Traditionelle Anlagen
30. November 2022

Nie war Value so wertvoll wie heute

Berichte über den Tod von Value sind möglicherweise stark übertrieben. Nach jahrelanger Underperformance sendete die Faktorprämie wieder Lebenszeichen. Value-Experten prophezeien Value eine Wiederauferstehung – und haben dafür auch gute Argumente.

Annus horribilis für Aktien und Anleihen: Dieses Jahr sind die beiden liquiden Asset-Klassen tief abgetaucht. Oberwasser haben jedoch – zumindest argumentativ – Aktienmanager, die für den Anlagestil Value stehen. Denn Value-Protagonisten können in diesen Wochen verschiedene Statistiken anführen, die eine deutliche Unterbewertung anzeigen. So verweisen die Value-Spezialisten von Pzena Investment Management darauf, dass in den USA Ende September günstige Aktien mit einer P/E-Ratio von 4,6 gehandelt wurden. „Dieser Wert ist historisch niedrig“, kommentiert Fondsmanager Miklos Vasarhelyi. Dieses KGV liegt nicht nur deutlich unter dem langfristigen Wert von 7,9, sondern sogar sehr deutlich unter dem Wert von 50,4 für teure Aktien. Letztere erscheinen zudem mit Blick auf das langjährige KGV von 36 als überteuert.

Diese Daten zeigen deutlich, dass die langjährige Hausse an Value-Aktien vorbeiging. Dies gilt, wie Vasarhelyi anmerkt, insbesonderefür Europa. Pzena hat 42 Milliarden Dollar an AuM und ist ein typischer Deep-Value-Vertreter. Vasarhelyi: „Wir kaufen im günstigsten Quintile und verkaufen im mittleren Bewertungs-Quintile.“ Trotz dieser Ausrichtung war Pzena aber recht erfolgreich. Zum Beispiel lief die Europastrategie über zehn Jahre nach Kosten doppelt so gut wie der Value-Index und liegt mit dem MSCI Europe gleichauf. Jörg Ahlheid, Leiter Vertrieb Deutschland, verweist zur Performance-Begründung auf den bottom-up Stock-Picker-Ansatz, der in konzentrierte Portfolios mit hohem Active Share mündet.

Von einer „extremen Bewertungsspanne“ zwischen Substanz- und Wachstumswerten sprach auch Dr. Josef Lakonishok, Gründungspartner, CEO und CIO von LSV Asset Management, auf der Uhlenbruch-Jahrestagung: „Growth ist ziemlich teuer, Value ist ziemlich günstig. Im Juli 2022 war im S&P 500 der Unterschied in der Bewertung der Top-10-Titel im Vergleich zu den anderen 490 Werten auf dem bislang höchsten Level.“ Womöglich, so Lakonishok, gebe es Anzeichen von irrationalem Überschwang. Gut zu wissen für Anleger: „Historisch haben die unteren 490 Titel immer outperformt.“ Auch ohne die US-Tech-Überflieger liefen in Europa Value und Growth auch stark auseinander. So verlor der Deka Stoxx Europa Strong Value 20 Ucits ETF über fünf Jahre vier Prozent – das Growth-Pendant legte dagegen um 33 Prozent zu. Ins Bild passt, dass der Value-lastige Dax-40 im Oktober zeitweise auf ein einstelliges KGV kam, das historische Mittel aber bei 15 liegt.

Mit Rob Arnott geht ein weiterer Kapitalmarktfachmann aus den USA für eine künftig bessere Performance von Value-Aktien aus: „Dass Faktor-Investing nicht funktioniert hat, hat die Leute überrascht. Jetzt wird Faktor-Investing die Leute damit überraschen, dass es wieder funktioniert – dies wird insbesondere für Value gelten.“ Somit seien Multi-Faktorstrategien eine gute, Value aber die beste Opportunität. Arnott ist Gründer des Smart-Beta-Pioniers Research Affiliates und Co-Autor des Anfang 2021 erschienenen Papers „Reports of Value‘s Death May Be Greatly Exaggerated“. Wie Lakonishok sah Arnott auf der Jahrestagung die künftige Performance der Growth-Überflieger skeptisch – „Top dogs don´t stay at the top“ – und verweist auf die Bewertungen: „Relativ zu Growth hat Value den Tiefpunkt in der Covid-Phase 2020 gesehen. Trotzdem ist Value aber immer noch im Vergleich zu Growth bemerkenswert günstig.“ Bislang habe der Markt dies nicht erkannt. „Die Performance der Value-Aktien war schlecht – nicht aber die Performance der Value-Unternehmen“, so Arnott.

13 Jahre Underperformance

Was Arnott und Lakonishok ebenfalls eint: Die beiden Kapitalmarktforscher haben, wie andere Value-Investoren auch, harte Zeiten hinter sich. Die gute Wertentwicklung von Value relativ zu Growth in den vergangenen Monaten kann Value-Fans kaum für die zuvor überaus lange Durststrecke entschädigen. JP Morgan Asset Management beschreibt den Zeitraum von Mitte 2007 bis Ende 2020 als eine Anomalie in einer ansonsten langen Geschichte der Dominanz von Substanzwerten. In diesen 13 Jahren verbuchten Substanzwerte eine durchgehende Underperformance, unabhängig von Regionen, Sektoren, Kennzahlen und Anlageklassen. Wie der Asset Manager informiert, war dieser Zeitraum der längste Rückgang, den Substanzwerte seit dem Zweiten Weltkrieg erlitten haben. Er gipfelte in der Pandemie von 2020, dem schlechtesten Jahr für Value-Anlagen seit Beginn der Aufzeichnungen. Nun geht JP Morgan von einem Comeback der Value-Prämie aus. Indirekt zeichnet sich dieses auch bereits mit Blick auf die bisherigen Growth-Überflieger Meta und Netflix ab, deren Bewertung sich dieses Jahr bis Ende Oktober in etwa halbiert hat. Auch Amazon und Alphabet schnitten in 2022 bislang schlechter als der Index ab.

Wichtigster Grund dafür, dass Value wieder Morgenluft wittert: die gestiegenen Zinsen. Diese diskontieren die weit in der Ferne liegenden Gewinne von Growth-Aktien mit höheren Raten ab. Weiteres Value-Argument ist, dass nachhaltige Investoren mehr und mehr Transitions als ESG-Ansatz praktizieren, womit die typischen Value-Sektoren Energie und Industrie den Malus verlieren, weniger nachhaltig zu sein. Zudem gelten Energie und Banken nicht mehr länger als Kapitalmarkt-Problemkinder. Weiter sehen die Experten für Substanzwerte die drohende Rezession als eingepreist. Und selbst wenn sich Value nur stabilisieren sollte, wären historisch hohe Dividendenrenditen ein dickes Trostpflaster. Gerade dann gilt: „Investieren braucht Geduld“, mahnte Lakonishok.

Diese Eigenschaft ließen in den vergangenen 13 Jahren allerdings nicht nur Investoren missen. „Obwohl wir keine größeren Style Drifts bei den etablierten Strategien beobachteten, legen viele Value-Manager jetzt mehr Wert auf Qualitätsmerkmale als früher“, analysierte der Consultant Bfinance in der im vergangenen Jahr erschienenen Publikation „(Re)defining Value“. Zudem gebe es weniger Vertrauen in Benjamin Grahams Mean-Reversion-Theorem. Das aus über 300 aktiv gemanagten Value-Strategien bestehende Universum teilte Bfinance in vier Gruppen auf: Deep Value, Classic Value, Moderate Value und Quality Value. Zu Vertretern eher der letzten beiden Gruppen zählen hierzulande Shareholder Value und Acatis, die nicht allein den Lehren Grahams folgen. Mehr im klassischen Lager findet sich dagegen Lingohr & Partner.

Seitens der Investoren waren in den vergangenen Bfinance Searches Moderate und Quality Value mehr gefragt. Diese Gruppen achten in der Bfinance-Definition mehr auf die Reduktion von Downside-Risiken sowie Volatilität und sind ESG-sensitiver und weniger Zykliker-orientiert. Zu den typischen – und für Anleger intuitiv greifbaren – Value-Kennzahlen wie Buchwerte, KGVs, Unternehmenswert zum Ebitda, Free Cashflow und Dividendenrendite gesellen sich die für Quality typischen Renditekennzahlen wie der Return on Equity hinzu. Damit laufen Investoren aber auch Gefahr, dass bei einem solchen Value-Verständnis die Diversifikation zu einem echten Growth-Ansatz weniger als bei einem Deep-Value-Manager gegeben ist.

In der deutschen Anlagepraxis dürfte – auch mit Blick auf oft geringe Aktienquoten – eher selten eine Barbell-Strategie aus Deep Value und High Growth praktiziert werden. Eher sucht man in der goldenen Mitte Aktienmanager mit einer Growth-at-Reasonable-Price-Strategie. Ausnahmen finden sich bei Stiftungen, da in dieser Anlegergruppe die Dividendenrendite nach wie vor eine größere Rolle als das Dividendenwachstum zur Erfüllung des Stiftungszwecks hat. „Durch die aktuelle Stiftungsrechtsreform wird ja das Fenster dafür geöffnet, dass eine Stiftung durchaus auch die Möglichkeit hätte, Kursgewinne in Ausschüttungen umzuwandeln“, erklärt Stefan Seewald von der Oberfrankenstiftung. „Mein eher klassisches Verständnis – nach dem wir auch die Oberfrankenstiftung steuern – zielt aber eindeutig auf die Dividendenrendite als ordentlichen Ertrag ab und damit sind wir eher beim Deep Value.“ Dagegen haben die in den vergangenen Jahren erfolgreichen Dividendenfonds wie M&G eher einen Fokus auf das Dividendenwachstum. Wenn nun jedoch tatsächlich Deep-Value-Jahre anstehen, gewinnt die Dividendenrendite an Bedeutung. Auf was sich aber alle Aktionäre heute schon einigen können, ist das bekannte Warren-Buffett-Zitat: „Price is what you pay. Value is what you get.” Nur was Value ist, darüber scheiden sich die Geister.

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