Pensionskassen
27. April 2016

Investoreninterview: Eidgenossen in der Zinsfalle

Das Schweizer Rentensystem mit seinen drei Säulen galt lange Zeit als robust und ­solide. Zumindest, wenn man sich vom Ausland aus und auch nur oberflächlich damit beschäftigt hat. Bei näherem Hinsehen offenbaren sich gleich mehrere Probleme.

Angefangen bei ­generösen Rentenleistungen von Pensionseinrichtungen, die im heutigen Negativzins­umfeld als untragbar erscheinen, bis hin zu demografischen Belastungen. Das System gerät an ­seine Grenze, weshalb künftige Rentner mit Einbußen rechnen müssen. Aus deutscher Sicht bietet die Schweiz Anschauungsunterricht zu Problemen, die bald auch hierzulande schlagend werden. Welche Heraus­forderungen eine Schweizer Pensionskasse heute bestehen muss, erläutert Marco Bagutti, ­Anlagechef der in Zürich angesiedelten Stiftung Auffangeinrichtung BVG, im Gespräch mit Tobias Bürger.

Herr Bagutti, die Pensionseinrichtungen in der Schweiz stehen angesichts negativer Zinsen­ für Staatsanleihen vor enormen Herausforderungen. Bevor wir in die Thematik einsteigen, erläutern Sie bitte die Mission der Stiftung Auffangeinrichtung BVG.
Wir sind eine von vielen Personalvorsorgestiftungen. Unsere Einrichtung hat gesetzlich verankerte Aufträge, die wir für den Staat, für die Eidgenossenschaft, ausführen.

Ihre Stiftung ist eine Vorsorgeeinrichtung. Sie wurde im Jahr 1983 von den Spitzenorga­­nisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber im Auftrag des Bundes gegründet. Wie sehen Ihre gesetzlichen Aufträge aus?
In der Schweiz wurde 1985 das Pensions­kassen-Obligatorium eingeführt. Anders als in Deutschland ist es hierzulande seither Pflicht, über eine betriebliche Pensionskasse für das Rentenalter vorzusorgen. Wir nehmen­ mit unseren insgesamt vier Geschäftsbereichen eine Sonderstellung unter den Pensionskassen ein. Denn wir sorgen unter anderem ­dafür, dass Arbeitgeber aller Art ihre­ Angestellten ordnungsgemäß rentenversichern; die Überwachung der Unternehmen ist Teil unseres vielfältigen Aufgabenspektrums. Jeder Arbeitgeber muss seine Mitarbeitenden in der beruflichen Vorsorge ver­sichern, ganz egal ob es sich um ein Unternehmen mit hunderten Mitarbeitern handelt oder um ­einen Privatmann, der jemanden für private Zwecke anstellt. Das beste Beispiel bin ich selbst. Ich war alleinerziehender Vater und musste eine Tagesmutter beschäftigen. Sie hat sich tagsüber um meine Jungs gekümmert. Und ich musste ihr als Arbeitgeber ­eine Pensionskassenlösung anbieten.

Aber ist das nicht administrativ sehr auf­wendig, wenn sich ausnahmslos jeder, der Personal beschäftigt, um die betriebliche ­Altersvorsorge kümmern muss?
An dieser Stelle kommen wir als Auffangeinrichtung ins Spiel. Fälle wie dieser sind Teil unseres Tagesgeschäfts; wir versichern zum Beispiel Tagesmütter. Wir kümmern uns ganz konkret um die Durchführung der ­beruflichen Vorsorge für Arbeitgeber und freiwillig versicherte Einzelpersonen. Derzeit haben wir im Geschäftsbereich „Vorsorge BVG“ etwas über 24.000 Arbeitgeber und um die 34.000 Arbeitnehmer. Das heißt, wir haben nicht einmal zwei Angestellte pro ­Arbeitgeber. Hier betreiben wir klassisches Pensionskassengeschäft; die Struktur macht uns in der hiesigen Pensionskassenlandschaft aber so speziell.

Von welchem Anlagevolumen reden wir?
In diesem Geschäftsbereich verwalten wir zurzeit rund zwei Milliarden Schweizer Franken.­ ­

Daneben verwalten Sie die sogenannten Freizügigkeitskonten. Was hat es damit auf sich?
Im Geschäftsbereich Freizügigkeitskonten sind wir seit Anfang 1995 aktiv. Hier besteht unsere Aufgabe darin, Freizügigkeitskonten zu führen. Damals trat das Freizügigkeits­gesetz in der Schweiz in Kraft. Dieses Gesetz regelt, dass ein Angestellter, der seine Arbeitsstelle wechselt, sein bereits angespartes Pensionskassengeld in die Pensionskasse seines neuen Arbeitgebers mitnehmen kann.

Aber an dieser Stelle müssen sie sich doch nicht einschalten?
Stimmt, aber wenn ein Angestellter arbeitslos wird, dann fließt sein Pensionskassen­guthaben zunächst an uns, bis die Person einen­ neuen Posten gefunden hat und sein Altersguthaben bei der dann zuständigen Pensions­kasse verwalten lässt. Wir werden übrigens auch dann eingeschaltet, wenn Menschen aus dem Ausland zum Arbeiten in die Schweiz kommen und uns anschließend wieder verlassen. Es kommt häufig vor, dass das Pensionskassenguthaben von den Betroffenen vergessen wird. Die Auffangeinrichtung hält diese Gelder bis zehn Jahre nach deren Erreichen des Rentenalters zur Auszahlung bereit. Wir handhaben die Gelder im ­Umfang von rund acht Milliarden Franken wie ein Sparkonto; daher muss man diesen Bereich vom klassischen Pensionskassen­geschäft auch unterscheiden. Wir ­bezahlen einen Zins auf das Guthaben, aber es besteht keine Invaliditäts- oder Todesfall-­Risikoabdeckung. Insofern wird das Gut­haben bei Eintritt des Rentenalters auf einen Schlag ausgezahlt und eben nicht verrentet.

Was machen Sie sonst noch?
Seit dem 1. Juli 1997 haben wir noch ein drittes Standbein. Alle Personen in der Schweiz, die Arbeitslosengelder beziehen, haben bei uns im Geschäftsbereich Risikoversicherung für Arbeitslose, ALV, eine Versicherung für Tod und Invalidität. Es geht hier genau genommen um die obligatorische berufliche Vorsorge für Arbeitslose, die ein Taggeld ­beziehen. Im Grunde genommen sorgen wir dafür, dass der Risikobestandteil, den jemand in einer Pensionskasse angespart hat, weitergeführt wird. Sehen Sie, wenn das Mitglied einer Pensionskasse vor Eintritt des Renten­alters stirbt, dann erhält seine Ehefrau ­eine Witwenrente. Außerdem gibt es eine Waisenrente. Und das ist genau das, was wir für die Arbeitslosen ­erreichen. Wir erhalten über die Eidgenossenschaft eine Prämie und kümmern uns um die gesamte Organisation bis hin zur Rentenauszahlung an die ­Anspruchsberechtigten. Hier verwalten wir derzeit Gelder im Umfang von etwa 700 Millionen Franken.

Jetzt fehlt nur noch ein Bereich, um die Aktivitäten­ Ihrer Stiftung in vollem Umfang zu kennen.
So ist es, allerdings haben wir an dieser ­Stelle kein Kapital zu verwalten. Vielmehr haben wir im Geschäftsbereich Wiederanschlusskontrolle gewissermaßen eine behördliche, man könnte auch sagen, eine polizeiliche Funktion.

Worum geht es dabei?
Wir prüfen, ob Arbeitgeber ihre Angestellten bei einer Pensionskasse versichern. ­Probleme gibt es typischerweise bei Kleinstbetrieben. Hier kann es vorkommen, dass die Versicherung gekündigt wurde, weil die Firma in Konkurs gegangen ist. Falls dem so ist, dann ist die Sache für uns erledigt. Falls nicht, haben wir die Möglichkeit, die Institutionen daran zu erinnern, dass sie ihre Angestellten ver­sichern lassen muss. Wir setzen Fristen und können ganze Unternehmen zwangs­anschließen.

Wie kommt es, dass Ihre Geschäftsbereiche bei der Risikotragfähigkeit unterschiedliche Vorgaben haben?
Im Bereich der Freizügigkeitskonten verwalten wir mit Abstand das meiste Geld. Aber das sagt noch nichts über die Risikotragfähigkeit. Viel wichtiger ist, dass wir die Milliarden gewissermaßen wie ein Sparkonto verrenten. Im Hinblick auf das schwierige Zinsumfeld ist das eine enorme Herausforderung. Wir hoffen allerdings, dass wir den Anspruchs­berechtigten auch in Zukunft keine Negativzinsen mitgeben, sondern dass das Kapital in seinem Umfang erhalten bleibt.
Zurück zu Ihrer Frage. Von der Verpflichtungsstruktur her sind wir bei den Freizügigkeitskonten gezwungen, die Mittel in erster Linie am Geldmarkt anzulegen.

Wie bringen Sie das übers Herz angesichts negativer Zinsen am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve?
Wenn ich jemandem eine Spareinlage ­zusage und einen Zins, der dem aktuellen Zins­niveau entspricht, dann muss ich flexibel sein. Das gilt heute und auch bei steigenden Zinsen. Sollten die Zinsen künftig wieder ein Niveau von drei Prozent und mehr erreichen, müssen wir in der Lage sein, hier auf der ­Anlageseite mitzuziehen. Daher legen wir fast nur kurzfristig an.

Und wie ist die Risikotragfähigkeit auf der Pensionskassenseite?
Bei einer Pensionskasse ist das anders, dort zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fortlaufend eine Prämie. Und diese ist variabel. Wenn es der Pensionskasse gut geht und sie genügend Reserven hat, kann sie die Beiträge senken. Umgekehrt muss sie die Beiträge ­erhöhen. Das kann so weit gehen, dass sie ­ihren Versicherten Sanierungsbeiträge ab­verlangt, wenn sie in schweres Fahrwasser gerät. Das betrifft dann alle Pensionskassenmitglieder; es sei denn, sie wechseln den ­Arbeit­geber und nehmen ihr Rentengut­haben dorthin mit.

Diese Konstellation ist sehr problematisch, und zwar dann, wenn ein Industrieunternehmen einen Firmenteil verkauft, ohne Rücksicht auf seine möglicherweise von einer ­Unterdeckung belastete Pensionskasse zu nehmen. Die von der Abspaltung betroffenen Mitarbeiter erhalten ihr Rentenguthaben in voller Höhe und nehmen es mit, was die PK in schweres Fahrwasser bringen kann. Bevor ich allerdings zu weit von Ihrer Frage wegdrifte: Wir haben an dieser Stelle ganz klar ­eine höhere Risikotragfähigkeit. Als Pensions­kasse kann man einerseits Beiträge erhöhen, andererseits hat man auch einen langen ­Anlagehorizont. Daran sehen Sie auch, dass der Abgleich zwischen den Assets und den Verbindlichkeiten für uns von zentraler ­Bedeutung ist.

Wir haben über Ihre Geschäftsbereiche und Ihre unterschiedliche Risikotragfähigkeit ­gesprochen. Gleichzeitig divergieren die ­Deckungsgrade und Anlagestrukturen der Bereiche und damit auch die Renditen. 2014 haben Sie auf Ebene der Gesamtstiftung eine Rendite von 5,7 Prozent erzielt. Wie haben Sie im vergangenen Jahr abgeschnitten?
2015 haben wir über alle Bereiche hinweg mit einer Rendite von plus 0,08 Prozent abgeschlossen. Damit haben wir unsere Ziel­rendite verfehlt, was auch unseren Deckungsgrad ein wenig geschmälert hat.

Einige Pensionskassen in der Schweiz mussten im Vorjahr sogar Verluste hinnehmen.
Wenn ich mich mit Pensionskassen in der Schweiz messe, darf ich immer nur den Geschäftsbereich BVG heranziehen. Andernfalls würde ich Äpfel mit Birnen vergleichen. Und im Geschäftsbereich BVG hatten wir 2015 eine positive Rendite von 0,8 Prozent. Dieses Ergebnis liegt in etwa auf dem Durchschnitt aller Pensionskassen der Schweiz.

2014 haben Sie im Bereich BVG noch 8,6 Prozent Rendite erzielt. Wie kam es zu dem Umschwung?
Im Vergleich mit anderen Vorsorgeein­richtungen sind wir sehr konservativ zu ­einem großen Teil in Schweizer Renten ­investiert. Die noch weiter ins Negative ­sinkenden Zinsen lieferten auf diesen ­Anlagen Bewertungsgewinne, welche das recht ordentliche Ergebnis im vergangenen Jahr zu einem großen Teil erklären und mich auch während des turbulenten Jahresauftakts 2016 ruhig schlafen ließen. Unsere ­Deckungsgrade liegen über alle unsere Be­reiche ­hinweg weiterhin deutlich über 100 Prozent.­

Welche Assets retten Ihnen die Performance?
Es gibt zwei Anlagekategorien, die die Performance gerettet haben, schon im Vorjahr und auch dieses Jahr wieder. Man glaubt es kaum, doch Schweizer Obligationen haben uns auf der Renditeseite einmal mehr geholfen. In der Strategie der BVG haben wir 46 Prozent Renten Schweiz und 20 Prozent Renten Ausland. Bei den Renten aus dem Ausland ­sichern wir die Währungsrisiken übrigens ab. Denn wir glauben nicht, dass das Ein­gehen von Währungsrisiken mit einer Risiko­prämie belohnt wird.

Gibt es in Ihrer Bilanzierung stille Reserven oder machen Sie einen Fair-Value-Ansatz bei den Kapitalanlagen?
Grundsätzlich weisen wir bei den Kapital­anlagen den Market Value aus. Auf der Verpflichtungsseite haben wir Reserven, etwa für Langlebigkeit. Wir bilden zudem gewisse Marktschwankungsreserven bei den Frei­zügigkeitskonten, damit wir autonom risiko­fähig bleiben.

Halten Sie Ihre Anleihen trotz enormer Kurszuwächse bis zur Endfälligkeit?
Ja. Wir haben ein paar zentrale Investment-Beliefs und versuchen beispielsweise so ­wenige Transaktionen wie nötig durchzuführen. Unsere Vermögensverwalter haben bei den Schweizer Renten die Auflage, eine Buy-and-Hold-Policy zu verfolgen.

Sichere Anleihen sind für Sie besonders wichtig, aber sie werfen mit Blick nach vorn kaum noch etwas ab. Wo liegt auf der Rating-Seite Ihr Limit, um womöglich rendite­stärkere Anleihen kaufen zu können? Und haben Sie das Limit in der jüngeren Vergangenheit nach unten gesetzt?
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir ­denken in Risikokapital und in Liability-­Matching-Kapital. Einen Teil davon möchten wir ungeachtet der Zinssituation sehr sicher investieren. Das ist das, was in den Schweizer-Franken-Obligationen angelegt ist. Das Geld ist zum großen Teil in kurzlaufenden Renten investiert. Was das Rating betrifft, liegt unsere­ Untergrenze bei AA.
Das enorm bonitäts­starke ­Niveau kann man in der Schweiz noch im ­Inlandbereich ab­decken. Im Ausland­bereich haben wir einen Staatsanleihenanteil von rund zwei Drittel. Auch dort ist die ­Untergrenze im Double-A-Bereich. Etwas ­weniger restriktiv sind wir bei Unternehmensanleihen.

Wo liegt Ihre Rating-Schmerzgrenze?
Dort nutzen wir den gesamten Investment-Grade-Bereich. Wenn Sie fragen, ob wir beim Rating Abstriche machen, kann ich nur betonen, dass wir davor ganz große Hemmungen haben. Unserem Denken und Handeln ­liegen langfristige Risikoüberlegungen zugrunde. Und wir lassen uns nicht durch den Markt leiten. Auch wenn das Universum bonitätsstarker Anleiheemittenten in den vergangenen Jahren geschrumpft ist.

Spielen Sie mit dem Gedanken, die Diversi­fikation der Anlagen zu erweitern?
Ich behaupte, wir sind sehr breit diversi­fiziert, einerseits auf der Schuldnerseite. ­Andererseits auch auf der Aktienseite. Wir investieren passiv in Wertpapiere der OECD-Länder. Dabei orientieren wir uns beziehungsweise unsere Asset Manager am IMI-Index. Dieser beinhaltet auch die Small Caps und umfasst rund 6.000 Titel. Wir sind in rund 4.000 Firmen investiert. Das ist für mich breit diversifiziert.

Und bei den Anlageklassen? Ich sehe weder Private Equity noch Hedgefonds in Ihren Portfolien.
Ich bin Ende 2008 zur Auffangeinrichtung gestoßen, mitten in der Finanzkrise. Kurze Zeit vorher hatte man hier beschlossen, in Hedgefonds zu investieren. Leider haben wir in der Krisenzeit wahrscheinlich drei Viertel der Zeit damit verbracht, über diese Anlagen zu sprechen. Und die Zielallokation lag bei drei Prozent. Letztlich blieb nur noch ein Viertel der Zeit übrig, um über die vielen anderen Themen zu diskutieren. Das sagt für mich schon fast alles. Wir haben die Position verkauft. Wobei ich Hedgefonds nicht verteufeln will. Man muss viel Zeit investieren.

Und was spricht gegen Private Equity?
Private Equity hat durchaus seinen Platz bei einer Schweizer Pensionskasse. Das begründe ich schon allein mit der Aussicht auf eine Liquiditätsprämie. Wir müssen bei unserer Stiftung allerdings in der Lage sein, Risiken relativ zeitnah zu steuern. Und das kann man mit Private-Equity-Investments nicht, egal in welchem Vehikel. In einer schwierigen Marktsituation muss ich die Möglichkeit ­haben, Positionen zu liquidieren, ohne dass ich exorbitante Abschläge hinnehmen muss.

Wie stehen Sie zu Immobilien?
Wir investieren zurzeit ausschließlich in ­Immobilienfonds; in der Schweiz gibt es ­dafür auch spezielle Vehikel, die auf die ­Erfordernisse von Pensionskassen zugeschnitten sind. Immobilien sind übrigens die zweite Anlageklasse, neben Schweizer Obligationen, die uns derzeit so gut dastehen ­lassen. Je tiefer die Zinsen sinken, desto ­höher ist nun mal die Bewertung. Wussten Sie, dass die Schweiz einen sehr hohen Mietwohnungsmarkt hat, der sogar größer ist als der deutsche?

Nein, das war mir nicht bewusst.

Hinter unseren Investments stehen zum größten Teil Wohnimmobilien und nicht ­Geschäftshäuser. Wir profitieren von der Vermietung der vielen Wohnu
gen. Und während die Zinsen sinken, steigt nicht nur die Bewertung der Immobilie selbst, sondern auch die des Income Streams.

Die Schweiz ist mit negativen Zinsen in der kurzfristigen Geldanlage konfrontiert. Haben Sie einen Tresor gemietet, um die Zinsen zu umgehen?
Das ist ein ganz großes Problem. Wir haben wegen der Struktur der Freizügigkeitskonten in der Anlagestrategie über 42 Prozent der Gelder in kurzlaufenden Anlagen respektive am Geldmarkt investiert. Hier sind wir ­erheblich von Negativzinsen betroffen. Sie liegen heute zwischen minus 0,5 und minus 0,75 Prozent. Wir bezahlen also Geld dafür, dass wir Risiken nehmen dürfen. Bei einer Anlagesumme von rund acht Milliarden Schweizer Franken können Sie sich aus­malen, was das kostet.
Wir haben uns natürlich wiederholt gefragt, ob wir das Geld in bar halten könnten. Das haben wir inzwischen seriös geklärt und sind zu dem Schluss gekommen, dass es möglich wäre. Es gibt Orte, wo auch die Schweizerische Nationalbank, die Schweizerische Post und andere Institutionen ihr Bargeld lagern. Dort hätten wir einen Raum mieten können, um das Bargeld vergleichsweise günstig ­unterzubringen. Man kann das auch ver­sichern gegen Diebstahl, gegen Brand, gegen Wasser.
Was aber den Ausschlag gab, dass wir das ­bisher nicht machten, ist die Schweizerische Nationalbank. Sie hat sich dagegen gesträubt und durchblicken lassen, dass sie uns die ­Liquidität nicht in bar zur Verfügung stellen würde. Sie hat kein Interesse, dass ihre ­Politik auf diese Weise untergraben wird.

Aber würde es sich denn lohnen, das Geld im großen Stil abzuheben und in den Tresor zu legen?
Ja. Die Kosten liegen in der Größenordnung von 0,3 Prozent. Ich glaube, der Schaden, der zurzeit in Europa und speziell auch in der Schweiz zutage tritt, besteht darin, dass das Sparen bestraft wird. Der Schaden, den man den Altersvorsorgesparern zufügt, ist meines Erachtens nicht allen bewusst.

Wenn die Zinsen niedrig sind, muss man als Privatmann eben noch mehr sparen, um im Alter über die Runden zu kommen, oder?
Wir können in mündelsichere Papiere nur mit Verlust investieren. Stellen Sie sich das mal vor. Und da können Sie sich natürlich als ­Privatmann überlegen, das Geld vielleicht besser auszugeben. Gleichwohl geht die Mehrheit der Schweizer Pensionskassen dazu­ über, noch mehr zu sparen. Bei negativen Zinsen spart man sich buchstäblich fast zu Tode. Und auch die Eidgenossenschaft überlegt sich noch, Geld zu sparen. Dabei würde sie paradoxerweise Geld einnehmen, wenn sie Kredite aufnehmen würde.
Daran sehen Sie, dass wir in einer ganz speziellen Zeit ­leben. Ich habe das Gefühl, dass wir noch ­interessante, um nicht zu sagen dramatische Entwicklungen sehen werden, je länger die Zinsen so tief bleiben.

Wie meinen Sie das?
Viele Pensionskassen hatten aufgrund der sinkenden Zinsen in den vergangenen Jahren sehr gute Anlageergebnisse auf ihren ­Obligationen. Wenn die Zinsen negativ bleiben, während die Pensionseinrichtungen aufgrund ihrer Verpflichtungsstruktur mit einer höheren Rendite kalkulieren, verschlechtert sich die Situation in der Zukunft immer weiter, wenn man einmal von ­Anlagen in Aktien und andere Sachwerte absieht.

Wollen Sie damit sagen, dass viele Akteure die aufkommenden Probleme angesichts ­guter Resultate in der Vergangenheit noch nicht sehen.
So ist es.

Aber die Problematik verschärft sich.
So sicher wie das Amen in der Kirche.

Was machen Sie in der Wiederanlage?
Wir haben gar keine Möglichkeit, negative Verzinsungen zu umgehen. Wenn wir das wollten, müssten wir Risiken eingehen, die wir nicht eingehen können.

Aber kommt bei Ihnen irgendwann der Punkt, an dem Sie sagen, jetzt können wir die negativen Zinsen nicht mehr hinnehmen, jetzt müssen wir einen Cut machen?
Wenn dieser Punkt kommt, dann auf der Verpflichtungsseite.

Den sogenannten Umwandlungssatz können Sie aufgrund Ihrer Konstruktion, anders als einige namhafte Firmenpensionskassen das zuletzt getan haben, aber nicht reduzieren. Bleiben Ihnen noch andere Möglichkeiten, auf der Verpflichtungsseite den Druck vom Kessel zu nehmen?
Fast keine. Wir könnten allenfalls die Bei­träge erhöhen, allerdings haben wir noch ­eine gute Reservesituation, so dass das nicht notwendig ist. Was wir bereits getan haben, und was wir weiter in Betracht ziehen, ist ­allenfalls, den technischen Zins zu senken. Das ist aber nicht mehr als eine bilanztechnische Maßnahme, damit man näher an die Realität kommt. Daneben schauen wir auch den ökonomischen Deckungsgrad an. Das ist nicht der, den man in den Büchern sieht, ­sondern jener, der sich ergibt, wenn man die Verpflichtungen mit den aktuellen Zinsen diskontiert.

Dann sind wir wieder beim Deckungsgrad.
Er würde schlagartig wegbrechen. Aber wäre das nicht ein unvermeidliches Eingeständnis, dass man sagt, wir haben nun mal dieses Zinsniveau und der Deckungsgrad ist ­deshalb temporär unter 100 Prozent.
Wir schauen uns das an und wissen, wo der ökonomische Deckungsgrad im Augenblick steht. Man darf aber nicht in eine zu kurzfristige Sicht abrutschen. Die Krux im ganzen System ist, dass es um langfristige Anlagen geht, man will eine langfristige Rentensicherheit haben. Und man hat aber ständig schwankende Zins- und Aktienmärkte. Das macht das Ganze etwas kompliziert.

Sie steuern von Ihrem Haus aus externe ­Asset Manager. Diese kümmern sich um die eigentliche Anlage. Investieren Sie in erster­ Linie in Indexfonds oder nehmen Sie tatsächlich aktive Mandate in Anspruch?
Es gibt auch aktive Manager. Auch wenn es aus Ihrer Sicht nicht offensichtlich sein mag: Unsere aktivsten Mandate sind die Liquiditäts- oder auch Short-Duration-Mandate. Das sind die, die den Geldmarkt nutzen. Sie müssen täglich Mittel am festverzinslichen Markt reinvestieren. Allein schon die Schuldnerauswahl ist eine Herausforderung. Hier kann man nicht passiv investieren.

Was haben Sie sonst noch für Mandate?
Wir haben aktive Mandate im Bereich der Unternehmensanleihen. Dort sind die Deutsche Bank und Wellington die Manager. Weiterhin haben wir zwei aktive Produkte im ­Bereich der Rohstoffanlage. Manager sind Morgan Stanley und die Bank Vontobel. Und zu erwähnen ist auch das Staatsanleihenmandat, das von der Credit Suisse verwaltet wird. Dort gibt es eine auf unsere Belange zugeschnittene Benchmark, die wir nach einer Regel mit der Credit Suisse definiert haben. Das könnte man auch als aktiv bezeichnen.

Lassen Sie den Managern viel Freiraum?
Wir begleiten die Asset Manager in der Regel relativ eng, indem wir Anlagerichtlinien setzen und überwachen.

Welche Rolle spielt bei Ihnen Nachhaltigkeit?
Für uns ist Nachhaltigkeit gleichbedeutend mit guter Unternehmungsführung. Das ist ganz zentral. Wir üben unsere Stimmrechte aktiv aus, Sie können im Detail auf unserer Webseite nachlesen, wie wir bei jeder General­versammlung abgestimmt haben. Wir ­haben aber keine weiteren spezifischen Ziele in dieser Richtung. Das Thema Nachhaltigkeit ist umstritten, weil hier meiner Einschätzung nach sehr viel Politik in die Anlagen einfließt. Außerdem werden sich die Marktteilnehmer wohl nie einig sein, was nachhaltig ist und was nicht.

Was macht Sie da so sicher?
Wir haben bei uns einen Rechtsexperten, der gleichzeitig auch einer Pensionskasse vorsteht. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die älteste Schweizer Pensionskasse, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Der Kollege hat mir gegenüber schon häufiger darüber geklagt, dass er immer wieder Anrufe erhält, bei denen er gefragt wird, weshalb er noch in diese oder jene Firma investiert sei oder ein bestimmtes Engagement beendet habe. Es kommen immer wieder neue Argumente, die gegen ein Investment sprechen sollen. Es hört fast nicht auf. Ich finde nicht, dass das Aufgabe einer Pensionskasse ist. Ich bin der Meinung, dass Nachhaltigkeit primär Aufgabe jedes Individuums selbst und des Gesetzgebers ist. Und ich glaube nicht, dass man mit Pensionskassengeldern a priori die Welt verbessern sollte. Wir sind Treuhänder, ich handle im finanziellen Interesse meiner Versicherten. Das Negativzins-Thema ist ­natürlich ein Dauerbrenner. Deshalb prüfen wir, ob wir in Zukunft Hypothekendarlehen vergeben sollten. Der Grund liegt auf der Hand: Wir können Geld kaum noch wirklich gut platzieren.

Aber?
Aber da muss man die Ressourcen haben beziehungsweise erst aufbauen. In der Schweiz gibt es natürlich längst Pensionskassen, die ihren Angestellten Hypotheken gewähren und nun auch Nichtkunden Hypotheken­darlehen geben. Die Einrichtungen haben die entsprechenden Abteilungen mit den ­erforderlichen Ressourcen, um Immobilien zu bewerten und die gesamte Administration darzustellen. Wir haben diese Ressource noch nicht. Daher ist es ein Business Case. Ich müsste Personal einstellen.

Könnten Sie sich mit einer Bank arrangieren und gemeinsam Darlehen ausreichen?
Ja, das ist durchaus denkbar. Zumal die Banken hier restriktiver geworden sind. Einer Zusammenarbeit würde ich allerdings nur unter der Voraussetzung eines systematischen Risk Sharing zustimmen. Denn es ­besteht das Risiko, dass die Bank die besonders solventen Kunden für sich behält.

Das ist also tatsächlich denkbar?
Ja. Das prüfen wir ganz konkret. Wir schauen selbstverständlich auch immer auf Anlage­themen wie Infrastruktur. Es gibt weitere Themen dieser Art, und meine Aufgabe ist es, zu prüfen, was für Möglichkeiten es gibt. Hedgefonds und Private Equity haben Sie ­angesprochen. Hier verfolge ich die Entwicklungen genau. Das ist ebenso Teil meines ­Tagesgeschäfts wie es auch zu meinem Aufgabenspektrum gehört, Vorschläge in den Anlageausschuss zu bringen und den Verantwortlichen zu erläutern, welche interessanten Optionen heute bestehen.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 04/2016

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