Traditionelle Anlagen
21. März 2022

Indien in den Index

Die größte Demokratie der Welt spielte auf den Anleihemärkten bislang keine Rolle. Das dürfte sich bald ändern. Neben der absehbaren Indexaufnahmen bestehen jedoch noch weitere Gründe für Anleger, sich mit indischen Staatsanleihen zu beschäftigen.

Es war fast genau vor 20 Jahren als Jim O’Neill von Goldman Sachs mit der Abkürzung BRIC ein eingängiges Kürzel und sich ein Denkmal schuf. Zahlreiche Fondsgesellschaften nutzten diesen ­Begriff und vermarkteten mit diesem Fonds, die in Aktien aus Brasilien, Russland, Indien und China investierten (siehe auch Seite 42). Mit Anleihen oder gar Staatsanleihen stand das Kürzel jedoch nie in Verbindung. Zwar waren und sind die Government Bonds von China, Russland und Brasilien für Investoren immer mal ­wieder ein Thema – nicht aber die von Indien. Simpler Grund: Für Ausländer war dieser Markt sehr verschlossen. 20 Jahre nach der BRIC-Einführung kam es aber nun zur Öffnung eines Segments, das für Anleger interessanter werden könnte als BRIC-Aktien.

Für das Ende der Abschottungspolitik steht die Ende März 2020 von der Reserve Bank of India eröffnete „Fully Accessible Route“ (FAR). Auf dieser können Ausländer ohne Restriktionen in Government Securities investieren. Gestartet ist die Zentralbank bei FAR mit fünf Staatsanleihen, heute sind es 17 und deren Gesamt­volumen kommt auf etwa 200 Milliarden Dollar. Ein Bond hat eine Laufzeit bis 2050. Für Carl Vermassen, Local Bond Manager bei Vontobel, sind Indiens Lockerungen der Eigentumsbeschränkungen aber nur ein erster Schritt: „Was es außer FAR noch braucht, ist ein Central Clearer wie Euroclear für vereinfachten Marktzugang und sofortige Klarheit über die Anlagekosten in US-Dollar. Noch besteht auch nach wie vor die Quellensteuerproblematik.“

Masala Bonds

Völlig verschlossen war Indien aber auch schon zuvor nicht. Teil der Lockerungsübungen in den vergangenen Jahren waren ­sogenannte Masala Bonds. Dabei handelt es sich um in Rupien ­denominierte Anleihen von indischen Emittenten, die nicht-indischen Investoren offenstehen. Ein entsprechendes Kontingent für Corporate Bonds erhöhte die Reserve Bank zum Beispiel 2017. „Man konnte auch schon vor FAR in indische Staatsanleihen investieren“, sagt Vermassen. „Dafür brauchte es jedoch ein Konto vor Ort und dessen Eröffnung konnte mehr als ein Jahr dauern.“ Schon seit 2007 hat der Asset Manager Abrdn, vormals Aberdeen Standard Investments, eine Lizenz für den Handel von domestic Bonds und bietet seit 2015 über einen Indian Bond Fund Zugang zu indischen Staatsanleihen. Dieser Fonds war zum Beispiel bereits Ende 2019 zu etwa einem Viertel in indische Staatsanleihen investiert.

Interessant für Anleger ist, dass die Specified Securities des FAR-Programms bei einer Bonität von BBB- im Schnitt mit 6,3 Prozent rentieren. Zum Vergleich: Lokale Govys aus Brasilien und ­Russland mit Laufzeiten bis 2028 rentieren knapp zweistellig. Allerdings hat Brasilien keinen Investment Grade und Anleihen aus Russland sind aus politischen Gründen derzeit schwer zu vermitteln. Ein in zwei Jahren fälliger Renminbi-Bond der Volksrepublik China wirft jährlich 2,4 Prozent ab.

Korrelationen, Volatilitäten und maximale Drawdowns

Weniger Rendite als Indien bieten auch die Local Bonds der Philippinen, Malaysia, Südkorea und Thailand. ­Attraktiv erscheinen bei Indiens Staatsanleihen zudem Korrelationen, Volatilitäten und maximale Drawdowns, wobei zu berücksichtigen ist, dass dieser Markt wie erwähnt in der Vergangenheit ­Ausländern sehr verschlossen war. Für auch künftig interessante Korrelationen sprechen jedoch die relativ geringe Verflechtung mit der Weltwirtschaft und der für ein Schwellenland untypisch hohe Anteil an Dienstleistungen bei den Exporten.

Diese Statistiken präsentiert der Asset Manager LGIM, der Ende Oktober als erstes in Europa einen passiven Ucits für indische Staatsanleihen aufgelegt hat. Die Auflage erfolgte in Dublin. ­Zwischen Irland und Indien besteht ein Steuerabkommen, auf ­dessen Basis der ETF steuerliche Vorteile genießt. Neben der ­Rendite spricht für Volker Kurr, Head of Europe Institutional bei LGIM, vor allem die alsbaldige Aufnahme von indischen Staatsanleihen, von denen bislang nur knapp zwei Prozent in ausländischer Hand sind, in die großen Schwellenländer-Indizes von Bloomberg und JP Morgan: „Die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt hat ein Debt-Volumen von 600 Milliarden Dollar und käme dann auf einen Indexanteil von etwa neun Prozent.“

Zusätzliche Nachfrage dürfte Rendite drücken

Bloomberg beziffert die Schulden sogar mit einer Billion Dollar. Nur China käme auf eine noch größere Quote. Wie bei der Index-Inklusion von Chinas Staats­anleihen im Jahr 2019 dürfte auch bei Indiens Staatsanleihen die ­zusätzliche Nachfrage die Rendite drücken. „Wir erwarten, dass die Indexaufnahme Indiens die Rendite der Staatsanleihen um 30 bis 40 Basispunkte drückt. Wer bereits jetzt investiert, hat einen First Mover Advantage“, erklärt Volker Kurr. Bei den derzeitigen First Movern, die also jetzt schon Anteile an dem ETF halten, handelt es sich laut Kurr um Investoren aus Finnland und ein berufsständisches Versorgungswerk aus Deutschland.

Noch nicht in Kauflaune ist dagegen Carl Vermassen. „Wir sind wegen der Währung vor­sichtig. Die Rupie ist zwar nicht übermäßig teuer, aber auch nicht günstig. Sie ist aber auf jeden Fall ein guter Diversifikator und die Zentralbank hat auch genügend Reserven, um die Rupie, wenn ­nötig, zu stützen. Die Zinsen, vor allem diejenigen am langen ­Ende, sehen wir dagegen mit wachsendem Optimismus.“ Das ­Volumen der Währungsreserven beläuft sich auf etwa 600 Milliarden Dollar.

Indien wird drittgrößte Volkswirtschaft

Ohne Begrenzungen würde der Indexanteil noch weiter wachsen. Im Jahr 2050 sieht die OECD Indien als drittgrößte Volkswirtschaft nach China und den USA – und vor Indonesien. Nach ­Schätzungen von Morgan Stanley hätte die Aufnahme in Indizes wie den ­Bloomberg Global Aggregate und den JPM GBI-EM Global Diversified für Indiens Govys sogar noch größere Auswirkungen: nämlich einen Zufluss von 40 Milliarden Dollar und zudem kämen jährlich weitere 18,5 Milliarden Dollar hinzu.

In Folge würde der „Ausländeranteil“ in den Staatsanleihen bis 2031 von zwei auf neun ­Prozent steigen – und damit die Renditen sogar um 50 Basispunkte sinken. ­Zudem würde die Rupie aufwerten. Denkt man aber noch einen Schritt weiter, könnte Indien versucht sein, die günstigeren Finanzierungskosten der FAR-Bonds für eine Segmenterweiterung zu nutzen, was wiederum für einen Renditeanstieg sorgen würde. ­Genug „Material“ gäbe es: Insgesamt kommen indische ­Sovereigns laut Bloomberg auf ein Volumen von einer Billion Dollar.

Neues Index-Schwergewicht

Nicht ganz so positiv an Indien sind der für ein Schwellenland ­hohe Schuldenstand von 90 Prozent und das ­Fremdwährungsrisiko. ­Bezüglich der Schulden verweist Volker Kurr auf die hohen Wachstumsraten und sagt zum Währungsrisiko: „Die Rupie war in den vergangenen drei Jahren stabil, zuvor aber schwach. Dieser Rückgang und die deutlich bessere Leistungsbilanz als die von anderen Emerging Markets sorgen für Aufwertungsdruck. Zudem hilft eine Rendite von über sechs Prozent, die ­Währungsvolatilität auszu­gleichen.“

Die Verschuldung in heimischer Währung und dass ­Indien fast nur im Inland verschuldet ist, trug auch dazu bei, dass Indien von der Asienkrise kaum betroffen war. Zudem nützt es auch Investoren, dass Neu-Delhi sich mit ­Locals als Finanzierungsinstrument begnügt: Indien zählt zu den sogenannten non-Defaultern, kam seinem Schuldendienst also immer nach. Dafür können die Inflationsraten auch mitunter zweistellig sein. Laut Statista war dies allerdings zuletzt 2010 der Fall. Als aktuelle Werte werden etwa fünf Prozent angenommen. Laut L&G gibt es auf dem Markt nur einige wenige Dollar-Emissionen von indischen Quasi-Sovereigns.

Nachholbedarf in Sachen Nachhaltigkeit

Ebenfalls kritisch zu sehen ist das Thema Nachhaltigkeit. Im ESG-Ländermodell von Candriam rangiert Indien nur auf Rang 76 von 130 Ländern. DPAM führt Indien in seinem Nachhaltigkeits-Ranking für Emerging Countries lediglich auf Platz 56 und damit im unteren Quartil. Indien hat zwar eine CO₂-Verpflichtung, will aber erst 2070 klimaneutral sein. In sozialer Hinsicht bestehen große Defizite bei Frauenrechten.

Anders als auch in manchen Developed Markets gibt es aber keine Todesstrafe. Was jedoch sehr für Indien spricht: „Worauf wir besonders achten, sind demokratische Strukturen, weshalb wir China, Russland und die Türkei ausgeschlossen haben. Indien ist die größte Demokratie der Welt“, sagt Carl Vermassen, der aber auch Schwächen in ökologischen und sozialen Aspekten erwähnt. Regulatorisch ist anzumerken, dass Govys aus Indien, und damit aus einem Nicht-OECD-Staat, unter Solvency II mit Eigenkapital zu unterlegen sind. Dafür ist die notorisch überlaufene High-Yield-Quote der Anlageverordnung kein Problem.

Aktiv investieren in Indien

Auf aktivem Weg können sich Anleger dieses Segment über den ­erwähnten Indien-Fonds von Abrdn erschließen. Unter den Top-10-Investments waren Ende 2021 neun Anleihen der indischen ­Regierung. Die laufenden Kosten des 2015 aufgelegten Sicav gibt der Asset Manager mit 76 Basispunkten an, die Renditen bis Fälligkeit mit etwa sechs und die jährlichen Dollar-Nettorenditen mit ­etwa fünf Prozent. „Die Kosten für das aktive Management lohnen sich also – besonders, wenn man wie wir auch in die Staatsanleihen investieren kann, die nicht Teil von FAR sind“, sagt Prof. Dr. Hartmut Leser, Vorstandsvorsitzender der deutschen Einheit von Abrdn. Abrdn erwartet, dass die Index-Inklusion bereits dieses Jahr startet. Der L&G-ETF hat eine Total Expense Ratio von 39 Basispunkten. „Die Administrationskosten sind hoch, weil die lokalen ­Lagerstätten in Indien relativ teuer sind“, sagt Volker Kurr. Die Verwahrstelle ist die BNY Mellon, der Sub-Custodian die Deutsche Bank.

Das große Argument für Ghandis Govys ist neben Rendite und ­Diversifikation die absehbare Index-Inklusion der sechstgrößten Volkswirtschaft, die die Renditen verringern sollte. Ein Kauf­argument für nachhaltige Investoren: Gerade jetzt, wo der Systemwettbewerb mit autokratischen Systemen immer mehr zunimmt, erscheint es angebracht, demokratische Systeme zu finanzieren.

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