Schwarzer Schwan
22. Mai 2015

Familienentwicklungs-Controlling

Die Quantifizierung schreitet fort – nicht aber die Evolution!

Früher war mehr Lametta und ganz früher war ganz viel mehr Romantik. Wie die Männchen im Mittelalter um die Weibchen warben, ist in den Gesangstexten von Walther von der Vogelweide verewigt: 

Wol mich der stunde, daz ich sie erkande,
diu mir den lîp und den muot hât betwungen,
sît deich die sinne sô gar an sie wande,
der si mich hât mit ir güete verdrungen,
daz ich gescheiden von ir niht enkan.
daz hât ir schoene und ir güete gemachet
und ir rôter munt, der sô lieplîchen lachet.
Zu Neuhochdeutsch:
Glücklich die Stunde, als sie in mein Leben gekommen,
die mich an Körper und Seele bezwungen,
die all mein Denken und Fühlen genommen
und mich hat mit ihrem Wesen durchdrungen,
dass ich allein ohne sie nicht bestehen kann.
Das hat ihre Schönheit und ihr inneres Wesen gemacht
und ihr roter Mund, der so lieblich lacht.
Ob die Beziehungen zwischen den Geschlechtern heute qualitativ besser ist, ist fraglich, auf jeden Fall wurde sie quantitativer. Statt den drei Ks Kinder, Küche, Kirche, die den Frauen Halt und Orientierung gaben, muss Mann heute viel kennzahlenbasierter agieren. Eine wichtige Kennzahl in der persönlichen Bilanz eines Mannes ist heute das Ebitd, also die Earnings before interest, taxes und divorce. Schließlich leben wir in Zeiten, in denen zum Beispiel der US-Ölmilliardär Harold Hamm verurteilt wurde, seine Geschiedene mit fast einer Milliarde Dollar abzufinden – ihr das aber nicht genug ist. 
Ebitd statt KKK
Gerade in den USA, genauer gesagt bei den Reichen in New York, ist Mann zu einem kennzahlenorientierten Entwicklungs-Controlling übergegangen. Dahinter verbirgt sich ein ganzheitliches, kennzahlenbasiertes Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrument zur Analyse des Entwicklungsbereichs Familie. Wie Manager Magazin Online zu entnehmen ist, bezahlen vermögende Männer ihren besseren – oder teureren Hälften – einen vertraglich verhandelten Bonus, wenn sie besonders gut mit dem Haushaltsgeld umgehen oder die Kinder besondere schulische Erfolge erzielen. Meist administrieren diese Kostenstellen „drei bis vier Kinder unter zehn Jahren, deren Erziehung zu möglichst großem sozialen und schulischen Erfolg sie zu ihrem prestigeträchtigen Hauptprojekt machen – „intensive mothering" heißt das auf Soziologisch, so MM Online. Vorstellbar ist ein Excel-basiertes Bonussystem, in dem die Anzahl der Ableger mit deren schulischen Noten verrechnet werden. Zudem sind Konventionalstrafen vorstellbar, wenn der Sprössling mal wieder beim Ladendiebstahl oder beim Rauchen erwischt wird. Wenn die Frauen clever sind, handeln sie noch einen Extrabonus aus, wenn der Sprössling erfolgreich in die Volljährigkeit wechselt. 
Etwas pikiert beschreibt laut MM Online die Anthropologin Wednesday Martin in ihrem bald zur Veröffentlichung anstehenden Buch „Primates of Park Avenue", dass sich dieser Typus Frau mit seinesgleichen zusammenrottet und von den Männern selbst bei Dinnerpartys abschottet. Diese selbstgewählte Trennung, so Martin, sei ungefähr so selbstgewählt wie die der Dogon-Frauen in Mali, monatlich eine Menstruationshütte aufzusuchen. „Die weltweite ethnografische Datenlage ist klar: Je mehr eine Gesellschaft in Schichten organisiert und je hierarchischer sie organisiert ist, und je mehr nach Geschlechtern getrennt, desto niedriger ist der Status der Frauen", kommentiert Martin laut MM Online. Die Park-Avenue-Frauen dürften aber etwas besser abgesichert sein als die Dogon-Frauen.
Auch dürfte nicht alles in einer Beziehung zu quantifizieren sein. Wie der Risikoforscher Gerd Gigerenzer, der sein Konterfei für diesen Schwarzen Schwan herhalten muss, schreibt, habe ein Freund für alle Aspekte einer Ehe in seiner Bilanzierung für jede potenziell infrage kommende Frau einzeln die Wahrscheinlichkeiten ermittelt und dann den Nutzen multipliziert und „auf dieser Basis die Frau mit dem höchsten erwarteten Nutzen errechnet“. Die Heirat wurde vollzogen – in der Zwischenzeit ist die Ehe des Nutzenmaximierers aber längst wieder geschieden. 
Warum nur? Vielleicht hätte er statt zu Excel zur Klampfe greifen sollen:
Hâst dû triuwe und staetekeit,
sô bin ich des ân angest gar,
daz mir iemer herzeleit
mit dînem willen widervar.
Hâst aber dû der zweier niht,
sô müezest dû mîn niemer werden – ôwê danne, ob daz geschiht!
Zu Neuhochdeutsch:
Wenn du treu und beständig bist,
dann brauch ich keine Angst zu haben,
dass mir jemals Herzeleid
von dir absichtlich widerfährt.
Bist du aber beides nicht,
so kannst du nicht die Meine werden – o weh, wenn das geschieht!
In diesem Sinne wünschte Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. 
Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert