Pension Management
25. Juni 2021

Große Fonds und Mini-Renten

Chiles Rentensystem ist in dem südamerikanischen Land vor ­allem wegen seiner kleinen Renten umstritten. Doch die ­Größe der Fonds ist beachtlich. Die Fonds erwirtschafteten lange ­gute Renditen,­ doch die privaten Verwaltungsgesellschaften haben ­hohe Gebühren,­ die die spätere Rente schmälern. Auch die ­verschiedenen Risikoklassen,­ in die sich die Vorsorgesparer zuordnen ­müssen, ­verwirren Anleger. Es mangelt an Transparenz im System und auch die Pandemie hat Spuren hinterlassen.

Das Rentensystem in Chile basiert auf einem rein kapitalgedeckten Verfahren. Jeder Arbeitsnehmer mit regulärer Beschäftigung zahlt jeden Monat zehn Prozent seines Einkommens in einen der ­privaten Fonds einer der bisher sechs, nach einer Reform in 2019 sieben, Verwaltungsgesellschaften, der so genannten Administradoras de Fondos de Pensiones (AFPs), ein. Das privatisierte System ist noch ein Relikt der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet und läuft seit den 80er Jahren. Seitdem haben die Chilenen in den AFP enorme Vermögen angehäuft, wie ein Vergleich zeigt: Nach Daten der OECD beläuft sich das gesamte Pensionsvermögen in Deutschland (Einwohner) auf etwa 290 Milliarden US-Dollar. Das nach ­Bevölkerung (18,8 Millionen Chilenen) viel kleinere Chile hat ­Pensionsvermögen von 215,37 Milliarden US-Dollar angehäuft. ­Eine weitere Studie der OECD von 2011 zeigt auch, dass die Renditen lange ebenso beachtlich waren: Das Wachstum der Pensionsfonds und damit der Assets under Management lag zwischen 2003 und 2011 bei 11,5 Prozent pro Jahr. Die Asset under Management ­betrugen im Jahr 2007 bereits über 60 Prozent des chilenischen BIP. Es gibt bei der ganzen Erfolgsgeschichte nur ein entscheidendes Problem: Die ausgezahlten Renten an die Pensionäre sind niedrig, zu niedrig. Oftmals erreichen sie nicht einmal die Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns, weshalb es seit ­einer Reform vor einigen Jahren eine so genannte solidarische Mindestrente gibt. Auch diese reicht jedoch bei den vergleichsweise­ hohen Verbraucherpreisen in Chile kaum aus, um davon zu leben.

„Die Renten in Chile sind in absoluten und relativen Zahlen tief“, sagte der Wirtschaftsprofessor und Rentensystem-Experte David Bravo von der katholischen Universität in Santiago 2019, im Jahr der sozialen Unruhen, der Neuen Züricher Zeitung. Chiles Pensionäre bezögen heute eine Rente, die durchschnittlich 40 Prozent des monatlichen Einkommens ihrer letzten zehn Arbeitsjahre ­betrage, erklärt der einstige Leiter der präsidialen Beratungskommission zum Rentensystem. Die tiefen Renten sind laut Bravo auf die schlechte Ausgestaltung des Systems im Jahr 1980 unter ­Pinochet zurückzuführen.

Zum System der AFP ein kurzer Exkurs: Die Verwaltungsgesellschaften arbeiten mit Fonds unterschiedlicher Risikoklassen, ­denen sich die chilenischen Bürger selbst zuordnen müssen. Sind sie eher risikobereit oder wollen sie klassisch konservativ anlegen. Diese Wahl bleibt dem Vorsorgesparer selbst überlassen und ­entscheidet oftmals über das Wohl und Wehe einer guten Wertentwicklung und eines gutes Rentenstarts. Die große Mehrheit der Chilenen arbeitet in wenig qualifizierten und häufig zumindest teilweise in prekärer Beschäftigung und dürfte mit diesen Entscheidungen regelmäßig überfordert sein, mindestens einen oder ­optional auch zwei der fünf verschiedenen Risikoklassen passend auszuwählen.

Starker Home Bias der Fonds

Dabei sehen die Renditen der AFP auch aktuell nicht schlecht aus – ­je nach Risikoklasse. Die zweitgrößte der Verwaltungsgesell­schaften, die AFP Provida, die zur US-amerikanischen MetLife-Gruppe gehört, weist auf ihrer Website eine über die vergangenen 36 ­Monate durchschnittliche Jahresrendite von 6,57 Prozent für Fonds A aus. Fonds A ist aber auch der chancenreichste Fonds mit einer hohen Aktienquote. Seit seiner Einführung im September 2002 erwirtschaftete der Fonds 6,44 Prozent Rendite. Die Rendite für die vergangenen zwölf Monate lag bei über 18 Prozent. Nur wählen die meisten Chilenen diesen Fonds nicht als Altersvorsorge aus, da er als riskant eingestuft wird. Die Aktienquote liegt bei Fonds A bei 84 Prozent, 14 Prozent davon werden am heimischen Markt angelegt. Im Vergleich kommt Fonds E, der am anderen ­Ende des Risikospektrums einzuordnen ist, auf eine in den vergangenen zwölf Monaten erzielte Rendite von gut zwei Prozent. In den vergangenen drei Jahren lag die erzielte Rendite etwas höher, bei 3,1 Prozent. Der Fonds E hat eine Aktienquote von fünf Prozent und legt einen Großteil seiner Gelder, nämlich 85 Prozent im ­heimischen Bondmarkt an. Nur drei Prozent beträgt der Anteil ­internationaler Aktien. Der Home Bias dieses Fonds ist also enorm.

Auch Fondo C, der laut Angaben ein ausgewogeneres Chance-­Risiko-Verhältnis hat, hat einen hohen Anteil Rentenpapiere von insgesamt 59 Prozent, 39 Prozent davon sind auch hier im chilenischen Rentenmarkt investiert. Die chilenischen Beitragszahler ­tragen also dazu bei, dass sich chilenische Unternehmen günstig am Kapitalmarkt refinanzieren können. Der Anteil nationaler ­Aktien ist mit sieben Prozent sehr viel kleiner.

Vor dem Hintergrund dieser starken Binnenmarktorientierung stellt sich umso mehr die Frage, welche Auswirkungen die ­sozialen Unruhen in Chile im Herbst 2019 auf die Fonds und die Verwaltungsgesellschaften hatten. Auf den Seiten der Verwaltungsgesellschaften selbst finden sich dazu häufig kaum Informationen. Ein Geschäftsbericht wird zum Beispiel von der AFP Provida nicht auf der Website veröffentlicht. Dafür gibt es quartalsweise ­Informationen zu Bilanzkennzahlen. Daraus geht unter anderem hervor, dass der mit Abstand meistgewählte Fonds der AFP Provida der Fonds C ist.

Hohe Kosten

Bei der AFP Habitat, der nach Assets under Management größten der sieben Verwaltungsgesellschafen, die zur US-amerikanischen Prudential Financial-Gruppe gehört, veröffentlicht man eine ­‚Unternehmenspräsentation für Investoren Q1 2021‘. Wie aus dem Dokument hervorgeht, sind die Assets under Management der AFP Habitat im Vergleich zum vergangenen Jahr um 1,8 Prozent ­gesunken. Enthalten ist auch eine Übersicht der Assets under ­Management im gesamten und der Marktanteile der Branche: Demnach liegen die Assets under Management der AFP Habitat mit einem Marktanteil von fast 29 Prozent bei umgerechnet rund 50 Milliarden Euro. Die der AFP Provida mit einem Marktanteil von 23,4 Prozent bei umgerechnet 40 Milliarden Euro und die der drittgrößten APFs, der Capital (Marktanteil 19,7 Prozent) und Cumprum (Marktanteil 19,1 Prozent) bei 34 Milliarden Euro ­respektive 33 Milliarden Euro.

Auch die Pandemie hat den Pensionsfonds zugesetzt. Wie Reuters im Juli 2020, also im chilenischen Winter, berichtete, haben offenbar rund drei Millionen Chileninnen und Chilenen versucht, ­Teilauszahlungen aus ihren Pensionsfonds zu erhalten, weil sie die Mittel infolge der Pandemie für den Lebensunterhalt benötigten. Möglich gemacht wurde das durch ein zuvor verabschiedetes ­umstrittenes Gesetz, dass es den Vorsorgesparern erlaubte, sich bis zu zehn Prozent ihrer Pensionsgelder vorzeitig auszahlen zu ­lassen. Die Regierung begründete den Schritt damit, die sozialen Folgen der Pandemie abfedern zu wollen. Die Websites verschiedener ­Verwaltungsgesellschaften waren der Nachrichtenagentur ­zufolge in der Folge der millionenfachen Anfragen kollabiert.

Dass am Ende für die Pensionäre so wenig an Rente übrigbleibt, dürfte auch an den hohen Kosten liegen, die die Verwaltungsgesellschaften von ihren Beitragszahlern kassieren. Die Kostenquote der AFP Provida beträgt 1,45 Prozent, die monatlich von Beitragszahlungen abgezogen werden. Eine zusätzliche Versicherung für ­Berufsunfähigkeit und Hinterbliebenenschutz kostet nochmal 1,99 Prozent der Beiträge, sodass die AFP Provida aktuell eine Gesamtkostenquote von 3,44 Prozent ausweist. Die Gebühren gelten seit Juli 2020. Auch die AFP Habitat kassiert aktuell eine Verwaltungsgebühr von 1,27 Prozent auf jede Einzahlung. Der Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenschutz kostet zusätzlich 1,97 Prozent. Die AFP ­Capital und die AFP Cumprum nehmen jeweils 1,44 Prozent an Verwaltungsgebühr. Eine deutlich günstigere Fee hat nur die kleine AFP Uno mit 0,69 Prozent. Sie wurde im Rahmen einer Reform im Jahr 2019 eingeführt. Die AFP Modelo bietet mit 0,77 Prozent ebenfalls niedrige Verwaltungsgebühren.

Nach dem Referendum über eine neue Verfassung für Chile im ­Oktober 2020 haben die etablierten konservativen Parteien und vor allem die Regierungspartei von Präsident Sebastian Piñera bei der Abstimmung über die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung im April 2021 eine herbe Schlappe erlitten. Jetzt steht die Regierung umso mehr unter Druck zu zeigen, dass man hinsichtlich der sozialen Ungleichheit im Land auch für die ­ärmeren Bevölkerungsschichten Lösungen parat hat.

Piñera hat dementsprechend auch neue Pläne für das chilenische Rentensystem. Man wolle die zuvor eingeführte Solidarische Basisrente ausweiten, teilte der Präsident im März mit. Sie solle künftig statt für 60 Prozent der am meisten vom sozialen Abstieg gefährdeten Bürger für 80 Prozent Anwendung finden. Davon würden nach Angaben des Präsidenten rund 500.000 Menschen profitieren, ­davon 460.000 aus der Mittelschicht. Auf diese Weise solle die ­Solidaritäts-Säule im Rentensystem mehr als zwei Millionen Menschen umfassen, die damit ihre Grundrente so weit aufstocken, dass niemand mit einer Rente unterhalb der Armutsgrenze ­dastehen solle. Ob die Pläne greifen, ist fraglich. Bei der Verfassungsreform steht auch das System der AFP als ganzes in Frage. Viele Menschen sind vom aktuellen System tief enttäuscht.

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