Versicherungen
18. April 2012

Mai 2002: Der Anfang von portfolio und das Ende der Mannheimer Leben

„Mannheimer Versicherung stockt Aktien und Private Equity auf“, ­lautete die Überschrift des ersten portfolio-Inves­toren-Interviews 2002. Darin ­erläuterte Konzernchef Hans Schreiber unfreiwillig, warum die Mannheimer Leben 2003 an Protektor ging. Das Gespräch im Wortlaut.

Interview mit Hans Schreiber, bis Juni 2003 Vorstandschef der Mannheimer AG Holding

_Herr Schreiber, welche Strategie verfolgt die Mannheimer bei der Investition ihrer Kapitalanlagen?
Die Mannheimer hat zwei ­Besonderheiten: Wir haben uns vor drei Jahren von unserem Hypothekengeschäft getrennt. Die Gewinnmargen waren nicht attraktiv. Wir sind jetzt bei Extrahyp gelandet, also dem Online-­Hypotheken-Broker der Commerzbank-­Gruppe. Diese Gesellschaft hat außerordentlich attraktive Konditionen und reagiert sehr schnell. Zweite Besonderheit: Wir machen kein eigenes Grundstücksgeschäft mehr. Im Langfristvergleich ist die Rendite zu mager geworden.
Stattdessen haben wir den Aktienanteil hochgefahren, vor allem den europäischen. Und wir sind stärker in Private Equity ­gegangen. Wir streben mittelfristig eine ­Größenordnung von drei bis fünf Prozent ­unserer Investments an.
Die Bedingungen für die Investitionen sind natürlich unterschiedlich. In der Lebensversicherung habe ich Sparprozesse zu ­organisieren, in der Schadenversicherung oder der Holding bin ich relativ frei – noch. Es gibt Überlegungen, diese Struktur zu ­ändern.

_Wie viel Prozent der Kapitalanlagen verwaltet die Mannheimer Asset Management?
Das Geschäft ist sehr stark auf die Asset-Management-Gesellschaft konzentriert: rund 80 Prozent. Die Zahl der externen Dienst­leister, die uns bei der Kapitalanlage beraten, ist sehr stark reduziert worden. Allerdings ­greifen wir häufig auf externes Research ­zurück.

_Von wem nutzen Sie das Research?
Neben der eigenen Analyse greifen wir auf das Sell-Side-Research unserer zahl­reichen Broker-Kontakte zurück. Die verschiedenen Meinungen prüfen wir auf Plausibilität. Von Merrill Lynch und Sal. ­Oppenheim erhalten wir auch Buy-Side-­Research.

_Merrill Lynch – weil ein Vertreter der Gesellschaft bei Ihrem Versicherungskonzern im Aufsichtsrat sitzt?
Umgekehrt. Weil wir gute persönliche ­Beziehungen hatten und unser Finanzchef Ulrich Lichtenberg durch seine frühere Tätigkeit bei Mercury beziehungsweise S.G. ­Warburg Kontakte zur englischen Finanzwelt hatte, haben wir einen der Herren aus dem Management gebeten, im Aufsichtsrat unserer KAG mitzuwirken. Das ist sicher eine Zeit lang äußerst erfolgreich gewesen, aber die Welt hat sich geändert. Mercury gibt es nicht mehr.

_80 Prozent ihrer Kapitalanlagen verwaltet die Mannheimer selbst. Bei einer so hohen Quote ist doch das Risiko enorm, oder?
Die Frage ist doch, ob es die anderen ­besser können. Da gibt es Benchmark- und Risikoüberlegungen, aber auch Fragen des Asset-Liability-Managements. Wir sind zu der Einschätzung gekommen, dass wir die ­Verwaltung genauso gut machen.
Natürlich braucht man Informations­systeme, um weltweit Zugriff auf die Börsendaten zu haben. Das ist sehr kostspielig. Aber ich würde nicht sagen, ich streue und ­verlasse mich zum ­Beispiel auf die Deutsche Bank, weil die die Größten sind. Da würde ich mich nicht ­gelassen zurücklehnen können.

_Wie behalten Sie als Investor im Spezialfondssegment den Durchblick?
Das ist Sache des sehr intensiven ­Meinungsaustausches in der Industrie. Wenn Sie persönliche Kontakte haben und sich ­auskennen, bekommen Sie detaillierte  und bessere Informationen. Aktive Mitarbeit in verschiedenen Verbänden hilft ungemein.
Sie haben natürlich Lemming-Effekte. Die ­letzten beiden Jahre sind typische ­Beispiele dafür. Wo waren denn die Gurus, die die ­Entwicklung der Kapitalmärkte ­vorhergesagt haben? Ich habe sie nicht ­gesehen.

_Welche Rolle spielen bei der Mannheimer unabhängige Consultants?
Wir sind der Meinung, dass wir für ­unsere Erfolge und Fehler selbst verantwortlich sein müssen. Wir hören gerne unabhängige ­Meinungen, treffen aber unser Votum auch gegen Meinungen von Consultants. Wir ­würden nie sagen, dass wir nichts vom ­Geschäft verstehen und deshalb zum Beispiel 100 Millionen Euro an einen Consultant ­geben. Das war eine Zeit lang üblich in der deutschen Versicherungswirtschaft. Von dieser Vorgehensweise halten wir aber nichts.
Auch die Consultants sind nicht voll­kommen neutral. Unsere Mitarbeiter sind im internationalen Finanzgeschäft zu Hause und haben keine Interessen, wie etwa mit Umsatzspitzen Geld zu verdienen. Wir handeln nur, wenn wir uns einen Vorteil aus der ­Transaktion versprechen – manchmal sehr kurzfristig. Das kann bei anderen Asset ­Managern schon mal anders sein.

_Wie sieht im Schnitt der temporäre Turn-over Ihrer Investitionen aus?
Wir sind und bleiben langfristiger ­Investor. Einige in der Branche haben das ­inzwischen vergessen. Dementsprechend ist unser Turn-over gering. Innerhalb der Fonds kann der Umschlag der Bestände häufiger sein. Wenn wir allerdings zu einem Markt kein Vertrauen mehr haben, machen wir schon einmal „kurzen Prozess“, zum Beispiel mit Japan.

_Verwaltet die Mannheimer Versicherung auch für Dritte, also Fremde, institutionelles Vermögen?
Ja, aber noch in geringem Umfang. Wir waren optimistischer. Deshalb gibt es eine Kooperation mit Baillie Gifford, einem angesehenen Asset Manager in Schottland.
Wir hatten gehofft, dass wir für Baillie Gifford in Deutschland einen Pensionsfonds auflegen könnten. Das war bisher nicht ­erfolgreich. Ansonsten gibt es nur wenige Fremdmandate, die wir ausüben.

_Arbeiten Sie aktiv daran, dieses Geschäft auszubauen?
Natürlich. Für einen jungen Wettbewerber ist es allerdings besonders schwer. Name und Historie sind beim Thema Geld sehr wichtig – auch wenn nicht jeder Track Record auf seriösem Weg aufgebaut wurde. Das hat uns der Neue Markt mit seinen Gurus ­eindrucksvoll gezeigt. Manchmal ist es auch Zufall, dass man ein Mandat bekommt.

_Zufall? Werden im Spezialfondsgeschäft Mandate immer noch auf dem Golfplatz vergeben, oder wie dürfen wir das verstehen?
Ein gutes Geschäft kann auch in der Oper geschlossen werden. Oder in der Kirche. ­Zufallsgeschäfte dieser Art kann es immer geben, und gute persönliche Kontakte spielen in jedem Business eine Rolle. Aber letzten Endes entscheiden Performance und Qualität der Dienstleistung.
_Welche Kriterien muss ein Spezialfonds­anbieter erfüllen, um Sie zu überzeugen?
Wir werden skeptisch, wenn wir den ­Eindruck haben, dass häufig und intensiv das Portfolio umgeschichtet wird, weil dann ganz offensichtlich nur die Handelsprovision im Vordergrund steht. Natürlich ist die Performance wichtig, die Seriosität der Gesellschaft, die Bonität und wer als Kapitaleigner hinter dem Anbieter steht. Außerdem ist entscheidend, wie der Leumund ist. Wir täten uns schwer, uns mit jungen Wilden in größerem Umfang einzulassen.

_Die Mannheimer AG Holding hat ein sehr ­erfolgreiches Jahr hinter sich. Planen Sie weitere Investitionen?
Wir thesaurieren einen Teil des Gewinns und schlagen der Hauptversammlung vor, die Dividende von 1,50 auf zwei Euro zu erhöhen und den Bonus vom vergangenen Jahr bei­zubehalten. Wir zahlen praktisch 2,50 Euro ­Dividende je Aktie, die derzeit 52 Euro kostet. Die Dividendenrendite beträgt damit fünf ­Prozent. Die Tatsache, dass uns die Aktie nicht aus den Händen gerissen wird, hängt damit ­zusammen, dass Analysten und Vermögensberater offensichtlich keine Nebenwerte ­empfehlen. Unser Ziel ist deswegen, aus dem S-Dax in den M-Dax aufzusteigen.

_Erfüllen Sie die Kriterien für eine Aufnahme in den M-Dax?
Ich hoffe, dass wir das in diesem Jahr schaffen. Was die Börsenkapitalisierung ­angeht, haben wir das Kriterium erfüllt. Es fehlt am Umsatz. Wir denken darüber nach, wie wir einen Teil der institutionellen ­Investoren dazu bewegen können, zum ­stärkeren Umsatz beizutragen, damit wir das Liquiditätskriterium erfüllen.

_Welche institutionellen Investoren wollen Sie zum Umsatz bewegen?
Viele, die in geringem Maße bei uns beteiligt sind. Wir werden die Investoren bitten, über eine breitere Platzierung nachzu­denken. Das ist eine Idee.
Vielleicht machen wir noch eine „secondary Offer“, damit das Publikum nicht mit zehn bis 15 Prozent beteiligt ist, ­sondern mit 20 bis 25 Prozent. Bei uns ist niemand mit ­einer dominierenden Position beteiligt. ­Unsere größten Aktionäre sind die Münchener Rück und die Uniqua mit jeweils zehn Prozent. Wir haben also einen Free Float von 80 Prozent.
Ich denke, dass irgendwann diese ­wunderbare Fee wachgeküsst wird, wenn die Intelligenz der Analysten und Berater so ­dramatisch zunimmt, dass sie sich auch für einen Nebenwert wie die Mannheimer-Aktie interessieren und dem Kunden empfehlen.

Wer als Erstes bei Protektor einzog
Hans Schreiber war durch sein Diplom in Psychologie, viel PR-Tamtam und vor allem seine Hemdsärmligkeit in Umgangsfragen in der distinguierten Assekuranz ein ­Unikum. Traurige Berühmtheit erlangte der durchsetzungsstarke Schreiber, zuvor Vorstand für Personal, IT, Vertrieb und Marketing bei den Nordstern-Versicherungen, als er bei der Mannheimer auch die Kapitalanlagen unter seine Fittiche bekam. Mit einer zu hohen ­Aktienquote fuhr Schreiber die Mannheimer Leben an die Wand. Deren Kapitalanlage­ergebnis betrug 2003 minus 232,8 Millionen Euro. Da halfen Schreiber auch keine ­Hinweise auf die Fehlbarkeit von „Gurus“ mehr. Statt M-Dax hieß es Protektor.

portfolio institutionell, 16.04.2012

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