Hellgrün, dunkelgrün, Flecktarn: Wie der Krieg den Blick auf Sustainable Finance verändert
Die Debatte um den Mindestausschluss für Rüstung in nachhaltigen Fonds treibt die Branche um. Regulatorisch gilt: EU-Recht wird den deutschen Branchenstandard ablösen. Was das an der gängigen Praxis ändert und was Verbände, Experten für Sustainable Finance und ESG-Ratingagenturen zum Thema noch zu sagen haben, lesen Sie auf den folgenden Seiten.
Teile der Politik und der Finanzindustrie diskutierten in den vergangenen Monaten die Rüstung und deren Klassifizierung als „nachhaltig“ sehr kontrovers. Die Rüstungsindustrie selbst hatte das Thema früh für sich entdeckt, von Politik und Branchenverbänden wurde es im Zuge der „Zeitenwende“ auf die Agenda gesetzt. Während sich Nachhaltigkeitsexperten allerorten davon zu distanzieren suchten, warum nun ausgerechnet Investitionen in Rüstung, nach dem Mindestausschlussverfahren bislang mit einem Schwellenwert von zehn Prozent vom Umsatz eines Unternehmens von den Investitionen in nachhaltigen Fonds ausgenommen, jetzt plötzlich als nachhaltig gelten sollten, sprangen andere auf den Zug auf.
So hat zum Beispiel Han-ETF in einer Umfrage unter 50 Wealth Managern aus Großbritannien, Italien und Deutschland im dritten Quartal 2024 abgefragt, ob diese einer Aufnahme vom Sektor Rüstung in die Nachhaltigkeitsregulierung zustimmen. Konkret lautete die Frage des ETF-Spezialisten: „Glauben Sie, dass Investitionen in Rüstungsunternehmen kompatibel mit ESG-Kriterien sind?“ 94 Prozent der Befragten antworteten demnach mit „Ja“. Die Mehrheit (70 Prozent) der Befragten sah sich zudem eher investitionsfreudig für Investments in die Verteidigungsindustrie. Auf die Frage, wie wichtig bei Rüstungsinvestments der Firmensitz der Unternehmen sei, damit ein Exposure zu feindlichen, staatlichen Akteuren vermieden würde, antworteten 34 Prozent mit „sehr wichtig“, 38 Prozent mit „wichtig“. Ferner stimmten 26 Prozent für „einigermaßen wichtig“.
Das zeigt, wie sehr sich die Sichtweise auf das Rüstungsthema im Zuge des Ukraine-Kriegs gewandelt hat. Waffen und Rüstungsgüter gelten heute wieder als wichtige Grundausstattung staatlicher Institutionen, um Frieden und Gerechtigkeit weltweit zu sichern. Die Verteidigungsfähigkeit gerade europäischer Staaten ist vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine wieder in den Fokus gerückt.
Doch können Waffen per se als nachhaltige Investitionen gelten? Das Thema beschäftigt zum Beispiel die Akteure im Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) „derzeit sehr stark“, wie FNG-Geschäftsführerin Verena Menne im September dem „Manager Magazin“ sagte. Waffen könnten notwendig, aber nicht nachhaltig sein, kommentierte Dr. Henrik Pontzen, Nachhaltigkeitschef bei Union Investment, in dem Artikel.
Auch der Arbeitskreis Kirchlicher Investoren (AKI) positionierte sich bereits Mitte Juli in einer Stellungnahme. Das Papier trägt die Überschrift: „Waffen und Rüstungsgüter weiterhin auf der Ausschlussliste kirchlicher Investoren“. Demnach lehnt der AKI ein Investment in Rüstung als nachhaltige Geldanlage ab: „Rüstung ist weder ethisch noch nachhaltig noch sozial“, schreibt der Arbeitskreis in dem Papier. Wer in Rüstungsunternehmen anlege, habe Vorteile davon, „dass überall auf der Welt Kriege geführt werden“. Denn die „Gewinne von Rüstungsunternehmen steigen proportional zur Anzahl und Stärke der bewaffneten Konflikte auf der Welt“. Kirchen hätten dagegen einen Versöhnungsauftrag. „Sie können nicht einerseits für den Frieden beten und andererseits mit ihren Geldanlagen vom Gegenteil profitieren.“
Abschließend geht das AKI-Papier auf das Argument ein, Rüstungsgüter könnten „sozial nachhaltig“ sein: Diese Argumentation sei sehr problematisch, denn „private Unternehmen orientierten sich an erster Stelle an der Steigerung ihres Gewinns und nicht an der Verteidigung friedlicher Demokratien“. Exportkontrollen seien nur bedingt wirksam, um sicherzustellen, dass Rüstungsgüter ausschließlich zur Verteidigung eingesetzt würden. „Angesichts der Janusköpfigkeit von Waffen und Rüstungsgütern, die einerseits schützen, andererseits aber auch Zerstörung bereiten, ist deren Produktion mit sozialer Nachhaltigkeit nicht vereinbar“, schätzt der AKI ein und verweist auf die Plattform on Sustainable Finance, die in ihrem Bericht zur Sozialen Taxonomie empfiehlt, geächtete Waffen gänzlich auszuschließen und andere Rüstungsgüter als neutral einzustufen, ohne damit eine Aussage zu ihrer Nachhaltigkeit zu treffen. Die Empfehlung sei im Jahr 2022 verabschiedet worden, wobei ein Vertreter von Airbus der Plattform ebenfalls angehört habe.
Do no significant harm
Dass die Kirchen hier weiter restriktiv bleiben, ist verständlich und konsequent. Ob es im Asset Management derzeit starke Befürworter dafür gibt, Investitionen in Rüstungsunternehmen künftig als „nachhaltige Investitionen“ einstufen zu dürfen, ist fraglich. Die Mehrheit der in Deutschland tätigen Vermögensverwalter zeigt sich laut Medienberichten hier eher zurückhaltend.
Aber wie wäre es in der Praxis möglich, auch wegen vielfältiger Konzernverflechtungen, überhaupt klar zwischen „nachhaltiger“ Rüstung und kontroverser Waffenproduktion scharf zu unterscheiden? Und wie könnte sich eine mögliche „nachhaltige Investition in Rüstung“ von einer nicht-nachhaltigen sinnvoll abgrenzen? Das haben wir die ESG-Ratingagentur Ethi-Finance gefragt.
Nach der Übernahme der Imug Rating GmbH durch Ethi-Finance im vergangenen Frühjahr erfolgte im Oktober die Umfirmierung der Imug Rating GmbH auf Ethi-Finance GmbH. Ethi-Finance antwortet, dass das Konzept „nachhaltiger Rüstung“ den Grundprinzipien der Nachhaltigkeit, keine negativen gesellschaftlichen Effekte zu verursachen, widerspreche, da Rüstungsgüter auf mögliche Gewaltanwendung ausgelegt seien und Leid verursachen könnten. „Asset Manager wie Union Investment und Netzwerke wie das Forum Nachhaltige Geldanlagen teilen diese Ansicht und betonen, dass Sicherheit allein kein Kriterium für Nachhaltigkeit ist. Für uns gibt es keine ‚nachhaltige‘ Rüstung. Wir unterscheiden zwischen konventioneller Rüstung und kontroverser Waffenproduktion.“ Die Trennung sei möglich, da kontroverse Waffen klar definiert seien. „Dazu zählen Waffentypen, deren Herstellung oder Verbreitung durch internationale Verträge reguliert wird – wie zum Beispiel Streumunition, Antipersonenminen, Atomwaffen, biologische und chemische Waffen, Blendwaffen, Brandwaffen sowie Waffen mit nicht nachweisbaren Splittern“, so Ethi-Finance. Darüber hinaus würden auch solche Waffen berücksichtigt, die derzeit nicht durch internationale Verträge reguliert werden, jedoch Gegenstand von Kampagnen und Diskussionen in internationalen Gremien seien, wie „etwa Waffen mit abgereichertem Uran und mit weißem Phosphor“. Konventionelle Rüstung umfasse die verbleibende Menge an Waffen, strategischen Produkten und Dienstleistungen.
Neben dem dänischen Pensionsfonds Pension-Denmark und der schwedischen Bank SEB scheint auch hierzulande erkennbar, dass institutionelle Anleger ihre Einschätzung zu Investments in Rüstung im Zuge der russischen Invasion der Ukraine überdenken beziehungsweise schon angepasst haben. Hinweise darauf gibt es. So äußerte sich zum Beispiel Dr. Paul Verhoeven, damals noch Vorstand der Gothaer Asset Management, im Interview mit portfolio institutionell im August 2022 auf die Frage, wie sich die Sichtweise auf die Rüstungsbranche verändert habe, so: „Nach wie vor investieren wir nicht in geächtete Waffen. Anders als bislang sind konventionelle Waffen aber nun nicht mehr gänzlich tabu. Diese Änderung haben wir in Übereinstimmung mit anderen großen deutschen Versicherungen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine vorgenommen.“
Der Versicherungsverband GDV schreibt uns auf Nachfrage, man erkenne keine erheblichen Tendenzen, dass sich die Anlagepolitik der Versicherer im Zuge des Krieges in der Ukraine verändert habe. „Wir haben keine Empfehlungen oder Hinweise veröffentlicht, dass Versicherer Investitionen in konventionelle Rüstungshersteller generell ausschließen sollten und verweisen hier auf die unternehmensindividuellen Entscheidungen der Mitgliedsunternehmen“, so eine Sprecherin des GDV. Investitionen in die Hersteller kontroverser und international geächteter Waffensysteme (zum Beispiel Antipersonenminen, Streumunition) würden allerdings mittlerweile von praktisch allen Versicherern in der Kapitalanlage ausgeschlossen.
Waffen als positiver Beitrag für Sicherheit und Frieden – den Befürwortern dieser Argumentation hält Gesa Vögele, geschäftsführende Gesellschafterin des Fair Finance Institutes, entgegen, dass es sich nur begrenzt kontrollieren lasse, ob Waffen einem guten Zweck anheimfallen. „Es ist schwerlich möglich, sicherzustellen, dass Waffen nicht in falsche Hände gelangen, zum Beispiel in diejenigen von Diktatoren oder Drogenbanden.“ Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung stehe selbstverständlich außer Frage. Auch insofern halte sie es daher für nachvollziehbar, Rüstungsgüter als neutrale Güter einzustufen.
Auch verweist die ESG-Expertin darauf, dass es sich aus ethischer Sicht problematisch darstellt, aus kriegerischen Auseinandersetzungen ökonomischen Nutzen zu ziehen. „Aus ethischen Gründen kommt es für viele Investierende nicht in Frage, von gewaltsamen Konflikten finanziell zu profitieren. Tatsächlich stiegen auch im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg die Börsenkurse vieler Rüstungsunternehmen deutlich. Dies zeigt übrigens, dass wir es gar nicht mit dem Problem eines Nachfragedefizits bei Rüstungsaktien zu tun hatten.“ Der relevanteste Punkt, warum Waffen nicht als nachhaltig gelten können, hängt nach Vögeles Betrachtung aber an den Do-No-Significant-Harm-Kriterien der EU-Klimataxonomie. „Es ist unbestreitbar, dass die Produkte von Rüstungsunternehmen zu massiver Zerstörung von menschlichem Leben, Infrastruktur und der Umwelt beitragen. Dies gilt allein mit Blick auf den Klimawandel: Es gibt Studien, die besagen, dass etwa fünf Prozent aller CO2-Emissionen weltweit auf das Militär zurückgehen.“
Die Definition von Nachhaltigkeit solle weniger an tagespolitische Erwägungen geknüpft werden, denn an Erkenntnisse der Wissenschaft, fordert Gesa Vögele zudem. Sie nennt hier die Aufnahme von Atomenergie und Gas als nachhaltige Investitionen in die EU-Taxonomie, was damals entgegen dem Protest der Zivilgesellschaft durchgesetzt worden war. „Ich würde sagen, dass energiepolitische Erwägungen und Deutschlands Abhängigkeit von Gas bei dieser Entscheidung schon eine Rolle gespielt haben. Erneuerbare Energien sind jedoch aus wissenschaftlicher Perspektive eindeutig die nachhaltigeren Investments.“
Europaweit einheitliche Vorgaben für Fondsnamen
Auf EU-Ebene werden mit den Esma-Leitlinien zu Fondsnamen, die im Mai 2024 durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma veröffentlicht wurden, erstmalig europaweit einheitliche Vorgaben darüber gemacht, wie „Umwelt“, „Soziales“ und „gute Unternehmensführung“ oder andere nachhaltigkeitsbezogene Begriffe in Fondsnamen verwendet werden dürfen. Die Bafin erklärte daraufhin, die Esma-Leitlinien würden die bisherige Bafin-Verwaltungspraxis zu nachhaltigen Investmentvermögen „vollständig ablösen“.
Der Esma-Leitlinien zu Fondsnamen mit Nachhaltigkeitsbezug beziehen sich auf die Climate Transition Benchmarks (CTB), demzufolge unter anderem geächtete Waffen aus dem Investmentuniversum aus entsprechenden Fonds ausgeschlossen sind. An diesen EU-weiten Mindeststandard soll das Zielmarktkonzept nun angepasst werden. Der Mindestausschluss für konventionelle Waffen, den der BVI mit der Deutschen Kreditwirtschaft und anderen Verbänden 2021 in seinem ESG-Zielmarktkonzept vereinbart hatte, fällt damit weg.
Dem BVI zufolge wird sich voraussichtlich in Deutschland bei nachhaltigen Fonds nicht sehr viel an der bisher gelebten Praxis ändern. Ein Sprecher des Verbandes antwortet auf Nachfrage, dass „Asset Manager auch weiterhin über die Mindestanforderungen hinaus gehen und strengere Ausschlüsse umsetzen können, indem sie zum Beispiel die Schwellenwerte für Investitionen in Rüstung enger definieren“. „Unsere bisherige Einschätzung ist, dass der Markt sich hier nicht sprunghaft bewegen wird“, so der Sprecher des BVI. Man warte noch auf eine Bestätigung der Bafin zur Rechtskonformität des neuen ESG-Zielmarktkonzepts, bevor es im Markt angewendet würde. „Eine Zustimmung durch die Bafin ist zwar nicht erforderlich, aber die Einschätzung warten wir ab“, so der BVI-Sprecher.
Wie auch ein Vertreter der Bafin erklärte, handele es sich bei dem ESG-Zielmarktkonzept um „eine freiwillige Koordinationsmaßnahme“ und einen „internen Standard der Verbände, den diese ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Eine Prüfung oder Freigabe durch die Bafin ist nicht vorgesehen“, sagte der Sprecher der Aufsichtsbehörde.
Mehr Rüstungsinvestitionen in ESG-Fonds
Bei Ethi-Finance beobachtet man derweil bereits einen Anstieg von Rüstungsinvestitionen in ESG-Fonds. So schreibt uns die ESG-Ratingagentur: „Seit der Anpassung der europäischen ESG-Kriterien ist es für Fondsanbieter einfacher geworden, Rüstungsunternehmen wie Airbus und Rolls-Royce in nachhaltige Fonds aufzunehmen, sofern diese keine völkerrechtlich geächteten Waffen herstellen. Diese Änderung basiert auf einer Entscheidung der Europäischen Wertpapieraufsicht (Esma), die es ESG-Fonds ermöglicht, bestimmte Rüstungsunternehmen als nachhaltig zu klassifizieren. Diese Flexibilität hat zu einem Anstieg der ESG-Investitionen in Rüstungsunternehmen seit dem Ukraine-Krieg geführt und verwässert die ursprüngliche Bedeutung von ESG.“ Grundsätzlich betrachtet die französische ESG-Ratingagentur jede militärische Nutzung als kritisch. „Daher ist es aus unserer Sicht entscheidend, dass ESG-Standards in diesen Bereichen möglichst transparent und einheitlich angewendet werden, um Greenwashing zu vermeiden.“
Olivgrün ist nicht hell- und schon gar nicht dunkelgrün
Ist Flecktarn also en vogue? Es handelt sich, so scheint es, um einen schleichenden Prozess. Vieles bei der Popularität von Waffen als Garant für die nationale Sicherheit wird davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage verändern wird. Gut an der EU-weiten Regelung der Esma-Leitlinien ist der Ausschluss geächteter Waffen in allen nachhaltigen Fonds, und zwar mit einem Schwellenwert von null. Wie und wieviel ein Anleger darüber hinaus in konventionelle Waffen investieren will, bleibt jedem selbst überlassen. Aber braucht es dafür ausgerechnet noch das Siegel der Nachhaltigkeit? Nachhaltige Fonds für gezielte Rüstungsinvestments nutzen zu wollen, erscheint so fragwürdig wie unnötig.
Autoren: Daniela EnglertSchlagworte: ESG-Rating | Nachhaltigkeit/ESG-konformes Investieren | Sustainable Finance
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