Stiftungen
31. März 2023

Mit ruhiger Hand zu nachhaltigen Freiräumen

Für die VolkswagenStiftung gab es zum Jahresbeginn 2023 einen Riesen-Cashflow durch die Sonderdividende aus dem Porsche-Börsengang. Kapitalanlage-Chef Dieter Lehmann orientiert sich beim Thema Nachhaltigkeit nicht mehr ausschließlich an Aktienindizes und definiert sich dennoch als passiver Investor. Außerdem will er die Immobilienanlagen ­wieder aufstocken und setzt bei Private Equity auf gelistete Assets.

Herr Lehmann, nach dem Porsche-Börsengang am 29. September 2022 hat die VolkswagenStiftung eine üppige Sonder­dividende für die 30 Millionen VW-Aktien, die vom Land Niedersachsen verwahrt ­werden, erhalten.

Stimmt, die Sonderdividende wurde am 9. Januar gezahlt. Es sind uns insgesamt rund 576 Millionen Euro zugeflossen. Und diese Sonderdividende ist exakt so zu betrachten wie die reguläre VW-Dividende, die in der Regel im Mai gezahlt wird. Sie ist ebenfalls entstanden aus Gewinnansprüchen aus dem Aktienanteil des Landes Niedersachsen­ an VW. Diese Mittel stehen für entsprechende Projekte im Sinne des Stiftungszwecks für das Programm „zukunft.niedersachsen“ (ehemals Niedersächsisches Vorab, siehe Infokasten unten) fortan zur Verfügung und wurden bereits angelegt.

Wie haben Sie diese Mittel angelegt?

Im konkreten Fall haben wir sowohl Aktien als auch Rentenpapiere gekauft. Wir haben auch etwas in der Liquidität gelassen. Außerdem haben wir jetzt einige verzinste Wertpapiere mit kurzen Laufzeiten gekauft, also geldmarktnahe Instrumente mit unter einem Jahr oder knapp über einem Jahr Restlaufzeit. Das ist derzeit für uns ein ­Termingeldersatz.

Wie fällt Ihre Bilanz zu 2022 aus?

Es war insbesondere für Stiftungen ein sehr schwieriges Jahr, denn es sind verschiedene Faktoren zusammengekommen, die ­zeitgleich sehr ungewöhnlich sind. Die ­Zusammenhänge zwischen den durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine steigenden Energiepreisen, der Inflationsentwicklung und den Zinserhöhungen der ­wichtigsten Zentralbanken sind hinlänglich bekannt. Was in der Folge in 2022 ­ungewöhnlich war, dass sich die Aktien- und zugleich die Rentenmärkte über ­mehrere Monate im Abschwung befanden. Hinzu kommt für Stiftungen: Die derart ­hohe Inflation hat zusätzlich die Kapitalerhaltung noch einmal deutlich erschwert. Unter dem Strich ist es so, dass wir es im Kalenderjahr 2022 nicht geschafft haben, das Kapital real zu erhalten, was bedauerlich ist. Zugleich ist eine Stiftung aber auf Ewigkeit ausgerichtet. Und so konnten wir in 2022 von den Kapitalerhaltungsreserven, die in den zurückliegenden Jahren gebildet wurden, zehren.

Damit sind die stillen Reserven gemeint?

Genau. Um zu messen, ob es gelungen ist, das Kapital real in seinem Wert zu erhalten, haben wir eine sogenannte Kapitalerhaltungsrechnung. Unser Ausgangszeitpunkt ist der 1. Januar 1985. Denn bis Ende 1984 war es Stiftungen in Deutschland ­verboten, Rücklagen zum Zweck der ­Kapitalerhaltung zu bilden. Mit dem ­Paragrafen 58 Nr. 7a der Abgabenordnung änderte sich das. Wir ­schreiben also ­beginnend 1985 den Kapitalwert der Stiftung Jahr für Jahr mit einer ­gesonderten Teuerungsrate fort, sodass wir immer zum Jahresende einen Kapitalzielwert errechnen. Dieser wird verglichen mit dem Ist-Wert des tatsächlich angelegten Vermögens, der sich in der Regel bei Renten und Aktien aus dem Börsenwert ermittelt, der zum ­Jahresende festgestellt wird. Und für unsere Immobilien lassen wir alle zwei Jahre externe­ Verkehrswertgutachten erstellen. Damit ermitteln wir einen Wert, der ­alle ­stillen Lasten und Reserven impliziert.

Wie haben sich die stillen Reserven in 2022 entwickelt?

Bis Ende 2021 hatten wir einen Ist-Wert ­erreicht, der sehr deutlich über dem Ziel­kapitalwert lag. Und von diesem Puffer ­haben wir 2022 zehren können. Dieser ist jetzt zwar etwas zusammengeschmolzen, ist aber immer noch sehr komfortabel ­aufgebaut, sodass wir noch ein zweites, ­vielleicht sogar ein drittes Jahr mit solch historischen Verlusten verkraften könnten, bevor das Ziel der realen Kapitalerhaltung in Gefahr geraten könnte. Ein solches Szenario sehe ich allerdings für ausgesprochen unwahrscheinlich an.

Haben die Reserven aus den Immobilien­anlagen hier geholfen?

Die Immobilien wirkten in 2022 kompensatorisch gegenüber den Wertrückgängen bei Aktien und Renten. Das betrifft die Seite der Kapitalerhaltung. Unsere Förderseite war nicht betroffen von den Wertrückgängen im vergangenen Jahr, denn dafür verwenden wir ausschließlich ordentliche Erträge, wie Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen. Und hier haben wir mit unseren Anlagen keinerlei Einbußen hinnehmen müssen. Ganz im Gegenteil, auf der Dividendenseite war das Ergebnis sogar ein ganzes Stück höher als im Jahr 2021. Für das Programm „zukunft.niedersachsen“ (ehemals Niedersächsisches Vorab) sind wir abhängig davon, was die Hauptversammlung von Volkswagen ­beschließt. Aber was die Erträge für die ­allgemeine Förderung betrifft – das sind ­alle die Erträge, die wir mit der Bewirtschaftung unseres Vermögens vereinnahmen – verzeichnen wir für die Zweckverwirklichung der Stiftung keinerlei Einbußen.

Können Sie schon sagen, wie die Performance aussehen wird?

Der Wert des Stiftungsvermögens dürfte deutlich zurückgegangen sein im vergangenen Jahr, die Performance liegt bei etwa ­minus elf Prozent. Wichtig ist – und das trifft für gute wie für schlechte Jahre ­zu – dabei nicht ein einzelnes Jahr herauszunehmen, weil das zu absoluten Fehlinterpreta­tionen führen kann. Zum Vergleich: Ende 2021 hatten wir eine Performance von plus 12,9 Prozent und einen Wertzuwachs von etwa 600 Millionen Euro. Wenn man das noch in einen Kontext von mehreren Jahrzehnten stellt – die Performancerechnung bei uns gibt es seit 1990 – haben wir eine Durchschnittsperformance seit 1990 inklusive des vergangenen Jahres von nahezu sechs Prozent pro Jahr erreicht. Die Aussagekraft dieser Zahl ist deutlich höher als das Ergebnis eines einzelnen Kalenderjahres.

Sie sind ein Verfechter der Portfoliotheorie nach Markowitz. Welche Folgen hat es für Ihre Anlagestrategie, dass Diversifikation in 2022 nicht funktioniert hat?

Das hat keinerlei Auswirkungen auf unsere Herangehensweise. Es ist richtig, Diversifikation über Aktien und Renten hat im Jahr 2022 nicht funktioniert. Aber an meiner ­Erkenntnis hat das überhaupt nichts geändert. Wir führen regelmäßig Korrelationsanalysen mit aussagekräftigen Zeitachsen von rund 20 Jahren durch, die uns zeigen, dass Diversifikation nach wie vor sehr gut funktioniert. Vielleicht nicht über jeden mitunter willkürlich festgelegten und dann meist sehr begrenzten Zeitraum, so wie im Jahr 2022. Aber wir verfolgen eine lang­fristige Anlagestrategie, und hier sind die Analyseergebnisse eindeutig. Im Übrigen diversifizieren wir neben Renten, Aktien und Immobilien auch über Fremdwährungen. Über 50 Prozent unseres Gesamt­vermögens besteht aus Fremdwährungen, die wir bewusst nicht absichern. Und auch diese haben uns im vergangenen Jahr sehr geholfen. Zum Beispiel haben die ­Emerging Markets in 2022 für uns besser ­performt als andere Segmente.

Wieviel besser?

Unsere Emerging-Markets-Rentenanlagen lagen 2022 deutlich im positiven Bereich und haben eine Performance von plus 7,65 Prozent erreicht. Das sind Anleihen, die hauptsächlich in Südamerika und Südostasien lokalisiert sind.

China ist nicht dabei?

Da ist China nicht dabei. Das Ergebnis war zum Teil währungsinduziert, aber eben auch ein Ergebnis der dortigen, anderen Entwicklung. Dass sich Emerging Market Bonds besser entwickelten als die etablierten Bonds, ist auch für mich eine Über­raschung gewesen. Und deswegen verzichten wir auf Absicherungen, weil diese ­immer zu spät kommt. Das ist auch der Grund, weshalb ich von Wertsicherungskonzepten nichts halte.

Eine Absicherung kostet ja auch zusätzlich.

Die Kosten sind, je nach Absicherungs­instrument, tatsächlich meist sehr hoch. Aber über Absicherung denkt man üblicherweise ja auch erst dann verstärkt nach, je höher der eingetretene Verlust schon ist ­beziehungsweise erst dann, wenn eventuell zuvor definierte Risikobudgets ausgeschöpft sind. Und auch bei der späteren ­Lockerung der Wertsicherungsinstrumente ist man meistens zu spät. Denn wenn der Markt sich dreht und der Aufschwung kommt, traut man dieser Entwicklung oft erst einmal nicht – man kennt das aus der Behavioral Finance. Wertsicherungssysteme­ sind also in der ­Regel mit permanentem „Zuspätkommen“ verknüpft.

Liegt das auch mit am Volumen? Weil Sie dann über die Hälfte des Vermögens ­absichern müssten?

Wenn man die Portfoliotheorie von Markowitz wirklich ernsthaft verfolgt und eine breitestmögliche Diversifizierung der ­Anlagen anstrebt, stellt sich die Frage einer partiellen Absicherung nicht, weil man dann dieses Ziel damit wieder aufgeben würde. Und was Fremdwährungen betrifft: Sie sind aus meiner Sicht das Anlagesegment, welches aktiv nicht erfolgreich zu ­managen ist, weil Währungen sehr viele ­Irrationalitäten enthalten. Genau wegen dieser Irrationalitäten aber kann ein Fremdwährungsportfolio nachweisbar die Vola­tilität eines Gesamtportfolios glätten. Mit solch einem Gedankengang, das gebe ich gerne zu, muss man sich aber erst einmal auch anfreunden. Und man muss natürlich für jedes einzelne Segment ein gewisses ­Volumen vorhalten, um auch eine diversifizierende Wirkung entfalten zu können. 0,05 Prozent vom Gesamtvolumen zum Beispiel würden dazu nicht ausreichen.

Sie legen ausschließlich passiv an im liquiden Bereich?

Fast ausschließlich. Wir haben ein Small-Cap-Portfolio und auch ein Micro-Cap-­Portfolio, die beide extern und aktiv ­gemanagt werden. Das ist aus Liquiditätsgründen aus meiner Sicht objektiv sinnvoll.

Wie groß ist dieses Small- und Micro-Cap-Portfolio?

Gut fünf Prozent vom Gesamtvermögen, ­also etwa 200 Millionen Euro.

Wie sieht Ihre aktuelle Asset Allocation aus?

Der Anteil der sogenannten Substanzwerte, also Immobilien, Aktien und Alternatives, liegt bei knapp über 60 Prozent. Das meiste, gut 47 Prozent unserer Gesamtallokation, ist in Aktien angelegt, 15 Prozent vom ­Gesamtvermögen in Aktien Euroland. ­Immobilien kommen auf 12,5 Prozent, ­wovon der Hauptteil, nämlich fast neun Prozent des Vermögens in inländischen Im­mobilien investiert ist. Alternatives umfassen knapp 0,9 Prozent der Kapitalanlage. Und der Anteil der verzinslichen Wert­papiere liegt bei knapp unter 40 Prozent.

Wie beeinflusst die hohe Inflation Ihre strategische Asset Allocation?

Wir sind an der Stelle sehr zukunftsorientiert ausgerichtet. Wir haben diesen hohen Sachwertanteil in der Vergangenheit schon deswegen aufgebaut, um während der Niedrigzinsphase über den angestrebten Wertzuwachs ohne Rücklagenbildung nach ­Paragraf 62 Abgabenordnung die reale ­Kapitalerhaltung abzusichern. Zudem wollten wir über die laufenden Miet- und Dividendeneinnahmen eine Alternative zu den stetig sinkenden Zinseinnahmen ­schaffen. Jetzt aber ­haben wir diese hohe ­Inflation. Und der können Sie wiederum auch in ­erster Linie durch entsprechend hohe Sachwertanlagen begegnen. Insofern fühlen wir uns hier sehr gut und genau ­passend ­aufgestellt.

Werden Sie weiter Immobilien kaufen?

Wir wollen den Immobilienanteil in der Tat wieder etwas ausbauen. Die Zielquote ist nach wie vor ein Anteil von 14 bis 15 Prozent am Gesamtvermögen. Und wir haben die gute Immobilienpreissituation der vergangenen Jahre genutzt, um uns von einigen Objekten, die nicht mehr in unseren Zielfokus passten, zu trennen. Im Moment ist viel Bewegung in den Immobilienmarkt gekommen, allein durch die gestiegenen Zinsen für Fremdfinanzierungen, die wir nicht in Anspruch nehmen. Insofern sind die Aussichten für uns eher besser geworden.

Sie warten also auf fallende Preise? Würden Sie dann in Deutschland weiter zukaufen? Da gibt es ja bereits einen starken Home Bias.

Momentan möchten wir nur in Deutschland zukaufen. Wir zielen ab auf die ­deutschen Top-Großstädte, Städte wie Hamburg, München, Frankfurt, Düsseldorf, ­Berlin, vielleicht noch Köln. Und investieren dort nur in 1A-Innenstadtlagen, wo wir relativ kleine Objekte mit einem Gesamt­investitionsvolumen von zehn bis dreißig ­Millionen Euro pro Objekt suchen, ausschließlich in den Segmenten Büro oder Wohnen oder einer Mischung aus beidem. Doch solche Immobilien bekommt man sehr selten. Jetzt scheint sich die Angebotslage gerade etwas zu verbessern.

Wie sind Sie in der Immobilienanlage strukturell aufgestellt?

Wir haben drei Tochtergesellschaften, die uns zu 100 Prozent gehören und wir haben einen Immobilien-Spezialfonds, über den wir zu 100 Prozent allein investieren. Im Direkt­bestand dieser Tochtergesellschaften werden eine Immobilie in den USA, eine in Großbritannien und alle deutschen Immobilien verwaltet. Und über den Immobilien-Spezialfonds lassen wir unsere Objekte in Westeuropa managen. Wir halten zudem ausschließlich komplette Immobilien und kaufen keine Fondsanteile und keine Etagen von Bürohochhäusern und gehen auch nicht mit anderen Investoren gemeinsam in solche Investitionen hinein.

Keine Co-Investments. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Weil die Kompromisse zu groß sind, die man mit anderen Anlegern eingehen muss. Das beginnt mit der Besonderheit, dass wir aufgrund unseres Anlageauftrags zum ­Beispiel kein Fremdkapital aufnehmen, ­zumal uns das als steuerbefreitem Anleger auch keine Vorteile bringt. Außerdem gibt es – auch unter Stiftungen – derart unterschiedliche Überlegungen und Zielsetzungen bei Immobilienanlagen, dass wir uns dem gar nicht stellen wollen. Wir wollen unsere Strategie durchführen und keine Kompromisse eingehen. Und damit sind wir bisher auch sehr gut gefahren.

Das Thema ESG wird für Immobilien immer wichtiger. Warum ist es so schwer, das im Bestand umzusetzen?

Weil es teuer ist. Unser Auftrag ist eine möglichst ertragreiche Vermögensanlage, die breit diversifiziert sein soll, und dann ist es auch unser Anspruch, ESG mit zu ­berücksichtigen. Das tun wir auch. Im ­Immobilienbereich beschäftigen wir uns ­allerdings üblicherweise nicht mit Projektentwicklungen, bei denen man natürlich gute Möglichkeiten für die Berücksichtigung einer nachhaltigen Bauweise hätte, weil wir das ausgehend von unserer personellen Ausstattung zeitlich gar nicht leisten könnten und uns zudem – Sie kennen das von vielen einschlägigen ­Berichten – das finanzielle Risiko durch in der Bauphase plötzlich aus unterschiedlichsten Gründen aus dem Ruder laufenden Baukosten zu hoch erscheint. Eine Ausnahme ­bildet das Schloss Herrenhausen hier in Hannover, das wir als Kongress-Center und Museum rekonstruiert und wieder ­aufgebaut haben. In der Bauphase vor über zehn Jahren ­haben wir sehr viele Nachhaltig­keitsaspekte mit einplanen können, wie ­etwa die Nutzung­ von Erdwärme. Das ­Gebäude ist aus nachhaltigen Gesichtspunkten auf ­einem sehr guten Stand. Aber bei voll vermieteten Bestands­immobilien ist es schon schwieriger, ­entsprechende Modernisierungen durchzuführen. Kernsanierungen sind sehr aufwendig. Solche Vorhaben setzen wir mit Augenmaß um – auch mit Blick auf die betroffenen Mieterinnen und Mieter.

Für die liquiden Anlagen haben Sie die Nachhaltigkeitsstrategie im vergangenen Jahr umgestellt. Wie kam es dazu?

Als passiver Anleger hatten wir bis dato ­einen nachhaltigen Aktien-Index als Benchmark genutzt und unsere Aktiendirekt­anlage danach passiv ausgerichtet, diesen Index nachzubilden. Dieser nachhaltige ­Aktienindex hat uns in der Zusammen­setzung der Titel schließlich nicht mehr überzeugt. Kritisch war aus unserer Sicht vor allem dessen Anpassungsfrequenz. Es wurden oftmals Titel ausgetauscht, die dann im Folgejahr wieder aufgenommen ­wurden, was eher nach Umsatzschneiderei und nicht nach dem Ergebnis einer belastbaren Nachhaltigkeitsanalyse aussah. Zudem ­waren mitunter auch Titel enthalten, die nach unseren Wertvorstellungen nicht in ­einen nachhaltigen Index gehörten.

Wie ging es dann weiter?

Daraufhin haben wir eine Beratungsgesellschaft gesucht und gefunden, mit der wir uns zusammengesetzt haben, um die Kriterien, die uns zum Thema Nachhaltigkeit wichtig sind, zu besprechen. Es ging dabei zum Beispiel um Ausschlusskriterien und Transformationspfade. Die Beratungs­gesellschaft stellt uns aufgrund unserer ­eigenen Kriterien seitdem ein Titeluniversum aus dem Euroraum zur Verfügung, welches diesen Kriterien entspricht. Und wir wiederum nehmen daraus eine Auswahl von – als Ziel – vierzig Titeln vor.

Und wie groß ist das Universum?

Das sind mehrere hundert Titel. Wir stellen aus diesem nach unseren Kriterien vorgefilterten Universum dann ein diversifiziertes Portfolio zusammen, wobei ab dann Punkte wie Branchengewichtung, Dividenden­rendite und eine möglichst hohe Markt­kapitalisierung ausschlaggebend sind. Alle Titel werden im Portfolio gleichgewichtet. Im Sommer 2022 haben wir auf dieser Grundlage unser erstes Portfolio selbst ­zusammengestellt. Wir gehen dabei genauso vor wie ein Indexanbieter und werden die Zusammensetzung jährlich überprüfen. Die Hauptaktivität wird dann aber vor allem darin bestehen, die Gleichgewichtung der Einzeltitel wieder herzustellen. Unsere Beratungsfirma versorgt uns fortlaufend mit allen dazu relevanten Informationen.

Das heißt, Sie wurden vom streng passiven nun zum aktiven Anleger?

Wir legen vom Grundsatz her weiter passiv an, nehmen uns dabei aber gewisse ­Freiräume. Zum Beispiel halten wir uns nicht sklavisch an die absolut höchste Marktkapitalisierung. Wenn ein Titel von unseren Nachhaltigkeitskriterien abweicht oder sich leicht verändert hat, dann obliegt es uns zu prüfen – zusammen mit der Beratungsfirma – wie gravierend das ist und ob wir ihn austauschen. Unser Ziel ist es, ein stabiles Portfolio zu haben, und nicht ständig­ Titel zu wechseln. Aber wenn man passiv so versteht, dass es die direkte Abbildung eines Index meint, dann ist unsere Aktiendirektanlage nicht mehr passiv. Sie ist aber gleichwohl nach unserer Auffassung passiv, weil wir die Titel langfristig ­halten wollen. Nach den Zwängen der ­Index-Company hätten wir pro Jahr immer um die zehn Titel austauschen müssen. Das hat unserer Ansicht nach mit Passivität auch nicht mehr viel zu tun.

Passiv heißt auch: Sie machen kein Stewardship und keine Engagements?

Nein, das machen wir nicht. Die VolkswagenStiftung nimmt generell an keinerlei Hauptversammlungen teil und wir üben unsere Stimmrechte auch nicht aus. Leider ist die juristische Lage hier nämlich nicht eindeutig. Denn die Einflussnahme auf die Geschäftspolitik eines Unternehmens könnte vom für die Anerkennung des ­gemeinnützigen Status verantwortlichen ­lokalen Finanzamt auch als gewerbliche ­Tätigkeit gewertet werden. Das wiederum würde zu einem Verlust der Steuerbefreiung einer gemeinnützigen Einrichtung führen. Hier wäre es aus meiner Sicht gut, wenn der ­Gesetzgeber einmal für eine entsprechende ­Klarstellung sorgen würde.

Wie sieht die Nachhaltigkeitsstrategie im verzinslichen Bereich aus?

Hier funktioniert die Anlagepraxis schon seit langem ganz ähnlich wie jetzt bei ­unserer Aktienanlage, denn im Renten­bereich können wir Indizes ohnehin nicht eins zu eins abbilden, gleichwohl wir sie als Benchmark benutzen. Denn man kann ­einen Rentenindex in der Regel nicht nachbilden, da viele Titel platziert und nicht am Markt verfügbar sind. Deswegen benutzen wir für die Rentenanlagen einzelne ­Komponenten eines zuvor gewählten Index, nämlich die geografische Ansiedelung und die jeweilige Anleiheklasse, hinzu kommt die im Index geltende Duration. Aus diesen bauen wir dann ein eigenes Portfolio.

Welche Nachhaltigkeitskriterien legen Sie an, was schließen Sie aus?

Generell die Hersteller von international ­geächteten Waffen, auch wenn der Anteil am Geschäftsvolumen nur bei wenig mehr als null Prozent liegt. Agrarrohstoffe und auch das Investment in Agrarflächen schließen wir aus, weil wir nicht Teil von Lebensmittelspekulationen werden möchten. ­Physische Rohstoffe haben wir wegen der mit der Förderung oft verbundenen problematischen Förderbedingungen nicht im ­Bestand – aber ganz einfach auch wegen der in der Regel fehlenden ordentlichen Erträge. Auch Aktienverleihgeschäfte kommen für uns nicht mehr in Betracht, weil sie oft die Voraussetzung für den Erfolg von Markt­manipulationen schaffen. Bei Energie­erzeugern und -versorgern schauen wir auch auf Entwicklungs- und Transforma­tionspfade. Wenn man einen Energieversorger nimmt, der heute noch in der Kohleverstromung oder vielleicht in der Atom­energieerzeugung tätig ist, aber beispielsweise nachweislich schon Milliarden in Erneuerbare Energien investiert hat, sehe ich persönlich keinen Sinn darin, diesen Unternehmen sozusagen die Unterstützung von Aktionärsseite zu entziehen, weil wir auch diese Privatinvestoren brauchen, sonst gelingt die Energiewende nicht.

Also sind Sie auch beispielsweise in RWE ­investiert?

Ja, RWE haben wir im Portfolio. Die öffentliche Wahrnehmung ist emotional aufgeladen durch Räumungen wie in Lützerath. Aber es gab auch einen politischen Kompromiss, der besagt, dass der Kohleausstieg acht Jahre eher vollzogen wird. RWE hat viel investiert in Erneuerbare Energien, ­insbesondere in Windkraft. Wir brauchen private Unternehmen, die in Erneuerbare Energien Milliarden investieren. Das kann nicht nur der Staat machen.

Wie screenen Sie beispielsweise die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten?

Thomson Reuters hat ein NachhaltigkeitsTool, das wir für die Ermittlung des Nachhaltigkeitsgrades unserer einzelnen Aktienportfolien nutzen. Es umfasst etwa 400 verschiedene Nachhaltigkeitskriterien für über 7.000 Unternehmen. Und so setzen wir auf unseren Aktiendirektbestand, den wir zusammen mit unserer Beratungsagentur auswählen, nochmal dieses Nachhaltigkeits-Screening obenauf. Das gleiche ­machen wir auch mit unseren Aktien-Spezial­fonds. Und im Rentenbereich haben wir für uns aus diversen Informationsquellen, wie zum Beispiel German Watch, Ärzte ohne Grenzen und verschiedenen UN-Institutionen, eine Systematik entwickelt, die ein Screening für jeden einzelnen Emittenten­ nach Kriterien wie Korruption, Geldwäsche, Kinderarbeit, Pressefreiheit, et cetera ermöglicht.

Also wird der gesamte liquide Bestand nach ESG gescreent?

Ja. Es wird Einzeltitel für Einzeltitel das ­gesamte Portfolio im eigenverwalteten ­Bestand sowie auch in den Spezialfonds ­gescreent und dementsprechend dann auch ein Nachhaltigkeitsgrad errechnet, die optische Darstellung erfolgt über ein Farbband, von Rot über Gelb nach Grün gehend. ­ ­Unser Ziel ist es natürlich, dass jedes Einzelportfolio einen möglichst hohen Nachhaltigkeitsgrad erreicht und dadurch im grünen Bereich liegt. Sollte das nicht der Fall sein, können wir für jedes Einzelport­folio relativ schnell ermitteln, worin die  Ursachen hierfür liegen und dann ganz ­gezielt umschichten, um den Nachhaltigkeitsgrad wieder zu verbessern.

Das hört sich alles recht aufwendig an. Wieso arbeiten Sie nicht mit einer der gängigen ESG-Rating-Agenturen zusammen?

Weil diese häufig zu pauschal an das Thema herangehen und wir unsere eigenen, uns wichtigen Wertvorstellungen darin, wie schon gesagt, oft nicht wiederfinden.

Haben Sie schon mal desinvestiert aufgrund Ihrer Nachhaltigkeitskriterien?

Wir haben beispielsweise schon Titel aus unseren Spezialfonds veräußert, bei denen wir darüber informiert wurden, dass die Unternehmen direkt oder auch indirekt an der Produktion von international ­geächteten Waffen beteiligt sind.

Aus welchen Gründen halten Sie Wald­investments für nicht nachhaltig?

Da muss man sicherlich sehr stark differenzieren. Ein Beispiel: Uns wurden vor einigen Jahren Waldflächen in Rumänien angeboten, von denen uns versprochen wurde, dass sie nachhaltig bewirtschaftet werden sollen. In Rumänien befinden sich Teile der letzten Urwaldflächen, die es in Europa noch gibt. Und als wir uns mit dem Thema näher beschäftigt haben, haben wir festgestellt, dass zur Bewirtschaftung breite Schneisen in diese Wälder geschlagen werden. Das hat für mich mit Nachhaltigkeit nicht viel zu tun. Ein anderes Beispiel: Ein Anbieter von Waldflächen in den USA, wo die Renditeaussichten erst einmal sehr gut aussahen, hat – einmal von der industriemäßigen Aufforstung der Flächen abgesehen – die interessant klingenden Renditeversprechen letztendlich durch die Gewinnung von Fracking-Gas auf Teilen dieser Flächen erzielen wollen. Auch wenn das derzeit recht überraschend immer mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfährt – aus meiner Sicht handelt es sich dabei nach wie vor um eine Umweltsünde.
Und: Schließlich bergen auch die Mechanismen am Weltmarkt für Holz selbst eine latente ­Gefahr. Denn der Waldfondsmanager hat im Interesse seiner Anteilseigner ein natürliches Interesse daran, dass der Wert der ­Investments steigt. Der Preis für Holz steigt durch Rohstoffverknappung oder steigende Nachfrage oder beides. Ich denke schon, dass die Investmentindustrie Möglichkeiten hat, hier gewisse Entwicklungen zu beeinflussen. Wenn der Rohstoffpreis für Holz besonders hoch ist, könnte dies auch Trittbrettfahrer anziehen, die mit den professionell bewirtschafteten Fonds gar nichts zu tun haben, jedoch die Situation ausnutzend dann gegebenenfalls zusätzliche Regenwaldflächen abholzen, um diese Preiseffekte mitzunehmen. Klar ist aber auch, dass es viele tatsächlich sehr nachhaltig und seriös arbeitende Waldinvestments gibt. Deshalb darf man meine Einschätzungen auch keinesfalls verallgemeinern, sondern sollte einfach genau hinschauen, wenn man sich für solche Anlagen interessiert.

Herr Lehmann, Sie leiten im Bundesverband Deutscher Stiftungen den Arbeitskreis Vermögensanlage. Die Stiftungsrechtsreform soll im Sommer von den Ländern umgesetzt sein. Wie geht es aus Ihrer Sicht voran?

Dadurch, dass die Stiftungsrechtsreform auch eine Vereinheitlichung des Stiftungsrechts in Deutschland bewirken soll, ­müssen die einzelnen Bundesländer ihre Landesstiftungsgesetze anpassen. Erst ­wenige Bundesländer haben das bereits umgesetzt – wie zum Beispiel Brandenburg. Ich mache mir Sorgen, ob das bundesweit noch bis zum Sommer gelingt.

Mit der Reform soll es auch möglich ­werden, Kursgewinne für die Förderung einzusetzen . . .

Das ist ein wichtiger Punkt und aus meiner Sicht eine klare Antwort des Gesetzgebers auf die Niedrigzinsphase. Denn vielen ­Stiftungen fiel es in den vergangenen ­Jahren zunehmend schwer, ihren Stiftungszweck wie bisher ausschließlich aus ordentlichen Erträgen, also Zinsen, Dividenden und ­Mieten, zu verwirklichen. Viele haben das über Jahre nur noch über Spenden ­bewerkstelligen können. Die Verwendung von erwirtschafteten Kursgewinnen, die ja automatisch bei Anfall Bestandteil der ­sogenannten Umschichtungsrücklage und somit Kapitalbestandteil wurden, zur ­Verwirklichung des Stiftungszwecks war bislang immer ein juristischer Graubereich, es gab dazu keine eindeutige Regelung. Nunmehr besteht hierzu Klarheit.
Das ­bedeutet konkret, dass künftig Sachwertanlagen ohne Endfälligkeit, also beispielsweise Aktien, einen sehr viel höheren­ Stellenwert bei der Vermögens­anlage einnehmen ­können. Denn der ­Anlageerfolg von Aktien rekrutiert sich ­weniger von der Dividende kommend, sondern vielmehr von den ­Kurszuwächsen, was nicht nur der realen Kapitalerhaltung dienlich ist,  sondern ­künftig eben auch der Zweckverwirklichung. Natürlich ergibt sich daraus aber auch nicht über Nacht eine ­Lösung des ­bisherigen Problems. Denn ­eine Umschichtungsrücklage muss ja ­zunächst erst ­einmal, so noch nicht ­vorhanden, gebildet werden. Und dann gilt es für die Stiftungsverantwortlichen auch, darauf zu achten, dass mit der ­Verwendung der Um­schichtungsrücklage nicht der Fortbestand der Stiftung gefährdet wird.

Zum 1. Juli 2023 greift das neue Recht: Wird die Stiftungsrechtsreform auch Ihre Anlage­praxis verändern?

Wir als VolkswagenStiftung haben eine sehr hohe Umschichtungsrücklage, weil wir eben schon seit vielen Jahren realisierte Kursgewinne dort verbucht haben und aus der wir auch vorzunehmende bilanzielle Wertberichtigungen entnehmen, beziehungsweise Zuschreibungen dieser wieder zuführen. Dass die Umschichtungsrück­lage im Sinne der Kapitalerhaltung atmet, ist für uns also seit Jahren völlige ­Normalität.
Da unsere ­ordentliche Ertragslage noch ­immer ­ausreichend hoch ist, haben wir ­vorerst nicht die Absicht, Bestandteile der ­Umschichtungsrücklage für die Zweckverwirklichung zu verwenden. ­Unsere Anlagestrategie werden wir nicht verändern, ­vielmehr fühlen wir uns auch mit Blick auf diese neue Usance bereits richtig ­aufgestellt.

Die VolkswagenStiftung hatte vor einigen Jahren noch einen Private-Equity-Anteil von drei Prozent. Jetzt liegt der Alternatives-­Anteil bei 0,9 Prozent. ­Welche Segmente sind darin enthalten?

Wir hatten 2006 in zwei Private-Equity-­Programme investiert. Das eine haben wir 2017 verkauft und das andere ist ein ­Abwicklungsbestand aus dem anderen P­rogramm, dieser Fonds ist noch nicht vollständig aufgelöst. Außerdem haben wir ein relativ kleines Portfolio mit Listed Private Equity, welches wir zu den Alternative ­Investments zählen.

Sind Listed-Private-Equity-Anlagen unter Risk-Return-Gesichtspunkten günstiger als illiquides Private Equity?

Sie sind ist auf jeden Fall deutlich transparenter, weil die börsennotierten Private-Equity-Gesellschaften denselben Trans­parenzvorschriften wie jedes andere ­börsennotierte Aktienunternehmen unterliegen. Wir bekommen täglich einen ­Börsenkurs und wissen, was unser ­Investment wert ist.
Bei herkömmlichen Private-Equity-Anlagen hingegen kommen die ­Zahlen vierteljährlich, oftmals auch noch verspätet. Die ­Intransparenz, auch was die Rendite ­betrifft, ist bei Private-Equity-­Anlagen in ­klassischen Fonds meist sehr hoch. Oftmals sind Opportunitätskosten und Kosten durch Fund-of-Fund-Konzepte für den Investor gar nicht sichtbar. Die IRR und andere Kennzahlen werden in der ­Regel auf der ­Basis des ­tatsächlich ­investierten Kapitals ermittelt. Dagegen ­finden die Opportunitätskosten, die unter anderem durch nicht abgerufene  Commitments entstehen, meist keine ­Berücksichtigung. Wir fühlen uns deshalb bei Listed Private Equity besser ­aufgehoben. Leider – und das ist die Kehr­seite – gibt es nicht viele derartige Titel, die für uns für ­eine Anlage in Betracht ­kommen.

Die VolkswagenStiftung begann ihre Arbeit 1962. Stifter sind die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen, die beide nach dem zweiten Weltkrieg als Rechtsnachfolger am Volkswagenwerk hervorgingen. Während der Bund seine ­Anteile am Volkswagenwerk (damals 20 Prozent) in den 80er Jahren wieder veräußerte, hält das Land diese bis heute. Die hieraus entstehenden­ Gewinnansprüche – üblicherweise die Dividendenzahlungen – werden an die Stiftung abgeführt. Die Stiftung leitet diese Mittel wiederum an das Land zurück, wenn damit im Rahmen des Programms „zukunft.niedersachsen“ (ehemals „Niedersächsisches Vorab“) Projekte im Sinne des Stiftungszwecks (Förderung von Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre), finanziert werden. Die Stiftung verwaltet aktuell ein Vermögen von etwa 3,4 Milliarden Euro.
Dieter Lehmann leitet die Vermögensanlage der Stiftung seit dem Jahr 1999. Seit 2014 leitet Lehmann zudem den Arbeitskreis Stiftungsvermögen und Immobilien beim Bundesverband Deutscher Stiftungen und ist Mitglied zahlreicher Stiftungs- und ­Beratungsgremien. Zudem schätzt er die Portfoliotheorie und findet: „Langfristig funktioniert Diversifikation sehr gut.“

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