Stiftungen
5. September 2022

Zwischen Kapitalerhalt und Förderzweck

Die verabschiedete Stiftungsrechtsreform findet in der Stiftungswelt ein geteiltes Echo. Während die Business Judgement Rule einheitlich begrüßt wird, kritisieren Stiftungsberater insbesondere die Neuregelung zur Verwendung von Kursgewinnen für die Förderseite. Andere sehen hierin Chancen für die Asset Allocation.

Sie ist nicht der große Wurf, bringt Stiftungen aber doch in einigen wichtigen Fragen voran, so der Tenor des Deutschen Stiftungszentrums zur Stiftungsrechtsreform: „Das neue Recht ist keine wirkliche Reform, sondern in vielerlei Hinsicht ein Fortschreiben des Status quo. Insgesamt hätte es deutlich mehr sein können, insbesondere bei Fragen der Vermögensanlage von Stiftungen, um hier deren Handlungsfähigkeit zu stärken“, kommentiert Dr. Markus Heuel, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Bereichs Consulting beim Deutschen Stiftungszentrum des Stifterverbandes, das neue Bundesrecht gegenüber portfolio institutionell. In Kraft treten wird die Reform erst zum 1. Juli 2023. „Das hat viele Stiftungen verleitet, notwendige Schritte zu verschieben“, merkt der Rechtsanwalt und Gesellschäftsführer der Gesellschaft für das Stiftungswesen, Jörg Seifart, an. „Insbesondere wenn Stiftungsvorstände die Business Judgement Rule schon jetzt adaptiert hätten, müssten sie keine Haftungssorgen bei den derzeitigen Verwerfungen am Kapitalmarkt haben.“

Markus Heuel begründet den langen Zeitraum von fast zwei Jahren bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts mit der notwendigen Anpassung der Landesgesetzgebung. „Die Landesstiftungsgesetze enthalten Verwaltungsvorschriften, die auch unter dem neuen Recht bleiben werden. Daher müssen die Länder nun ihre Gesetzgebung an das neue Bundesrecht anpassen. Heuel rechnet mindestens mit kommendem Frühjahr, bis es soweit ist: „Bisher ist meines Wissens noch kein Bundesland soweit, seine Gesetzgebung an der Stelle angepasst zu haben“, schätzt Heuel vom Deutschen Stiftungszentrum.

Mit der Stiftungsrechtsreform werden bundesweit einheitliche Regeln zur „Vereinheitlichung des Stiftungsrechts“ aufgestellt. Dies betrifft die Vermögensanlage in einem weiteren, umstrittenen Punkt. Die Kontroverse dreht sich um Paragraf 83c. Hier heißt es im Gesetzestext: „Zuwächse aus der Umschichtung des Grundstockvermögens können für die Erfüllung des Stiftungszwecks verwendet werden, soweit dies durch die Satzung nicht ausgeschlossen wurde und die Erhaltung des Grundstockvermögens gewährleistet ist.“

Bisher war eine Verwendung von Umschichtungs- beziehungsweise Kursgewinnen, also außerordentlichen Erträgen, für die Projektförderung eigentlich nicht zulässig. „Für die Förderung durften bislang nur ordentliche Erträge – also Zinsen, Mieten, Dividenden – verwendet werden. Realisierte Kursgewinne flossen dagegen üblicherweise in die Umschichtungsrücklage, einzelne Stiftungen haben sie jedoch auch bisher schon zum Teil für Förderzwecke verwendet. Das alles lag in einem juristischen Graubereich“, erläutert Dieter Lehmann, Leiter Vermögensanlage und Mitglied der Geschäftsführung der Volkswagen-Stiftung. Nun schaffe der Gesetzgeber hier Klarheit. Jörg Seifart hingegen kritisiert die pauschale Verwendungsmöglichkeit von Umschichtungsgewinnen zu Förderzwecken, sofern das Kapital erhalten bleibt. „Dieses war nach bisherigem Recht nur dann möglich, wenn dies nach der jeweiligen Stiftungssatzung explizit erlaubt und darin festgeschrieben war. Das neue Gesetz kehrt die ursprüngliche Regelung komplett um und verleitet Stiftungen, ihren Kapitalerhalt dem Förderzweck zu opfern.“

Dieter Lehmann sieht vor allem einen entscheidenden Vorteil der Neuregelung: „Dadurch, dass Stiftungen bisher in der Finanzierung ihrer Projekte auf ordentliche Erträge beschränkt waren, haben viele Stiftungen so viele (oftmals schlecht) verzinste Wertpapiere in ihrem Bestand.“ Lehmann sieht hier echte Chancen für eine Verschiebung der Asset Allocation von Stiftungen hin zu mehr Aktien und Alternative Investments. „Das ist eine strategische Antwort des Gesetzgebers auf die Niedrigzinsphase“, so Lehmann.

Die Volkswagen-Stiftung selbst mit ihrem Stiftungsvermögen von 3,98 Milliarden Euro (Jahresbericht 2021) hält bereits 50 Prozent ihres Portfolios in Aktien, etwa 13 Prozent in Immobilien und 1,5 Prozent in Alternative Investments. Eine Erhöhung dieser Quoten durch das neue Recht sei derzeit deshalb nicht geplant. Die neue Regelung könnte allerdings zum Beispiel kleineren Stiftungen helfen, künftig bei der Fondsauswahl unter anderem nicht mehr nur auf ausschüttende Fonds festgelegt zu sein, sondern auch aus einer Vielzahl an thesaurierenden Fonds wählen zu können, so Lehmann. Diesen Aspekt hebt auch Jörg Seifart von der Gesellschaft für das Stiftungswesen positiv hervor: „Es gibt viele thesaurierende Publikumsfonds, die bisher für die Vermögensanlage nicht infrage kamen, dabei sind sie sehr vernünftig gelaufen!“

Tafelsilber nicht verscherbeln

Zudem lohnt ein Blick auf die Frage, was Grundstockvermögen und Kapitalerhalt im Einzelnen bedeuten. Als Grundstockvermögen ist in der Regel bei neueren Stiftungen das gewidmete Vermögen gemeint, welches bei Gründung der Stiftung vorhanden war. „Bei älteren Stiftungen gilt das Jahr 1980 als Referenz, ab dann war das Bilden von Rücklagen zum realen Kapitalerhalt erstmals erlaubt“, weiß Jörg Seifart. Meist definierten Stiftungen selbst, ob sie ihr Kapital nominal oder real erhalten wollen. Markus Heuel erläutert hierzu: „Einige Stiftungen haben in ihren Satzungen Regelungen zum realen Kapitalerhalt. In diesem Fall ist der Vorstand verpflichtet, einen Inflationsausgleich vorzunehmen.“

Fehlt eine solche Regelung, so gingen Stiftungsaufsichten in der Regel von einem nominalen Kapitalerhalt des Grundstockvermögens aus. Jörg Seifart: „Ich sehe die Gefahr, dass wenn man nur auf den nominalen Erhalt des Vermögens abstellt, man irgendwann in einem schleichenden Prozess zur Verbrauchsstiftung wird!“ Und Markus Heuel vom Deutschen Stiftungszentrum räumt ein: „Einige Stiftungen haben in ihrem Grundstockvermögen Sachwerte wie Gemälde oder Immobilien – diese hat man vielfach bereits abgeschrieben –, da gibt es bei einem Verkauf teilweise erhebliche Veräußerungsgewinne. Wenn sich ein Gemälde zum Beispiel verzehnfacht im Wert, dann muss man diskutieren, inwiefern der Gewinn für Förderzwecke ausgegeben werden darf oder dem Grundstockvermögen zuzurechnen ist. Denn das wäre sonst für Stiftungen ein Verfrühstücken ihres Tafelsilbers.“

Zumindest eines scheint bei der Stiftungsrechtsreform sicher: Die Neuregelung zu Umschichtungsgewinnen wird mehr Verantwortung für die betreffenden Stiftungsvorstände bedeuten.

Autoren:

Schlagworte:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert