Andere
18. Juni 2012

Trills hätten die Krise in Europa verhindert

Der Ruf der Finanzbranche ist angeschlagen. Wie Robert Shiller, Professor in Yale, im Interview mit portfolio verrät, besteht für ihn jedoch das größte Risiko­ darin, dass Finanzinnovationen ausgebremst werden. Neue Ideen haben es heute schwer, ein Auditorium zu finden. Diese Erfahrung hat er mit seiner Idee der sogenannten Trills selbst gemacht.

_In Ihrem neuen Buch „Finance and the good society“ geht es darum, wie die Finanzbranche ihren angeschlagenen Ruf reparieren kann und wieder eine Kraft des Guten in der Gesellschaft wird. Herr Shiller, wie schwer war es, die Menschen davon zu überzeugen, dass man das Finanzwesen nutzen kann, um die Gesellschaft als Ganzes zu verbessern?
Ich denke, dass die meisten Menschen auf der gleichen Ebene bereits überzeugt sind. Menschen haben widersprüchliche Ideen­ in ihrem Kopf. Sie stellen sich nicht vor, dass wir viele unserer Finanz­innovationen rückgängig machen sollten. Auf der anderen Seite haben sie das Gefühl, dass es schlecht ist. Das größte Risiko besteht für mich darin, dass Finanzinnovationen ausgebremst­ und unkreativ werden. In meinem Buch spreche ich über einen Impuls hin zu Konventionalität­ und Vertrautheit. Und deshalb denke ich, dass es für Menschen mit neuen Ideen heute schwerer ist, bereitwillige Zuhörer zu finden. Auf dem derzeitigen Niveau sitzen wir für eine­ Weile fest, das ist das Risiko.

_Ist das wegen Themen wie Überregulierung und Ähnlichem?
Die Regulierung ist zu rigide geworden. Die Idee dahinter war: Die Krise­ wurde­ von Menschen gebracht, die neue Produkte an­boten, und die schwache Menschenkenntnis wurde zynisch ausgenutzt.

_Welche Rolle kommt der Regierung zu?
Wir brauchen die Regierung, weil sie die Regeln für das Spiel vorgibt wie der Schiedsrichter bei einem Sport-Event. Der Schiedsrichter wird die Regeln verändern, aber muss auch auf dem richtigen Weg sein, um dies zu tun. Die Erfindung von Regeln muss ein kreativer Prozess sein. Man denkt darüber nach, welche Art von Regeln das Spiel verbessert.
Ich habe 2005 mit dem Büro der US-Währungshüter gesprochen und gesagt: „Wir sollten die Hypotheken regulieren. Die sind im Moment zu frei.” Als Antwort habe ich erhalten: „Du hast vielleicht recht, wir haben auch darüber schon nachgedacht. Aber wenn wir Hypotheken regulieren, würde das nur unsere­ Basis­ verletzen. Wir regulieren nur nationale Banken, und die sind nur ein Bruchteil des Hypothekenmarktes. Deshalb wollen wir sie nicht auf eigene Faust regulieren. Wir brauchen eine Art Allianz mit anderen Regulierern. Wir sind auch schon dabei, nur braucht das Jahre zur Umsetzung.“
Genau das ist das Problem: Wir haben Aufsichtsbehörden, die abgeschottet sind. Außerdem ist das Problem, dass ein Business, das reguliert ist, eine Art Verständnis mit seinem Regulierer geformt hat und ein Business-­Modell um die Regulierung herum aufgebaut hat. Außerdem sind sie nicht empfänglich für eine Regulierung, die übergreifend über unter­schiedliche Gruppen­ gilt. Sie betrieben Lobbyarbeit dagegen­ und scheinen damit auch Erfolg gehabt­ zu haben.

_Glauben Sie, dass es Spannungen zwischen den Finanzinstituten und der Öffentlichkeit infolge der Krise gibt?
Ja, die Probleme des Finanzwesens und der Politik und Psychologie beeinflussen sich gegenseitig. Das Thema des Buches ist, dass Finanz­institute eine Erfindung sind, die mit den menschlichen Eigenarten und Motivationen handelt, die oftmals jedoch unvereinbar ist mit den Geschäftszielen. Und man versucht, die Anreize abzugleichen und etwas mit Wert zu kreieren, was dann am Ende als Ware gehandelt wird. Was von Wert ist, ist die Vorgehensweise, dass Menschen zusammenarbeiten.
Ich habe vor zwei Jahren begonnen, das Buch zu schreiben. Damals startete gerade der Occupy-Wall-Street-Boom und ist zu einer Bewegung in vielen anderen Ländern geworden. Die Unzufriedenheit mit der wachsenden Einkommensungleichheit schien einen­ Nerv zu treffen, der zum ersten Mal auch Straßen­demonstrationen umfasste. Das ist ein neuer Denkrahmen. Dem liegt eine Wut zugrunde über das bestehende System, das selbstsüchtige, materialistische Menschen auf Kosten aller belohnt. Ich denke, es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn man erlaubt, so fortzufahren. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Menschen anderen den Erfolg nicht missgönnen.

_Der erste Schritt könnte sein, dass man die Anreize in der Finanzbranche verändert.
Ich denke oft, dass die Formulierungen in den Verträgen geändert werden müssen. Ich kann meinen Studenten predigen, idealistisch zu sein. Ich denke, dass das hilft. Aber was wir auch machen können: einen Regulator schaffen, der auf diese Dinge achtet. Und wir können Verträge neu definieren, so dass sich die Umgebung verändert, mit der die Menschen konfrontiert sind. Zum Beispiel haben wir nach der Finanzkrise in den USA ein Büro für Verbraucherschutz aufgesetzt, das Beschwerden zu Finanzservices, die der Öffentlichkeit offeriert werden, auffängt.

_Die Gehälter und Bonuszahlungen sind ein bedeutender Teil des Problems?
Das Forbes-Magazin hat eine Liste mit den 400 reichsten Personen in Amerika veröffentlicht. Um auf diese Liste zu kommen, muss man mehr als eine Milliarde Dollar haben. Wenn man sich diese Liste genauer anschaut, scheinen nicht eben die ehrenwertesten Menschen dort zu stehen. Ich habe keinen einzigen Nobelpreisträger gesehen. Es scheint nicht so zu sein, dass dort Menschen stehen, die sich am meisten um etwas verdient gemacht haben. Warum ist das so?
Es entsteht ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Ich habe über die Tatsache gesprochen, dass ein hoher Prozentanteil der graduierten College-Studenten ins Finanzwesen geht. Dies ist ein weniger idealistischer Wille. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es dieser Weg sein muss. In meinem Buch argumentiere ich zum Beispiel, dass es eine Sache gibt, die man bei einer Karriere im Finanzbereich machen­ kann, nämlich­ in den Bereich Venture­ Capital zu gehen und die Wissenschaft zu unter­stützen. Man könnte dabei eine­ Menge Geld machen, aber auch etwas Gutes für die Gesellschaft tun. Man kann das dann auch zurückgeben an eine Stiftung, die wissenschaftliche Forschung oder Ähnliches unterstützt. Es ist also nicht grundsätzlich schlecht. Die Sache ist allerdings die, dass sie vielleicht die schlechte Seite im Menschen zum Vorschein bringt. 

_Gibt es etwas, das institutionelle Investoren tun können, um diesen Paradigmenwechsel voranzubringen?
Ich denke immer wieder über Neuerungen nach. Ich habe mir überlegt, wenn man GDP-Securities kreieren würde, dann würden Pensionsfonds natürlich dorthinein investieren, weil das die Gesundheit der Rente mit dem Erfolg einer Wirtschaft verbindet. Wenn man sich nun vorstellt, dass Pensionsfonds in ihren Treuhandvermögen Forderungen auf den GDP haben und die Dividenden proportional­ zum GDP ausgezahlt werden, dann würde das bedeuten, dass die arbeitende­ Bevölkerung und die Ältesten sich den Kuchen­ teilen.
Wenn eine Großfamilie mit verschiedenen Generationen unter einem Dach lebt und dann durch einen Glücksfall das Familien­einkommen steigt, würde man doch denken, dass dieser Gewinn zwischen den Generationen aufgeteilt wird. Oder nehmen wir an, dass eine Krise das Familieneinkommen sinken lässt, dann geht man doch davon aus, dass die Generationen auch dies teilen. Warum ist das nicht der Weg, der als Maßstab für Nationen dient?
Ich denke, das hat etwas mit den Rahmenbedingungen zu tun, und es ist ein psychologisches Prinzip, dass wir die staatliche Rente für etwas halten, das alles von selbst separiert. Aber wenn Pensionsfonds in Trills – einen Billionstel Anteil vom GDP – investieren, dann würden die Renten der Ältesten auto­matisch nach oben gehen mit dem GDP.

_Das wäre eine ideale Welt, oder?
Es existiert zumindest nichts wie dieses. Es gibt Entsprechungen. So wurden GDP-Warrants herausgegeben, aber eben keine Anteile.

_Warum gibt es so etwas denn eigentlich noch nicht?
Das kommt mir komisch vor, dass so etwas­ bisher kaum vorgeschlagen wurde. Es gibt aber Leute beim Internationalen Währungsfonds, die das empfohlen haben. Und Argentinien hat 2002 auch GDP-Warrants herausgegeben. Es ist also einiges passiert unter der Führung einer kleinen Gruppe von Leuten. Aber in den USA hat man sich dafür nie richtig aktiv eingesetzt. Ich habe es versucht. Ich habe unser Finanz­ministerium ­besucht – einmal unter der Bush-Regierung und einmal unter der Obama-Regierung – und habe meine Idee vorgestellt.

_Was ist dabei herausgekommen?
Sie hielten diese Idee für interessant, aber es ist nichts passiert. Ich denke, Finanzinnovationen passieren langsam über die Jahre.

_Was könnten Finanzinnovationen für unsere europäischen Piigs-Staaten sein?
Meine beste Idee für die Piigs-Länder ist, GDP-linked-Securities herauszugeben. Die Krise in Europa wäre nicht passiert, wenn diese Länder schon in der Vergangenheit  GDP-Anteile­ herausgegeben hätten. Erinnern Sie sich an die Reihenfolge der Ereignisse? Die Zinssätze, die Griechenland zu seiner Refinanzierung sah, begannen zu steigen. Das hat für Aufmerksamkeit gesorgt und zu einem Teufels­kreis geführt. Die Leute haben gesagt: „Die Investoren beginnen an Griechenland zu zweifeln“, und haben sich dann auch zurückgezogen. Die Rendite ging immer weiter nach oben. Das Problem war, dass es sich um relativ kurzfristige Forderungen handelte, die refinanziert werden mussten. Und sie erreichten eine recht hohe Debt-to-GDP-­Ratio. Griechenland war in einer Art Leverage-­Position und konnte sich die Zinskosten nicht leisten. Der Beginn des Problems! Hätten man GDP-linked-Securities ­genutzt, die unbefristet sind, hätte es kein ­Refinanzierungsproblem gegeben. Und wenn der GDP von Griechenland enttäuscht, wie es der Fall ist, würden die Debt-Zahlungen nach unten gehen verglichen mit dem Erwartungswert. Die einzige Frage ist: Ist das praktikabel? Könnte Griechenland Anteile an seinem GDP verkaufen und zu welchem Preis? Aber das sind Unbekannte, da es bisher niemand versucht hat. Es ist ein Experiment, um zu ­sehen, was der Markt zum Beispiel für einen Anteil am griechischen GDP zahlen wird. Aber ich denke, hätte Greichenland dies 2005 oder einige Zeit vor der Krise getan, hätte man Leute gefunden,­ die diese Möglichkeit für Investments in den griechischen GDP ­genutzt hätten, weil sich dieser vorher ziemlich gut entwickelt hat.

_Sie haben die Immobilien- und Aktienblase vorhergesagt. Was ist die nächste Blase?
Ich nehme an, Gold. Ich weiß es aber nicht genau, dafür müsste ich den globalen Markt vorhersagen. Große Blasen sind seltene­ Ereignisse. Deshalb kann ich nicht jederzeit voraussagen, wenn eine kommt. Aber ich sage Ihnen eine: der Häusermarkt in Brasilien.­ In Rio und San Paulo sind die Preise­ gerade durch die Decke gegangen. Aller­dings bin ich hier nicht maßgeblich. Oder aber die kanadischen Häuserpreise. Es ist interessant, wie diese Themen von einem zum anderen Land übergehen. Im Moment haben wir in Toronto und Vancouver wirkliche Höhen erreicht.

_Sind diese kreditfinanziert?
Ja, sind sie. Das kanadische Kreditwesen ist zwar weniger großzügig wie in den USA. Trotzdem haben sich die Häuserpreise mehr als verdoppelt.

portfolio institutionell, 15.06.2012

Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert