Experteninterview
27. Juli 2021

Nachhaltige Indizes: ESG-Indizes adressieren materielle Risiken

Passive Investments sind bei Investoren gefragt, noch mehr aber nachhaltige Anlagen – kein Wunder also, dass das Interesse für nachhaltige ETFs besonders groß ist. Hier wiederum ist insbesondere Thema ‚Klima‘ für Investoren interessant. Für die Marktentwicklung spricht, dass die Kunden aus einem immer granulareren Angebot auswählen können. So hängen beispielsweise der Tracking Error und die ESG-Intensität stark von der Anlegergruppe ab. Diesen Trend und diese Aspekte diskutieren Victoria Arnold von Blackrock und Guido Giese von MSCI im Experteninterview.

Frau Arnold, die ETF-Branche boomt. Welche Segmente treiben die Nachfrage besonders an?

Victoria Arnold: Sehr gefragt sind – vor ­allem wegen ihrer Liquidität – verstärkt Fixed-Income-ETFs. Getrieben wird das Wachstum aber auch dadurch, dass die ­Exposures granularer werden: Mehr und mehr setzen die Investoren bestimmte Sektoren und Faktoren aktiv um. Der Trend geht zur aktiven Wahl von Subkategorien.
Diese Entwicklung gilt auch für die ­nachhaltigen Angebote. Seit 2017 ist in der Region EMEA das Volumen von nach­haltigen ETFs um 140 Prozent gestiegen, wobei auch hier die Anleihefonds aufholen und das Vorgehen granularer wird. ­Besonders gefragt sind beispielsweise ­nachhaltige Angebote, die Themen wie ­erneuerbare Energien umsetzen oder ­Strategien, die in sogenannte Klassenbeste investieren.

Geht das Wachstum der nachhaltigen zulasten der klassischen ETFs?

Arnold: 26 Prozent unserer Nettomittel­zuflüsse von Selbstentscheidern in Deutschland über Online-Banken und Broker im ersten Quartal flossen in nachhaltige ­iShares ETFs, im Vergleich zu nur zwölf ­Prozent für das Gesamtjahr 2020.
Dieser Shift hat etwa Ende 2018 begonnen und sich dann deutlich verstärkt. Ursächlich sind Regulierung und aber auch das ­gewachsene Angebot.

Welche Trends sieht man beim globalen Index-Provider MSCI, Herr Giese?

Guido Giese: Auch wir haben in den vergangenen drei, vier Jahren einen massiven ­Anstieg der Nachfrage nach ESG-Indizes und -ETFs gesehen. Die Volumina sind ­nahezu exponentiell angestiegen.

Warum?

Giese: Man hat erkannt, dass ESG kein ethisch-moralisches Thema ist, bei dem man Performance liegenlässt. Bei MSCI ­haben wir ESG immer als Risikothema ­gesehen. Nachhaltigkeit adressiert mater­i­elle, finanzielle Risiken. Das hat sich in der COVID-Krise bestätigt. Im Crash haben die ESG-Produkte und -Indizes deutlich outperformt – und zwar auch, wenn man den ­Einfluss von bestimmten Sektoren oder Faktoren wie Quality rausrechnet. Unternehmen mit guter Corporate Governance, die soziale Risiken gut managen und auf die Umwelt achten, performen in schwierigen Marktsituationen besser. 2020 war der Lackmustest für unser Research, das wir hierzu schon vorher publiziert haben.

Warum bot in den vergangenen Krisen Low Volatility Schutz, nicht aber in Q1/2020?

Giese: Grundsätzlich trägt Low Volatility zur Risikoreduktion bei. Darum ist Low Vol mit ESG auch leicht positiv korreliert. Portfolios mit hohen ESG-Ratings haben also automatisch einen Tilt zu Low Volatility.
Der Unterschied liegt in der Marktsituation. Im Fall von normalen Marktschwankungen trägt Low Volatility mehr zur Risikoreduk­tion bei, bei extremen Tail-Risiken bietet ­jedoch ESG mehr Schutz. Dabei gilt: je ­stärker der Drawdown, desto größer der Mehrwert von ESG. Dieses Tail-Risiko­argument haben wir im Journal of Portfolio Management auch quantifiziert.
Arnold: Daran lässt sich die erwähnte ­Bewusstseinsveränderung erkennen. Anleger verbinden mit guten ESG-Ratings nicht mehr nur einen ethisch-moralischen ­Aspekt, sondern auch ökonomische nachhaltige Unternehmen. Diese sind in Krisen besonders gefragt.

MSCI offeriert diverse ESG-Indizes. Werden diese unterschiedlich nachgefragt?

Giese: ‚Klima‘ ist in den vergangenen ­Monaten auf die Überholspur gegangen. Mittlerweile hat eben jeder erkannt, dass der Klimawandel das wohl größte Risiko für unseren Planeten, für die Wirtschaft und unseren Wohlstand ist. Die Nachfrage nach Investmentlösungen nahm hier sehr stark zu. Das betrifft Klimarisiko-Indikatoren, Klimarisiko-Indizes, Klimarisiko-Reporting, Klimarisiko-Stresstest-Tools.
Bei MSCI haben wir nun auch über 50 ­Kollegen, die sich in Vollzeit nur mit Klima­fragen und deren Abbildung im Portfolio beschäftigen. Und auch was meine Person betrifft: Wenn ich in den vergangenen drei Monaten mit Kunden gesprochen habe, war fast ausschließlich das Klima das Thema.

Welche Kundengruppe interessiert sich denn für welche ESG-Ausprägung?

Arnold: Asset Owner haben Verpflichtungen zu erfüllen, und für deren Abdeckung werden strategische Asset-Allokationen ­berechnet. Zudem müssen sich in den ­Allokationen aber auch die nachhaltigen Firmenziele des eigenen Hauses wider­spiegeln. Hier spielt die Dekarbonisierung eine wichtige Rolle. Dagegen ist im Wealth-Segment vor allem der Nachhaltigkeitswunsch des Kunden von Relevanz. Dann ist aus dem Universum – auch wegen der ­Offenlegungsverordnung – vor allem das obere, sogenannte klassenbeste Viertel ­gefragt. Die im institutionellen Segment ­bestehenden ­Beschränkungen führen dagegen eher zu den breiteren ESG-Ansätzen.
Eine Rolle spielt in Europa aber auch der Standort. Die verschiedenen Staaten haben auch verschiedene ESG-Ausprägungen.
Die niedrigste ESG-Ausprägung weisen ­oftmals Indizes auf, die nur kontroverse ­Geschäftsaktivitäten ausschließen. Andere Ansätze zielen neben Ausschlüssen auf ein besseres ESG-Rating ab und können so ­Unternehmen etwas über- oder untergewichten. Hier werden oftmals breite Universen mit einem beschränkten Tracking Error abgebildet. Dafür interessieren sich primär institutionelle Anleger.
Zu einem höheren Tracking Error kommt es typischerweise bei den sogenannten SRI-Strategien. Diese haben mehrheitlich sehr starke ­Ausschlusskriterien sowie einen Best-in-Class-Ansatz und ­werden vor allem vom Wealth-Segment nachgefragt.
Noch strikter sind Themen- und dann Impact-Investments. Impacts sind die stärkste Form der Nachhaltigkeit. Neu sind sogenannte ­Transition-Strategien. Mit diesen lässt sich die Netto-Null-Wirtschaft im ­Indexformat anstreben. Sie basieren auf den ­Klimazielen des Regulators.
Giese: Versicherer und Pensionskassen schätzen bei ESG-Investments einen eher geringen Tracking Error. Man will nachhaltig investieren, aber nicht zu weit weg von der Benchmark sein. Im Wealth-Segment ist dagegen der SRI-Index sehr gefragt, der das obere ESG-Viertel abdeckt.

Grund für die Benchmark-Orientierung dürfte sein, effizient hedgen zu können?

Arnold: Die Hedge-Möglichkeiten sind für Institutionelle definitiv ein Thema. Die ESG-Umsetzung ist immer auch eine Frage der Hedge-Möglichkeit. Zumindest Stand heute gibt es nicht zu allen ESG-Indizes ­Futures, und die Liquidität ist auch noch nicht dieselbe.
Giese: Am Markt stehen vor allem Futures für ESG-Indizes zur Verfügung, die institutionelle Kunden besonders stark nach­fragen. Das überrascht nicht, da die Future-Anbieter auch Volumen sehen wollen, um auf ihre Kosten zu kommen.

Staaten und Unternehmen setzen sich große Nachhaltigkeitsziele für 2030 oder 2050. Nachhaltigkeitsindizes basieren doch aber auf Daten der Vergangenheit. Das ist ein Widerspruch.

Giese: Vor zehn, 15 Jahren war dem so. Als ich 2008 begonnen habe, mit ESG-Daten zu arbeiten, stammten diese von Frage­bögen. In diesen gaben Unternehmen Selbstauskunft zu ihren grünen Ambitionen. Das war State of the Art – hat aber ­wenig überraschend für Rendite-Risiko-­Betrachtungen wenig gebracht.
Heute ist ein Großteil unserer Risiko­analysen nach vorne gerichtet. Unser ESG-Ratingmodell, in das wir enorm viel Geld investiert haben, beschäftigt sich damit, wie ESG-Risiken in der Zukunft die Earnings und Assets eines Unternehmens beein­flussen. Das Fintech-Unternehmen Carbon Delta, das wir 2019 gekauft haben, macht Big-Data-Analysen zu Umweltrisiken. Carbon Delta kennt von 10.000 Unternehmen die Produktionsstandorte – und von diesen wiederum die Umweltrisiken und deren Entwicklung in den vergangenen 30 Jahren. Mit diesen Daten können wir dann zum Beispiel das Überschwemmungsrisiko von Unternehmen X oder das Hurrikan-Risiko von Unternehmen Y im Jahr 2030 ermitteln. Ableiten lassen sich aus diesem Modell auch die zu erwartenden Verluste von Ver­sicherungen, da nicht nur die Schadens­frequenz, sondern auch die jeweilige Schadenshöhe berücksichtigt wird.
Unser Modell hat sich also sehr stark ver­ändert. Der technologische Fortschritt in den vergangenen 13 Jahren ist absoluter Wahnsinn!

Geht Big Data auch für das ‚S‘ in ESG?

Giese: Nachhaltigkeit hat für uns zwei ­Dimensionen. Einmal achtet unser ESG-­Ratingmodell darauf, wie ein Unternehmen seine Risiken managt. Das sind unter ­anderem Risiken wie Datensicherheit, Mitarbeiterschutz oder Korruption. Bei diesen Themen sind wir möglichst quantitativ. Wir wollen eine Zahl haben und diese in unser Ratingmodell eingeben. Darum fokussiert unser Modell auf 36 Indikatoren. Andere Anbieter kommen auf 600.
Zweitens fragen wir: Ist die Firma gut für die Gesellschaft? Hier ermitteln wir ‚Soft­indikatoren‘, also Indikatoren, die nicht als Risikokennzahl darstellbar sind, für ein ­Impact-Rating. Das zielt auf die 17 Sustain­able Development Goals ab. ESG-Rating und Impact-Rating sind bei uns also zwei verschiedene Dimensionen.

Hilft Big Data auch bei Small Caps und um die Zulieferer abzudecken?

Giese: Ganz wichtig sind die Produktions­standorte. Der Standort ist entscheidend für die Exponierung zu Klima- oder auch zu Korruptions- oder Streikrisiken. Diese ­Risiken sind unabhängig von der Unternehmensgröße.
Aber eine Fabrik kann auch in Bangladesch stabil gebaut sein und sichere
Arbeitsplätze haben.
Giese: Wir beachten das Risiko-Exposure und aber auch das Risikomanagement. Wir achten auf das Budget für Sicherheitsmanagement, wir achten darauf, wie oft es zu Unfällen kommt.

Europäische Best-in-Class-Ansätze haben in den Top Ten in der Regel Aktien von Total. Kann man da noch von einem nachhaltigen Index sprechen?

Giese: Die Investoren wollen benchmark-nah in die Wirtschaft investiert sein. Es macht also keinen Sinn, ganze Sektoren auszuschließen. Es wäre auch unter ­Klimaaspekten falsch, Ölfirmen auszuschließen, denn diese brauchen das Kapital für die grüne Transition. Gerade in den ­carbonintensiven Sektoren waren die ­Renditeunterschiede zwischen den Unternehmen mit hohem und niedrigem ESG-Rating sehr groß.
Arnold: Wenn man Unternehmen ausschließt, beendet man auch den Dialog und schließt damit die Möglichkeit für ­Engagements und die Ausübung von Stimmrechten aus.

Als ETF-Anbieter kann man Engagements machen. Es fehlt aber das ultimative Druckmittel der Desinvestition, da man den Index abbilden muss.

Arnold: Stewardship wird immer wichtiger. Unsere Investment-Stewardship-Prinzipien sind für jedermann auf unserer Internetseite zugänglich und dadurch sehr transparent. Zudem veröffentlichen wir quartalsweise Berichte zu unserem Engagement als verantwortlicher Investor, zu unseren Prioritäten und zu unserem Abstimmungsverhalten auf Generalversammlungen. Wir sind von Natur aus ein sehr langfristig orientierter Investor, nicht zuletzt aufgrund unserer umfangreichen Index-Investments: Solange ein Unternehmen in einem Index vertreten ist, werden wir dort investiert sein. Aus diesem Grund sind viele Unternehmen auch geneigt, mit uns einen kontinuierlichen Dialog zu führen, da sie wissen, dass unser Engagement bei ihnen langfristig angelegt ist.
Gerade mit Unternehmen, die sehr viel CO₂ ausstoßen, haben wir den Austausch intensiviert. Und wenn diese Firmen nicht ­darlegen können, wie sie den notwendigen Wandel gestalten wollen, dann stimmen wir auf der Hauptversammlung auch gegen das Management ab. Unser Schwerpunkt auf Klimarisiken zeigt sich in unserem Abstimmungsverhalten. Unser Investment Stewardship stimmte alleine im ersten Quartal gegen 53 Aufsichtsräte und 47 Unternehmen aufgrund von Bedenken bezüglich des Klimarisikomanagements.

Neu sind Impact-ETFs für zum Beispiel Gender Equality oder Kreislaufwirtschaft. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Rendite durch die Frauen- oder die Recyclingquote bestimmt wird.

Arnold: BlackRock ist ein treuhänderischer Asset Manager, Risiko-Rendite-Aspekte sind uns also sehr wichtig. Wenn man ein Thema wie Gender Equality abbilden will, dann darf die Frauenquote auch nur ein ­Kriterium von vielen anderen sein.
Wichtig zu verstehen ist bei sozialen ­Themen auch, dass nicht nur die Messbarkeit kritisch ist, sondern auch der Zeit­horizont. Wenn man heute in die Bildung eines Landes investiert, dann hat man – anders als bei einem Hurrikan – nicht morgen ein Ergebnis.
Giese: Bei Themen wie Gender ­Diversity oder auch Robotics hält der Anleger sehr konzentrierte Portfolios. Im Vergleich zum Markt ist die Titelanzahl gering. ­Automatisch fährt der Anleger dann hohe Industrie- und aber auch Länderrisken. Bei Gender ­Diversity ist man dann stark in ­Skandinavien investiert, und die Rendite hängt von den nordischen Aktienmärkten ab. Bei Robotics habe ich ein Übergewicht in Japan und ­Taiwan. Der Anleger muss in der Lage sein, diese Risiken zu inter­pretieren.
Typischerweise geht es Investoren bei ­einem Gender-Diversity-Produkt eben auch um eine Signalfunktion. Man will zeigen, dass einem ein Thema wichtig ist. Es ­können aber auch ökonomische Gründe sein. Der Government Pension Investment Fund von Japan hat 2020 in Gender ­Equality investiert. Pensionen finanzieren sich eben leichter, wenn mehr Frauen arbeiten und in den Pensionsfonds einzahlen.

Wie unterscheiden sich denn Indexanbieter?

Arnold: Wir arbeiten mit unterschiedlichen Index- und ESG-Datenanbietern ­zusammen. Wichtig ist natürlich, dass der ­Anbieter die von uns benötigten Märkte mit seinem Research abdeckt. Jede Asset-Klasse hat aber auch unterschiedliche Herausforder­ungen, auf diese sich wiederum unterschiedliche Anbieter spezialisiert haben.
Speziell mit MSCI arbeiten wir vor allem bei Aktien und Unternehmensanleihen eng zusammen, weil es sich um finanziell materielle Ratings handelt. MSCI achtet auf die finanzielle Materialität der Risiken eines Unternehmens – das ist uns wichtig, da wir als Treuhänder unserer Kunden deren ­Gelder erhalten wollen.

Für ETFs sprechen auch die Kosten. Aber: Der iShares Core MSCI Europe kostet zwölf Basispunkte und das SRI-Pendant 20 Basispunkte. Das sind immerhin fast 70 Prozent mehr.

Arnold: Das ESG-Research kostet eben auch. Wie bei den klassischen Indizes sinken aber auch mit steigendem Volumen die Kosten für die nachhaltigen ETFs. Vor zwei Jahren waren die Kosten höher als heute. Die ­hohen Mittelzuflüsse führen zu einer weiteren Fixkostendegression, sodass es weitere Preisanpassungen geben kann.
Giese: Bei uns beschäftigen sich etwa 400 Mitarbeiter nur mit Nachhaltigkeit.
Arnold: Aus Anlegersicht haben sich die Mehrkosten aber bezahlt gemacht. Wie eingangs erwähnt, haben viele ESG-Indizes ­eine deutlich bessere Performance als die ­Standard-Benchmarks geliefert.

iShares verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung und bietet ein weltweites Angebot von mehr als 900 börsengehandelten Indexfonds (auf Englisch: ­Exchange Traded Funds, ETFs). Die Fonds von ­iShares profitieren von der Portfolio- und Risikomanagement-­Expertise des Vermögensverwalters BlackRock. iShares hat 2,81 Billionen US-Dollar verwaltetes Vermögen zum Stichtag 31. März 2021 (Auf Basis von 9,01 Billionen US-Dollar verwaltetem Vermögen von BlackRock zum 31. März 2021). Mehr erfahren auf ishares.de

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