Schwarzer Schwan
4. September 2015

So wird die Kuh gemolken

Wer geglaubt hat, der Assekuranz gehen derzeit nur die niedrigen Zinsen und Solvency II durch den Kopf, irrt. Die großen Kfz-Versicherer denken vielmehr über neue Einnahmequellen nach.

Die deutsche Automobilindustrie genießt einen Ruf wie Donnerhall. Das liegt nicht zuletzt an Fahrzeugen wie dem legendären Porsche 911, der mit der jüngsten Entwicklungsstufe zwar nicht wirklich neu erfunden wurde, dem es aber dank raffinierter technischer Spielereien und Leistung im Überfluss gelingt, seine Fans bei der Stange zu halten. Wenn Sie sich fragen: Macht portfolio jetzt auf Autojournalismus?, dann liegen Sie damit nicht ganz falsch. Wobei: Auch wenn wir uns hiermit für Pressereisen zu den schönsten Autoteststrecken dieser Welt bewerben – uns geht es im Kern immer irgendwie um institutionelle Investoren – und was sie auch auf der Liability-Seite umtreibt. Womit wir beim eigentlichen Thema wären. 
Die deutschen Autoversicherer haben in den vergangenen Wochen und Monaten einen kühnen Plan ausgeheckt, der Fans der Marke Porsche und auch jeden anderen Automobilisten früher oder später kalt erwischen könnte: Anhand von automatisch übermittelten Fahrzeugdaten wollen die Versicherer in Zukunft ein Fahrerprofil für den Versicherungsnehmer erstellen. Dieses Fahrerprofil soll dann dazu dienen, so hat es die automobile Fachpresse in Gestalt des renommierten Magazins „sport auto“ treffend erkannt, „die Kuh auch korrekt zu melken“. Sprich: Wer öfter schnell fährt, müsse entsprechend tiefer in die Tasche greifen, weil er – zumindest indirekt – als Raser kategorisiert werde. Wir meinen: So lässt sich auch problemlos herausfinden, ob Formel-1-Pilot Sebastian Vettel selbst in seiner Freizeit um die Häuser zimmert. 
Nun ist die moderne Überwachungstechnologie, die den Versicherern mittels satellitengestützter GPS-Daten neue Wege eröffnet, kein ganz so neuer Hut. Die Sparkassenversicherung beispielsweise hat schon 2013 mit „S-Drive“ den nach eigener Einschätzung ersten „Telematik-Sicherheits-Service“ versuchsweise eingeführt. Das Projekt befindet sich bis heute in der Testphase: Insgesamt 1.000 Autofahrer nutzen dabei die Möglichkeit, sich durch den Einbau einer zigarettenschachtelgroßen Box auf der Fahrt überwachen zu lassen. Im Gegenzug erhalten Sie fünf Prozent Rabatt auf ihre nächste Jahresrechnung. Die Redaktion von „Zeit Online“ sieht die Sache nicht ganz unkritisch, es gehe dabei nicht um Sicherheit, wie die Versicherung suggeriere: „Es geht um das wirtschaftliche Risiko der Versicherung. Der Fahrer soll gezwungen werden, das statistische Unfallrisiko und damit den möglichen Gewinnausfall des Unternehmens zu verringern, ob ihm das selbst nutzt oder nicht.“ 
Auch die Huk-Coburg testet eine solche Zusatzbox im Auto zur Erstellung der Fahrerprofile in der Praxis. Deutschlands größter Autoversicherer plant, sogenannte Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung einzuführen. Damit weiß die Versicherung nicht nur, wer unfallfrei unterwegs ist, sondern auch, wer risikoadjustiert unfallfrei unterwegs ist. Aussagekräftiger als diese Auto-Sharpe-Ratio ist für die Kundenportfoliooptimierung aber die maximum Downside, sprich der größtmögliche Schaden. Die Kür sind Value-at-Risk-Berechnungen, also welche Schadenshöhe innerhalb einer Periode (Fasching, Silvester, Glatteis) mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Für die Mathematiker in Versicherungen, deren Modelle in der Kapitalanlage mangels Zins und mangels Diversifikation nicht mehr verwendet werden können, entstehen damit in der Sachversicherung ganz neue Einsatzgebiete. 
Die Zukunft im Google-Zeitalter wird aber sein, dass die Versicherung nicht nur das Fahrverhalten ermittelt, sondern auch die Fahrtstrecke. Steuert der Fahrer ein Krankenhaus, ein Skigebiet, einen Friedhof oder das Ausland an, kann ihm die Versicherung sofort den passenden Versicherungsschutz anbieten. Dann hätte Autofahren endgültig nichts mehr mit Freiheit und Selbstbestimmung zu tun. 
Trotz dieser wenig erbaulichen Aussichten wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende.
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