Banken
29. Februar 2016

Neues vom Bembelboy: Denkschrift für den Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Rating-Unmündigkeit

Unsere Hörigkeit gegenüber Computerergebnissen wurde durch den VW-Abgas-Skandal auf drastische Weise sichtbar. Hörig sind auch Heerscharen von Portfoliomanagern gegenüber Rating-Agenturen und der „Legal Opinion“ von Wirtschaftskanzleien.

„Bembelboy“ ist ehemaliger Sales-Trader einer großen Bank. Für portfolio institutionell blickt er als Undercover-Agent und Kommentator hinter die Kulissen.
Der Skandal um VW und dessen Vorstandssprecher & Entwicklungschef Martin Winterkorn ist ein Image-Schaden, dessen Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind – vor allem nicht auf die vielen deutschen „Made-in-Germany“-Exportunternehmen. Gerade das Automobil und seine technische Weiterentwicklung sind ein gutes Beispiel für Selbstentmündigung. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kann uns das Auto mittels Autopilot von A nach B bringen, selbstständig parken, Abstand halten, bremsen, beschleunigen oder ausweichen. Unser Einsatz als Fahrzeughalter beschränkt sich dann auf das Zahlen der KFZ-Steuer und das Tanken – denn zum Werkstatt-Service fährt das Auto dann ohne uns. 
Wer will das? Ich fahre gerne Auto und war erst neulich auf einem sogenannten Drift-Training, damit ich mein Fahrzeug noch besser beherrsche. Obwohl ich die Stabilitäts-Kontrolle ausgeschaltet hatte, war es mir kaum möglich, das Auto dauerhaft zum Driften (Rennfahrerlegende Walter Röhrl definiert: „Etwas Instabiles stabil halten“) zu bringen. Warum? Weil in meinem Auto einfach zu viel Technik eingebaut ist, zum Beispiel eine „Niveauregulierung“ und eine Aktivlenkung, die das verhindert. Will man vernünftig driften, kauft man sich am besten einen alten 325er BMW aus den 90ern mit ABS, das reicht an Technik. Ich jedenfalls habe mich irgendwie entmündigt gefühlt – und wenn erst der Autopilot an Bord kommt, ist es ganz vorbei mit der Freude am Fahren. 
Sobald die KFZ-Versicherung bei Nutzung des Autopiloten nur noch die Hälfte kostet, fährt doch wohl kaum noch einer selbst – viel zu riskant. Und wenn es einen Unfall gibt, war die Software schuld beziehungsweise der Hersteller, auch wenn das kein Trost sein wird bei Unfällen mit Todesfolge. Diese Abhängigkeit von Computern und der auf ihnen eingesetzten Software wird unserer Gesellschaft auf Dauer nicht gut tun, da wir vieles verlernen und vergessen werden, warum etwas so und nicht anders gemacht werden muss. 
Diese Selbstentmündigung führt leider dazu, dass keiner mehr Verantwortung übernehmen muss. Das ist und war vor allem bei den Rating-Agenturen zu beobachten. Spätestens seit der Euro-Krise wurde auch der Öffentlichkeit klar, welche Macht solche Agenturen besitzen, wenn sie ganze Länder „raten“, da sich das unmittelbar auf deren Refinanzierungsmöglichkeiten auswirkt. Das Geniale an diesem Geschäftsmodell ist, das die Rating-Aenturen bei Fehleinschätzungen nicht haftbar gemacht werden können. 
Die Legitimation für dieses Vorgehen sind die wissenschaftlichen Methoden und die von „Quants“ entwickelten hochkomplexen Computermodelle. Wenn der Markt aber von Hormonen bestimmt wird, also wenn Gier oder Panik die Treiber sind, dann funktionieren diese Modelle nicht mehr. Genau das haben wir aber leider seit 1987 immer wieder gesehen (1994 anhand der Bondkrise, 2000 bis 2002 am Neuen Markt, 2008 dann bei Lehman). Das ist meiner Einschätzung nach der Beleg dafür, dass es keine Legitimation ohne Verantwortung geben sollte. Anscheinend besteht ein großer Bedarf an Ratings. Wie sonst wären der Erfolg und die Positionierung der Rating-Agenturen sonst zu verstehen? 
Ich denke, also bin ich 
Wenn ein Fondmanager ein Wertpapier kauft beziehungsweise eine Investition mit den Geldern seiner Kunden tätigt, muss er dieses vorher prüfen. Das ist natürlich richtig so. Zum Glück für die Fondmanager gibt es diese Rating-Agenturen, sonst müsste er sich selbst die Arbeit machen. Läuft dann etwas schief, müsste er sich rechtfertigen, wie er zu dieser oder jener Einschätzung gekommen ist. Nicht jeder Fondmanager hat ein eigenes wissenschaftliches Modell und auch nicht die Kompetenz dafür, eine solche Prüfung wie eine Rating-Agentur vorzunehmen – aber vor allem nicht die nötige Zeit. Denn manche Kaufentscheidungen entstehen aus der Situation heraus, und es könnte gar in einer Woche zu spät sein, noch einzusteigen. Die Lösung ist eben die Selbstentmündigung, indem wir eine Konvention herstellen, dass die Prüfung durch eine Rating-Agentur ausreichend ist. 
Nach meiner Erfahrung ist nur einer von zehn Fondmanagern wirklich gut, was wohl größtenteils durch das Herdenverhalten bedingt ist. Mir wurden teilweise von diesen Leuten beim Handeln Fragen gestellt, bei denen ich fast vom Glauben abgefallen bin. Für mich als Kunde ist die Leistung des Managers maßgeblich. Und da ist es mir egal, ob das Staatspapier BBB+ geratet war, wenn es hinterher massiv kracht. Er hat gekauft. Deshalb trägt er die Verantwortung für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg. Sein Problem ist nun, dass er die Agentur für eine krasse Fehleinschätzung (für mich wäre das zum Beispiel, wenn ein Land eine Woche vorher noch im A-Bereich war und später als „Junk“ eingestuft wird) nicht für seinen Schaden haftbar machen kann. 
Machen wir diese Agenturen aber haftbar, schaffen wir sie damit über kurz oder lang quasi ab. Das wird schwer, wenn die Praxis sie „braucht“. Außerdem würde das den Handel zurück ins Steinzeitalter noch vor die 1980er werfen. Das wäre eine Verabschiedung von unserer ertragreichen Wirtschaftsordnung. Durch die Globalisierung können wir diese „Massen“ (an Informationen, Gütern und Geld) wahrscheinlich nur noch über die Selbstentmündigung bewältigen. Andernfalls müssten wir uns in Verzicht üben – und auch wenn dieser uns frei macht, will das aber keiner wirklich. Die Zeche sollen die Generationen nach uns zahlen. 
Schauen wir dann noch in unseren beruflichen Vorgarten, erkennen wir auch hier das Beispiel der zunehmenden Selbstentmündigung. Als ich Anfang der 1990er angefangen habe in einer Bank zu arbeiten, musste man noch mit der Hand etwas berechnen können (Zinsstaffel, Garantieprodukt, Barwert oder Reverse Convertibles beziehungsweise Aktienanleihen). Gerade Banken sind aufgrund ihres virtuellen Geschäfts für die „Digitalisierung“ ihrer Industrie prädestiniert. Die Computerisierung ist gerade in dieser Branche wahrscheinlich mit am weitesten ausgeprägt, so dass die meisten Dinge nun im Computer „abgebildet“ sind. 
Mitarbeiter mit Fachwissen werden damit kaum noch gebraucht und sukzessive durch jungen und damit oft idealistischen Nachwuchs ersetzt, der nur diese Applikation oder neudeutsch „App“, bedienen können muss. Er muss nicht wirklich verstehen, warum und wieso das so läuft. Die Digitalisierung von Vorgängen mündet dann in den sogenannten „Standardoptimierungsprozess“, wodurch der Personalbedarf zusätzlich reduziert wird. Früher hieß das „Lean Management“ oder Restrukturierung, ist aber vom Ergebnis her das Gleiche. Manchmal frage ich mich, was meine beiden Kinder beruflich machen sollen, wenn doch der Computer alles macht. Und wie erfüllend kann dann eine Arbeit sein, wenn der Computer mir alles vorgibt und ich nur noch als „Operator“ (jemand, der nur Daten eingibt, wie die Adresse eines Kunden) fungiere? Der durch die Digitalisierung hervorgerufene Abbau der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wird unsere Gesellschaft und unseren Bundeshaushalt massiv belasten. 
Eine Idee wäre die Einführung einer Art „Maschinensteuer“, mit der der Abbau von Arbeitsplätzen seitens der Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig gesehen, kompensiert wird. Das Ersetzen von Menschen durch Computer führt zum Transfer von Löhnen in Gewinne. Diese Idee ist aus den 1970ern. Sie scheiterte unter anderem daran, dass die Automatisierung eben in Summe nicht Jobs vernichtet hat. Doch heute sind wir mit der kommenden Digitalisierung einen Quantensprung weiter, so dass die Maschinensteuer kein Nullsummenspiel wäre, wie es damals „geratet“ wurde. Schade, dass es keine Rating-Agentur für Steuersysteme gibt, welche uns sagt, dass die Maschinensteuer im Informationszeitalter der richtige Weg ist – gerne auch ganz ohne Verantwortung, falls es schief geht. 
Anmerkung: Falls Unternehmensberater enttäuscht sind, dass ich sie nicht ebenfalls zum Gegenstand der Selbstentmündigung inklusive Verschiebung der Verantwortung für ihre Auftraggeber gemacht habe, dann ist das nur aufgrund der knapp bemessenen Wörteranzahl erfolgt. Verdient hätten sie es! 
portfolio institutionell newsflash 29.02.2016
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