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30. Mai 2017

Psychoanalyse im Investmentausschuss

Fast am Ende seiner Berufslaufbahn angekommen, zu der Stationen bei Schroders, Pimco und GSAM zählen, hat Paul Craven mit den Verhaltenswissenschaften ein neues Themenfeld für sich entdeckt. Im Interview spricht der Consultant über den Einfluss von Psychologie und menschlichen Fehlern auf Investmententscheidungen.

Warum haben Sie sich als Consultant für Behavioural Economics selbstständig gemacht?
Als Daniel Kahneman 2002 den Wirtschaftsnobelpreis bekam, unterhielt ich mich mit einigen Ökonomen, die über diese Entscheidung etwas verstimmt waren. Aus deren Sicht erhielt nämlich kein Ökonom, sondern ein Psychologe den Wirtschaftsnobelpreis. Dies hat meine intellektuelle Neugier angestachelt. Erstens, weil ein Psychologe ausgezeichnet wurde. Zweitens, weil die Preisvergabe die traditionellen ökonomischen Modelle herausforderte. Darüber wollte ich mehr herausfinden und ich beschäftigte mich obsessiv mit seinen Arbeiten. Ich erkannte, dass seine Arbeiten sehr interessant sind, da diese Erkenntnisse sehr viele Fehler, die ich in meiner Berufslaufbahn gesehen habe, verhindert hätten.
Welche Fehler meinen Sie?
Wüssten die Leute über Behavioural Finance Bescheid, könnten wir die dummen Fehler vermeiden, die Charles Ellis in „Winning the Loser‘s Game“ beschrieben hat. Wenn man sich genauso auf die Vermeidung von Fehlern wie auf das Auswählen der Gewinner fokussieren kann, steht man auf viel breiteren Füßen. Im Tennis spricht man vom Vermeiden der unforced Errors. Diese Message möchte ich in die Asset-Management-Welt und auch in die Pensionsfondswelt tragen. Mit deren Vertretern, also meinen ehemaligen Kunden, in den Investmentkomitees zusammenzuarbeiten, hat mir viel Freude bereitet.
Warum möchten Sie die Leute weiterbilden? 
Weil Behavioural Finance nicht nur die Investment-Denke erweitert, sondern auch die Art und Weise, wie Entscheidungen gefällt werden. Eine Sache ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber was ist mit dem Entscheidungsprozess? Vielleicht klinge ich wie ein Prediger, aber ich glaube an diese Dinge: Es geht darum, wie echte Menschen echte Entscheidungen in der echten Welt treffen. Wir sprechen hier nicht von einem Lehrbuch, das auf dem Regal verstaubt.
Wie kann ein Pensionsfonds per Behavioural Economics seine Investments verbessern?
Es gibt viele Verhaltensweisen, mit denen sich Prozesse verbessern lassen. Jemand, der im Anlageausschuss den Advokaten des Teufels spielt, ist sehr nützlich, um eine intellektuelle Debatte zu führen und zu diskutieren, warum etwas keine gute Idee ist. Wir müssen konsequent unsere Voreingenommenheiten hinterfragen, um unser Denken zu überprüfen. Gruppendenken ist sehr mächtig, weil es mit dem Herdentrieb vergleichbar ist und zu Konformität führt. Menschen neigen dazu, miteinander übereinstimmen zu wollen.
Gerade bei Wichtigem, wie finanziellen Entscheidungen, gilt: Wenn wir sowohl uns selbst als auch unsere Kollegen nicht anzweifeln, dann haben wir definitiv einen suboptimalen Entscheidungsprozess.
Selbsterkenntnis ist auch wichtig! Also muss man sich bewusst sein, dass man als Individuum in jedes Meeting mit vorgefertigten Meinungen geht. Es ist nichts Falsches daran, vorgefertigte Ideen zu haben – solange man diese hinterfragt.
Wieviele Leute gehen zu ihrem Chef und sagen: „Ich habe eine wirklich gute Idee. Lassen Sie mich erläutern, warum sie falsch sein könnte.“ Keiner! Es wäre aber gut, diese kreative Attitüde zu fördern.
Warum haben eigentlich alle Kreativunternehmen eine Finanzabteilung, aber kein Finanzunternehmen eine Kreativabteilung? Der Grund ist, dass man in unserer Branche nicht wirklich ermutigt wird, kreativ zu sein. Ich überlege mir, wie wir etwas kreativer und -innovativer sein können. Dazu geben uns die Verhaltenswissenschaften viele Hinweise. Übrigens: Einige der besten Investoren haben Hochschulabschlüsse in Geisteswissenschaften.
Die Branche braucht also mehr Kreativität?
Einige Leute könnten etwas breiter – mit mehr Freiheiten und Neugier – denken. Dies wäre sehr nützlich. Einige der besten Asset Manager, die ich getroffen habe, haben keinen wirtschaftlichen Hintergrund. Jedes Finanzunternehmen, das niemand mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund zu Vorstellungsgesprächen lädt, verpasst etwas.
Es wäre schlecht, wenn die Branche nur aus Robotern mit gleicher Ausbildung bestehen würde, die nicht darauf vorbereitet sind, sich gegenseitig und selbst zu hinterfragen. Ich übertreibe etwas, um mein Argument zu verdeutlichen: Als ich meine UK-Pensions-Karriere startete, bestand die Branche fast nur aus weißen, männlichen Angehörigen der Mittelschicht. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv geändert. Wir haben eine viel größere Diversität in jeder Hinsicht – und das ist sehr gut!
Diversität führt also zu einer besseren Entscheidungsfindung?
Es ist belegt, dass Komitees oder Gruppen mit höherer Diversität fast automatisch bessere Entscheidungsprozesse haben. Der Grund ist, dass sie eher Gruppendenken vermeiden und eher einander hinterfragen.
Investoren sollten längerfristige Investmententscheidungen treffen, reagieren aber kurzfristig auf „Noise“. Mit welchen Folgen?
Ein sehr wichtiger Punkt. Der Noise in unserer Branche ist sagenhaft. Die Leute klammern sich am letzten Häppchen einer großen Nachricht fest, als gäbe es ansonsten nichts mehr von Relevanz. 2016 machten sich die Märkte große Sorgen um China, zur Jahresmitte sorgte der Brexit für Sorgenfalten und zum Jahresende kam Trump – und die Aktienmärkte stiegen. In Großbritannien waren es etwa 17 Prozent. Die meisten Leute hätten sich nie einen solchen Marktanstieg erträumt, denn diese Ereignisse belasteten die Gemüter der Anleger. Die Hinweise und Anzeichen sind offensichtlich, dass wir uns an etwas festklammern – schließlich sind wir Menschen, wir wollen Erklärungen, wir wollen Geschichten. Oft erweisen sich diese aber als hochgradig irreführend oder ablenkend.
Was haben wir aus der Finanzkrise gelernt? 
Ich denke, dass wir viel über die gemachten Fehler gelernt haben, aber auch, dass es schwierig ist, menschliches Verhalten zu verändern. Gier und Angst, Boom und Bust wird es immer geben. Aber ich denke, dass wir infolge der Finanzkrise einige gute regulatorische Lehren gemacht haben.
Viel diskutiert wird über die Schwierigkeit, mit aktivem Management outzuperformen. Wie viel Glück und Expertise ist im Spiel? 
Bei jeder Performance spielen Glück und Expertise eine Rolle. Die Extremfälle sind Lotto und Roulette, wo es zu 100 Prozent auf das Glück ankommt. Auf 100 Prozent Expertise kommt es für die meisten Leute beim Schach an. Zu unserer Branche ist im Allgemeinen zu sagen, dass wir nicht annähernd so klug sind, wie wir gern wären. Ich will da die Branche aber nicht als Ganzes kritisieren: Ich habe nämlich mit einigen wirklich klugen Investoren zusammengearbeitet, die ich als sehr fachkundig einschätzen würde.
Was macht einen Investor fachkundig?
Sie hinterfragen sich selbst. Sie können es zugeben, dass sie manchmal etwas nicht wissen. In der Tendenz versuchen sie bewusst oder unbewusst Fehler genauso zu vermeiden, wie sie versuchen, Gewinner zu selektieren. Sie lernen aus ihren Fehlern und realisieren, dass die Zeit für sie spielt, wenn sie geduldig sind. Aber ohne Geduld wird Noise zum dominierenden Faktor.
Wer zählt nach diesen Kriterien zu den besten Investoren? 
Es gibt eine Menge an guten Investoren in einer Menge an guten Unternehmen. Warren Buffett kennt jeder. Ansonsten möchte ich keine Namen nennen. Aber ich erkenne einen daran, wenn er hinter ein paar dieser Punkte ein Häkchen setzt – insbesondere hinter dem Punkt Geduld.
Investieren diese Investoren passiv?
Passive Investments spiegeln die Enttäuschung mit aktiven Investments nach Gebühren wieder. Darum gibt es dieses Index-Movement. Wo ich als Behaviorist ein echtes Problem mit Benchmarkindexing habe, ist, dass wenige Leute den Index hinterfragen. Die üblicherweise eingesetzten Indizes sind nach Marktkapitalisierung gewichtet und wunderbar simpel: sie sind liquide, werden täglich gehandelt, sind leicht verständlich. Das Problem ist aber, dass sie eine Menge an menschlichen Fehlern beinhalten. Denn wenn eine Aktie überbewertet ist, hat sie eine höhere Indexgewichtung als eine untergewichtete Aktie.
Was machen Sie mit Ihrem eigenen Geld? 
Ich versuche die gleichen Regeln anzuwenden, über die ich gesprochen habe. Wenn für mich etwas attraktiv erscheint, dann beteilige ich mich auch konsequent. Sessel-Experten machen das nicht. Ich habe verschiedene Fonds von Managern, denen ich vertraue.
Halten Sie Behavioural Finance ähnlich wie Nachhaltigkeit für einen wichtiger werdenden Soft Factor in einer zahlenorientierten Branche?
Ein interessanter Vergleich. Wenn die Leute in ihren Analysen darauf nicht achten wollen und trotzdem gute Resultate erzielen: in Ordnung. Was ich hinterfrage ist, dass die ihre traditionellen ökonomischen Modelle verfolgende Branche die schlimmste Finanzkrise seit den 30er Jahren nicht kommen sah. Warum sollte man Verhaltenswissenschaften nicht in das Analysearsenal aufnehmen? Es ist ziemlich arrogant zu sagen, dass man nichts mehr lernen will. Wissen ist Macht. Macht kann auch sein, etwas auszusortieren. Aber man sollte wenigstens darüber nachdenken.
Kritiker sagen, dass es sich bei Verhaltenstheorien um Populärwissenschaften handle. Ich als Praktiker würde jedoch sagen, dass die Verhaltenswissenschaften sehr nützliche Ergebnisse bringen, wenn man sie beachtet. Ignoriert man sie aber, ignoriert man das eigene Risiko.
Das Interview führte Sebastian Cheek
portfolio institutionell newsflash 30.05.2017/Sebastian Cheek
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