„Liquidität ist mindestens so wichtig wie Sicherheit“

Christian Aselmann ist Abteilungsleiter Finanzen der Handelskrankenkasse. Er kam 2022 von Warburg Invest zur in Bremen ansässigen HKK. Bild: Warburg Invest.
Mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag an Anlagevolumen und fast einer Million an Versicherten zählt die HKK zu den großen gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. Abteilungsleiter Finanzen ist Christian Aselmann, der im Oktober 2022 von Warburg Invest zur in Bremen ansässigen HKK kam. Seit damals haben Aselmann und sein Team bereits einiges bewegt: Die zinsbedingten Buchverluste wurden realisiert und ein Masterfonds eingeführt. Der Lohn der Mühen: Nun sind die ordentlichen Erträge deutlich höher – und die Buchverluste mutierten in der Bilanz zu stillen Reserven. Zudem sind die Gelder nachhaltig angelegt.
Herr Aselmann, für Fixed-Income-Anleger sind die Rahmenbedingungen vergleichsweise erfreulich, für Krankenkassen könnten diese aber unerfreulicher nicht sein?
So kann man das sagen. Die Anlagebedingungen sind deutlich besser als vor drei Jahren. Leider ist die Finanzsituation in der GKV, aufgrund der sehr stark gestiegenen Kosten und einer politisch induzierten Vermögensabführung in den vergangenen Jahren nun so, dass Krankenkassen nur noch über sehr begrenzte Mittel verfügen, um von den gestiegenen Zinsen profitieren zu können.
Zudem haben viele Krankenkassen „Altlasten“ aus der Zeit der damaligen Null- und Negativzinsphase, in der man vieles versuchte, um eine Negativverzinsung zu vermeiden. Im damaligen Anlagenotstand hat sich auch der eine oder andere SGB-IV-Anleger in Anlagevehikel begeben, die heute sehr illiquide sind und von den niedrigen Zinsen auf hohe Bewertungsniveaus getrieben wurden. Das waren zum Beispiel Immobilienfonds oder Zinsstrukturen mit sehr kleinem Sekundärmarkt.
In Zeiten steigender Ausgaben wird diese Illiquidität zum Problem und es müssen teilweise große Abwertungen in Kauf genommen werden, um die Anlagevehikel zu liquidieren. Im schlimmsten Fall sind diese Entscheidungen sogar entscheidend bei der Festlegung des Zusatzbeitrages Das ist ein kleiner Teufelskreis.
Wie passen solche Anlagen zum Liquiditätsgebot des Paragraf 80, SGB IV?
Viele Anbieter solcher Produkte haben in der zurückliegenden Negativzinsphase eine tägliche Liquidität versprochen. Dies ist ja zum Teil auch richtig, allerdings ist bei diesen Produkten Liquidität immer eine Funktion des Preises und bedingt im Zweifel hohe ungewollte Verluste. Gerade wenn die Bewertungen unter der Erwartung liegen und einige Anleger aus dem Fonds raus wollen, dann wird es mit der versprochenen Liquidität dünn.
Natürlich stellen solche und andere längerfristige Anlagen nicht das Gesamtvermögen dar und es ist legitim zu sagen, dass ein Teil des Gesamtvermögens auch über einen mittelfristigen Zeithorizont investiert werden darf, um sich auskömmliche Zinseinnahmen zu sichern.
Die Entscheidungsparameter, die damals zum Beispiel für eine Allokation in strukturierte Zinsprodukte angelegt worden sind, wurden im Zuge der gesetzlich induzierten Vermögensabführung in 2021 und 2023, als den Krankenkassen insgesamt etwa 10,5 Milliarden Euro an Rücklagen aus dem Gesamtsystem entnommen worden sind, über Nacht plötzlich geändert. Dadurch gerät das Investment in solche Vermögensinstrumente in ein Missverhältnis zum Gesamtvermögen und die Gesamtliquidität kann in eine Schieflage geraten. Gerade diese Entwicklung zeigt die Bedeutung der Liquidität der Kapitalanlagen und meiner Meinung nach müsste die Liquidität mindestens auf derselben Prioritätsstufe wie die Vorgabe zur Sicherheit der Kapitalanlagen stehen, um die Zahlungsfähigkeit der Krankenkassen zu gewährleisten.
Immobilien und natürlich insbesondere Termingelder mögen grundsätzlich sicher sein – das hilft mir aber nichts, wenn man das Geld früher wieder braucht als geplant. Die Gleichstellung dieser Ziele würde sich auch mit der Vorgabe decken, wonach der Ertrag der Kapitalanlagen für SGB-IV-Anleger ein klar untergeordnetes Ziel ist.
Wäre Termingeld in diesem Umfeld denn keine passende Alternative? Termingelder könnte man staffeln und so laufend Liquidität bekommen.
Genau das haben wir gemacht. Wir hatten ein komplett rollierendes Verfahren, bei dem jeden Monat Gelder zurückkamen. Das war sowohl für Termingelder als auch für die variabel verzinsten Tagesgelder lukrativ. 2022 gab es für Tagesgelder in der Spitze bis zu vier Prozent.
Diese Zinssätze sind jetzt wieder gefallen und durch den Rückgang der Inversion der Zinskurve hat sich die Attraktivität dieses Anlagevehikels spürbar verschlechtert. Solche Investments sind nicht zuletzt stark abhängig vom Leitzinsniveau und aktuell können Renditen von circa zwei Prozent erzielt werden. Dies ist mittlerweile deutlich geringer als die laufende Rendite von bonitätsstarken Pfandbriefen oder Staatsanleihen.
Wohin haben Sie die Gelder der HKK dann zum Arbeiten geschickt?
Die HKK steht wirtschaftlich sehr solide da. Trotz der Vermögensabführung konnten wir es uns nach dem Zinsanstieg leisten, sämtliche Buchverluste zu realisieren. Mit diesem „frischen“ Geld haben wir im vergangenen Jahr einen Masterfonds aufgelegt. In diesem sind nun unsere Kapitalanlagen zum größten Teil gebündelt. Wir haben zwar auch noch Termin- und Tagesgelder und einen Direktbestand. Diese Bestände fallen aber aufgrund des Liquiditätsbedarfs unseres operativen Geschäfts aktuell geringer aus als geplant.
Renditetechnisch war das Jahr 2024 ein interessanter Zeitpunkt für Anleihenkäufe. In unserem Masterfonds für Betriebsmittel/Rücklagen legen verschiedene Asset Manager in vier Segmenten die Gelder für uns an. Dabei steht diesen Häuser die gesamte Klaviatur des zulässigen SGB-IV- Anlageuniversums zur Verfügung.
Alle Asset Manager müssen sich gegen dieselbe Multi-Fixed-Income-Benchmark messen lassen und in unserem Auswahlprozess haben wir versucht, unterschiedliche Investmentstile zu kombinieren. Die Ansätze unterscheiden sich darin, dass das eine Haus beispielsweise mehr auf Unternehmensanleihen fokussiert ist, das andere zum Beispiel einen Schwerpunkt bei Pfandbriefen oder Staatsanleihen setzt.
Sämtliche Buchverluste zu realisieren, klingt nach einem teuren Spaß.
Wir hätten alles in den Büchern stehen lassen und aussitzen können. Uns trieb aber die Sorge um, dass es zu weiteren Vermögensabführungen kommt – und zwar zum Buchwert. Dieser war weit höher als der Marktwert, wir hätten also Geld abführen müssen, das wir gar nicht hatten, denn unsere Buchungsvorschriften erlauben keine „Mark-to-Market“-Bewertung.
Was uns aber eigentlich interessiert, sind die ordentlichen Erträge. Die belaufen sich nun nicht mehr auf 0,25, sondern auf drei Prozent im Jahr. Das hilft uns mit Blick nach vorn und stabilisiert unsere Finanzsituation. Zudem konnten wir seit der Auflage des Masterfonds bereits „stille Reserven“ bilden, anstatt „stille Lasten“ noch über viele Jahre in unseren Büchern mitziehen zu müssen.
In Amerika wären die ordentlichen Erträge noch höher.
Es gäbe aber auch Kosten für die Absicherung des Währungsrisikos, denn die Gesetzesvorschriften erlauben keine offene Währung. Die meisten Asset Manager halten es zumindest derzeit für angebracht, im Euroraum zu bleiben und nicht in Dollar-Anleihen zu investieren und das FX-Risiko abzusichern. Diese Entscheidung liegt bei unseren Asset Managern. Wir haben bewusst aktive Mandate vergeben.
Investiert die HKK nachhaltig?
Ausschließlich! Als Sozialversicherung betonen wir die soziale Komponente und das soll sich auch in der Kapitalanlage spiegeln. Klassisch schließen wir Sektoren wie Alkohol, Tabak, Waffen oder Kohle aus. Weiter legen wir härtere Kriterien bezüglich Menschenrechte, Arbeitsschutz, Kinderarbeit oder Sozialleistungen an. Zudem sind sämtliche Anlagen mindestens gemäß Artikel 8 der EU-Offenlegungsverordnung eingruppiert.
Im Rahmen der Kapitalanlage im Bereich der Pensionsrückstellungen dürfen wir zudem indexorientiert in Aktien anlegen. Dabei kommen ebenfalls ausschließlich nachhaltige ETF-Konzepte in das Möglichkeitsuniversum der Asset Managers. Zudem haben wir in diesem Bereich ein auswirkungsbezogenes Anleihesegment, womit wir mit den Geldern unserer Altersrückstellungen eine positive Wirkung auf die Nachhaltigkeitsziele der UN entfalten möchten. In diesem Segment verfolgt der Asset Manager eine Strategie, die im Einklang zu unserer unternehmensweiten Nachhaltigkeitsstrategie steht und selektiert bewusst Unternehmen, die einen positiven Beitrag zu unseren Fokus-SDGs haben. Dies wird flankiert von Investments in Green-, Social und Sustainability Bonds. Weiterhin sind wir 2024 den UN PRI beigetreten und werden dieses Jahr erstmalig transparent über unsere Anlagevehikel berichten.
Wäre es für eine Sozialversicherung nicht auch passend, neben Alkohol und Tabak auch Süßwarenhersteller auszuschließen?
Darüber könnte man nachdenken. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man über MSCI Zuckeranteile rausfiltern kann, da diese Hersteller zumeist auch „normale“ Lebensmittel produzieren.
Wenn ich Sie noch mit einer Idee zu einem passenden Impact Investment behelligen darf: Krankenversicherer könnten Generikahersteller bevorzugt Kredite geben. Das senkt deren Finanzierungskosten und im Idealfall generell Medikamentenpreise.
Könnte aber auch einfach zu höheren Margen der Unternehmen führen, wenn die Refinanzierungskosten sinken. Interessanter ist es, das Ziel zu verfolgen, die Kräfte der GKV zu bündeln, um in den Verhandlungen über die Arzneimittelpreise verbindlich Nachhaltigkeitsziele zu etablieren. Sollte ein Konzern die vereinbarten Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen, könnte dies zum Beispiel die Rabatte für die GKV erhöhen. Meiner Erfahrung nach ist der „Griff ins Portemonnaie“ der Konzerne der effektivste Hebel, um tatsächlich eine messbare Veränderung zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
In der GKV gibt es hierzu bereits erste Ansätze, aber solch ein Vorgehen ist angesichts der vielen unterschiedlichen Stakeholder nur schwierig umsetzbar und braucht viel Abstimmungszeit. Insgesamt glaube ich aber, dass die GKV angesichts eines Volumens von über 50 Milliarden Euro, das für Arzneimittel jährlich ausgegeben wird, durchaus Argumente in einer Verhandlung mit der Pharmabranche hat.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Investoreninterview
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