Strategien
7. Dezember 2016

Marktmacht, Wertemacht, Staatsmacht

Ob Kommune, Kirche oder Versicherung: Nachhaltigkeit gewinnt in allen Anlegergruppen an Bedeutung. Wie verschieden jedoch die Umsetzungswege sind, zeigte eine Nachhaltigkeitskonferenz von Oekom Research. Eine ebenfalls erkennbare Entwicklung: Nachhaltiges Investieren könnte bald nicht mehr länger auf Freiwilligkeit beruhen.

Der Klimawandel ist kein neues Phänomen. Die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum menschengemachten Treibhauseffekt stammen aus dem 20. Jahrhundert. Bereits in den 1960er Jahren gab es auf internationaler Ebene erste Gespräche zu diesem Thema, und spätestens seit den 1980er Jahren herrscht wissenschaftsbasierter Konsens. Doch es sollte noch gut 30 Jahre dauern, bis auch die politischen Mächte ein Einsehen zeigten und mit dem in Paris vereinbarten Zwei-Grad-Ziel Ende vergangenen Jahres ein ehrgeiziges Vor­haben anstießen. „Das Pariser Klimaabkommen hat ein starkes ­Signal gesetzt. Etliche Gesetzesinitiativen sind in der Pipeline – auch im Land Hessen“, erklärte Tarek Al-Wazir auf der Oekom-Tagung ­„Doppelte Dividende“ Ende Oktober. Den wichtigsten Hebel, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen, sieht Hessens Minister für Wirtschaft, Energie und Verkehr jedoch in der Finanzbranche: „Die Finanzwelt­ ist der zentrale Ermöglicher. Sie sind der entscheidende Hebel, Klimaeffekte in der Finanzierung zu berücksichtigen. Salopp gesagt: Das Geld, das im Markt unterwegs ist, muss in die richtige Richtung gelenkt werden.“ Die staatliche Finanzierung könne nur ­einen kleinen Teil zur massiven Neuausrichtung der Wirtschaftsweise leisten. „Die Altersvorsorgeeinrichtungen hierzulande suchen händeringend nach vergleichsweise sicheren Anlagen. Green Finance kann eine Antwort sein“, merkte Al-Wazir an. Der Minister gestand in ­diesem Zusammenhang, dass er eine Grundsympathie für die Vor­gehensweise der Franzosen hegt, die gesetzgeberisch nachgeholfen haben, damit die institutionellen Anleger des Landes ihre Portfolien auf klimaschädliche Investments abklopfen und regelmäßig darüber berichten. Schon bald könnte das auch für alle anderen Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) in der Europäischen Union­ zur Pflicht werden. Denn in Artikel 16 und 17 im EbAV-II-Richtlinienvorschlag vom 28. Juni 2016 heißt es, dass Pensionseinrichtungen ihre­ Gelder künftig unter Beachtung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien sowie Klimarisiken anlegen müssen. Über die neue Richtlinie werden das Europäische Parlament und der Rat noch vor Ende 2016 abstimmen, die Zustimmung gilt als reine Formsache.

Was Macht mit Nachhaltigkeit macht

Für französische Anleger brachte das französische Energiewendegesetz Loi de Transition Energétique (LTE) größere Veränderungen. Das LTE greift den Beschluss der Pariser Weltklimakonferenz COP21 von Ende 2015 auf, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Seit dem Geschäftsjahr 2016 schreibt der Artikel 173 des LTE den institutionellen Anlegern vor, die Klimarisiken ihrer Portfolios offenzulegen, den grünen Anteil ihrer Anlagen zu bewerten und ihre Strategie für einen niedrigen CO2-Ausstoß zu definieren. „Frankreich ist das erste Land, das ehrgeizige Vorschriften im Bereich Finanzmaßnahmen für das Klima umsetzt, wie es beim Klima-Aktionstag der COP21 über die Unternehmen betont wurde“, erläutert BNP Paribas Securities Services. Im Detail sind die Anleger nun durch die Verordnung gefordert, genauere Daten über den Ausstoß von Treibhaus­gasen ihres Portfolios zu liefern, den grünen Anteil ihrer Anlagen zu definieren, eine Strategie für einen niedrigeren CO2-Ausstoß umzusetzen, um einen Beitrag zu den Klimazielen zu leisten, sowie die ­Verfahren unter Berücksichtigung des Feedbacks der ersten Jahre zu verbessern. Dagegen basieren entsprechende Maßnahmen in Deutschland – noch – auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.

Schon länger, nämlich bereits seit 2007, bemüht sich der Fonds de Réserve pour les Retraites (FRR) den Carbon Footprint seines Aktien­portfolios, auch das der Schwellenländer, zu reduzieren und diese Verringerungen jährlich mittels Benchmark-Indizes abzu­gleichen. Die Analyse bezieht die Emissionen der investierten Unternehmen und deren direkten Zulieferer ein sowie die Reserven der Portfolio-Companies und deren Beitrag zur „Energy and Ecological Transition“. FRR misst den Kohlendioxyd-Fußabdruck dabei auf zwei Arten. Einmal auf Basis der investierten Euros. Zum anderen werden die Emissionen jedes Unternehmens ins Verhältnis zu seinem Jahres­umsatz gesetzt. Ende 2015 summierte sich der Carbon Footprint des Aktienportfolios von FRR auf 318,8 Tonnen CO₂. Was sich viel anhört, fällt jedoch um 25,3 Prozent geringer aus als der Benchmark-Index und liegt zudem 23,9 Prozent unter dem Vorjahreswert von FRR.

Zurück aus Frankreich nach Frankfurt zur Oekom-Tagung: Auch dort wurde konstatiert, dass der Gesetzgeber den größten Hebel umlegen könnte, um Klimaeffekte in der Finanzwelt zu berücksichtigen.  „Das würde einen großen Schub bringen“, so Steffen Merker. Der Leiter­ Nachhaltigkeit der LBBW Asset Management bezieht sich bei seiner Aussage darauf, dass sich viele Anleger bei Nachhaltigkeits-­Anstrengungen auf rechtlich unsicherem Boden wähnen. Hierzu ist es interessant, einen Blick in den Münchner Arabellapark im Jahre 2011 zurückzuwerfen. Damals ließ die Bayerische Versorgungskammer von Freshfields Bruckhaus Deringer analysieren, ob nachhaltige Investments mit ihrem Treuhändervertrag vereinbar sind. Laut ­Daniel Just ergab die Analyse, dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien per se keinen Verstoß gegen die treuhänderischen Pflichten darstellt. „Ein Verstoß gegen treuhänderische Pflichten läge aber vor, wenn relevante Nachhaltigkeitskriterien nicht berücksichtigt werden“, so Just damals gegenüber portfolio institutionell. Bereits ­tätig geworden ist der deutsche Fondsverband BVI. Teil einer Erweiterung seiner Wohlverhaltensrichtlinien ist, dass „Fondsgesellschaften gesellschaftliche Verantwortung in ökologischen, sozialen Belangen sowie zur guten Unternehmensführung (ESG) übernehmen“.

Nicht nur für Altersvorsorgeeinrichtungen wird Nachhaltigkeit in der Anlagepolitik immer wichtiger. „Auch die öffentliche Hand überlegt, was mit ihren Geldern passiert. Immer mehr Städte, Kommunen und Länder beginnen, Nachhaltigkeit in die Kapitalanlage einzubinden. Hier kommt ein ordentlicher Stock zusammen – mit Wirkungskraft“, teilte Al-Wazir mit und führte als Beispiel Hesen an. Für seine Beamtenpensionen hat das Bundesland einen Fonds aufgelegt, in dem über zwei Milliarden Euro stecken, die nachhaltig angelegt werden. Orientiert wird sich an einem Nachhaltigkeitsindex. Das führte im vergangenen Jahr zu Buchwertverluste. „Volkswagen ist aus dem Nachhaltigkeitsindex geflogen, so dass wir unsere Anteile verkaufen mussten“, so Al-Wazir. Ungeachtet dessen ist er von dem Weg, die Kapitalanlage von Hessen an Nachhaltigkeit auszurichten, überzeugt.

Stuttgart und Münster
Ein Vorreiter unter den Kommunen ist die Stadt Stuttgart. „Jetzt achten wir ganz konsequent darauf, dass wir öffentliche Gelder nur in solche Anlagen geben, die auch aus ethischer, sozialer und ökologischer Sicht vertretbar sind“, erläuterte der Erste Bürgermeister Michael­ Föll im August der FAZ. Nunmehr will die Stadt mit ihrem Anlagevermögen von etwa 600 Millionen Euro nur noch Aktien und Anleihen von Unternehmen kaufen, die ihrer Ansicht nach saubere Geschäfte machen. Neben den üblichen Paria-Branchen sind für die Stadt Stuttgart fortan auch Erzeuger von Atomenergie, die CO2-ausstoßende Energie und Gentechnik tabu. „Die Leitlinie ist konsequent wie in keiner anderen deutschen Stadt“, so Föll. Orientiert hat sich die schwäbische Metropole laut dem Zeitungsbericht an den Richtlinien der katholischen und evangelischen Kirchen sowie am Norwegischen Pensionsfonds. Föll ist überzeugt, dass diese Maßnahmen nicht nur nicht zu Renditeeinbußen führen, sondern sich die Performance ­sogar noch erhöht: „Auf lange Sicht wird sich die Strategie lohnen, da Unternehmen aus den nun ausgeschlossenen Bereichen auf Dauer kaum eine positive Entwicklung nehmen werden.“

Münsteraner Nachhaltigkeitsgedanken
Auf dem Pfad der Nachhaltigkeit wandelt seit geraumer Zeit auch die Stadt Münster. Die beiden städtischen Fonds wurden mittels Best-in-Class-Ansatz und Ausschluss von bestimmten Branchen nachhaltig ausgerichtet. Ganz trivial war die Umstellung jedoch nicht, wie Frank Möller, Abteilungsleiter im Amt für Finanzen und Beteiligungen der Stadt Münster, auf der Tagung von Oekom Research berichtet. „Wir sind in unseren Fonds nicht allein. In dem einen Fonds sind auch andere Städte aus Nordrhein-Westfalen beteiligt. Hier überwog die Skepsis, als die Umstellung auf Nachhaltigkeit aufkam. Letztlich hat aber alles geklappt, weil viele Städte, um ein größeres Aufheben zu vermeiden, einfach geräuschlos den Index geändert haben.“

Die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit war allerdings nur ein erster Schritt. Das reicht Münster nicht aus. „Künftig sollen die mandatierten Fondsgesellschaften auch den CO2-Fußabdruck berücksichtigen. Das wird der nächste Schritt“, so Möller. Doch noch sei man in der Findungsphase. Das neue Verfahren werde in der Ausschreibung festgelegt, die Anfang nächsten Jahres für den einen der beiden Fonds ­erfolgen wird. „Wir haben hier seit 15 Jahren dieselbe Fondsgesellschaft. Es ist an der Zeit, den Managementvertrag neu ­auszuschreiben“, so Möller. Ein wichtiger Punkt, der in der Ausschreibung abgefragt werden wird, steht bereits fest. „Wir möchten von den Fondsgesellschaften wissen, ob und wie sie ein gezieltes Engagement betreiben. Das ist uns sehr wichtig“, fügte der Münsteraner Finanzmann an. Ihm ist dabei bewusst, dass Münster mit Vermögens­anlagen von rund 80 Millionen Euro einen vergleichsweise kleinen Hebel hat.

Besondere Sorge bereitet ihm darüber hinaus vor allem die ­Umsetzung von Nachhaltigkeit in der kurzfristigen Geldanlage. „Im langfristigen Bereich gibt es genug Angebot, nicht aber wenn man kurz anlegt. Man müsste die Banken fragen, was sie mit den Geldern machen“, so Möller. Zwar gibt es Nachhaltigkeitsbanken, bei denen sich diese Frage nicht stelle. Das Problem sei jedoch zum einen die mangelnde Renditen und zum anderen die Einlagensicherung, die den Ansprüchen der Stadt Münster nicht ausreichen. „Hier ist noch vieles ungeklärt“, merkte Möller an. Für eine Klärung dieser Problematik bietet sich die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten an. Denn andere­ Städte und Kommunen dürften vor demselben Dilemma stehen, wenn sie sich der Nachhaltigkeit in ihren Geldanlagen verschreiben. Noch sind es vergleichsweise wenige Städte wie Münster, München, Stuttgart, Berlin oder Nürnberg. Doch es werden immer mehr.

Erst netzwerken, dann engagieren
Ein Vorbild in puncto Zusammenarbeit können die Einrichtungen der evangelischen Kirche sein. Diese fördern über den Arbeitskreis Kirchlicher Investoren (AKI) den Wissensaustausch zu ethisch-nachhaltigen Investments und haben auch einen entsprechenden Leitfaden entwickelt, der nun schon in dritter Auflage erschienen ist. Christoph Flad, der sich als Kirchenrat um die Nachhaltigkeit der ­Vermögensanlage, die im Wesentlichen der Versorgungsverpflichtungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geschuldet ist, kümmert und sich selbst schmunzelnd als „Portfolio-Inquisitor“ ­bezeichnet, ist Vorstand im AKI. „Im AKI haben wir mehrere Arbeitsgruppen gebildet, so dass wenige Mitglieder für den ganzen Kreis sprechen können. Eine solche Struktur ist ein großer Fortschritt.“ Die Vernetzung schließt nun auch Kirchen in Großbritannien ein. ­Anfang Oktober 2016 wurde eine Kooperation mit der britischen Church ­Investor Group geschlossen. „Was uns verbindet, sind unsere gemeinsamen christ­lichen Werte, internationale Portfolien und globale ­Herausforderungen“, sagte der Kirchenrat.

Den Vorteil einer solchen Zusammen­arbeit sieht Flad nicht unbedingt in der Finanzpower, die dadurch vermeintlich entsteht. „Selbst wenn wir uns mit den Katholiken zusammentun würden, hätten wir noch keine Marktmacht“, gibt sich der gelernte Pfarrer realistisch. Trotzdem wird aber in seiner Kirche auf die Dienste eines Engagement-Hauses wie GES, BMO, ISS oder Ethos verzichtet. Hierfür nennt Flad drei Gründe. Einmal sei es fraglich, ob der Dienstleister auch die Kirchenthemen versteht. Außerdem sei man zwar keine Marktmacht, als Kirche jedoch eine Wertemacht, die sich besser im direkten Kontakt erklären sollte. Drittens: „Wir gehen davon aus, dass wir gegenseitig etwas lernen, wenn Unternehmensführungen und kirchliche Investoren in ein sinnvolles Gespräch finden“, so Flad. Dies entwickelt sich am Anfang dann klassisch per Brief, weil „der dann in dem Unternehmen durch mehrere Abteilungen wandert“.

Die Stärke einer Kirche sieht Kirchenrat Flad aber nicht nur in der Wertemacht, sondern auch im Potenzial internationaler Kirchennetzwerke. „Die Kirchen sind weltweit sehr gut verdrahtet“, führte er auf der Oekom-Tagung aus. Als besonders nützlich erweisen sich diese weltweiten kirchlichen Partnerschaften beim sogenannten Engagement-Prozess, mit dem die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern vor sieben Jahren begonnen hat. Engagement ist bei der Kirche die dritte Stufe, die auf Ausschlüssen und einem Best-in-Class – wobei man sich eigentlich an einem Best-Practice orientiert – aufsetzt. Um Verbesserungen bei Unternehmen zu erzielen, wird auf den Dialog gesetzt. Dass sich dabei ein weltweites Netzwerk als nützlich erweist, machte er am Beispiel eines bayerischen Dax-30-Unternehmens deutlich, mit dem vor einiger Zeit der Dialog gesucht wurde. Gemeinsam mit der Bank für Kirche und Diakonie und über kirchliche Partnerschaften in Malaysia habe man Lohnabrechnungen eines Zulieferers erhalten und konnte damit das Unternehmen um eine Stellungnahme bitten. „Wir greifen keine aktuellen Kontroversen auf, die schon breit durch die Presse gegangen sind. Wir greifen aber Themen auf, die man uns als Kirche abnimmt. Moderne Formen von Sklaverei wider­sprechen klar unserem christlichen Menschenbild“, erklärte Flad. Dabei bleibt man innerhalb der Landesgrenzen: „Ausländische Unternehmen anzusprechen, macht keinen Sinn. Dafür bauen wir mehr und mehr Netzwerke unter den kirchlichen Investoren auf, die es unter den Kirchen ja schon seit 2000 Jahren gibt.“

Den Grundstein für erfolgreiches Engagement sieht der Theologe in der Vertraulichkeit. „Wir beginnen jeden Dialog immer vertraulich. Wenn wir beabsichtigen, die Vertraulichkeit zu brechen, würden wir das mit dem Unternehmen reflektieren“, so Flad. Zugleich empfahl er eine gewisse Vorsicht: „Man muss beim Engagement aufpassen: Man kann leicht als Tiger abspringen und als Bettvorleger enden.“ Deshalb sei ein Divestment als Möglichkeit immer offenzuhalten. Bislang sei es bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern erst ein Mal vorgekommen, dass ein Unternehmen aufgrund eines misslungenen ­Dialogs ausgeschlossen wurde. Trotz dieses Negativbeispiels ist der Kirchenrat überzeugt: „Wir können mit unserem Engagement nicht die Welt retten. Aber wir können im Dialog einzelne Verbesserungen erschließen. Das ist auf jeden Fall sinnvoll. “

Auf der Jahreskonferenz von portfolio institutionell im April ­diesen Jahres berichtete Klaus Bernshausen, wie die Evangelische ­Ruhegehaltskasse in Darmstadt ihre Stimmrechte wahrnimmt – im Gegensatz zu den bayerischen Glaubensbrüdern allerdings über ­einen Dienstleister, der über eine Bündelung eher auf eine Marktmacht ­abzielt. Um sich trotz hunderter von Aktientiteln zu engagieren, tat sich die Ruhegehaltskasse mit drei anderen kirchlichen ­Einrichtungen zusammen und beauftragte BMO (ehemals F&C) mit der Stimmrechtsausübung für ihr Aktienvermögen. „BMO hat in ­London eine Abteilung mit 15 Mitarbeitern, die nichts anderes ­machen, als die Stimmrechte für Investoren auszuüben und mit Unternehmen bestimmte Themen durchzusprechen. In regelmäßigen Reports ­werden wir dann informiert, mit wem über was gesprochen wurde und wie abgestimmt wurde“, so Bernshausen. Insgesamt vertritt BMO rund 70 Milliarden Euro Aktiva Dritter weltweit.

Wer sich als Investor für Engagement im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie entscheidet, braucht Geduld. Es ist alles andere als eine­ High-Frequency-Strategie. „Eine sinnvolle Engagement-Dauer beträgt um die drei Jahre“, erklärte Patrick Wirth, Managing Director bei GES (Global Engagement Services). Die GES, die Büros in ­Schweden, Dänemark, Großbritannien, Polen und in der Schweiz ­unterhält, vertritt 100 Unternehmen beziehungsweise 1,2 Billionen Euro. „Das ist für einen guten Dialog hilfreich“, so Wirth. Wenn eine Kapitalsammelstelle von der Engagement-Dienstleistung überzeugt ist, sollte es auch nicht unbedingt an den Gebühren scheitern. Hierbei handelt es sich bei GES um fixe Beträge, die bei 80.000 Euro starten. Offeriert werden aber auch günstigere Standardlösungen. Der ­Adressat der Engagements kann dann Beatrice Scharrenberg bei der Deutsche Post DHL sein. „Umweltaspekte werden mittlerweile als Standard erwartet. Im Fokus stehen mehr die sozialen und Governance-Themen. Diese sind für das Risikomanagement unserer Aktionäre relevant“, berichtet Scharrenberg auf der Oekom-Research-Fachtagung. Eine Auskunft zu jedem Anliegen können die Shareholder aber nicht erwarten. „Die Selective-Disclosure-Problematik nehmen wir sehr ernst“, so Scharrenberg. Möglicherweise veröffentlicht die Post aber die gesuchte Information zu einem späteren Zeitpunkt mittels eines Nachhaltigkeits-Reports, der allen Anlegern zugänglich ist.

Nachhaltigkeit in der Allianz
Für die Stimmrechte-Bündelung bei einem Engagement-Dienstleister spricht die mit der Stimmmacht wachsende Aufmerksamkeit des Adressaten. Dagegen spricht allerdings, dass es sehr anleger­spezifisch ist, was als nachhaltig definiert wird und wie Nachhaltigkeit intern gelebt wird. Wie Nachhaltigkeit bei einer Versicherung umgesetzt wird, insbesondere wie sich Prämieneinnahmen und Kapital­anlagen gegenseitig beeinflussen, beschrieb Dr. Ulf Bitterling, Leiter des ESG-Office der Allianz, auf der Oekom-Tagung. „Die Versicherungsseite und die Investmentseite kann man nicht trennen, die sich stellenden Nachhaltigkeitsfragen sind eigentlich identisch. Unterschiede bestehen aber in der Umsetzung.“ Beispielsweise bestehen bezüglich Erneuerbarer Energien, die zum einen versichert werden und zum anderen ein Investment Target darstellen, „starke Überschneidungen.“ In anderen Geschäftsfeldern sei dem jedoch nicht so. Als Beispiel nannte Bitterling einen Hersteller von kontroversen Waffen. Auf der Kapitalanlageseite ist es naheliegend und ein leichtes, von Investments in diese Wertpapiere abzusehen. Was ist aber mit Versicherungslösungen für die Altersvorsorgeeinrichtung dieses Waffenherstellers? In solchen Fällen werde einzelfallbezogen entschieden und dabei abgewogen, wie groß, wichtig oder alt dieser Kunde ist und wie sich eine Beendigung der Geschäftsbeziehung auf das Meinungsbild bei anderen Kunden auswirken könnte. Anderes Beispiel: Underwritings bei einem Bergbauunternehmen. Die Streikwahrscheinlichkeit kann die Versicherung beispielsweise über die Niveaus der Mitarbeiter-Schutzmaßnahmen und der Gehälter kalkulieren. Neuerer Natur­ seien jedoch Gedanken über die Konsequenzen einer Nicht-Versicherung für die Gesellschaft. Bitterling: „Wer würde dann den Schaden bezahlen? Die Risiken bestehen ja weiter.“

Vergleichsweise komplikationsfrei fällt dagegen die Entscheidung bei neuen Projekten. „Vom Neubau eines Kohlekraftwerks kann sich eine Versicherung fernhalten“, so Lydia Sandner, Senior Analyst bei Oekom Research. Klarer ist bezüglich einer einheitlichen Hauspolitik von Versicherungs- und Investmentseite auch der Fall bezüglich Tabak­herstellern gelagert. Sandner führt hierzu als Beispiel die Axa an, die im Mai ankündigte, Tabakhersteller nicht mehr zu finanzieren. Für diese Entscheidung sprechen ethische Argumente, aber auch, dass die Axa ein großer Krankenversicherer ist, der für die Folgeschäden des Rauchens aufkommen muss. Auf der Kapitalanlageseite lässt sich mit Tabakherstellern aber gutes Geld verdienen. Der kalifornische Pensionsfonds Calpers ließ von Wilshire Associates errechnen, dass ihn sein Divestment von Tabak und anderer Branchen zwischen 2001 und Ende 2014 nicht weniger als 3,037 Milliarden Dollar kostete. Allerdings gilt diese Rechnung nur für die Vergangenheit. Auch die Axa rechnet zunächst mit Opportunitätskosten. Allerdings geht die Versicherung davon aus, dass sich die Verlagerung der Anlagegelder auf andere Sektoren in absehbarer Zeit auszahlen wird. In ihren Nachhaltigkeits-Ratings von Versicherungen achtet Lydia Sandner unter anderem auf Versicherungen für Einkommensschwache und Risikogruppen, die zu positiven Nachhaltigkeits-Ratings führen. Solche Versicherungen, so die Erwartung Bitterlings, werden sich langfristig auch ökonomisch auszahlen: „Dies sind Zukunftsmärkte.“

Was bleibt
Unter dem Strich brachte die Veranstaltung von Oekom Research vor allem drei Erkenntnisse. Erstens: Nachhaltigkeit hat mit dem Klima­abkommen von Paris nochmals deutlich an Momentum gewonnen. Steffen Merker, Leiter Nachhaltigkeit der LBBW Asset Management, sprach auf dem Podium von einer „massiven“ Steigerung: ­„Immer mehr öffentliche Institutionen haben sich dieses Jahr ­gegenüber dem Nachhaltigkeitsgedanken geöffnet. Seit Paris ist eine Dynamik entstanden, die ich mir vor 15 Jahren gewünscht, aber nicht erwartet hätte.“ Erkennbar­ ist auch, dass es keine Gegenbewegung ­geben wird. Vielmehr dürfte es in absehbarer Zeit auch hierzulande zu gesetz­geberischen Vorgaben wie in Frankreich kommen. Aus Sicht der Asset­ Manager­ war Nachhaltigkeit ein Unterscheidungskriterium, das sich nun mehr in Richtung Hygienefaktor weiterentwickelt. Aus Sicht von Investoren wird Nachhaltigkeit immer mehr ein fester ­Bestandteil für das Risikomanagement. Weiter liegt das Nachhaltigkeits-Momentum insbesondere auf dem Klimaschutz und damit auf der Dekarbonisierung.­

Zweitens sind die Nachhaltigkeitsüberlegungen je nach Anlegergruppe sehr verschieden ausgeprägt. Die Aufgaben, die sich Kommunen, Kirchen und Versicherer bezüglich Nachhaltigkeit stellen, haben sich auf der Veranstaltung als sehr speziell dargestellt. Für Engagement-Anbieter könnte es Sinn machen, die Dienstleistung auf ­bestimmte Anlegergruppen abzustellen. Drittens braucht es auch ­innerhalb der Kapitalsammelstellen viel Engagement, um das Thema weiterzutreiben. Dies betrifft die interne Arbeit, aber auch die Arbeit in den diversen Nachhaltigkeitsorganisationen. Dr. Ulf Bitterling von der Allianz brachte es mit folgenden Worten auf den Punkt: „Man muss mitmachen und nicht nur zum Dinner kommen wollen.“

Von Kerstin Bendix und Patrick Eisele

portfolio institutionell, Ausgabe 11/2016

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