Pension Management
28. Mai 2015

Tempo, Tempo, Tempo

In der betrieblichen Altersversorgung sind die Niederländer spitze. Branchenkenner sind deshalb der Meinung, dass wir Deutschen uns an dem Nachbarland orientieren sollten, um die hiesigen Konzepte der zweiten Rentensäule effizienter zu gestalten.

In den Ferien wollen viele Menschen das Tempo drosseln. Das geht laut der Mai-Ausgabe der ADAC-Zeitschrift „Motorwelt“ nirgends ­besser als auf einem Hausboot im niederländischen Friesland. Von Deutschland aus sei das Ziel bequem zu erreichen. „Mit Wind­mühlen, Grachten und historischen Städten bietet Friesland eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch“, schwärmt Autorin Sandra Michel. Weil uns Windmühlen, Grachten und historische Städte in der Redaktion allerdings weniger am Herzen liegen als ein anständig diversifiziertes Portfolio, richten wir das Schlaglicht nicht auf Stadt, Land und Fluss, sondern Sparstrumpf, soziale Sicherheit und betriebliche Alters­versorgung (bAV). Auch hier punkten die Niederlande.

Der Weltmarktführer unter den Anbietern praller Gewächshaus­tomaten nimmt in der Altersvorsorge eine globale Führungsrolle ein, von der die Bundesrepublik nur träumen kann. Das hat schon die Fiduciary-­Koryphäe Dr. Anton van ­Nunen in dem 2009 ­erschienenen Standardwerk „­Fiduciary ­Management: Der Bauplan für eine erfolgreiche Pensionsfondsverwaltung“ beschrieben. Wie van Nunen darin zunächst aber ausführt, kennt das System der sozialen Absicherung feste, ­indexgebundene Beträge als Grundrente, finanziert durch ein Um­lagesystem aus ­Beiträgen, die in voller Höhe zulasten der Arbeit­nehmer gehen. Das Sahnehäubchen für den Ruhestand ist das auf ­Kapitaldeckung ­ausgelegte bAV-System, das weltweit wegen ­seiner Schlagkraft häufig als Blaupause herangezogen wird.

Über die Vorreiterrolle des niederländischen Pensionsmarktes in der betrieblichen Altersvorsorge referierte Frank Vogel, Geschäftsleiter der deutschen Zweigstelle der niederländischen Kas-Bank, im Rahmen der 16. Handelsblatt-Jahrestagung mit dem Schwerpunkt „bAV“ am 18. März 2015. Seiner Einschätzung nach könnten die heutigen ­Standards in den Niederlanden künftig für den deutschen Markt ­relevant werden. Doch die Latte liegt hoch, schon allein in finanzieller Hinsicht! Laut Vogels Präsentations­unterlagen beträgt das Pensionsvermögen in Relation zur Wirtschaftsleistung und in Lokalwährung ­rekordhohe 170 Prozent. Das ist selbst im Vergleich mit den ebenfalls finanziell gut gepolsterten Rentensystemen der Schweiz (121 Prozent) und des Vereinigten Königreichs (116 Prozent) ein Spitzenwert. Wir wollen ja kein Salz in die Wunde streuen, aber ­die Bundesrepublik Deutschland steht mit einem Verhältnis von Pensionsvermögen zum Brutto­inlandsprodukt von 14 Prozent auf ähnlich tönernen Füßen wie ­Frankreich (sechs ­Prozent). Da spendet auch die Erkenntnis wenig Trost, dass das ­Pensionsvermögen in der BRD mit 391 Milliarden ­Euro mehr als dreimal so groß ist wie der Rentenstrumpf der Grande ­Nation.

Löcher hat der holländische Käse, aber nicht der Sparstrumpf
Was ist typisch holländisch? Unmengen von Fahrrädern und Wohnwagen, Käse von Frau Antje, Holzpantoffeln und natürlich ausländische Touristen, die sich ­wegen getrocknetem Gras auf die Reise machen. Aber mal im Ernst: Das ­Pensionsvermögen pro Einwohner umfasst in den Niederlanden etwa 60.000 Euro und ist damit 13-mal so hoch wie das in der Bundes­republik. Hierzulande ist man ja schon froh, wenn die zweite Säule der Ruhestandssicherung endlich weite Teile der Bevölkerung erreicht; bei fünf mehr oder weniger bürokratischen Durchführungs­wegen kein leichtes ­Unterfangen.

Der Schutz des Pensionssystems steht indessen in den Nieder­landen unbestritten im Vordergrund. Der sogenannte Pension Act und das Financial Assessment Framework (FTK) sind einzigartig in ­Europa und gehen nach Angaben von Frank Vogel heute bereits weiter­ als EU-Regulierungen, allen voran die Pensionsfondsrichtlinien­ I und II. Zum 1. Januar 2015 kam es zu einer umfassenden ­Neufassung und Verschärfung der Regulierung mit dem Ziel, die Transparenz und die Kontrolle im Pensionssektor weiter zu ­erhöhen.

Dickes Rentenpolster
Die verschärfte Regulierung ist kein Selbstzweck. Es geht schließlich um ein gigantisches Kapitalanlagevolumen. Laut der Global ­Pension Asset Study 2015 von Towers Watson sind die Pensions­anlagen in den Niederlanden seit 2004 im Schnitt um sieben Prozent per annum gewachsen; hierzulande liegt das Plus immerhin bei 6,3 Prozent pro Jahr. Damit liegen beide Länder eher im Mittelfeld. Und dennoch: Die für den Ruhestand beiseite­gelegten Pensionsvermögen belaufen sich in unserem idyllischen Nachbarland auf satte 1,457 Billionen US-Dollar. Im globalen Maßstab rangieren die Niederländer ­damit hinter dem Platzhirsch USA (22,117 Billionen US-­Dollar), Großbritannien, Japan, Australien und Kanada auf Rang sechs.

Es gibt noch weitere bemerkenswerte Aspekte des nieder­ländischen Pensionsmarktes, von denen wir uns in Deutschland eine Scheibe abschneiden können. So verfügen laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 90 Prozent der ­Arbeitnehmer über bAV-Anwartschaften. Ein Trost? Hierzulande hat der Vergleichswert mit 60 Prozent Luft nach oben. Die ­gesetzliche Rente ­dominiert das Feld. Doch damit nicht genug: Nach Einschätzung der Kas-Bank klaffen auch die ­Kosten der beiden Rentensysteme auseinander. So bezifferte Geschäftsleiter Vogel die ­Gesamtkosten der Altersvorsorgeeinrichtungen in ­Deutschland auf etwa 21 Basispunkte in Relation zum Pensions­vermögen. Die Niederländer entscheiden auch diesen Wettstreit dank einer Gesamtkosten­belastung von nicht einmal 18 Basis­punkten für sich.

Verlockende Aussichten: Würden sich die deutschen EbAV an das günstigere Kostenniveau angleichen, könnten die jährlichen Auszahlungen rund 2,1 Prozent höher ausfallen als bisher. Frank Vogel meint, dass die Pflicht zur Kostenkontrolle und -transparenz der entscheidende ­Faktor ist: „Auch andere europäische Märkte sind Deutschland hier voraus.“ In den ­Bereichen Trading und Administration sollten die Deutschen zuerst ansetzen. „Würden über eine Periode, die einem durchschnittlichen Arbeits­leben von 30 bis 35 Jahren entspricht, die Kostensenkungs­potenziale konsequent genutzt, so wäre der Topf, aus dem die Ansprüche aus der Altersvorsorge bedient werden, in Deutschland um rund 4,5 Milliarden Euro besser gefüllt als heute.“

Fazit: Im direkten Vergleich hinkt das deutsche Rentensystem ­seinem niederländischen Pendant hinterher – und sollte besser ­früher als später aufschließen. Das Tempo zu drosseln – wie im Urlaub – kann in dem Fall keine Lösung sein.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 5/2015

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