13. Juni 2012

Risikomanagement in Theorie und Praxis

Die Schwächen von Markowitz und Value-at-Risk-Ansätzen sind bekannt, ohne diese scheint es aber auch nicht zu ­gehen. Also sind die Investoren bemüht, diese Ansätze für die tägliche Anwendung in der Praxis sinnvoll zu ergänzen. ­Einblicke in diese Optimierungen gaben VAG-Anleger und Sparkassen in den Workshops auf dem Fachforum.

Risikomanagement schläft nicht, Risikomanagement entwickelt sich ständig weiter und schlägt ständig immer neue Richtungen ein. Die vielfältigen Entwicklungen spiegelte auch das diesjährige, von 200 Teilnehmern besuchte portfolio-Fachforum wider. Eine sehr populäre ­Antwort auf das heutige Krisenumfeld sind Real Assets. Diese Risikomanagementform praktiziert zum Beispiel Reinhold Messner: „Bis ich 40 Jahre alt war, hatte ich überhaupt keine Altersvorsorge. Ich konnte mir bei meinem Leben einfach nicht vorstellen, dass ich einmal die 50 erreichen würde. Dann habe ich mir als meine Altersvorsorge einen Selbstversorger-Bauernhof zugelegt.“ Wie der Extrembergsteiger in seinem Risikomanagementvortrag aber auch einräumte,­ kann sich natürlich nicht jeder einen Selbstversorger-Bauernhof zu­legen. Dies gilt auch für Institutionen, die sich deshalb etwas abstrakter mit dem Thema auf dem Fachforum auseinandersetzen mussten.

Klar ist, dass Risikomanagement heute mehr sein muss als sich Markowitz´ folgend auf Effizienzkurven und Diversifikation zu fokussieren. Risikomanagement muss auch mehr sein als ein prozyklisches CPPI-Wertsicherungskonzept in seiner Basisversion. Den Sprung in die Risikomanagementmoderne könnten Historiker einst in der ­Dynamisierung von Risikomanagementkonzepten verorten. Sogenannte intelligente Risikobudgets sollen das Problem von klassischen CPPIs vermeiden helfen, ausgestoppt zu werden. Besonders sophistiziert ging es mit der fraktalen Geometrie von Benoît B. Mandelbrot weiter. Seine Idee war, dass die Formen von Objekten bestimmte ­Eigenschaften haben und sich natürliche Fraktale zum Beispiel in Flussverläufen, Verästelungen von Pflanzen und Blutgefäßen oder eben in Börsenkursen finden. Ebenfalls plastisch, aber intellektuell leichter zugänglich stellte Nassim Taleb die Tücken vor allem des rückwärtsgerichteten Risikomanagements dar. Fast schon legendär ist sein Truthahn-Chart, der die Befindlichkeiten eines Truthahns vor und nach Thanksgiving darstellt. Am Ende fällt der Chart so senkrecht wie das Fallbeil – betätigt durch die Hand, die den Truthahn zuvor ­gefüttert hat. Wichtig ist im Risikomanagement in der heutigen Welt ein ­Umdenken. Taleb empfiehlt schon lange, die alten Modelle zu entsorgen. In diese Richtung denkt auch Professor Hellmuth ­Milde, der als Alternative auf dem Fachforum die Spieltheorie vorstellte.

Heute ist bei der Entwicklung des Risikomanagements zu erkennen, dass dieses auch deshalb immer komplexer wird, weil es immer globaler wird. Wie eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr von Lutz Johanning, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management, und Union Investment zeigt, sind die globalen Risiken reichlich. ­Befragt wurden institutionelle Investoren zur Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Einfluss globaler Risiken. Politische Risiken, wie ­Korruption, geopolitische Konflikte, Terrorismus und organisiertes Verbrechen, landeten unter „ferner liefen“, und wirtschaftliche Risiken,­ wie die Finanzkrise, Staatsschulden, das Wirtschaftswachstum in ­China und Energiepreisschwankungen, bekamen dafür einen sehr ­hohen Anteil an Nennungen. Im Mittelfeld landeten dagegen Risiken­ aus Technologie, Demografie und Umwelt. Letztere analysierte auf dem portfolio-Fachforum Ron Dembo von Zerofootprint (siehe Seite 24 ff.). Diese globalen Risiken werden gemäß der Johanning-Studie von den meisten ­Investoren in ihrem Risikomanagement berücksichtigt. ­Insgesamt ­erscheine das Instrumentarium, das die Investoren­ hierbei ­benutzen, stark fragmentiert.
Für Professor Johanning deutet dieser Befund auf eine gewisse Verunsicherung der Anleger im Umgang mit globalen Risiken hin. Die Verunsicherungen, die insbesondere aus der Finanzkrise herrühren,­ sind nachvollziehbar. Das auf dem risikolosen Zins auf­gebaute Gedankengerüst kam sehr stark ins Schwanken. Vielleicht nur noch philosophisch zu beantworten ist die Frage, ob es an einem schlechten Risikomanagement liegt, wenn dadurch Probleme auf­treten, dass ­Credit Default Swaps auf Griechenland monatelang nicht funktionieren, weil einfach offiziell kein Default festgestellt wird.

_Was von der Theorie übrig bleibt

Das Tagesgeschäft ist allerdings weniger philosophisch als durch das konkrete Bedürfnis „vier Prozent“ zu finden, aber auch durch die Optimierung bekannter Risikomanagementgrößen geprägt. So setzen sich bei der Sparkassen-Pensionskasse die Anlagetechniken aus dem Value-at-Risk-Ansatz, aus dem unter anderem der Umfang des Risikoportefeuilles abgeleitet wird, und aus der Modellierung des Risikoportefeuilles über einen modifizierten Markowitz-Ansatz zusammen. „Klassisch“ ist auch das Ziel von Vorstand Olaf Keese, soweit sinnvoll und realisierbar im Rahmen eines LDI-Gedankens die Duration der Aktivseite der Passivseite anzunähern. Zu 98 Prozent ist die Spar­kassen-Pensionskasse in Zinsträger investiert. Zu den Nachteilen des ­Value at Risks ließ sich ausführlich Dr. Hellmuth Milde aus. Der in seinen Risikomanagementansichten konvertierte Professor hält heute die stochastische Modellierung des Finanzmarktgeschehens für sinnlos und kritisiert – zu Recht –, dass beim Value at Risk der komplexe Sachverhalt einer konkreten Ungewissheitssituation auf exakt eine Zahl „eingedampft“ wird. Diese Problematik der Transformation einer Ungewissheitswelt in eine Risikowelt gilt, so Milde, auch für Markowitz, der die Zukunftsungewissheit in einem exakten Wert für die ­Varianz oder die Volatilität ausdrückt.

Allerdings ist es schon längst nicht mehr so, dass dieser eine ­exakte Wert für den Value at Risk von den Investoren dann einfach gutgläubig übernommen wird. „Aus den Schwächen von Modellen ist die Konsequenz zu ziehen, dass diese immer hinterfragt werden müssen“, erläuterte Olaf Keese in seinem Workshop. „Der Zeitaufwand für die Kennzahlenberechnung und der Zeitaufwand für die Interpretation steht darum bei uns in einem Verhältnis von eins zu vier.“ ­Neben der schwierigen Interpretation langfristiger Risiken nannte Keese noch folgende Punkte als Value-at-Risk-Schwächen: ­tendenzielle Unterschätzung von Long-Tail-Risiken, die Annahme der Normal­verteilungshypothese, die Wahl des Konfidenzintervalls und ein hohes inhärentes Modellrisiko. Angesichts dieser Liste stellt sich natürlich die Frage, warum der Value at Risk nach wie vor Verwendung findet. Pro Value at Risk spricht die gute Handhabbarkeit, da die Aggregation und Vergleichbarkeit von Risikokategorien leichtfällt. „Ein gewichtiger­ Vorteil des Value at Risk ist, dass jeder weiß, was gemeint ist. ­Banker und Versicherer sprechen hier die gleiche Sprache“, so Keese, der den Schwächen des Value at Risks außer durch ein ständiges Hinterfragen­ durch Modifikationen, zum Beispiel durch alternative Verteilungs­kurven, und durch Erweiterungen, zum Beispiel in Richtung Expected Shortfall, beikommen will. Dr. Stefan Hanekopf von der ­Öffentlichen Versicherung nennt als Beispiel für die Verbesserung von Markowitz das Bootstrapping. Dieses Verfahren erhöht durch ­eine wiederholte Optimierung mit leichter Modifikation der Input-Daten die Diversi­fikation, reduziert extreme Allokationen und führt zu ­robusteren ­Ergebnissen.

Auch bei der Sparkasse Mittelthüringen lebt Markowitz. Allerdings „nicht blind und stupide“, wie Referent Ronny Graupeter ­betonte. Der Leiter der Treasury-Abteilung gab in seinem Vortrag ­auf dem Fachforum unter der Überschrift „Mehr als Risikomanagement“ einen Einblick in seine Arbeit. Er ist in der Sparkasse Mittelthüringen verantwortlich für die Kapitalmarkt­anlagen und darüber hinaus als Referent und ­Verfasser von Fachbeiträgen rund um die Themen Gesamtbank­steuerung, Kapitalallokation und Risikomanagement tätig.­ In seiner Präsentation verglich er die ­Sparkasse Mittelthüringen mit einem „Dachfonds“ im übertragenen Sinne. Die Subfonds stellen die Profit-Center „Vertriebsbank“, „Allokationsbank“ und „Produktivitätsbank“ dar, während der Dachfondspreis der wert­orientierten Entwicklung der Sparkasse entspricht.

Vier Fünftel der jährlichen Bruttoerträge ­erwirtschaftet die Sparkasse ­Mittelthüringen als stabilen Cashflow aus der Vertriebsbank, ­während die verbleibenden 20 Prozent aus den Kapitalmarktaktivitäten­ der ­Allokationsbank ­stammen. Die Struktur wie auch die Prozesse sind ­dabei bewusst klar, einfach und transparent gehalten. Im Rahmen der eigenen Asset-­Allokation setzt das Institut auf die Software „­S-­Karisma“, die durch die IC-nova AG im Auftrag des Deutschen Sparkassen- und ­Giroverbandes entwickelt wurde und sich an „­Markowitz“ orientiert. Markowitz werde allerdings lediglich „als Handwerkszeug“ herangezogen. Wichtiger seien die Input-Parameter, ­die mit den Entscheidern regelmäßig sehr intensiv diskutiert werden. „Wir verstecken uns nicht hinter dem Modell“, so Graupeter. „Wir kennen­ dessen Funktionsweise sehr genau, treffen aber alle Ent­scheidungen mit gesundem Menschenverstand und stehen dazu, solange­ wir sie vertreten können.“ Ergänzt wird der Investmentprozess ­bereits in der Entscheidungsphase, aber auch in der laufenden Investitionsprüfung durch Szenarioanalysen. Auch die Erkenntnisse der Spiel­theorie und der Behavioral Finance nutzte man bei der Sparkasse Mittel­thüringen in den vergangenen ­Jahren verstärkt. Wie Graupeter in seinem­ Vortrag hervorhob, müsse man sich der Psychologie, insbesondere bei diskretionären Anlage­entscheidungen, bewusst sein und psychologischen Effekten­ gezielt durch die Kombination von syste­matischen und klassischen ­Methoden ­begegnen.

Wie Graupeter ankündigte, plant die Sparkasse Mittelthüringen, die sich derzeit in der Lizenzantragsphase zum Pfandbriefinstitut ­befindet, bis Ende des Jahres die erstmalige Emission zweier Pfandbriefe. Damit wäre das Regionalinstitut die erste Sparkasse im Osten Deutschlands, die neben klassischen ­Pfaden zusätzlich auch diesen Weg zur Refinanzierung einschlägt. Darüber hinaus denkt das Institut über die Auflage eines eigenen, konservativ sicherheitsorientierten Fondskonzepts – gemeinsam mit kooperierender KAG und ­Depotbank – nach, an dem sich externe Geldgeber ­beteiligen könnten. An ­Nachfrage dürfte es nicht mangeln. ­Schließlich werden die Sparkassen­ seit Beginn der Finanzkrise als ­sicherer Hafen betrachtet, „denn sie haben aus langer Tradition ein sehr ­tragfähiges Geschäftsmodell“.

Bei der Sparkasse Oldenburg befasst man sich in diesen Tagen ­intensiv mit den Implikationen, die durch das neue Aufsichtsregime „Basel III“ zu erwarten sind. Josef Gilhaus, Leiter der Abteilung ­Treasury-Management, ging in seinem Vortrag umfassend auf das R­egelwerk ein, dessen Vorgaben er grundsätzlich für nachvollziehbar hält. Gleichwohl prognostizierte er einen enormen Kapital­bedarf, der für den Bankensektor damit einhergeht. Er diskutierte Berechnungen der Boston Consulting Group, wonach auf Basis der ab 2019 geltenden Vorgaben per 2011 275 Milliarden Euro benötigt würden. Interessanterweise sei der sogenannte antizyklische Kapitalpuffer, der die ­Stabilität der Banken weiter erhöhen soll, dabei noch nicht einmal b­erücksichtigt. Entsprechend sei mit einem noch höheren Kapital­bedarf zu rechnen.

Nach Ansicht von Gilhaus erzeugten die hochgesteckten ­Ziele insbesondere börsennotierter Kreditinstitute schon heute Druck auf die gesamte Branche. Institute wie die ­Deutsche Bank sind darauf erpicht, die Basel-­Erfordernisse schon Jahre früher zu erfüllen. „Basel III führt insgesamt zu einer Verteuerung der ­Kredite für Firmen­kunden“, so die Einschätzung. Im gleichen Atemzug verweist Gilhaus auf die Wiener­ Feinbäckerei Heberer, die seit einigen Monaten eine Art Mittel­standsanleihe begibt mit einem Kupon von sieben ­Prozent. Diese Art der Kapitalaufnahme sei vermutlich günstiger als ein Bankkredit. Außerdem entfalle für den Emittenten der Aufwand in Form umfangreicher ­Dokumentations­unterlagen für Beratung.

_Von der Kreditwirtschaft zur Assekuranz

Aus Sicht der Assekuranz spielen dagegen Themen wie QIS und Solvency II eine wesentliche Rolle im Tagesgeschäft, etwa bei der Öffent­lichen Versicherung aus Braunschweig und Dr. Stefan Hanekopf,­ der auch Geschäftsführer von Braunschweig Advisors ist. Das geistige Grundgerüst von Hanekopfs Workshop war der aus den Bausteinen „Messung“, „Planung“, „Steuerung“ und „Kontrolle“ bestehende Risikomanagementprozess sowie die Risikotragfähigkeit als Ausgangsgröße, die den drei Dimensionen „Bilanz/GuV“, „ALM“ und „Aufsichtsrecht“ entsprechen muss. „Risikosteuerung bei der Öffent­lichen ist dreidimensional, aber prognosefrei“, so Hanekopf. Und weiter:­ „In allen Dimensionen kann über die Auslastungsquoten von Risikoergebnis zur Risikotragfähigkeit eine risikoadjustierte Portfoliosteuerung ­implementiert werden.“ Voraussetzung dafür ist Risiko­transparenz. Diese ermöglicht es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. ­Hanekopf: „Eine regelmäßige Risikoberichterstattung zur Kapital­anlage schafft ein Steuerungs-Cockpit für die Entscheidungsträger.“

Zum Thema „Risikomanagement bei Absolute-Return-Strategien“ hat Frank Umlauf, Geschäftsführer von Tajdo Consulting, einen Workshop abgehalten. Die wichtigsten Kriterien bei der Auswahl von Absolute-­Return-Fonds sind für ihn die Qualität der Manager, die Fondsstruktur­ respektive der Ucits-Mantel, das zugrundeliegende Risikomanagement­konzept, die Liquidität, die Volatilität und die Diver­sifikation. In puncto Risiken,­ die es zu managen gilt, hebt er drei Gruppen hervor: operative Risiken, wie das Kontrahenten­risiko; ­Investmentrisiken, angezeigt im Rendite-Risiko-Profil, und ­Event-Risiken, wie unvorhersehbare Schocks. Operative Risiken ­werden laut Umlauf nicht bezahlt und müssen minimiert werden. Event­-Risiken versucht er über die Verringerung des Drawdowns zu ­begegnen, zum Beispiel über die Portfoliokonstruktion.­ Bei ­Investmentrisiken ist es für Umlauf vor allem wichtig, die „Wert­treiber“ zu verstehen, etwa die Korrelationen der Assets. Ein steigender­ Anteil passiver Investments führe zu einem Anstieg der Korrelationen. Absolute-Return-Strategien sollten weitgehend marktneutral sein mit geringen Korrelationen der betreffenden Manager untereinander.

Eine rege Diskussion hatte der ­Aspekt der Wertpapierleihe aus­gelöst und die Tatsache, dass Investoren oftmals nicht nachvollziehen können, ob Wertpapiere aus einem Fonds ausgeliehen sind und an wen. „In ­solchen Fällen rate ich jedem Investor, sich genaue Auskunft beim Fondsanbieter einzuholen. ­Letzterer sollte über die Bewegungen im Portfolio dezidiert Auskunft geben“, sagte Umlauf. Auch bei ­anderen Fragen sollten Investoren sich nicht scheuen, nach Informationen zu fragen, um Risiken besser einschätzen zu können.

portfolio institutionell, 23.5.2012

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