Strategien
14. März 2024

Europa muss sein Potenzial als große Wirtschaftsregion nutzen

Geopolitische Risiken haben spätestens seit 2022 deutlich an Bedeutung gewonnen. Wie es mit der Europäischen Union weitergeht, wie sie das Verhältnis zu den USA und China ­gestalten sollte und wie man sich Russland entgegenstellt, erfahren Sie am 18. April aus ­berufenem Mund: Jean Asselborn, über zwei Dekaden Außenminister Luxemburgs, erläutert als Keynote Speaker der Jahreskonferenz geopolitische Risken und aber auch Chancen. Erste Einsichten lesen Sie in diesem Interview, das uns Jean Asselborn Anfang März gab.

Herr Asselborn, es gibt gefühlt immer mehr Krisen und Risiken. Ist die Europäische Union für diese bereit?

Jean Asselborn: Die Europäische Union ist ein Friedens­projekt, deren Vorläufer nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Die Europäische Union ist kein militärisches Projekt.

Es ist sehr notwendig, dass wir alle zusammenstehen. Es haben nun auch alle Mitgliedsstaaten verstanden, welche negativen Konsequenzen es hätte, wenn Putin diesen Krieg gewinnt. Die Europäische Union ist keine militärische Macht, aber es gibt ­Anstrengungen, um besser zu werden, was die Verteidigung angeht. Allerdings kann sich die Europäische Union nicht selbst ­gegen einen Angriff Russlands verteidigen. Bis jetzt verließen wir uns auf die Nato.

Ungarn schert jedoch immer wieder aus. Gibt es keine Möglichkeiten, Ungarn zu ­disziplinieren?

Ich hoffe, dass auch Ungarn verstanden hat. Juristisch gibt es keine Möglichkeit, einen Mitgliedsstaat auszuschließen. Ein Staat kann nur wie Großbritannien freiwillig ­gehen. Eine funktionierende Maßnahme ist aber gegenüber Ungarn, bei den finanziellen Zuwendungen der Europäischen Union anzusetzen. Das wirkt.

Tut Europa genug für die Ukraine?

Zum zweiten Jahrestag des russischen ­Angriffs auf die Ukraine haben die EU-Mitgliedstaaten das 13. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Teil dieses Pakets ist, dass Länder bestraft werden, die die ­Sank­tionen umgehen und russische ­Kriegsanstrengungen unterstützen. Zweiter Ansatzpunkt ist, der Ukraine militärisch und beim Wiederaufbau zu helfen.

Wo es unbedingt mehr militärischer Hilfe bedarf, ist bei der Munition. Wichtig ist, wie gesagt, dass alle europäischen Mitgliedsstaaten zusammenstehen – und ein Fokus dieser Zusammenarbeit muss nun darauf liegen, dass die Ukraine mehr Munition ­bekommt. Uns muss klar sein, dass Putin keine Rücksicht nimmt. Er hat nun viel ­Munition aus Nordkorea bekommen und auf Kriegswirtschaft umgestellt. Das geht, weil Russland eine Diktatur ist.

Tut Deutschland genug für die Ukraine?

Als Nicht-Deutscher kann ich sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach den USA das Land ist, das bei weitem das ­meiste für die Ukraine tut.

Wie sollte Europa mit China umgehen?

Wenn Trump ins Weiße Haus einziehen sollte, wird die wirtschaftliche und politische Auseinandersetzung zwischen den USA und China noch viel rauer. Wo steht dann die Europäische Union? Es war ­richtig, Sanktionen gegen China wegen der ­Uiguren-Unterdrückung zu verhängen. Wirtschaftlich handeln aber Europa und die USA jeweils täglich Güter mit China im ­Volumen von circa zwei Milliarden Dollar. Dieser Handel stellt für manche Unternehmen eine wirtschaftliche Abhängigkeit dar. Trotzdem müssen wir immer wieder unsere roten Linien klarmachen. Eine rote Linie ist, dass Taiwan nicht annektiert wird.

Bezüglich China besteht auch weiter die Hoffnung, dass Präsident Xi Jinping Putin bremst. Dass hat Xi mit Blick auf den ­Einsatz von Nuklearwaffen getan. Aber er hätte mehr tun müssen. Das wäre für ­Europa ein sehr positives Zeichen.

Die Hälfte der Einwohner Luxemburgs stammt nicht aus Luxemburg. Wie ver­mittelt man der Bevölkerung den Nutzen der Zuwanderung?

Ohne die Zuwanderung in den ­vergangenen 100 Jahren wäre Luxemburg immer noch ein Bauernstaat und ein sehr armes Land. Früher gab es auch viele Auswanderer. Ein Vergleich Luxemburgs mit Deutschland ist aber sehr schwierig.

Wir brauchen in Europa mehr legale ­Migration. Es braucht diese Zuwanderung für unsere Sozialsysteme, weil wir eine alte Bevölkerung sind. Das wissen mit einer Ausnahme auch die politischen Parteien in Deutschland.

Im November wählen die USA. Was bedeutet die mögliche Wahl Trumps für Europa?

Wir müssen mit einer Wahl von Trump rechnen. Der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton, ein echter Insider, hat gesagt, dass Trump außenpolitische Zusammenhänge nicht versteht und auch kein Inter­esse hat, sich mit Themen wie ­beispielsweise der Nato vertieft zu befassen.

Ohne die USA ist Europa auf sich allein ­gestellt. Wir müssen uns also gut auf eine Wahl Trumps vorbereiten und zusammenhalten. Es wäre ein Geschenk für Putin, wenn wir uns streiten würden. Wir müssen uns nicht zuletzt um militärischen Schutz kümmern, auch vor Nuklearwaffen. Aber: Europa ist eine gewaltige Wirtschaftsregion. Dieses Potenzial müssen wir nutzen.

Das läuft auf Aufrüstung hinaus.

Das Wort Aufrüstung hätte ich bis vor zwei Jahren nicht in den Mund genommen. Aber seit Februar 2022 sind wir in einem anderen Film. Die Möglichkeit, dass Putin den Krieg in der Ukraine gewinnt und dann vor Polen steht, ist neu – und damit müssen wir ­umgehen.

Sie sind nun 74 Jahre alt und Ihr Alter dürfte auch ein Grund sein, nicht mehr politisch aktiv zu sein. Die Präsidentschaftskandi­daten in den Vereinigten Staaten sind aber 81 beziehungsweise 77 Jahre alt. Ist die Aufgabe als US-Präsident also weniger ­fordernd als Außenminister von Luxemburg zu sein? Anders gefragt: Sind die beiden Kandidaten nicht definitiv zu alt und kommt es nicht so oder so in den USA zu einem betreuten Regieren?

Mein Rückzug aus der Politik hat nichts mit meinem Alter zu tun, ich kann den Mont Ventoux immer noch mit dem Fahrrad ­erklimmen. Ich bekleide kein politisches Amt mehr, weil ich und meine Familie ­anders leben wollen. Ich engagiere mich aber nach wie vor politisch, beispielsweise mit Diskussionen in Universitäten sowie mit dem Vortrag auf ihrer Jahreskonferenz in Berlin am 18. April.

Joe Biden mit Donald Trump in einen Topf zu werfen ist völlig unangebracht. Biden hat in seiner Amtszeit nicht einen kapitalen Fehler begangen. Trump hat in seiner Amtszeit jeden Tag große Fehler begangen.

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