Pensionskassen
12. April 2024

Sozialpartnermodelle im sozialistischen Gegenwind

Nachdem die ersten drei Sozialpartnermodelle aufgegleist sind, griff die IG-Metall-Basis in die Speichen. Auch von Verdi kommt Gegenwind. Der Abschlussbericht der IG Metall Baden-Württemberg ist aber eine Klatsche für die Verhinderer. Derweil ringt die Awo Unterfranken mit Verdi um ein SPM für die Gesundheitswirtschaft.

Bekanntlich gibt es als drittes Sozialpartnermodell (SPM) ­überhaupt nach der Energie- und Chemiebranche nun die Vereinbarung der reinen Beitragszusage für Privatbanken und Finanzdienstleister. Seit Dezember 2023 läuft der entsprechende Tarifvertrag (TV), ­vereinbart vom Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes, Verdi und dem Deutschen Bankangestellten-Verband (siehe ­Ausgabe 1/2024). Am 23. Januar fand die konstituierende Sitzung des Sozialpartnerbeirats statt. Zuvor hatte die Bafin die Unbedenklichkeit der ­Pensionspläne des Versorgungsträgers BVV Pensionsfonds des Bankgewerbes bestätigt. Auch zum Tarifvertrag und der damit verbundenen Muster-Betriebsvereinbarung gab es keine Einwände. „Im nächsten Schritt werden wir in Abstimmung mit dem ­Sozialpartnerbeirat in die direkte Beratung der Unternehmen ­gehen“, so BVV-Vorstand Marco Herrmann.

Dagegen ist ein anderes verheißungsvolles SPM-Projekt vorläufig gescheitert. Bekanntlich entschied der 25. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall im Herbst 2023: „Modelle der reinen ­Beitragszusage, die die Unternehmen vom Haftungsrisiko ent­lasten, auf Garantien verzichten und das Risiko auf Beschäftige und Betriebsrentner übertragen, lehnen wir ab.“ Damit wurde die Entwicklung eines weit gediehenen SPM zwischen Südwestmetall und der IG Metall Baden-Württemberg jäh gestoppt, obwohl schon ein verbindliches Verhandlungsergebnis der IG Metall Baden-Württemberg vorlag, dem auch der IG-Metall-Vorstand zustimmte. Der 45-seitige Abschlussbericht der Gewerkschafter im Südwesten liest sich wie eine Blaupause für gute Sozialpartnermodelle. Ver­glichen mit den üblichen Versicherungsprodukten sei nicht nur ein rentierlicheres bAV-System entwickelt worden, „obendrein ist es insgesamt vor allem für den Einzelnen ohne formale Sicherheiten wertstabiler als etwa die Beitragszusage mit Mindestleistung oder die beitragsorientierte Leistungszusage“, schreibt Roman Zitzelsberger. „Und das bereits bei einem Kollektiv von 50.000 ­Versicherten mit einem jährlichen Zuwachs von 5.000 Versicherten“, so der scheidende Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Laut Bericht bescheinigte die Bafin dem Projekt einen sehr effektiven ­Sicherungsmechanismus. Das kollektive Sicherungssystem sah vor, dass gesetzlich die kollektive Anlage des Versorgungskapitals ermöglicht wird. Mit einer konservativen Anlagestrategie mit 4,82 Prozent Durchschnittsrendite werden die Sicherungsziele erreicht und höhere Startrenten als mit Direktversicherungen erzielt, ­zeigen Simulationsrechnungen einer ALM-Studie von 2023.

In einer Simulation der Rendite ab 2025 mit 1.000 Kapitalmarkt­szenarien über 80 Jahre hat der Dienstleister Willis Towers Watson (WTW) errechnet, dass der Sicherungspuffer nur moderat genutzt und keine Renten oder Versorgungen abgesenkt werden müssten. Theoretisch könnte es alle 400 Jahre zu einer Rentenkürzung ­kommen. Bei konstanter Ertragserwartung von 4,82 Prozent, einer Regelrendite von 2,0 Prozent, einem Verrentungszins von 2,3 ­Prozent und Verwaltungskosten von 0,75 Prozent ergäben sich aus 100.000 Euro Kapital lebenslang 400 Euro monatliche ­Betriebsrente. Die Leistungen aus der Versicherung betragen bei identischen ­Annahmen und 100 Euro Monatsbeitrag nur 250 Euro – auch, weil es wegen der Garantien zu höheren Kosten und wegen der Gewinnerzielungsabsicht zu niedrigeren Erträge kommt – siehe Tabelle.

In der Praxis dürfte der Vorteil des SPM noch größer sein, da die ­Simulation noch nicht die aktive Steuerung der TV-Parteien ­berücksichtigt hat, die auf Kapitalmarktentwicklungen, das Verhältnis von Anwärtern und Rentnern sowie auf die Nutzung des ­Sicherungspuffers reagieren würde. „Die 20 Prozent schlechtesten Szenarien können durch die laufende Steuerung verhindert ­werden“, heißt es im Abschlussbericht der IG Metall Baden-Württemberg. Die Wahrscheinlichkeit, unter das Niveau der Beitrags­garantie bei Versicherungen zu fallen, sei beim SPM zudem nahe null; die Sicherungsniveaus von SPM und Lebensversicherung ­seien äquivalent. Betriebsrentner müssten auch über 100 Jahre alt werden, um aus einer Versicherung mehr Leistungen zu erhalten als aus dem SPM, konstatiert WTW.

Ähnlich positiv zum SPM und unverständlich auf den Beschluss des Gewerkschaftstages reagierte der ehemalige Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall, Peer-Michael Dick: „Wir könnten das Beste anbieten, was der Markt derzeit hergibt, daher kann ich die Beschlüsse des Gewerkschaftstages in keiner Weise nachvoll­ziehen.“ Die Gewerkschaft sollte jenseits des Gewerkschaftstag­beschlusses Lösungen finden, das SPM in die Betriebe zu bringen. Nötig sei für den SPM-Erfolg laut WTW nur eine kleine Anpassung der Verordnung betreffend die Aufsicht über Pensionsfonds und über die Durchführung reiner Beitragszusagen in der bAV (PFAV): Es geht darum, dass aus Renditespitzen Allokationen in den Sicher­ungspuffer fließen dürfen und die Kapitalanlage übergreifend kollektiv erfolgt – ohne Unterscheidung zwischen Anwärtern und Rentnern. Kollektiv bedeutet: Es wird ein kollektiver Pensionsplan organisiert und die Beiträge fließen kollektiv in eine einzige Anlage­strategie, sodass Skaleneffekte erreicht, die Kosten gesenkt und ­Solidarität zwischen verschiedenen Generationen gewahrt werden.

Skaleneffekte verspricht sich auch Dominik Roth, Konzernpersonalleiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im bayerischen Unterfranken, von einem SPM für die Gesundheitswirtschaft, denn im ersten Gesundheitsmarkt arbeiten über 2,6 Millionen Menschen, die häufig wenig oder keine bAV ­bekommen. Bereits 2019 hatte der Arbeitgeberverband Awo Deutschland die Awo Unterfranken als Pilot-­Geltungsbereich und heißesten Kandidaten für ein SPM in der Pflege- und Gesundheitsbranche nominiert. Sowohl die Beschäftigten als auch die regionale Verdi-Verhandlungsführung signalisierten mehrfach ihre Zustimmung. „Als einer der Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite kann ich mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass die Verdi-Bundesspitze eine SPM-Lösung für unsere Branche offensichtlich verhindern möchte“, sagte Roth kürzlich in einem Interview für das Fachportal „Pensions Industries“ (früher: Leiter-bAV).

 

Vergleich der Startrenten beim Sozialpartnermodell im Vergleich zur Direktversicherung (Angaben in Euro)
Vergleich der Startrenten beim Sozialpartnermodell im Vergleich zur Direktversicherung (Angaben in Euro)

Die zuständige Verdi-Fachbereichsleitung hält bAV-Lösungen mit Garantien aus der „alten Welt“ offenbar für eine gute Versorgung. Insbesondere die Klinik- und Pflegeheimbetreiber stünden aber vor großen Herausforderungen. Auch seien De-Risking und Haftungserleichterung wichtig. „Das ist mit bAV-Lösungen, die weiterhin nominale Beitragsgarantien abgeben, die Rendite kosten, und dennoch die Einstandspflicht des Arbeitgebers beibehalten, wenn der Versorgungsträger schlechter performt als in der arbeitsrecht­lichen Zusage versprochen, nicht nachhaltig zu schaffen“, meint Roth. Verwunderlich: Der Energiewirtschaft und nun der Finanz­industrie hat Verdi je ein SPM zugebilligt, allerdings mit anderen Verdi-Entscheidern. Dabei gäbe es allein bei der Awo Unterfranken 2.500 potenzielle bAV-Teilnehmer. Das Skalierungspotential sei enorm und „daher höchste Zeit, dass die zuständigen Gewerkschafter endlich grünes Licht für ein SPM in der Gesundheitswirtschaft geben“, so Roths Appell. Er richtet sich insbesondere an die Verdi-Verantwortlichen für den Fachbereich C, namentlich Verdi-Vorstand Sylvia Bühler. Offiziell reagierte die Gewerkschaft bisher nur mit dem Allgemeinplatz, „als Tarifvertragspartei im direkten vertraulichen Austausch mit dem Awo-Arbeitgeberverband“ zu ­stehen. Dem Vernehmen nach prüft Verdi aber ein Angebot mit ­nominalen Beitragsgarantien über die Bayerische Versorgungskammer. Deren Zusatzversorgung für den öffentlichen und kirchlich-caritativen Dienst gilt satzungsbedingt durch die Möglichkeit von Beitrags- und Leistungsanpassungen als haftungsrelevant für Arbeitgeber. „Die von den Arbeitgebern angestrebte haftungsbefreite Lösung ist dies keinesfalls“, so Roth. Zu diesem Ergebnis sei schon ein von der Gewerkschaft selbst bestelltes Gutachten von 2019 gekommen, in dem eine SPM-Lösung deutlich präferiert wird.

Auch die Politik präferiert das SPM als zukunftsträchtigen Weg zeitgemäßer bAV. „Wir halten am Ziel fest, SPM für möglichst ­viele Unternehmen und Beschäftigte nutzbar zu machen“, sagte BMAS-Staatssekretär Rolf Schmachtenberg. Er sieht sachlich keine Alternative zum SPM und ist von der Qualität dieses Modells weiterhin überzeugt – anders als mancher Gewerkschafter.

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