Andere
9. Dezember 2020

Mit viel Engagement

Nachhaltigkeit ist auch in der Kapitalanlage ein weites Feld. Dieses beackert die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, wie andere Landeskirchen auch, in Form von Engagements bei Unternehmen. Dafür organisieren die Protestanten ihre Dialoge im Arbeitskreis Kirchlicher Investoren. Wie legt eine Kirche Geld nachhaltig an? Dies erläutert Dr. Jörg Mayer Patrick Eisele.

Herr Dr. Mayer, als Leiter der Finanz­abteilung sind Sie für Haushaltsplanung, Personalplanung, Gebäudemanagement und ­Kapitalanlage zuständig. Was beschäftigt Sie am meisten und wie änderte sich Ihr ­Spektrum in der vergangenen Dekade?

Es gibt noch ein weiteres Aufgabenfeld: die Diakonie. Diakonie und Kirche gehören eng zusammen. Darum sind bei uns nicht nur die Theologen, sondern auch Juristen und Finanzer in der Diakonie tätig. Ich bin im Aufsichtsrat der Dachstiftung Diakonie, ­einem breit diversifizierten Unternehmen mit circa 2.500 Mitarbeitern in Nieder­sachsen und Sachsen-Anhalt, und hier im Aufsichtsrat der Diakoniestiftung im Braunschweiger Land.
Änderungen gab es in den vergangenen zehn Jahren sehr viel. Nach der Finanzkrise war die Verunsicherung bezüglich der ­Märkte relativ stark, vor allem aber auch was die Kirchensteuerentwicklung betrifft. Letzteres wirkt sich auf die Personalplanung aus. Über verschiedene Einrichtungen hat die Kirche einige Tausend Mitarbeiter. Wir müssen etwas schrumpfen und uns auf schwierigere finanzielle Rahmenbedingungen einstellen.
Die Kirchensteuereinnahmen waren seit Beginn der Corona-Pandemie zumindest hier im Braunschweiger Land bislang ­besser als befürchtet. Auch sind die Auswirkungen der Kurzarbeit auf die Kirchensteuer in ­unserer Region bislang – auch dank Volkswagen – relativ glimpflich verlaufen. ­Andere Landeskirchen erleiden gerade dramatische Einbußen. In den vergangenen Jahren war allerdings die Zinsentwicklung sehr viel schlechter als gedacht. Was wir nun stärker im Kostenfokus haben, sind die Gebäudelasten. Um hier mehr Transparenz zu ­bekommen, haben wir in der Rechnungs­legung für die Landeskirche die erweiterte Kameralistik eingeführt, die erstmalige ­Eröffnungsbilanz erfolgt zum 1.1.2021.
Es gab also sehr viele strukturelle Veränderungen und das wird auch so weitergehen. Wir stellen uns ständig auf die jeweilige ­Situation neu ein: Ecclesia semper reformanda – und deswegen mache ich mir auch keine Sorgen.

Wie viel Ihrer Zeit beanspruchen die ­Kapitalanlagen?

Etwa ein Fünftel meiner Arbeitszeit – mit steigender Tendenz. Zinsbedingt muss man heute viel tiefer in die Kapitalanlage ein­steigen. Das hat sich schon vor zehn Jahren abgezeichnet, heute ist es aber viel ­anspruchsvoller als zu Beginn meiner ­Tätigkeit bei der Landeskirche.
Wir legen auch für Kirchengemeinden an und kommen im Moment für diese Dritt­anleger mit Anleihen auf ausschüttbare Renditen von 2,2 bis 2,5 Prozent. Dafür verkaufen wir auch Anleihen vor Fälligkeit, um Kursgewinne zu realisieren. Das macht die Neuanlage aber nicht einfacher.

Welche Gelder haben Sie für welche ­Verbindlichkeiten anzulegen?

Die Landeskirche hat im Moment Rück­lagen in Höhe von circa 225 Millionen Euro. Mit der gerade stattfindenden Einführung der Bilanzierung durch die erweiterte Kameralistik werden daraus Rückstellungen. Dazu kommen etwa 94 Millionen Euro von Dritten, also von verschiedenen Kirchen­gemeinden und Stiftungen, die wir ­ebenfalls anlegen. Unsere größte Aufgabe unter ­Liability-Gesichtspunkten ist die ­Versorgung und die Beihilfe für Pfarrer, Pfarrerinnen und Kirchenbeamte. Diese erfolgt über die Norddeutsche Kirchliche ­Versorgungskasse, NKVK, deren erster stellvertretender Vorstandsvorsitzender ich bin. Der Deckungsgrad dort liegt bei etwa zwei Dritteln. Die beteiligten Kirchen – neben uns Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe – haben verabredet, das fehlende Drittel in den ­jeweiligen Bilanzen zurückzustellen.

Mit verschiedenen Rückstellungen, ­Gemeinden und Stiftungen haben Sie recht verschiedene Anlagezwecke und Ziele?

Wir haben zwei Anlagewelten, nämlich die Drittgelder, für die wir treuhänderisch tätig sind, und unsere eigenen Anlagen. Mit ­unseren eigenen Geldern investieren wir auch in Aktien, mit den Drittgeldern nicht, beziehungsweise noch nicht.
Auf Aktien zu verzichten ist aus meiner Sicht kein Zustand, der weiter lange ­anhalten kann. Das Problem ist, dass die Kirchengemeinden möglicherweise nur für eine gewisse Zeit das Geld anlegen können und wollen. Dann kann es sein, dass der Einstiegsbetrag deutlich höher als der ­Ausstiegsbetrag ist. Dann stünden wir unter extrem großem politischen Druck, den ­Fehlbetrag auszugleichen. Wir können aber nicht die Marktrisiken für die Kirchen­gemeinden puffern.

Wie langfristig kann eine Kirche anlegen?

Wir sind ein sehr langfristiger Anleger. ­Unsere Verpflichtungen sind zwar sehr groß, aber auch sehr langfristig. ­Andererseits haben wir im Moment recht genau bezifferbare Steuereinnahmen, unsere Rücklagen und Rückstellungen. Im Liquiditätsbedarf kann ich also sofort auf Gelder ­zurückgreifen. Anders als ein Wirtschaftsunternehmen müssen wir uns viel weniger um ­kurzfristige Liquiditätsplanung kümmern.

Können Sie denn die entsprechenden ­Gremien von Aktien überzeugen?

Auf Ebene der Landeskirche sind wir in ­Aktien schon sehr lange investiert. Mit der Aktienanlage für die treuhänderisch für Dritte angelegten Gelder beschäftigen wir uns seit zwei, drei Jahren intensiv – und ­stoßen immer wieder an die politische ­Frage, was tun, wenn eine ­Kirchengemeinde nach einem starken Aktieneinbruch ihre Gelder wieder braucht. Meine Überlegung gehen zur Zeit dahin, ­eine Treuhandver­mögensverwaltung mit und eine ohne ­Aktien anzubieten. Wir ­haben in den Gremien und auch in ­unserem ­Finanzausschuss der Landessynode Kapitalmarkt-Experten, die sich auf diesem Feld auskennen.

Haben Sie in Ihrer Allokation auch die ­„Kirchen-Klassiker“ Forst und Agrar?

Das Pfarrpfründe-Vermögen legt in Äcker, Wälder und Häuser an. Aus deren Erträgen wird die Pfarrbesoldung mitfinanziert. ­Früher waren die Erträge aus diesen ­Anlagen, die auch Kriege, Inflation und ­Diktaturen überlebt haben, am wichtigsten. Heute können wir mit diesen Anlagearten noch etwa zehn Prozent unserer Personalkosten von etwa 40 Millionen Euro finanzieren. Um unsere Aufgaben, vor allem die Verkündigung des Evangeliums, sicher zu stellen, sind diese Anlagen aber nach wie vor eine wichtige Ertragsquelle.

Investoren haben Altersheime und Kindergärten entdeckt. Die Kirchengemeinden in Ihrer Landeskirche betreiben beispielsweise 97 Kindergärten. Eignet sich diese soziale Infrastruktur als Kapitalanlage?

Diese Einrichtungen sind für uns keine ­Kapitalanlage, sondern schlicht unsere ­Aufgabe. Für uns handelt es sich bei den Kindergärten um eine öffentliche Aufgabe, die nicht durch Dritte finanziert werden sollte. Die Kirchengemeinden machen als Betreiber keine Überschüsse, können die Aufgabe aber erfüllen. Eigentümer dieser Einrichtungen sind in der Regel die ­Kommunen oder die Kirchengemeinden.
Der Kostendruck ist bei denjenigen stärker, die ordentliche Löhne bezahlen, es herrscht zum Beispiel bei der Altenpflege ein ­ruinöser Wettbewerb. Auf dem privaten ­Altenpflegemarkt wird auch mit diskus­sionswürdig langen Abschreibungszeit­räumen gerechnet, von denen die ­Reinvestitionszuschüsse der Kostenträger abhängen. Fraglich, ob sich das rechnet.

Wie hat sich das Thema Nachhaltigkeit entwickelt?

Als ich hier 2010 begonnen habe, war der entsprechende Arbeitskreis der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, noch in der Startphase. Mit dem Arbeitskreis Kirchlicher Investoren, AKI, nahm innerhalb der EKD eine organisierte und kanalisierte Nachhaltigkeits-Diskussion Fahrt auf. Zuvor gab es verschiedene Initiativen ­beispielsweise auf Ebene der Kirchengemeinden, von Landessynoden oder der EKD-Synode und die Finanzleute waren nicht unbedingt die Antreiber. Es mangelte ein wenig an Systematik. Diese Systematik bekamen wir dann durch den immer enger werdenden Erfahrungsaustausch.
Ein Gewinn war auch, dass sich die kulturellen Distanzen zwischen NGOs, mit ­denen wir von Anfang an zusammengearbeitet haben, und Kirchenleuten vollständig abgebaut haben. Das waren zuvor doch ­unterschiedliche Welten.
Eine weitere Entwicklung war, dass das Verständnis gerade der Finanzverantwortlichen für Nachhaltigkeit stark gewachsen ist. Vor zehn Jahren haben wir zum Beispiel noch deutlich weniger intensiv über US-Staats­anleihen als heute diskutiert. Insgesamt ist durch das systematische Zusammenwirken von Landeskirchen, Versorgungswerken, Kirchenbanken und Diakonie und durch ­gegenseitiges Lernen extrem viel passiert.

Wie halten Sie es mit US Treasuries?

Wir schließen US-Staatsanleihen aus. Grund ist die in den USA praktizierte ­Todesstrafe, die wir als Kirche ablehnen. Vielleicht fällt mir das als kleinere Landeskirche leichter als einem Versorgungswerk, das zehn Milliarden Euro anzulegen hat. Da fällt der Verzicht bestimmt schwerer.
Auch bei den Landeskirchen gibt es sehr ­unterschiedliche Größenordnungen bei ­Anlagevolumina, Mitarbeiter und Professionalisierungsgrad. Es gibt dadurch aber keine Barrieren. Ich profitiere sehr stark vom Austausch mit den anderen Landeskirchen.

Dies dürfte auch für Engagements gelten.

Genau. Wir teilen uns die Engagements recht gut auf. Die Landeskirchen beispielsweise in Hessen, Baden-Württemberg, ­Bayern oder NRW sind viel näher an den Headquarters der Banken und Unter­nehmen. Wenn wir Gesprächsbedarf mit ­einer Bank haben, bestehen zum Beispiel über die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau schon viele Drähte.
Wir führen ­regelmäßig sehr intensive Gespräche mit Vorstandsvorsitzenden – auch von Dax-­Unternehmen –, Vorständen oder einer Ebene darunter. Im Arbeitskreis tauschen wir uns dann in einem geschützten Raum über die Ergebnisse aus. Details und die Namen der Gesprächspartner bleiben aber vertraulich. Soviel kann ich aber sagen: darunter sind einige Vorstandsvorsitzende.
Um ein Beispiel zu geben: Wir bündeln ­unsere Anliegen gegenüber acht Banken und Finanzdienstleistern im entsprechenden Finanz-Arbeitskreis des AKI: dies sind Allianz Global Investors, Commerzbank, Deka-Bank, Deutsche Bank, DZ Bank, ­HSBC, Pimco und Union Investment. Mit jeder Bank finden die Gespräche im zweijährigen Rhythmus statt. Für diese Gespräche haben wir einen detaillierten und ­umfangreichen Fragebogen zu beispiels­weise Steuerzahlungen, ­Kreditvergabe, Vergütungssysteme und zu weiteren ethisch-nachhaltigen Anliegen entwickelt. Zu ­diesen Fragen nehmen die Banken schriftlich Stellung und diese Antworten diskutieren wir dann in einem ­zweistündigen Termin.

Warum machen Sie Engagements? Warum reichen nicht Ausschlüsse und Best-in-Class-Ansätze?

Wir bündeln die Finanzkraft von Landes­kirchen, Versorgungswerken, großen diakonischen Unternehmen und der beiden ­evangelischen Kirchenbanken. Damit ­haben wir durchaus eine gewisse Marktmacht. Wir werden gehört, auch weil wir als Kirchen und Diakonie glaubwürdig sind, wenn wir mit gemeinsamem Engagement die ­Ver­antwortung für unsere Geldanlagen ­wahr­nehmen. Wir formulieren unsere ­Vor­stellungen gegenüber den Banken und Unternehmen, weil wir eine Wirkung ­erzielen wollen, die über die bloße ­Anwendung von Kriterien hinausreicht. Wir hoffen, Verbesserungen bezüglich ethisch-nachhaltiger Unternehmensführung zu ­erreichen und wir nehmen immer wieder wahr, dass sich auch tatsächlich etwas ­bewegen lässt. Und wir hören zu. Wir ­verstehen die Zwänge der Banken und ­Finanzdienstleister besser, wenn wir uns darüber austauschen, wir artikulieren aber gleichzeitig unsere Anliegen.

Führen denn diese erwähnte Systematisierung und Bündelung sowie das gemeinsame Vorgehen dazu, dass der Einzelne nicht mehr seine Vorstellungen von Nachhaltigkeit umsetzen kann und es zu einer ­Fokussierung auf wenige Aspekte kommt?

Die Systematik führt zunächst dazu, dass ­jeder auf einem besseren Informationsstand auch zu einzelnen Facetten ist. Dafür wird Wissen verknüpft, das an unterschiedlichen Stellen vorhanden ist. Mit einem Fünftel meiner Zeit kann ich mich nicht zum Beispiel in die Lohnproblematik und in die Arbeitsbedingungen in der Textil­industrie einarbeiten. Dazu besteht beispielsweise in der Bayerischen ­Landeskirche mehr Expertise. Zudem sind Institute wie das Institut Südwind e.V. oder Brot für die Welt, mit denen wir zusammenarbeiten, auch in Entwicklungsländern vor Ort oder mit Partnerorganisationen in Entwicklungsländern eng verknüpft. Gebündelt finden sich die Nachhaltigkeitsvorstellungen im Leitfaden des AKI. ­Niemand muss sich aber an den Leitfaden exakt halten. Es ist ein Leitfaden, keine ­verbindliche Vorgabe: Jeder hat die Freiheit, manche Passagen hundertprozentig oder eben nicht zu befolgen. Kirche ist organisierte Anarchie (lacht). Aber ich sage mal so: Die meisten Landeskirchen, Versorgungswerke und ­diakonische Einrichtungen sind schon sehr gut aufgestellt. Und die beiden evangelischen Kirchen­banken KD-Bank für Kirche und ­Diakonie und die Evangelische Bank sind seit Jahren Vorreiter der Nachhaltigkeit im Finanzsektor in Deutschland.
Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich fühle mich besser informiert, aber überhaupt nicht ­eingeschränkt. Und wie wir das Kapital ­anlegen bestimmt nicht der Arbeitskreis, sondern wir hier in Braunschweig.

Was sind die Engagement-Entwicklungen?

Ich würde nicht sagen, dass Kirchen von Anfang an als besonders wichtige Gesprächs­partner wahrgenommen worden sind. Aber seit einigen Jahren hat sich viel getan. Das merkt man schon an den Vertretern der ­Unternehmen. Wenn relativ hochrangige Personen immer wieder bei diesen nicht nur schönen Gesprächen dabei sind, scheinen diese für die Unternehmen und ­Banken wichtig zu sein. Ein Mehr an Aufmerksamkeit haben wir natürlich auch durch die Bündelung unserer Interessen gewonnen, und dass wir dadurch für ein paar ­Milliarden Euro mehr sprechen. Was uns auch in der Wahrnehmung als relevanter Gesprächspartner hilft, ist, dass wir externe Unterstützung von Nachhaltigkeitsinstituten bekommen. Für Vorstände mögen wir auch eine Art Sparringspartner sein, um zu verstehen, wie sich Nachhaltigkeit weiterentwickelt.
Der Druck wird auf diesem Feld, und damit auch bezüglich Reputationsschäden, noch viel stärker werden. Stichwort: Fridays for Future. Meine beiden Söhne sind in dem ­Alter, das nehme ich durchaus sehr ernst.

Würden sich die Protestanten für Engagements mit den Katholiken verbünden, wäre die Aufmerksamkeit bestimmt noch höher. Manche Bistümer sind sehr finanzkräftig.

Es gibt bereits ökumenische Ansätze. Im Engagement-Projekt Automobilwirtschaft, wo ich auch mitarbeite, wirkt die katholische Pax-Bank mit. Dabei soll es nicht ­bleiben. Wir tauschen uns derzeit mit den katholischen Finanzdirektoren aus, um eine stärkere ökumenische Ausrichtung auszuloten. Dann würde man uns noch stärker hören. Mal sehen, ob sich hier was bewegt.

Der AKI hat 46 Mitglieder. Müssen die ­einzelnen Mitglieder denn beispielsweise Assets von VW haben, um über den CO₂-Flottenverbrauch mit VW zu diskutieren?

Das spielt keine Rolle. Wir legen vor den ­Gesprächen nicht das Volumen der Wert­papiere des Gesprächspartners auf den Tisch. Es geht um die Frage, ob es denkbar ist, diese Wertpapiere künftig zu halten. Aus den Antworten der Unternehmen zieht ­jeder seine eigenen Rückschlüsse. Bei uns Protestanten gibt es keinen Zentralismus.

Finden die Engagements denn auch Gehör?

Der Wille, nachhaltiger zu wirtschaften, ist wirklich erkennbar. Schon rein größen­bedingt kann aber nicht jede ­systemrelevante Bank in Kürze zu 100 ­Prozent nachhaltig sein. Einer Großbank ­würde ansonsten zu viel Geschäft wegbrechen und ein nennenswerter Anteil der Gesamtwirtschaft keine Re-Finanzierung mehr bekommen. In ­vielleicht zehn oder 15 Jahren könnten die 100 Prozent – sagen wir für die Deutsche Bank – möglich sein. Der Druck ist auf ­jeden Fall da. Ein kleines Spezialinstitut wie die KD-Bank, wo ich auch im Aufsichtsrat bin, ­findet dagegen jetzt schon genug Geschäfts- und Anlagemöglichkeiten im nachhaltigen Bereich. Wenn sich bei Unternehmen etwas bewegt, hat der Erfolg immer viele Väter, aber wir können uns durchaus auch ­einzelne Meilensteine zurechnen. Ein Beispiel war der Entschluss eines Textilherstellers, sich aufgrund des AKI-­Engagements der Brancheninitiative „ACT“ ­anzuschließen, die sich ausschließlich mit dem Thema Existenzlöhne beschäftigt.

Wie sinnvoll sind denn Gespräche mit ­niedrigeren Hierarchien?

Dort sitzen die Nachhaltigkeitsexperten. Mag sein, dass deren Aufgabe auch darin besteht, uns zu beruhigen. Die Nachhaltigkeitsexperten brauchen uns aber auch, um in das Unternehmen hinein etwas zu ­bewirken. Dort treffen sie nämlich auf ­einige Widerstände. Insofern machen Engagements auch unterhalb der ­Vorstandsebene viel Sinn.

Sie sind bei den Engagements bei Banken und Automotives dabei. Wo läuft es besser?

Bei den Banken sind wir bereits in den ­Folgegesprächen und Fortschritte sind erkennbar. Aber wir sind neben sehr ­positiven auch mit einigen frustrierenden ­Erfahrungen gestartet. Jetzt bekommen wir immer mehr Antworten. Für die weiteren ­Folgegespräche bin ich sehr zuversichtlich.
Bei den Autoherstellern und -zulieferern starten wir gerade in die zweite Gesprächsrunde. Wir sprechen mit den Herstellern Daimler, BMW und Volkswagen und den Zulieferern Continental und BASF über ökologische und menschenrechtliche Risiken in der Wertschöpfungskette der Automobilindustrie am Beispiel von Lithium, Platin und Kautschuk. Hier können wir auf die hervorragende Expertise von Brot für die Welt und dem Institut Südwind zurück­greifen. Beim zweiten Gespräch mit einem der Hersteller sitzen auch die Einkaufs­abteilungen für die Rohstoffe mit am Tisch und wir können also unsere Anliegen direkt dort anbringen, wo die entsprechenden ­Entscheidungen im Unternehmen fallen. Was schon erkennbar ist, ist, dass die ­Unternehmenskulturen innerhalb dieses Sektors sehr unterschiedlich sind.
Die Nachhaltigkeitsexperten in diesem ­Sektor reagieren auf unser Engagement durchweg positiv, da wir ähnliche ­Interessen haben: Wir wollen ökologische und mensch­enrechtliche Anliegen positionieren, die Nachhaltigkeitsexperten wollen dies nach innen gegen Widerstände in ihren Unternehmen durchsetzen und nach außen die Reputationsrisiken minimieren: Das kann durchaus eine „win-win“-Situation sein.
Da wir als Anleger auftreten, sind zusätzlich auch die Investor-Relations-Abteilungen ­beteiligt, so dass unsere Themen auch über diesen Kanal ins Unternehmen gelangen.

Wäre es nicht effizienter, statt der ­persönlichen Engagements einen Ihrer ­Asset Manager vorzuschicken?

Das ist nicht unser Ziel. Auch wenn unsere Ressourcen beschränkt sind und wir uns nur ein paar Themen rausgreifen können: Unsere Werte vermitteln wir den auf dem jeweiligen Feld relevanten Unternehmen besser im direkten Gespräch.
Wir brauchen aber die Expertise der Asset Manager, um die Unternehmen besser zu verstehen. Von Asset Managern lassen wir unsere Positionen auch auf den Hauptversammlungen vertreten.

Sehen Sie einen Interessenskonflikt darin, dass die Kirche beispielsweise auf
auskömmliche Löhne pocht, der Asset Manager beim Unternehmen aber ­möglichst hohe Renditen sehen will?

Zumindest kann ein Asset Manager ein ­solches Thema nicht mit der gleichen Wucht oder Glaubwürdigkeit vertreten wie wir. Dass zum Beispiel vom Verkaufserlös eines Fußballtrikots nicht einmal ein Zehntel im Herstellungsland ankommt, ist aus meiner Sicht skandalös. Ein Asset Manager hat hier einen anderen Blickwinkel.
Konflikte gibt es aber auch bei ökologischen Themen. Wasserkraft ist unter CO₂-­Gesichtspunkten sehr attraktiv. Wasserkraft hat aber unter Umständen aufgrund der technischen Anordnung als sogenanntes „Querbauwerk“ negative Auswirkungen auf Fischbestände. Da müssen dann technische Lösungen wie zum Beispiel Fischtreppen oder ähnliches gefunden werden.

Sind für Sie Engagements bei ­Schwellenländer-Staaten vorstellbar?

Dafür mangelt es uns als Landeskirche in Braunschweig an Relevanz und auch an dem nötigen Überblick. Allgemein ­scheinen mir Engagements in diese Richtung – ­zumindest bislang – nicht von größerer ­Bedeutung zu sein.
Bei Investments in Emerging Markets sind für uns auch Entwicklungsgesichtspunkte wichtig. Darauf achten wir bei Mikrofinanz-Anlagen. Investiert sind wir auch in einen Fonds der Evangelischen Bank, der für ­Infrastruktur-Investments in den Emerging Markets mit der Deutschen Entwicklungsgesellschalft (DEG) kooperiert. Entwicklungspolitik und Nachhaltigkeit über ­beispielsweise Investments in Erneuerbare Energien zusammenzuführen, ist für uns sehr interessant.

Ergeben sich aus den Dialogen auch ­Anregungen für das eigene Haus?

Das ist nicht abwegig. Bei vielen Governance-Themen lernt man aber eher, wie man es nicht macht. Bezüglich von Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen tut sich in den Kirchen auch so relativ viel. Wir haben auch Druck, uns hier weiter zu entwickeln.
Ich profitiere stark von unseren Gremien. In diesen bringen sich Ehrenamtliche ein, die aus verschiedenen Bereichen von ­Gesellschaft und Wirtschaft kommen. ­Deren Impulse zum wirtschaftlichen ­Umgang mit den uns anvertrauten Mitteln helfen uns sehr – und auch mehr als die ­Engagement-Arbeit.

Den größten Einfluss auf Unternehmen ­haben normalerweise nicht Aktionäre, ­sondern Private-Equity-Investoren.

Richtig. Aber wir sind keine Unternehmer und diese Asset-Klasse ist für uns zu groß und zu anspruchsvoll.
Private Equity mag gute Renditen ­generieren. Wir müssten uns dann aber auch viel intensiver mit ­Kapitalbeteiligungen auseinandersetzen. Wenn man sich aber nur noch mit Finanzthemen beschäftigt oder quasi unternehmerisch tätig wird, ist die Gefahr relativ groß, dass man den ­Kontakt zu Menschen verliert, die aus dem System gefallen sind, unwürdig leben oder sonst benachteiligt sind. An diesen ­Menschen sind Pfarrerinnen, Kindergärtnerinnen oder Jugenddiakone viel näher dran. Das ist auch unser Auftrag als Kirche. Es ist gut, wenn sich auch die kirchlichen ­Finanzer immer wieder zurückbesinnen, worauf es eigentlich wirklich ankommt.
Damit ich nicht zu viel Abstand habe, bin ich deshalb auch in der Diakonie tätig, wo es um konkrete Hilfe für Benachteiligte geht. Private Equity und Armut sind, so ­gesehen, zwei Enden einer Skala. Letztlich ist für uns als Kirche die Wahl klar: wir müssen uns um die Benachteiligten kümmern.

Haben sich die Engagements auch schon auf Anlageentscheidungen ausgewirkt?

Ja. Wir als Landeskirche in Braunschweig haben uns zum Beispiel dafür entschieden, nicht in Wertpapiere einer bestimmten Bank zu investieren. Diese hat uns und ­unsere Anliegen nicht ernst genommen. Mit denen möchte ich nicht zusammenarbeiten. Bei einer anderen Bank kam es zu einem Divestment. Auf Grund der ­Engagement-Erfahrungen mit diesem Haus könnte ich mir heute aber einen Wieder­einstieg vorstellen.

Sind denn für Sie als Finanzdezernent einer Kirche auch Gleichnisse eine Inspiration und erinnert Sie vielleicht diese Bank an das Gleichnis von der verlorenen Drachme? Diese wird nach langer Suche wiederge­funden und die Freude der Finderin wird mit der Freude der Engel über einen ­umgekehrten Sünder verglichen.

Als Schwabe spricht mich dieses Gleichnis natürlich besonders an (lacht). Es gibt Gleichnisse, die mich als ­Finanzdezernenten und als Mensch beschäftigen. Dazu gehört zum Beispiel auch das Gleichnis von den anvertrauten Talenten.
Für manche ist Geld und Mammon eins. Dieses Gleichnis lehrt aber, dass Geld nichts Verwerfliches ist und dass man mit vom Herrn anvertrauten Geld etwas zu machen hat. Schließlich müssen wir sicherstellen, dass die Verkündigung des Evangeliums funktioniert – und zwar über Generationen und Jahrhunderte hinweg.

Womit wir wieder beim Thema ­Nachhaltigkeit angelangt wären …

Richtig. Um die Verkündigung zu finanzieren, um Vorsorge für ­kommende Lasten zu treffen und um ­Armut und Benachteiligung in der Gesellschaft zu reduzieren, müssen wir seit Hunderten von Jahren mit unseren Finanzmitteln bewusst umgehen. Wir ­haben aber auch gezeigt, dass wir das durchaus ­können.

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