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6. Juli 2020

„Produkte und Dienstleistungen, welche die Gesellschaft wirklich braucht“

Impact-Investoren wenden sich nach den mittlerweile etablierten ökologisch orientierten Unternehmen auch Sozialunternehmen zu. Diese mit Investoren zusammenzubringen, ist jedoch nicht ganz einfach.

In dem Maße wie ESG Mainstream wird, stellen Investoren fest, dass der damit zumindest rhetorisch verbundene Anspruch, positive Wirkung zu schaffen, mit einer Investition in ­milliardenschwere, börsennotierte Unternehmen kaum zu realisieren ist. Während ESG sich somit zu einem immer elaborierteren Risikomanagementtool weiterentwickelt, um das Investoren unabhängig von der Existenz einer ethischen Grundhaltung nicht mehr ­herumkommen, um die gewaltigen Risiken handhabbar zu machen, die etwa aus Klimawandel und potenziellen Reputationsschäden erwachsen, scheint sich die Debatte zu wandeln: Nachhaltigkeit, das ist nicht mehr primär Best-in-Class, sondern Impact, oftmals ausgerichtet an den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, den SDGs. Dabei lassen sich zwei Herangehensweisen unterscheiden: Nach der ersten, in den liquiden Märkten angewandten Methodik, werden Unternehmen hinsichtlich ihres Beitrages zur Lösung gesellschaftler Probleme bewertet. Der Impact wird hier bloß von den Portfoliounternehmen erbracht, der Investor passiv neben der finanziellen Rendite an der „sozialen Rendite“ beteiligt. Die zweite Herangehensweise geht darüber hinaus und macht sich dabei Ansätze des Venture Capital zu eigen: Dann nämlich, wenn es darum geht, für gesellschaftliche Probleme unternehmerische Lösungen zu finden, die über die Kapitalmärkte keine Finanzierung erhalten können, kann der Investor mit seiner Investitionsentscheidung selbst einen Beitrag leisten. Diesen Beitrag zu leisten, erfordert gleichwohl mehr Arbeit und birgt mehr Herausforderungen als die Frage, mittels welcher Benchmark man optimalerweise die immer gleichen 500 global ausgerichteten Unternehmen mit mehr Kapital zuschüttet, als sie sinnvollerweise verdauen können. Denn Investoren ­treffen hier auf einen Markt, der erst dabei ist, sich zu entwickeln, und in dem Netzwerke eine entsprechend größere Rolle spielen.

„Hauptziel unserer Arbeit ist, denjenigen Unternehmen Zugang zu Finanzmitteln zu verschaffen, die üblicherweise Schwierig­keiten haben“, so Per-Erik Eriksson, Head of Inclusive Finance beim European Investment Fund (EIF), der mittels Bürgschaften unter anderem die Etablierung eines Marktes für Sozialunter­nehmertum unterstützt. „Das Problem von Sozialunternehmen ist, dass, da diese nicht primär auf Rendite ausgerichtet sind, Kredit­geber oft Probleme haben, diese zu verstehen.“ Doch nicht nur mangelndes gegenseitiges Verständnis ist ein Hindernis. Auch ­geringe Eigenmittel beziehungsweise besicherbare Vermögens­werte sowie oftmals kurze Track Records seien Gründe, welche es Sozialunternehmen erschweren, an herkömmliche Kredite und ­Finanzierungen zu kommen. Bereits die Definition von Sozial­unternehmen fällt nicht leicht, denn nicht die Organisationsform, sondern die Aktivität dieser Unternehmen ist entscheidend. ­Ausschlaggebend ist dabei, dass diese durch ihr Geschäftsmodell eine klar messbare, positive gesellschaftliche Wirkung entfalten.

Sozialunternehmen sind ein Segment, welches für Impact-Investoren immer interessanter wird. „Bei ESG steht im Vordergrund, schädliche Wirkungen der Investition zu vermeiden, während es beim Impact Investing ganz gezielt darum geht, eine messbare Wirkung zu erzielen“, so Matthias von Bismarck-Osten, ­Generalbevollmächtigter der Investitionsbank Berlin (IBB). ­„Impact Investing heißt – im Kontrast zu ESG: Es muss gemessen ­werden.“ Am einfachsten sei dies im Bereich Erneuerbare Energie. Doch ­Impact umfasse zwei weitere Segmente, die zunehmend wichtiger werden. Darunter zählt er Investments, mit denen positive Entwicklungen im Globalen Süden angeschoben werden sowie die Förderung von Social Entrepreneurs in Industrieländern, mit ihren innovativen Beiträgen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme.

Dr. Markus Freiburg, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens FASE, bietet Beratungsdienstleistungen für Sozialunternehmen an, die bereits einen ersten Proof-of-Concept ­erbracht haben, nun aber das „Tal des Todes“ durchschreiten. So nennt die Literatur jene frühphasige Finanzierungslücke mit einem Finanzierungsbedarf zwischen 250.000 Euro und einer Million Euro, wenn die Finanzierung über Friends and Family volumenmäßig nicht mehr ausreicht, aber die Transaktionen für die meisten institutionellen Investoren noch zu kleinteilig sind. „Viele Investoren warten am Ende der Finanzierungspipeline“, so Freiburg. „Das ist eine Herausforderung, denn eine solche Pipeline von finanzierungsreifen Sozialunternehmen muss zunächst mit geduldigem Kapital in frühen Unternehmensphasen aufgebaut werden.“

„Der Gesetzgeber ist bei der Definition von Sozialunternehmen ­relativ schwammig“, sagt Jochen Herdrich von Bonventure, einem deutschen Vorreiter in der Finanzierung von Sozialunternehmen. „Wir orientieren uns an den Entwicklungszielen der Vereinten ­Nationen (SDGs).“ Allerdings seien in der Fokusregion Deutschland, Österreich und Schweiz nicht alle SDGs gleichermaßen relevant – das Ziel „Zero hunger“ ist beispielsweise für andere Welt­regionen relevanter, auch die allgemeine Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist – zumindest bis vor kurzem – bei nahezu Vollbeschäftigung nicht primäres Ziel. Sozial ist, was Arbeit schafft, würde also nicht reichen. Anders sieht es aus, wenn man bestimmte Zielgruppen in den Fokus nimmt, die es am Arbeitsmarkt strukturell schwerer haben. Ein oft genanntes Parade-Beispiel für ein Sozialunternehmen ist das Unternehmen Discovering Hands, welches Dienstleistungen im Bereich der Brustkrebsfrüherkennung anbietet. Das Unternehmen qualifiziert blinde und stark sehbehinderte Frauen weiter, sodass diese ärztliche Assistenztätigkeiten (als Tastunter­sucherinnen) ausführen können. Die positiven Effekte sind klar messbar: Operationalisieren lassen sich diese beispielsweise über die Integration von blinden Frauen in den Arbeitsmarkt, aber auch in besserer Brustkrebsfrüherkennung, welche viele Leben rettet.

Henne-Ei-Problem

„Zentrales Problem im Impact-Bereich ist, dass Angebot und Nachfrage nicht so richtig zusammenkommen“, so Oliver N. Hagedorn, CEO der Avesco Financial Services AG. Sozialunternehmen benötigen Wachstumskapital, um ihre gesellschaftliche Wirkung zu ­erweitern und Investoren suchen sinnstiftende Investments mit messbarer Wirkung. Die Probleme sind die gegenseitige Auffindbarkeit, fehlende „Investment Readiness“ der Sozialunternehmen, das Ausfallrisiko und der Prüfaufwand für die relativ kleinen Kapitalrunden. Um die Hürden zu überwinden, haben wir mit dem European Social Innovation and Impact Fund (ESIIF) eine Brücke gebaut, so Hagedorn, der sich dafür mit FASE zusammengetan hat.

Wie auch in den liquiden Märkten ist auch in illiquiden in der Niedrigzinsphase sicher nicht das Problem, dass zu viel Geld da ist – eher im Gegenteil. Impact-Fonds seien in Deutschland (vor allem im Vergleich zum angloamerikanischen Raum) noch relativ klein, so Herdrich von Bonventure. „Wenn man Kapital zwischen 30 und 70 Millionen Euro verwaltet, ist man in der institutionellen Landschaft ein kleiner Fisch in Deutschland“, ist er sich bewusst. Er ­ermuntert institutionelle Investoren, auch mal kleinere Tickets von fünf bis zehn Millionen Euro zu zeichnen, um sich an das Thema Impact Investing heranzutasten. Denn mit den üblicherweise nachgefragten Ticketgrößen dürften die meisten institutionellen Investoren den noch überschaubaren Markt überfordern. Bonventure peilt für ihren vierten Fonds ein Zielvolumen von 40 bis 50 Millionen­ Euro an. Für den ersten Avesco-Spezial-AIF sind 20 ­Millionen Euro Zielvolumen angesetzt, um die 60 Finanzierungen sollen dadurch ermöglicht werden – im Schnitt also eine Drittel Million Euro pro Sozialunternehmen. Anders als die meisten ­Venture-Capital-Fonds will Avesco dabei ausschließlich Nachrangdarlehen ausreichen und das Kapital von Direktinvestoren ­ergänzen. Am ehesten vergleichbar sei der Fonds mit sogenannten Matching-Fonds von Förderbanken, so Hagedorn.

Interessant für risikoaverse Investoren macht den Avesco-Fonds ­eine Bürgschaft des EIF. Diese sieht vor, dass bis zu 20 Prozent der Ausfälle größtenteils – nämlich zu 80 Prozent – vom EIF kompensiert werden. „Ziel der Strukturierung ist es, dass die Anlage­substanz gesichert und das Ökosystem Impact-Investing gestärkt wird“, so Avesco-CEO Hagedorn. „Darüber hinaus zielen wir auf ­eine Rendite, die etwa mit IG-Anleihen vergleichbar ist. Im Ergebnis geben wir frühphasiges Risikokapital an Sozialunternehmen, welches jedoch aus Investorensicht stark risikogedämpft ist.“ ­Möglich sei dies nur, weil die EU Schritte unternommen habe, um das Ökosystem von Impact Investments zu stärken. Die ­Mezzanine-Finanzierung ist für den EIF recht neu, denn üblicherweise werden Garantien für vorrangige Kredite vergeben, so Eriksson. „Für den EIF ist das optimal, da das Ziel ist, dass so viel Risiko wie möglich seitens seiner Finanzintermediäre getragen wird.“

Bei der Risikobewertung benchmarked der EIF gegen ein klassisches europäisches KMU-Portfolio, wissend, dass im Vergleich zu diesem Sozialunternehmen eher riskant sind. „Generell arbeiten wir eher mit riskanteren Portfolios, da hier Garantien am wertvollsten sind.“ Ein solches Benchmark-Portfolio von KMUs habe Ausfallsraten zwischen zehn und 20 Prozent. Wie sich dies in der aktuellen Situation verhalte, könne noch niemand sagen, so Eriksson.

Um von den EIF-Garantien zu profitieren, müssen die Investments bestimmte Kriterien erfüllen. So werden nur Kredite bis 500.000 Euro mit Garantien besichert. Der Geldgeber dieses Garantie­programmes, die Europäische Kommission, hat auch Kriterien festgelegt, welche Unternehmen als Sozialunternehmen gelten ­können. Die Überprüfung dieser Kriterien übernimmt der ­jeweilige Finanzintermediär. „Wir wollen ein möglichst effizientes ­Verfahren, was es unseren Counterparties ermöglicht, flexibel Kredite zu ­vergeben“, so Eriksson. Der EIF monitored das Portfolio die ­gesamte Laufzeit hindurch. Sollte ein Unternehmen nicht den ­Kriterien entsprechen, so behält sich der EIF vor, dieses aus dem Portfolio zu entfernen. Der Finanzintermediär hat dann das Recht, es mit einer anderen, passenden Finanzierung auszutauschen.

Die bis zu 16 Prozent Risikoübernahme durch den Europäischen Investitionsfonds seien „schon ein Wort“, so von Bismarck-Osten von der IBB, die in den ESIIF investieren möchte. Aus seiner Sicht bringt die EIF damit zum Ausdruck, dass der ESIIF qualitativ ­mindestens einem guten europäischen Marktstandard entspricht. Für die IBB stellte die Investition der IBB in den ESIIF eine ­Ausnahme dar. „Als IBB investieren wir üblicherweise nicht in Fonds, ­vielmehr sind wir mit eigenen Fonds im Markt aktiv und fördern Unter­nehmen direkt. Der Grund für unsere Investition in den ESIIF ist, dass wir von der Erfahrung von FASE profitieren wollen, die schon seit vielen Jahren im Marktsegment der Social Entrepreneurs aktiv ist und nach ihren Angaben schon 50 Trans­aktionen abschließen konnten. Als Förderbank wollen wir immer private Co-Investoren für die von uns geförderten Projekte mobilisieren, so auch bei diesem Projekt“, so von Bismarck-Osten. In ­Berlin hätten sich Sozialunternehmen zu einer wichtigen Teil­menge der Startups ­entwickelt, weshalb die IBB perspektivisch ­einen auf diese fokussierten ­eigenen Fonds auflegen wird, den sie ausschließlich mit eigenem Geld und Europäischen Regionalfondsmitteln auffüllen möchte.

Unterschiede zu Venture Capital

Der Fonds löse ein wichtiges Problem im Markt, ist Freiburg von FASE überzeugt, da dieser einerseits Unternehmen Kapital zur Verfügung stellt, andererseits Investoren die Möglichkeit gibt, in diesen Markt zu investieren. Eine wichtige Rolle spiele der European Investment Fund (EIF) als Garantie­geber: „Die Fondskonstruktion wäre ohne die Garantien nicht möglich“, so Freiburg. „Ein normaler sozialer Wagniskapitalfonds muss, um angesichts hoher Transaktionskosten profitabel zu wirtschaften, zwangsläufig auf Unternehmen mit hohem Renditepotenzial und hohem Impact ­abzielen, was das Spektrum sehr stark einschränkt. Durch die Risikoübernahme lassen sich auch wirkungsorientierte Unternehmen einbeziehen, die nur ein mittleres Renditepotenzial aufweisen.“

Auch wenn die Fondsstrategie der Idee von Venture Capital folgt, gibt es bedeutende Unterschiede zwischen der Finanzierung von typischen Start-ups und Sozialunternehmen. Herkömmliche Fondskonzepte benötigen zur Kompensation von Ausfällen ­einzelne ­Beteiligungen, die sich im Wert vervielfachen. Techno­logiebasierte und durch eine hohe Skalierbarkeit gekennzeichnete Geschäfts­modelle sind hierfür maßgeblich. Sozialunternehmen, deren ­Geschäftsmodelle beispielsweise Lösungen in den Bereichen ­Inklusion, Integration oder Pflege anbieten, ermöglichen mangels Skalierbarkeit in der Regel keine solche Wertsteigerungen. ­

Entsprechend tun sie sich schwer bei der Einwerbung von Kapital zur Finanzierung ihrer Geschäftsideen, so Hagedorn von Avesco. Ausgleich dafür, dass es eher unwahrscheinlich ist, ein Einhorn in seinem Portfolio zu haben, ist das geringere Risikoprofil von ­Sozialunternehmen. Nach Einschätzung von von Bismarck-Osten von der IBB ist die Risiko- und Ertragserwartung im Marktsegment der Social Entrepreneurs niedriger als bei „normalen“ Start-ups, weshalb ein anderer Investitionsansatz angezeigt sei. Skalierbarkeit des Geschäftsmodells sei auch bei Social Entrepreneurs ­wichtig, aber die diesbezügliche Erwartung läge etwas niedriger. Auch wenn Technologie zum Einsatz käme, so bewegten sich die Unter­nehmen oftmals im erprobten Bereich. In der Regel kennen Social Entre­preneurs die Bedürfnisse ihrer Kunden auch schon recht genau, weshalb das Markteinführungsrisiko kleiner sei.

Nicht nur ein Home Run

Ein weiteres ­Argument für eine größere Resilienz von ­Sozialunternehmen im Vergleich zu anderen Start-Ups nennt Herdrich von Bonventure: „Sozialunternehmen offerieren ­Produkte und Dienstleistungen, welche die Gesellschaft wirklich braucht. Nice-to-have-Produkte, welche im aktuellen ­ökonomischen Umfeld womöglich am ehesten hinten an gestellt werden, finden Sie eher nicht.“ Bei gemein­nützigen Sozialunternehmen habe es bislang noch keinen Ausfall gegeben, bei nicht-gemeinnützigen Sozial­unternehmen schon. „Aber bei weitem nicht die 50 bis 70 Prozent wie bei anderen VC-Fonds. Wir wollen alle Unternehmen mit­nehmen, nicht nur den ­einen Home Run.“

Institutionelle Investoren bewegen sich nur langsam in den Markt. Bislang zeigte insbesondere die junge Erbengeneration, die großes Vermögen geerbt haben, großes Interesse daran, das Kapital ­wirkungsorientiert anzulegen. Doch auch Stiftungen, welche sich in letzter Zeit stark in Richtung wirkungsorientierte Investments bewegt haben, sieht von Bismarck-Osten als wichtige Gruppe. Um institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen als Investoren in größerem Umfange zu gewinnen, müsse die ­Regulierung weiterentwickelt werden, wie in mehreren ­europäischen Ländern schon geschehen, so von Bismarck-Osten. Wenn dies geschehen sollte – und Investoren sich in dem weiter­ent­wickelnden Markt aktiv engagieren – wird wohl in Zukunft mehr Kapital in Unternehmen fließen, die mit dem Geld auch tatsächlich für die Gesellschaft sinnvolle Geschäftsmodelle verfolgen.

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