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10. Februar 2014

Stark mit starkem Tobak

Der frühere EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark spricht sich für eine europäische Verfassung in Verbindung mit einem konsolidierten europäischen Vertragswerk aus. Für die neue Architektur der EU fehlt ihm der politische und demokratisch legitimierte Über- und Unterbau.

Für eine wirkliche Weiterentwicklung der Europäischen Union braucht sie eine europäische Verfassung, in Verbindung mit einem konsolidierten europäischen Vertragswerk, sagte der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, auf dem diesjährigen „Finanzforum Vordenken“ der Finanzberatungsgesellschaft Plansecur. Vor weiteren womöglich unüberlegten Integrationsschritten sei Nachdenken und eine Reflexionsphase darüber erforderlich, in welche Richtung es mit Europa weitergehen soll. Daher sei auch zu überlegen, ob die EU nicht besser eine Erweiterung ausschließt, bis Klarheit darüber herrscht, in welche Richtung es gehen soll.
Aus der Sicht von Stark hat es im Herbst 2012 eine Kehrtwende im Management der Eurokrise gegeben: mit dem Einrichten eines dauerhaften Rettungsmechanismus, der Ankündigung, eine Bankenunion zu schaffen und der Erklärung der EZB, alles zu tun, um den Euroraum zusammenzuhalten und hierfür den operationellen Rahmen bereitzustellen. „Man könnte dies auch Draghi-Put nennen“, meinte Stark. Mario Draghi ist der derzeitige Präsident der EZB.
Seit 2010 erfährt die Wirtschafts- und Währungsunion einen Totalumbau, erläuterte Stark weiter. Dazu komme eine neue und erweiterte Rolle der EZB. „Mit diesem Totalumbau ist das Maastrichter Konzept nicht mehr gültig“, urteilte der Ökonom. Das Konzept sei durch zwischenstaatliche, sogenannte intergouvernementale Vereinbarungen ersetzt worden, aber mit weniger Rechtsverbindlichkeit. Da dieser Umbau krisengetrieben sei, bleibe abzuwarten, ob die neue Architektur auch in „Normalzeiten“ trägt, oder nicht etwa falsche Anreize setzt – allein schon wegen der Existenz eines dauerhaften Rettungsmechanismus.
Die Grundlagen für die aktuellen Umbauarbeiten basierten auf Überlegungen der EU-Kommission, des europäischen Rats, der Eurogruppe und der EZB. Die Richtung, in die sich Europa weiterentwickeln soll, seien demnach eine Bankenunion, eine Fiskalunion, ein vertragliches wirtschaftspolitisches Regelwerk und die demokratische Legimitation und Rechenschaftspflicht dieses gesamten Prozesses. „Wir haben ein Legitimations- und Demokratiedefizit in Europa. Das muss beseitigt werden“, betonte auch Stark.
Diese neue Architektur werde zwar vorangetrieben. „Aber mir fehlt hierzu der politische und demokratisch legitimierte Unter- und Überbau“, sagte Stark. Insoweit bleibe das, was in Europa seit 2010 auf der Tagesordnung steht, mehr oder weniger Stückwerk. „Stückwerk insofern, dass es weder ein in sich geschlossenes Konzept gibt noch eine übergreifende Strategie“, begründete der frühere EZB-Chefvolkswirt. Es mangele an Orientierung und an politischer Führung. „Stattdessen werden nationale Souveränität und nationale Interessen in einem Maße betont, wie ich dies für die vergangenen Jahrzehnte nicht erkennen konnte“, bemerkte Stark. Gestartet sei dies mit der Krise im Euroraum.
Populärstes Szenario: mehr Europa
Als mögliche Szenarien nannte Stark zunächst ein „Weiter so“ als das wahrscheinlichste Szenario. „Es ist allerdings nicht unbedingt erkennbar, dass dahinter ein längerfristiges und tragfähiges Konzept steht“, mahnte er. Ein zweites denkbares Szenario sei „Rückbesinnung auf Maastricht“. Das sei allerdings vorbei. Zudem sei Maastricht nie vollständig umgesetzt worden. Als dritte Variante nannte Stark eine „Konsolidierung des Eurogebietes“, verstanden als vorübergehendes Ausscheiden einzelner Länder aus dem Währungsgebiet. Dieses Szenario habe heute eine geringere Wahrscheinlichkeit als vor gut anderthalb Jahren. „Trotzdem schließe ich dieses Szenario nicht aus“, machte Stark klar. Als viertes und letztes Szenario nannte der Ökonom ein aus seiner Sicht sehr populäres „Mehr Europa“. Dies erscheint ihm allerdings etwas zu naiv und etwas zu unrealistisch. Man müsse ein „Mehr Europa“ mit mehr Subsidiarität verbinden.
„Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem man ernsthaft darüber nachdenken muss, wie Europa in zehn oder 20 Jahren aussehen sollte. Sind wir also an einem Punkt, wo Pragmatismus nicht mehr weiterhilft, sondern wo es zum Schwur kommt, welches Europa wir denn wollen?“, fragte Stark. Damit stelle sich auch die Frage neu, ob die EU eine Union bleiben will oder etwa eine Föderation als Vereinigte Staaten von Europa oder eine Konföderation, ähnlich wie in der Schweiz, werden will. Im Kontext einer europäischen Verfassung plus eines konsolidierten europäischen Vertragswerks sei ein politischer Unter- und Überbau gegeben, um Europa voranzubringen.
Der Veranstalter des "Finanzforums Vordenken" hat in diesem Jahr Jean-Claude Juncker, Premierminister von Luxemburg und früherer Chef der Eurogruppe, als „Vordenker“ ausgezeichnet, als einer der Wegbereiter der Währungsunion und des späteren Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die jährliche Veranstaltung soll eine Branchenplattform schaffen für neue Ideen, wichtige Marktimpulse und Werteorientierung in der Finanzdienstleistung.
portfolio institutionell newsflash 10.02.2014/Heike Gorres

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