Strategien
27. März 2024

Gegen die Anti-ESG-Bewegung formiert sich Widerstand

In manchen Regionen der USA betrachten republikanische ­Politiker Nachhaltigkeitskriterien als Teufelszeug. Wo sich Widerstand gegen die Anti-ESG-Bewegung formiert, erfahren Sie hier.

Bei mehr und mehr Investoren in Deutschland, Europa und weltweit bilden Nachhaltigkeitsrisiken, wie sie sich zum Beispiel aus dem Klimawandel ergeben, ein wichtiges Ausschlusskriterium im Anlageprozess. Nach­haltiges Investieren bedeutet in dem Zusammenhang „anders“ zu investieren. Denn finanzmathematisch hat eine nachhaltige Kapitalanlage einen Tracking Error relativ zur ­traditionellen Kapitalanlage zur Folge, wie Gerold Koch, Head of Sustainable Investment Advice bei Allianz Global Investors (AGI), in einem Gastbeitrag für portfolio institutionell erläutert.

Demnach geht ein Climate-Transition-Ansatz bei globalen ­Aktien mit einem Tracking Error von 40 Basispunkten einher. Ein Grund dafür ist die veränderte Sektorallokation: Aktionäre verlagern das Gewicht in Richtung IT und Gesundheitswesen. Das Kapital fließt also bevorzugt in Unternehmen, die besser auf die Energiewende vorbereitet sind, während die Sektoren Energie und Versorger untergewichtet werden.

Nach vorne schauend können ESG-Themen, insbesondere der ­Klimawandel, signifikante Änderungen am Kapitalmarkt auslösen, warnt Gerold Koch. Analysen der AGI-Spezialeinheit Risklab zeigen, dass der MSCI World Index in den nächsten zehn Jahren im Schnitt um 1,4 Prozent schwächer ausfallen könnte, wenn Anleger Klimarisiken ignorieren und quasi weiter investieren wie bisher. „Nachhaltiges Investieren, also das kontrollierte Eingehen eines Tracking Error und die verstärkte Investition in Unternehmen mit weniger klimabedingten Kosten, reduziert effektiv das Exposure zu diesen Risiken und führt langfristig zu einem besseren Risiko-­Rendite-Profil“, erläutert der Experte.

ESG und Nachhaltigkeit sind im Fokus der Regulierungsbehörden

Es gibt zahlreiche Gründe, die dafür sorgen, dass Großanleger Nachhaltigkeitskriterien in ihrem Anlage- und mehr und mehr auch in ihrem Risikomanagementprozess berücksichtigen. Bei manchen Kapitalsammelstellen waren intrinsische Faktoren der Auslöser dafür. Auch die Vorgaben der Aufsichtsbehörden und Regulatoren wirken als Triebfeder. „ESG und Nachhaltigkeit stehen in allen Rechtsordnungen im Fokus der Regulierungsbehörden“, berichtet der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock, ein ausgesprochener Verfechter des Nachhaltigkeitsdreiklangs „ESG“, in seinem Bericht über das Geschäftsjahr 2022. Ein aktuellerer ­Report der US-Amerikaner liegt noch nicht vor.

Beispielsweise müssen die europäischen Vermögensverwaltungsgesellschaften und Investmentfirmen von Blackrock detaillierte Informationen zu den ESG-Merkmalen ihrer Fonds und ­Portfolios veröffentlichen. In anderen Regionen gibt es ähnliche Vorgaben. Als herausfordernd erweist sich hierbei, dass die ­unterschiedlichen Rechtsordnungen unablässig neue rechtliche ­Rahmenbedingungen für ESG- und Nachhaltigkeitsvorschriften entwickeln. Blackrock sieht sich vor diesem Hintergrund „einem erhöhten Fragmentierungsrisiko“ im Zusammenhang mit der ­lokalen ­Umsetzung ausgesetzt, wie es im Geschäftsbericht (2022, S. 32) heißt. Die Folge ­seien ­komplexe und möglicherweise widersprüchliche Compliance-Verpflichtungen ebenso wie eine rechtliche und regulatorische ­Unsicherheit, warnt der Vermögensverwalter.

Problematisch für die Unternehmen auf der Anbieterseite ist außerdem, dass „verschiedene Interessengruppen unterschiedliche Ansichten zu ESG-bezogenen ­Themen“ haben, wie Blackrock hervorhebt. Doch schlimmer geht immer: Institutionelle Anleger, Fondsgesell­schaften und andere Vermögensmanager sind in Teilen der USA mit politischem ­Gegenwind aus den Reihen der ­Republikaner konfrontiert, gerade wenn sie ESG-Kriterien berücksichtigen. Für globale Fondsgesellschaften, die den lokal unterschiedlichen Anforderungen und Ansichten gerecht werden müssen, um ihr eigenes Überleben sicherzustellen, ist diese sogenannte „Anti-ESG-Bewegung“ eine Gratwanderung.

Anti-ESG: Hardliner sprechen von Diskriminierung ganzer Branchen

Einige US-Bundesstaaten und/oder Staatsbeamte haben nach ­Angaben von Blackrock Gesetze verabschiedet, vorgeschlagen oder auf andere Weise offizielle Positionen eingenommen, die staatliche Regierungsstellen daran hindern oder verbieten, „bestimmte Geschäfte mit Unternehmen zu tätigen, die nach Ansicht des Staates bestimmte Branchen ‚boykottieren‘ oder ‚diskriminieren‘ oder ESG-Faktoren in ihren Anlageprozessen und der Stimmrechtsvertretung berücksichtigen“, heißt es im Annual Report 2022. Formuliert wurde die an Aktionäre und andere Stakeholder adressierte Passage höchstwahrscheinlich von Juristen.

Wenn also, wie oben erwähnt, Aktionäre manche Sektoren untergewichten, gerade weil sie dort Risiken wahrnehmen, fassen manche Hardliner das als „Diskriminierung“ auf. Blackrock hält es für möglich, dass sich dieser Trend ausweitet und weitere Bundesstaaten und Kommunen ähnliche Gesetze oder andere ESG-bezogene Positionen erlassen.

Texas ist laut dem US-Fachmagazin „Pensions & Investments“ ­einer von immer mehr Bundesstaaten, die hart gegen die ESG-Anhänger vorgehen. In diesem Zusammenhang haben bereits sechs Staaten erklärt, dass sie planen, mehr als drei Milliarden US-Dollar von Blackrock abzuziehen. Gleichzeitig weisen die Republikaner im Repräsentantenhaus die Bemühungen der Biden-Regierung, ESG-Investitionen zu stärken, zurück. Republikanische Staats­beamte in den gesamten Vereinigten Staaten, darunter Treasurer, Generalstaatsanwälte und der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, protestieren gegen ESG-Investitionen. Sie behaupten, die Strategie fördere soziale oder ideologische Interessen auf Kosten der Anlageperformance. Laut Pensions & Investments verkaufte das mächtige Teacher Retirement System of Texas im Vorjahr Anteile an Blackrock, der Credit Suisse Group und mehreren anderen ­Firmen und Fonds, „um die Gesetze des Staates einzuhalten“.

Gesetze gegen ESG-Investments

Einem Bloomberg-Bericht zufolge hat Texas im Jahr 2021 zwei ­Gesetze verabschiedet, die Regierungsverträge mit Unternehmen einschränken, die eine von Staatsbeamten „als strafend erachtete Haltung gegenüber der fossilen Brennstoff- und Schusswaffen­industrie“ einnehmen. Laut dem Bericht vom Februar 2024 haben die Republikaner in weiteren US-Bundesstaaten in der Zwischenzeit zahlreiche neue Gesetze durchgesetzt, um ESG-Investitionen und -Finanzierungen zu bekämpfen. Die Gesetzgebung entfaltet ihre Wirkung auch auf Banken. Manchen Finanz­instituten, mutmaßlich ESG-Verfechter, sei es verboten, den Staat und seine Kommunalverwaltungen durch Anleihegeschäfte bei der Beschaffung von Geldern für Infrastrukturprojekte zu unterstützen.

Doch es gibt Widersacher, die sich gegen die geplanten Anti-ESG-Gesetze erheben. Laut einem aktuellen Bericht von Thomson ­Reuters stehen zahlreiche Gesetzesvorhaben, die von mehreren US-Bundesstaaten eingeführt wurden und Unternehmen feindlich gegenüberstehen, die in ihren Anlagepraktiken Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien anwenden, vor „politischen und recht­lichen Herausforderungen“. Ihr Widerstand sorgt dafür, dass viele Gesetzesentwürfe nun abgeschwächt werden oder komplett scheitern.

Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, ob ein Anti-ESG-­Gesetz letztendlich in Kraft tritt, erklärt die Anwaltskanzlei Ropes & Gray, die den Fortschritt solcher Gesetzentwürfe verfolgt. Aktuell gibt es mindestens 61 Anti-ESG-Gesetzesentwürfe, die entweder von einem Landesgesetzgeber eingebracht wurden, aber noch im Ausschuss anhängig sind oder von der letzten Legislaturperiode auf die Sitzungsperiode 2024 übertragen werden sollen, so die Kanzlei. Die aktivsten Staaten waren Oklahoma mit 14 Gesetzentwürfen, gefolgt von South Carolina (neun), Missouri (acht) und West Virginia (sieben).

Nachhaltige Anleihen kommen nur selten aus den USA

Die verfahrene Lage wirft die USA im weltweiten Vergleich zurück. Deutlich wird das daran, dass die an den Finanzmärkten sonst so mächtigen Vereinigten Staaten bei der Emission nachhaltiger ­Anleihen keine Rolle spielen. Das zeigt eine Untersuchung von ­Generali Asset Management, einer Tochter des gleichnamigen ­Versicherungskonzerns. Daraus geht hervor, dass das globale Emissionsvolumen nach einer mehrjährigen Wachstumsphase im Vorjahr leicht geschrumpft ist. Das Gesamtvolumen neuer ESG-Anleihen (einschließlich aller Anleihetypen, Regionen und Emittenten) weltweit ging 2023 auf rund 950 Milliarden Dollar zurück.

Europa ist mit einem Anteil von etwa 44 Prozent der wichtigste Emissionsmarkt für nachhaltige Anleihen und damit seine ­wichtigste Säule. Nordamerika kommt auf einen Marktanteil von sechs ­Prozent. Und die Tendenz ist rückläufig: Angesichts der bevor­stehenden Präsidentschaftswahl und der anhaltenden Anti-ESG-Bewegung warteten einige Emittenten die weitere Entwicklung solange ab, bis es mehr politische Klarheit gebe, beschreibt ­Generali Asset Management den Status quo. Ob das den Klimawandel bremsen kann?

ESG-bezogene Strategien in Bausch und Bogen abzulehnen, hieße, sich selbst eines wichtigen Instruments im Umgang mit auswirkungsreichen und risikobehafteten Entwicklungen in Umwelt und Gesellschaft zu berauben, warnt Rolf D. Häßler in einem Gast­beitrag. Darin macht der Geschäftsführer des Instituts für nach­haltige Kapitalanlagen deutlich, dass es dabei letztlich unerheblich sei, ob man das Ergebnis seiner risikobezogenen Überlegungen als Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet oder als integralen Bestandteil des Risikomanagements betrachtet. „Wer als Risiko­manager seinen Job richtig macht, kommt an ESG-Kriterien nicht vorbei – egal, ob unter der Überschrift ESG oder nicht.“

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