprozesses bezeichnet werden. Damit erstrecken sich die Aktivitäten­ der PRI über alle Anlageklassen.

Im Aktienbereich ist der Gedanke des verantwortungsvollen ­Investierens am längsten verankert. So gibt es genügend akademische Studien, welche die ökonomische Sinnhaftigkeit belegen, oder lang etablierte Nachhaltigkeitsindizes, wie den DJ Sustainability Index. Obwohl der Rentenmarkt die größte Anlageklasse weltweit darstellt, sieht es hier ganz anders aus: Erst seit Mitte 2013 gibt es die Barclays-MSCI-ESG-Fixed-Income-Indizes; zudem liegen derzeit nur circa 20 Studien zu Rentenpapieren im Unternehmensbereich vor. Da der ­Fokus von Renteninvestoren ein anderer ist als der von Aktien­investoren, hat die PRI vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um verantwortungsbewusstes Investieren in einer der weltweit wichtigsten Anlageklassen weiter voranzutreiben. Circa 40 ­Unterzeichner der PRI – Asset Manager, Investoren und Dienstleister von New York bis Sydney – haben zusammengearbeitet, um folgende Fragen zu untersuchen: Wie beeinflussen ESG-Faktoren die Kreditwürdigkeit von Unternehmen kurz- und langfristig? Inwiefern unterstützen akademische Studien die Annahme, dass verantwortungsvolles­ Investieren ökonomisch sinnvoll ist?

Unterschied von Renteninvestor zu Aktieninvestor

Der Fokus von Renteninvestoren liegt im Gegensatz zu Aktien­investoren mehr auf der Vermeidung von Risiken und weniger auf der Suche nach Chancen. Zudem sind viele dieser Anleger oftmals Buy-and-Hold-Investoren. Damit sind sie mittel- und längerfristigen Risiken ausgesetzt. Gerade deswegen stellt sich bei ihnen insbesondere­ die Frage, ob die klassische Risikoanalyse ausreichend ist. Denn bei dieser wird typischerweise das Risiko als eine Ausfallwahrscheinlichkeit auf Sicht von zwölf Monaten erstellt. Die ESG-Risiken (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) sind hingegen oftmals mittel- und langfristige Risiken und werden meist in der herkömmlichen Risiko­analyse nicht berücksichtigt. Damit müssen insbesondere Buy-and-Hold-Investoren hinterfragen, ob eine umfassendere Risikoanalyse nicht notwendig ist. Aber auch kürzer orientierte Anleger können plötzlich ESG-Risiken­ ausgesetzt sein, wenn diese sich schneller ­materialisieren als erwartet. In einer Welt der „Social Media“ sind Umfang und Geschwindigkeit der Verbreitung von ­Informationen darüber­ hinaus enorm gestiegen. Somit wird auch eine neue Transparenz über Ereignisse in und um Unternehmen herum geschaffen, die es vor einigen Jahren noch nicht gab. Für Unternehmen ­bedeutet dies, dass sie zunehmend Reputationsrisiken ausgesetzt sind. Ein Investor kommt heute nicht darum herum, sich auch mit solchen neuen Risiko­aspekten auseinanderzusetzen. Insbesondere für Renten­investoren gilt es also zu klären, ob ihre herkömmliche ­Risikoanalyse noch ausreichend ist.

Die klassische Risiko­analyse bewertet ökonomische Faktoren, wie die Profitabilität, die Produktivität und die Wettbewerbsposition eines Unternehmens, um dessen Kreditwürdigkeit zu bestimmen. Auch Kapitalkosten und Verschuldungsgrad sind Einflussfaktoren. Vereinfacht ausgedrückt werden Finanzkennzahlen ausgewertet, um eine Ausfallwahrscheinlichkeit beziehungsweise ein Kredit-Rating zu ­bestimmen. Am Kapitalmarkt spiegelt sich die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens zusätzlich über Anleiherenditen, CDS-Spreads und Volatilitäten wider.

Die Messbarkeit von ESG-Faktoren

Welchen Einfluss haben nun ESG-Faktoren auf die ökonomischen Faktoren beziehungsweise die Finanzkennzahlen? Haben sie einen Einfluss, so sind sie materiell und schlagen sich in der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens nieder (siehe Abbildung). Damit wäre ein nachhaltiger Investmentansatz, der ESG-Faktoren berücksichtigt, ökonomisch sinnvoller. Um ESG-Faktoren in den Investmentansatz integrieren zu können, müssen sie messbar gemacht werden. Mittlerweile gibt es einige­ Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen, die Unter­­­nehmen hinsichtlich ESG-Risiken bewerten. Die mittlere der drei Abbildungen zeigt beispielhaft, welche Einzelkriterien sich dahinter verbergen.
Wie wirken nun Umweltfaktoren konkret auf die ökonomischen Faktoren eines Unternehmens? Als Beispiel sei hier ein Industrie­unternehmen mit einer schlechten Umwelt-Performance angenommen, die sich durch hohe Emissionen, einen hohen Wasserverbrauch und einer höheren Anzahl von Umweltunfällen ausdrückt:
– Hohe Emissionen unterliegen dem Risiko politischer Regulation. Bereits in der Vergangenheit wurde mit dem CO2-Zertifikate-Handel­ der Versuch unternommen, bisher externalisierte Kosten zu internalisieren. Das heißt, denjenigen mit der Übernahme der Kosten­ für die Behebung der Umweltverschmutzung zu belangen, der sie verursacht hat. Ist eine solche politische Regelung erfolgreich, so führt dies zu höheren Produktionskosten bei diesbezüglich schlecht aufgestellten Unternehmen.
– Hohe Emissionen und ein hoher Wasserverbrauch können aber auch Hinweise dafür sein, dass das Unternehmen hinter dem technologischen Marktstandard hinterhinkt und in der Zukunft unter Wettbewerbsnachteilen leiden wird beziehungsweise ihm übermäßig­ hohe Zukunftsinvestitionen bevorstehen, um seine Wettbewerbs­fähigkeit zu erhalten.
– Die erhöhte Anzahl an Arbeitsunfällen weist auf Mängel bei den Sicher­heitsstandards hin. Hier droht ein erhöhtes Reputationsrisiko,­ aber auch Aufräum- und Gerichtskosten.

 
Ein wohlbekanntes Beispiel für diese Wirkungskette ist die größte­ Umweltkatastrophe der USA im Golf von Mexiko: Einem Brand auf einer Ölbohrplattform von BP folgte der Untergang der Plattform im April 2010; monatelang sprudelte Rohöl ins Meer. BP wies eine ganze Reihe von Arbeitsunfällen bereits vor 2010 insbesondere in den USA auf und hatte eine im Vergleich zu seinen Wettbewerbern schlechte Capital Expenditure. Das Unternehmen hinkte also – was Investitions­ausgaben beispielsweise für Sachanlagen betraf – der Konkurrenz deutlich hinterher. Im Juli 2013 beziffert BP den Schaden aus dem Unfall im Golf von Mexiko auf elf Tote und Kosten von 42,2 Milliarden US-Dollar. Aufgrund seiner Größe konnte BP den Schaden verkraften, dennoch hat sich das Kredit-Rating des Unternehmens bis heute nicht auf das Niveau vor 2010 entwickelt. Investoren in BP-­Anleihen mussten insbesondere 2010 hohe Kursverluste hinnehmen,­ und der fünfjährige CDS-Spread von BP ist im Vergleich zum fünfjähr­igen iTraxx bis heute deutlich vom alten Niveau entfernt.

Auch für soziale Faktoren lassen sich ähnliche Wirkungsketten wie für Umweltfaktoren aufzeigen.
– Eine gute Arbeitnehmerbindung führt zu einer geringeren Fluktuation und beeinflusst die Produktivität somit positiv.
– Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird für Unternehmen in Ländern mit einem künftig erwarteten Arbeitnehmermangel die Arbeitnehmerbindung eine zunehmend wichtige Rolle­ spielen. Sie wird entscheidend für den Zugang zu qualifizierten Arbeitnehmern sein und damit Einfluss auf die Produktivität und die Innovationskraft eines Unternehmens haben.
– In ökonomisch schwierigen Zeiten werden Arbeitnehmer eher zu ihrem Unternehmen halten, wenn eine enge Bindung besteht. Das heißt, das Unternehmen wird Krisenzeiten dann gegebenenfalls  besser überwinden.

Ein Beispiel hierzu ist das britische Bergbauunternehmen Lonmin­ mit Börsennotierungen in London und Johannesburg. Lonmin ­beschäftigt circa 28.000 Arbeitnehmer und greift zudem auf rund 10.000 Leiharbeiter zurück. Lonmin betreibt mehrere Bergwerke in Südafrika und ist weltweit der drittgrößte Platinproduzent. Im August 2012 wurde die größte Mine, „Mirakana“, bestreikt: Die Arbeitnehmer forderten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Der Streik eskalierte und führte sowohl aufseiten der Arbeitnehmer als auch auf Seite der Sicherheitskräfte und Polizei zu insgesamt 44 Toten. ­Lonmin musste 2012 einen massiven Produktionsausfall aufgrund ­dieser und anderer Streiks hinnehmen. 60 Prozent des Unternehmenswertes wurde vernichtet. Anleihen hatte Lonmin zu dieser Zeit nicht ausstehen. Das Beispiel zeigt dennoch, dass auch interne ­soziale Faktoren Einfluss auf die ökonomische Situation eines Unternehmens haben können. Die Herabstufung des Kredit-Ratings Süd­afrikas Ende 2012 hat Moody’s unter anderem mit dem unsicheren Minensektor in dem Land begründet. Das heißt, die ESG-Probleme des ­Minensektors in Südafrika haben sich sogar auf die Kreditwürdigkeit des Staates ausgewirkt.

Enron hat es gezeigt: Unternehmensführung als Risiko

Dass die Unternehmensführung einen wesentlichen Einfluss auf ökonomische Faktoren hat, sollte jedem Investor spätestens seit dem Enron-Skandal 2001 bewusst sein: Kurz nach der Auf­deckung von Bilanz­fälschungen musste Enron Insolvenz anmelden; ein Total­verlust für viele Anleger. Die entsprechende Wirkungskette:­
– Eine schlechte Unternehmensführung in Form von Mangel an Vorkehrungen, die beispielsweise Bestechung, Geldwäsche oder Korruption vermeiden, kann vor allem zu Reputationsschäden führen,­ aber auch zu Strafgeldern und Ausschlüssen von Bieterverfahren. Damit drohen dem Unternehmen gegebenenfalls nicht nur höhere Kosten, sondern auch Kundenabwanderungen aufgrund der Reputationsschäden.
– Reputationsschäden können ferner entstehen, wenn ein Vorstand nicht frei von Interessenkonflikten ist und damit nicht im Sinne aller­ Stakeholder entscheidet.

Schwächen in der Unternehmensführung stehen seit dem Enron-Skandal deutlich im Fokus der Medienaufmerksamkeit. Daher ist ­davon auszugehen, dass Investoren diese Aspekte bereits stärker in ihren Investmententscheidungen berücksichtigen.

Die ausgeführten theoretischen Überlegungen und praktischen Beispiele legen den Schluss nahe, dass ESG-Faktoren die Kreditwürdigkeit von Unternehmen beeinflussen. Für den kurzfristig orientierten Anleger kann das ohne größere Relevanz sein, da sich ESG-Faktoren­ eher mittel- oder langfristig materialisieren. Allerdings können auch diese Anleger über sogenannte Ereignisrisiken „erwischt“ werden, wie das Beispiel BP dokumentiert. Es zeigt aber auch, dass Unternehmen je nach Größe und Verschuldungsgrad unterschiedlich auf ESG-Risiken reagieren: Ein größeres oder weniger verschuldetes Unternehmen kann negative Ereignisse oder zusätzliche negative Einflüsse besser verkraften als kleinere oder bereits hoch ­verschuldete Unternehmen. Zudem ist jeder Industriesektor unterschiedlich stark abhängig von verschiedenen ESG-Risiken. Als ein Beispiel seien hier CO2-Emissionen angeführt: Sie stellen einen wichtigen Faktor in den Sektoren „Versorger“, „Energie“ und „Baustoffe“ dar, die ­Umweltrisiken stärker ausgesetzt sind als andere Sektoren. Arbeitsintensive Industrie­sektoren wiederum sind sozialen Risiken stärker ausgesetzt, wie das Beispiel Lonmin gezeigt hat. Somit lautet die Antwort auf die erste Frage der Arbeitsgruppe: ESG-Faktoren haben einen Einfluss auf die Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Bei der ESG-Analyse ist allerdings der Anlagehorizont zu berücksichtigen.

20 Studien, ein Ergebnis: ESG-Analysen sind sinnvoll

Das zweite Ziel der PRI-Arbeitsgruppe bestand in der Auswertung akademischer Untersuchungen. Knapp 20 Studien, die sich mit einer­ Ausnahme alle auf Daten von US-Unternehmen beziehen, wurden identifiziert und ausgewertet. Die meisten befassen sich mit einzelnen­ Faktoren aus den Bereichen „Umwelt“ oder „Unter­nehmensführung“; soziale Aspekte werden wissenschaftlich bisher wenig beleuchtet. Eine der Studien kommt beispielsweise hinsichtlich des Umweltfaktors zu dem Ergebnis, dass sich der Umgang mit der Umwelt von Unternehmen auf deren Solvenz über potenzielle Gerichtskosten, Reputationsrisiken oder regulatorische Risiken auswirkt. Eine neuere Studie hat untersucht, wie sich negative Nachrichten in Medien­ über 27 verschiedene ESG-Kriterien auf den CDS-Spread eines Unternehmens auswirken. Erstmalig wurden hier europäische und US-Daten untersucht. Die robusten Ergebnisse zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen negativen ESG-Nachrichten und dem steigenden CDS-Spread eines Unternehmens. Deutlich wird auch, dass es keinen Unterschied zwischen europäischen und amerikanischen Unternehmen gibt. Alle untersuchten Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen ESG-Risiken und dem Kreditrisiko­ eines Unternehmens gibt. Es finden sich keine Hinweise, dass dieser Zusammenhang nicht besteht. Somit unterstützen die Studien die obige Annahme, dass eine erweiterte ESG-Analyse ökonomisch sinnvoll ist.

Sowohl die theoretischen Überlegungen als auch praktische ­Beispiele und akademische Studien zeigen, dass ESG-Faktoren ­einen Einfluss auf die Kreditwürdigkeit haben. Es ist davon auszu­gehen, dass sich die aufgezeigten Zusammenhänge in den nächsten Jahren eher verstärken als abschwächen werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Megatrends entstehen für Unternehmen neue Herausforderungen und (ESG-) Risiken. Einige dieser Herausforder­ungen werden auch zu neuen regulatorischen Anforderungen ­führen. Wachsende mediale Aufmerksamkeit, die durch neue Medien zudem global wirkt, lässt Reputationsrisiken für Unternehmen weiter ­steigen. Investoren sollten sich somit schon heute überlegen, ob sie mit ihrer bisherigen Risikoanalyse noch richtig aufgestellt sind oder ob diese nicht um ESG-Faktoren erweitert werden muss!

portfolio institutionell, Ausgabe 12/2013

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