Pensionskassen
15. März 2023

Risikoprämien für die Altersvorsorge

Der Zinsanstieg hat vieles durcheinandergewirbelt. Allerdings nicht den Rahmen für die institutionelle Kapitalanlage. Für KZVK-Vorstand Dr. Wolfram Gerdes sollte die Zinsentwicklung aber auch Anlass sein, sich über Grundsätzliches Gedanken zu machen.

Beispielsweise, ob für Altersvorsorge nicht nur das ALM relevant sein sollte, sondern auch Krankenschwestern, der „Mann von der Straße“ und ein Truthahn – drei Parameter, die die Zusatzversorgungskasse bestärken, weiter in Real Assets zu diversifizieren.

Herr Dr. Gerdes, was konnte man 2022 für das Risikomanagement lernen?

2022 wird als Crash des sicheren Hafens in die Annalen eingehen. Mit immer niedrigeren Zinsen wurde das Rückschlagpotential von Anleihen immer höher und letztes Jahr ist es passiert. Wenn aber der Rentenmarkt crasht, gibt es keinen Platz zum Verstecken. Wir hier fahren einen hohen Aktienanteil und haben noch Reserven. Das Polster ist aber sehr zusammengeschmolzen. Vermutlich sitzt aber die komplette Versicherungsbranche nun durchschnittlich auf stillen Lasten. Versicherer sind bekanntlich in Nominalwerte stark allokiert, also in der Anlageform, die eigentlich die Aufgabe hat, Sicherheit darzustellen.

Das System basiert auf Fixed Income wegen der Garantien.

Eine ganze Anlegergeneration hat gelernt, dass man mit Anleihen für das eingegangene Risiko mehr Rendite machen kann. Auch ein Grund, warum die Leute denken, dass Aktien Teufelszeug sind. Bei den Garantien hat eine Änderung eingesetzt. War das Garantieversprechen in der Niedrigzinsphase etwas, was man guten Gewissens an den Kunden verkaufen sollte? Nein. Aber es war schwierig, dem Kunden zu vermitteln, warum er auf Garantien verzichten soll. Man konnte die Garantie aber nicht mehr empfehlen, weil sie irrwitzig teuer wurde. Mehrheitlich kamen die Versicherer nun von der 100-Prozent-Garantie ab. Ich erwarte auch nicht, dass die Branche jetzt wieder zurück zu Garantien geht, weil die Zinsen nun bei drei Prozent stehen.

Was machte der Zinsanstieg mit der KZVK?

Ich habe nicht geglaubt, dass wir in einer neuen Welt leben, wo Zinsen dauerhaft nahe bei Null liegen, und habe an einer niedrigen Duration festgehalten. Wir sind dafür mehr in Substanzwerte gegangen, was auch eine Art von Durationsverlängerung ist. Jahrelang war es aber schwierig, gegenüber dem Aktuar und auch hier im Haus zu argumentieren, warum die Zinsen steigen sollten. Ich konnte nur darauf verweisen, dass ökonomische Gesetze weiter gültig sind und Anleger eines Tages wieder Ertrag haben wollen. Diese Diskussion wurde jedes Jahr unangenehmer. 2022 wurden dann meine Annahmen verifiziert. Ich gehe davon aus, dass unser bilanzieller Schmerz geringer als bei anderen ist. Allgemein wurde mit den fallenden Zinsen immer länger angelegt, auch um sich die nötigen Renditen zu sichern. Wie Talebs Truthahn sind auch die Menschen Trendfolger. US-Staatsanleihen fielen von 18 Prozent in den 80er-Jahren auf null Prozent. Bei null Prozent musste man sich aber fragen, wo die Risikoprämie ist, und hätte zu einer anderen Position bezüglich Rentenanlagen kommen müssen. Nicht gedacht hätte ich aber, dass der Zinsanstieg so schnell geht. Ich gehe davon aus, dass die jetzigen drei Prozent viel normaler sind. Zudem können die Zentralbanken die Inflation nicht aus dem Blick lassen. Trotzdem sind in den nächsten Jahren auch wieder niedrigere Zinsen möglich, weil es sehr valide ist, dass die Inflation wieder zurückgeht.

2022 verloren Anleihen und Aktien zweistellig. Musste die KZVK strategisch reagieren?

Wenn man eine Strategie in volatilen Phasen nicht durchhalten kann, wird es schwierig. Eine Strategie sollte auf jeden Fall wesentlich länger als ein Kalenderjahr sein und auch länger als ein Investitionszyklus. Die KZVK hat die nötigen Voraussetzungen für langfristige Anlagen. Auch wir hier beschäftigten uns in den vergangenen Jahren intensiv damit, was unser eigentliches Risiko ist. Unser Risiko ist nicht das eines Portfoliomanagers, der Kundengelder verwaltet und nach einem schlechten Jahr befürchten muss, dass man ihm das Geld entzieht. Das ist auch das Risiko einer Bank oder einer Versicherung, bei denen auch die Aufsicht im Auge hat, dass Kunden jederzeit ihr Geld abziehen können. Unsere Versicherten können das nicht. Diese haben keine Rechtsgrundlage, zwischenzeitlich das Geld abzuziehen oder das Leistungsprofil zu ändern.

Bei uns hat ein Versicherter nur einen Anspruch: nämlich eine Rente zu bekommen. Somit hat ein Versorgungssystem wie das unsere die Kalkulations- und Rechtssicherheit, dass die Einzahlungen bis zu 40 Jahre lang nicht aus dem Haus gehen. Natürlich kommt es vor, dass Versicherte ihren Arbeitgeber wechseln oder versterben. Aber das ist statistisch abbildbar und somit planbar. Wenn ich ausschließen kann, dass im nächsten Jahr Mittel in größerem Umfang abgezogen werden, dann ist unsere Risikotoleranz somit viel größer als die eines Vermögensverwalters von Dritten. Wir können nicht gezwungen werden, in gestressten Märkten verkaufen und Liquidität schaffen zu müssen, um die Renten auszahlen zu können. Schwierige Ereignisse haben für uns eine andere Dimension. Bei Covid waren wir alle durch den Wind, aber für die KZVK war das nur eine Delle. Eine langfristige Strategie tatsächlich durchhalten zu können, ist ein hohes Gut.

Trotzdem musste die Einrichtung in den vergangenen Jahren Sanierungsgelder und Stärkungsbeiträge erheben.

Diese Gelder waren zu keinem Zeitpunkt die Folge von ungünstigen Verläufen beziehungsweise Verlusten in der Kapitalanlagenentwicklung. Auslöser war, dass im Jahre 2002 von einem Umlage- auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt wurde. Zur Schließung der zwangläufig resultierenden, initialen Kapitallücke erhob man damals zusätzliche Beiträge – wobei „Sanierungsgeld“ leider eine irreführende Bezeichnung war –, um diese Lücke über einen langen Zeitraum zu schließen. In der Beitragskalkulation um die Jahrtausendwende ging man von nachhaltig erzielbaren Zinsen von rund sechs Prozent aus. Diese Annahme war infolge des Zinssenkungstrends, den so massiv niemand erwartet hatte, aus späterer Sicht nicht zu halten. Im Ergebnis wurde bei uns der Zeitraum zur Abtragung dieser „Altlasten“ bis 2043 verlängert, um die hierfür anfallenden Beiträge auf ein verträgliches Niveau zu beschränken.

Von Vorteil ist auch, dass die KZVK eine wachsende Einrichtung ist.

Beteiligt an der KZVK sind diakonische und kirchliche Arbeitgeber. Unser Versichertenkollektiv wächst relativ stetig mit zwei Prozent pro Jahr und wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass damit auch unsere Bilanz und Kapitalanlage noch mindestens über zehn bis 15 Jahre weiter anwachsen werden. Außerdem ist unser Versichertenkollektiv im Vergleich zu anderen Einrichtungen noch relativ jung. Jedes Kollektiv kommt aber irgendwann in eine Reifephase. In unserer kleineren Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, der VKPB, ist der Zenit schon überschritten. Diese Kasse hat bezüglich der Kapitalanlagen ihren Zenit vermutlich erreicht, hat also eine andere Dynamik.

Was heißt das für „risky Assets“ wie Aktien?

Aktien bieten eine attraktive Risikoprämie über Anleihen – können aber auch manchmal ziemlich wehtun. Wenn ich aber eine Anlage zehn oder 15 Jahre durchhalten kann, dann muss mich eigentlich nur der durchschnittliche Ertrag über diesen Zeitraum und nicht die Volatilität des Einzeljahrs interessieren. Je besser ich die Cashflows der Verpflichtungsseite im Griff habe, desto mehr kann ich mir auch vergleichsweise illiquide Anlagen wie Private Equity und Immobilien erlauben. Die KZVK hat über 40 Prozent ihres Vermögens in Aktien und Beteiligungen investiert und plant, diesen Anteil weiter zu erhöhen.

Warum macht die KZVK trotz ihres langfristigen Horizonts jährlich eine ALM?

Eine andere Frequenz wäre auch möglich. Würden wir nur alle drei Jahre eine ALM-Studie machen, wären die Ergebnisse immer noch sehr ähnlich. Viele Dinge im Wirtschaftsleben sind aber auf einen Jahreszyklus geeicht. Eine jährliche ALM hilft aber, gerade auf der Verbindlichkeitenseite Verschiebungen schneller zu erkennen. Auf der Asset-Seite wäre es wenig zielführend, jährlich die Annahmen für die Risikoprämien einer Anlageklasse zu ändern.

Bonds dürfte man nun stark anders sehen.

Ändern sich die Zinsen, hat das Auswirkungen auf alle Asset-Klassen, vor allem auf Immobilien und Private Equity. Der Zinsmarkt fungiert quasi als Anker für die Renditeerwartungen sämtlicher Kapitalanlagen. Nachdem die Zinsen jahrelang immer noch niedriger wurden, kam nun die Umkehr. Es war nicht unbedingt überraschend, dass Zinsen auch steigen können. Aber viele hat überrascht, wie schnell der Zinsanstieg erfolgte – und diese Entwicklung beeinflusst die Versicherungstechnik und das Anlageportfolio. Wenn die Zinsen bei null sind, sind auch niedrigere Renditen in den anderen Anlageklassen zu erwarten. Bei drei Prozent kann ich dagegen mit höheren Ertragspotenzialen planen. In meiner Berufslaufbahn habe ich auch schon eine Anlagewelt mit acht Prozent Zinsen für Anleihen bester Bonität erlebt. Wenn sich nun die Ansprüche an die Mindestverzinsung nicht geändert haben, sind Zinspapiere wieder auskömmlich und können ein Teil der Lösung anstatt wie zuletzt der wesentliche Teil des Problems.

Und das Problem der Realverzinsung?

Ja, die Inflation ist hoch. Aber das Leistungsversprechen ist nominal. Somit entlastet der Zinsanstieg nach vorne betrachtet Einrichtungen wie unsere. Im Jahr der Bilanzerstellung ist der Anstieg eine Belastung.

Sie können aber zum Nennwert bilanzieren.

Wir haben dieselben Bilanzierungsregeln wie Versicherungsunternehmen und auch wir kennen die Unterscheidung zwischen Anlage- und Umlaufvermögen. Wir können also, sofern kein Ausfallrisiko besteht und wir die Durchhalteabsicht belegen können, das Anlagevermögen nominal bilanzieren. Das hat den Vorteil, Abschreibungen zu vermeiden, und den Nachteil, weiter zur niedrigen Rendite allokiert zu sein. Zudem werden bei einer Bilanzierung zum Nominalwert erhebliche Reserven verzehrt. Ob ich nun abschreibe und mir dann höhere Renditen einkaufe oder nicht: Zur Fälligkeit der Anleihe kommt es auf das Gleiche hinaus. In jedem Fall werden die Kapitalanlageergebnisse im Jahresabschluss 2022 viel schlechter sein als wie die Jahre zuvor.

Braucht es denn nun noch Alternatives?

Wenn man daran glaubt, dass sich die Risikoprämien nicht großartig verändern, können, ist anzunehmen, dass sich der Kaufdruck bei Alternatives verringert. Es wird bei Immobilien und Private Equity zu Preisrückgängen kommen. Es ist keine Frage, dass Immobilien wegen des Zinsanstiegs heute weniger wert sind. Zwar mögen Gutachten keine Veränderungen zum Vorjahreswert erkennen und vielleicht sogar noch über die höheren Baupreise eine Steigerung des Gebäudewerts ermitteln. Letztendlich relevant ist für den Anleger aber der Preis, bei dem Angebot und Nachfrage zusammenkommen – und das ist nicht der Wert, den der Gutachter ermittelt hat. Der Gutachterwert trifft auf keine Nachfrage, was sich anhand der drastisch reduzierten Handelsumsätze belegen lässt. Grund sind die ungünstigeren Refinanzierungskosten. Auch Private Equity muss Preisanpassungen durchlaufen, um Angebot und Nachfrage wieder zusammenzubringen. Ob diese Asset-Klasse weiter eine Illiquiditätsprämie zu Aktien verdient, hängt davon ab, ob die Akteure genügend Unternehmen finden, mit denen sich Mehrwert schaffen lässt. Und warum sollte das nicht der Fall sein? Glücklicherweise gibt es wie eh und je junge Leute mit kreativen Ideen und Unternehmertum. Gerade wenn man an der Welt angesichts der Nachrichtenlage verzweifelt, tut es gut, sich mit Private Equity zu beschäftigen, um zu erleben, welches kreative Potential unsere Welt bietet.

Und das heißt für Ihre Asset-Allokation, …

… dass sich diese nicht großartig ändert.

Aber wenn nun die Real Assets günstiger bewertet sind: Müsste man dann nicht mehr ins Risiko gehen?

Mein Maßstab sind die Abstände der Risikoprämien der Asset-Klassen. Und wie gesagt erwarte ich nicht, dass sich die Differenzen der Risikoprämien in den nächsten fünf bis zehn Jahren dramatisch ändern. Aber nun finden Anpassungsprozesse statt. Heute würde ich nicht in Immobilien zum Preis von vor zwölf Monaten investieren, sondern abwarten. Aber das ist taktisch und nicht strategisch. Grundsätzlich bleiben Immobilien eine attraktive Asset-Klasse.

Die KZVK hält auch einen Wohnungs-Direktbestand. Mit Blick auf energetische Sanierungen und Inflation müssen die Mieten hoch. Wie schwer fällt dies einem Investor mit kirchlichem Hintergrund?

In erster Linie ist meine Aufgabe, für sichere Renteneinkünfte zu sorgen. Es gibt die Argumentation von Mietern in Not, dass wir als Kirche die Miete doch um 20 Prozent senken müssten. Aber dann müsste ich die Rente der Krankenschwester, die bei uns ihre gesetzliche Rente aufbessern will, um 20 Prozent kürzen. Und es ist die Krankenschwester, die mit ihren Beiträgen hilft, Wohnungssuchenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Was da gerecht ist, entscheidet zu guten Teilen der Markt. Auch als kirchlicher Anbieter kann ich nicht substantiell vom Markt abweichen.

Wie willkommen ist die Inflation für einen Vorstand Kapitalanlage?

Inflation hilft, nominale Versprechen zu erfüllen. Man wäre aber ein schlechtes Altersversorgungsunternehmen, wenn man die Inflation nur als Faktor sieht, der das eigene Risiko reduziert. Wir sehen uns in der Verantwortung, die Konsequenzen der Inflation für Anspruchsberechtigte zu berücksichtigen. Auch, weil wir medizinische Beihilfen finanzieren, deren Kosten stark stiegen. Gesellschaftlich betrachtet ist Inflation sozialer Sprengstoff. Hierzulande leben immer mehr Menschen von Alterseinkommen. Sie können nicht wie Erwerbstätige über Tarifverhandlungen höhere Einkommen aushandeln. Trotzdem glaube ich nicht, dass man darum die gesamte Altersvorsorge in Frage stellt. Dieses System hat schon früher höhere Inflationsraten erlebt und diese Phasen erfolgreich bestanden.

Allerdings hatten wir in den 70er-Jahren auch noch eine andere Demographie.

Die Demographie ist ein Punkt, die mich nicht nur als Anleger, sondern auch als Mitverantwortlicher für das Unternehmen beschäftigt. Wir alle werden lernen müssen, dass Dinge, die bislang immer im Überfluss da waren, fehlen. Man sieht im Supermarkt manchmal leere Regale und Energie wurde teurer. Darauf kann man reagieren, beispielsweise indem wir hier im Büro weniger heizen. Diese Engpässe werden in der Marktwirtschaft über den Preis geregelt. Im Supermarkt sieht man aber auch leere Kassen und in unserer Branche suchen alle händeringend Anlagespezialisten, Risikomanager und ESG-Experten. Das führt zur Verteuerung der Arbeit. Aber damit löst sich das Problem nicht, weil die Anzahl potenzieller Arbeitnehmer begrenzt ist.

Höhere Gehälter führen nicht zu mehr Geburten. Also muss man in die Arbeitsprozesse gehen und schauen was sich automatisieren oder digitalisieren lässt. In unserer Branche stellen sich viele als Künstler dar, um unverwechselbarer zu wirken. Letztendlich ist es aber qualifiziertes Handwerk. Ein Beispiel: Viele Kreditprüfungen sind heute weitgehend standardisiert und nutzen intensiv Methoden der Datenverarbeitung. Schon in der Vergangenheit hat sich das Geschäft laufend verändert: Vor 30 Jahren bekam ich als Manager von Aktienportfolios von Brokern telefonisch die Information, dass die Aktien der Dresdner Bank um 0,7 Prozent gefallen sind. Heute haben alle, auch hier bei der KZVK, Bloomberg-Terminals und Broker verdienen ihr Geld mit anderen Tätigkeiten. Was wir heute noch nicht haben, ist eine zufriedenstellende Standardisierung von Nachhaltigkeit – aber das wird es eines Tages auch geben.

Bei Banken gibt es immer wieder Fusionen. Diese sollen zur Fixkostendegression bei IT und Mitarbeitern beitragen. Ist dies auch für Kapitalsammelstellen denkbar?

Das Argument leuchtet ein. Kapitalanlage ist skalierbar. Heute gibt es auch weniger Versicherungen als noch vor 30 Jahren. Die Konsolidierung in unserer Branche – auch was KVGen und Asset Manager betrifft – ging aber viel langsamer vonstatten als prognostiziert. Ein Grund mögen Unterschiede in den Finanzierungsverfahren sein.

Inflation und Demographie erfordern höhere Renten. Bräuchte es darum im Interesse der Anspruchsberechtigten nicht eine andere Kapitalanlage? Die Portfolios sind voll mit Fixed Income, vermieteten Immobilien, Infrastruktur und Private Debt. Es fehlt also an Wachstums-Assets!

Weltweit nimmt relativ zum Wirtschaftswachstum die Kapitalbildung stark zu, weshalb im Schnitt Altersvorsorgeeinrichtungen wachsen. Grund der sogenannten Sparschwemme ist, dass immer mehr Menschen immer älter werden. Tatsächlich wäre es aus meiner Sicht aus vielen Gründen vorteilhaft, wenn diese auch – nicht nur für die Energiewende – Risikokapital. Dieses Kapital fehlt, wenn man sagt, dass Pensionssysteme sich an diesem notwendigen Kapitalbildungsprozess nur eingeschränkt beteiligen dürfen. Dann entsteht auch kein symbiotisches System zwischen Wirtschaft und Kapitalsammelstellen. Ich glaube die meisten Anleger wären bereit und auch so vorausschauend, mehr in Eigenkapital zu investieren. Aber heute sind dann die regulatorischen Quoten schnell ausgeschöpft. Noch ein Gedanke: Frägt man den „Mann von der Straße“, ob er sein Geld sicher anlegen will, sagt er ja. Frägt man ihn, ob er Schulden gut findet, sagt er nein. Gäbe es aber weniger Schulden, gäbe es weniger Anleihen. In der Folge wären Anleger gezwungen, höhere Eigenkapital-Quoten zu fahren. Es können nur so viele Kredite aufgenommen werden, wie die Leute bereit sind, Kredite zu finanzieren – und umgekehrt.

Für auskömmlichere Renten bräuchte es also weniger Regulierung?

Ich würde sagen, es bräuchte eine Regulierung mit mehr Anlagequoten-Flexibilität. Tatsächlich tendieren Regulierungssysteme oft zu immer engmaschigeren Regelwerken, teilweise aus nachvollziehbaren Gründen. So entschied zum Beispiel die Politik, dass sie ihre Aufgabe, eine nachhaltigere Welt zu schaffen, per regulatorischer Vorgaben an Kapitalanleger weiterreicht. Dass es gewisse Regeln braucht, ist einleuchtend. Die Frage ist aber, ob diese Regeln zielführend oder kontraproduktiv sind. Wir als Altersvorsorgeeinrichtung sind interessiert und bereit, die Energiewende mitzufinanzieren. Installieren wir aber auf den Dächern unserer Immobilien PV-Anlagen, werden wir nicht mehr als zweckgebundener Vermögensverwalter gesehen, sondern als gewerblicher Betrieb. Dies wiederum kann zur Besteuerung sämtlicher Kapitalerträge führen, was unseren primären Unternehmensauftrag gefährdet. Der Gesetzgeber möchte den Wettbewerb mit Akteuren mit anderer steuerlichen Behandlung regulieren. Als Nebeneffekt werden wichtige Kapitalgeber vom erforderlichen Infrastrukturausbau ausgeschlossen. Die Herausforderung der Politik besteht darin, grundsätzlich sinnvolle Regeln aufrecht zu erhalten, aber diese so anzupassen, dass das Erreichen übergeordneter, gemeinsamer Ziele nicht behindert wird.

Mit Puffergesellschaften oder Verbriefungen lassen sich diese Probleme doch lösen.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ich kann nur für PV-Module ein Beteiligungsvehikel aufsetzen. Dafür braucht es aber eine Ausschreibung, um passende Dienstleister zu finden, es braucht Rechtsgutachten, Steuergutachten sowie einen Jahresabschluss und dafür wiederum einen Wirtschaftsprüfer. Mit Blick auf beschränkte Ressourcen ist es aber vernünftig, zunächst die Dinge anzugehen, wo weniger Aufwand zu einem größeren Nutzen der Versicherten führt.

Sorgt die Regulierung für Fehlallokationen?

Mein Paradebeispiel ist die im Juni 2020 von Österreich mit einer Laufzeit von 100 Jahren und einem Kupon von null Prozent emittierte Staatsanleihe. Soll ich Österreich Geld geben für das Versprechen, das Geld im Jahr 2120 nominal wieder zu bekommen? Käufer sagen, dass sie ein Long-Duration-Element für ihr ALM brauchen, falls die Liabilities stark steigen. Es gibt eben eine Anlegerwelt, die in ihrem Risikomesssystem und in ihrer Regulatorik gefangen ist. Die suchen ein günstiges, handelbares Produkt, welches die Duration verlängert, um das Risiko eines Auseinanderdriftens von Aktiv- und Passivseite zu begrenzen. Was heißt dies aber, wenn angesichts von Nullzinsen über einen so langen Zeitraum das Risiko deutlich steigender Zinsen viel höher ist als das eines kurzfristigen, weiteren Abfalls um eine kleine Spanne? Meiner Ansicht nach darf ich mich auch angesichts einer ALM-Systematik nicht um diese Frage herumdrücken: Was bedeutet es, eine Anleihe über 100 Jahre zu zeichnen und dabei keinerlei Return-Erwartung zu haben? Antwort: Dass man das Geld in großen Teilen auch gleich in den Ofen stecken kann. Diese Nullkupon-Anleihe mit Fälligkeit in 2120 notiert übrigens heute bei nur noch sechs Prozent ihres Nominals.

Österreichs erste 100-jährige Anleihe hat sich aber zeitweise mehr als verdoppelt.

Das hat nichts mit langfristiger Kapitalanlage zu tun. Wenn ich eine schlechte Anlage in der Hoffnung kaufe, dass sich in einem Jahr jemand findet, der dann eine noch schlechtere Anlage kauft, dann ist dies Spekulation. Findet man keinen Dümmeren, ist man selbst der Dumme. Rational wäre nur die Erwartung einer 100jährigen Deflation. Aber wer glaubt das schon ernsthaft, beziehungsweise kann dieses Risiko in verantwortlicher Weise beziffern?

Wie nachhaltig investiert ein Investor mit kirchlichem Hintergrund?

Bei Aktien ist der Energiesektor für uns ein großes Thema. Das fördern fossiler Brennstoffe ist schwierig und bezüglich Atomkraft hat die evangelische Kirche die gleiche Sicht wie die Grünen. Private Equity ist mit Ausnahme von vielleicht Pharma in aus ESG-Aspekten eher unkritischen Sektoren unterwegs. Schwierig sind dagegen Staatsanleihen: Will man Staaten meiden, die die Todesstrafe nicht ausschließen, muss man sich quasi auf Europa beschränken. In unseren Gewerbeimmobilien wollen wir nicht jeden haben. Einmal wollte eine Spielhalle bei uns mieten. Obwohl wir schon ein paar Monate Leerstand hatten, haben wir aus ESG-Gründen – und hier zog das „S“ – nicht an diesen Betreiber vermietet. Im liquiden Bereich haben wir über viele Mandate rund mehrere Tausend Einzelanlagen. Da es unmöglich ist, die zugehörigen Transaktionen ex-ante einzeln zu genehmigen, wird es immer Verstöße geben. Realistisches Ziel ist nicht, zu 100 Prozent ESG-konform zu sein, sondern, dass sich ein Mechanismus etabliert, der nicht-nachhaltiges Verhalten von Unternehmen sanktioniert und deren Kapitalkosten erhöht – und dies über das gesamte Portfolio hinweg. So leistet man einen größeren Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, als wenn man sich auf einzelne Impact Investments konzentriert.

Was sind die Pläne für die Zukunft?

Die Strategie steht im Großen und Ganzen. Geplant ist, die Diversifikation weiter voranzutreiben, sprich die Rentenabhängigkeit, die bereits deutlich gesunken ist, noch weiter zurückzufahren. Strategisch die attraktivsten Asset-Klassen sind Private Equity und Immobilien, denn grundsätzlich belohnt der Markt Illiquidität.

Was ist mit Infrastruktur?

Ich bin nicht bereit, Ressourcen für kleine Beimischungen zur Verfügung zu stellen. Wir haben aber auch keine Lücke, die geschlossen werden muss. Infrastruktur ist irgendwo zwischen Private Equity und Immobilien, wo wir bereits gut aufgestellt sind. Infrastruktur in Private Equity einzuordnen, würde die Rendite verwässern. Langfristig wollen wir einem Portfolio mit je einem Viertel in Private Equity, Aktien, Immobilien und Fixed Income immer näher kommen. Obwohl wir uns seit Jahren in diese Richtung bewegen, werde ich das aber beruflich nicht mehr erleben. Was uns motiviert: Auf diesem Weg haben die Erfolge Misserfolge mehr als kompensiert.

Die Kirchliche Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen, KZVK, kommt auf Kapitalanlagen von etwa elf Milliarden Euro, auf 3.500 beteiligte Arbeitgeber und begrüßte vor kurzem ihren 100.000 Rentner. Die Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, kurz VKPB, hat knapp fünf Milliarden Euro zu investieren. Seit 2011 ist Dr. Wolfram Gerdes Vorstand Kapitalanlagen und Finanzen. Er ist ein Freund von Real Assets, aber nicht von 100jährigen Nullkupon-Anleihen. Letztere könne man „auch gleich in den Ofen stecken“. Befeuert wird dieser Gedanke unterbewusst vielleicht dadurch, dass es in den Büros der KZVK derzeit empfindlich kühl ist. Diese Zimmertemperatur mag aber auch dazu beigetragen haben, dass Gerdes in Krisen einen kühlen Kopf bewahrt.

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