Sind ESG-Kriterien neokolonial?

Nachhaltige Investments sollen die Welt besser machen. Tatsächlich könnten sie die Welt spalten. Immer mehr westliche Investoren verlangen auch von Unternehmen in Schwellenländern die Einhaltung von ESG-Kriterien. Die Weltbank oder Förderbanken wie die KfW und die EIB ­fordern dies, aber auch Asset Manager. Was ist daran so schlimm? Schließlich sollen die ESG-Kriterien universelle Standards für Nachhaltigkeit setzen. In Wahrheit sind sie jedoch nicht universell. Sie sind von westlichen Wertvor­stellungen geprägt und an die Bedürfnisse westlicher Investoren angepasst. Der Realität in den Schwellenländern werden sie nicht unbedingt gerecht.
Westliche Entscheidungsträger legten die ESG-Kriterien fest, ohne auch nur einen afrikanischen Unternehmer oder indischen ­Investor einzubinden. Das hat konkrete Folgen. Ein Unternehmer in der DR Kongo will nahe der Großstadt Kisangani eine ­moderne Farm aufbauen. Sie hätte für die Region eine wichtige Vorbildfunktion, da die meisten Bauern dort nur ihre Familie versorgen können. Millionen Menschen sind auf teure Nahrungsmittellieferungen aus dem Osten Kongos, aus Uganda und Ruanda angewiesen. Der Unternehmer beschäftigt aber hauptsächlich alte Männer, die nur selten ihre Rente bekommen. Ihr Einkommen trägt zum Lebensunterhalt ihrer Familien bei, während der Agrarunternehmer schwangere oder stillende Frauen nicht der schweren Feldarbeit in der tropischen Sonne aussetzen will. Damit erfüllt er nicht die Forderung westlicher ESG-Investoren, die Frauen im ­Berufsleben fördern wollen. Wer hat recht? Diese Frage lässt sich nicht am grünen Tisch entscheiden. Aber es würde sich lohnen, mit Vertretern der Schwellenländer darüber zu debattieren.
Auch will der Westen Erneuerbare Energien fördern. Und so ­bringen westliche Unternehmer kleine Solarkraftwerke in die ­Sahelzone, ohne sich darum zu kümmern, wie die Solarpanels ­eines Tages wieder recycelt werden. In Ostafrika verkaufen selbsterklärte Sozialunternehmen Solarlampen, die abends Licht für Hausaufgaben und Strom für das Mobiltelefon spenden. Klingt nachhaltig. Doch ist es fair, wenn diese Produkte im Einkauf kaum 20 Euro und im Leasingvertrag das Fünf- bis Sechsfache kosten?
Da wundert es nicht, wenn ESG in Schwellenländern häufig als neokolonial empfunden wird, als ein Mittel des Westens, den ­globalen Süden in Abhängigkeit zu halten. Wir müssen die Schwellenländer in die Festsetzung der ESG-Kriterien einbeziehen. Erst dann wird Nachhaltigkeit zu einem Motor für eine bessere Welt.

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