Pensionskassen
13. Februar 2020

Über Zielkonflikte zum Ziel

Silke Stremlau, Vorstand für Kapitalanlage, diskutiert mit Tim Büttner die Nachhaltigkeitsstrategie der Hannoverschen Kassen.

Natürlich könnte man alles viel ökologischer bauen und oder nur sozialen ­Wohnungsbau machen – wir kriegen aber diese Projekte überhaupt nicht. Wir haben jetzt zwei Jahre lang gesucht, um überhaupt Immobilienprojekte in unserer Preisklasse zwischen zwei und fünf Millionen zu ­bekommen – es ist ganz schwer, weil der Markt leergefegt ist.

Bei den Immobilien im Direktbestand – gibt es da eine Debatte, was ein angemessener Mietpreis ist?

Ja. Zum Glück haben wir in unseren ­Bestandsimmobilien keine hochpreisigen Segmente. Wir wollen das anders machen als andere Investoren, ganz bewusst anders machen. Aber das ist nicht immer einfach. Unser Nachhaltigkeitsrat geht da weiter. Sie sagen ganz klar: Ihr müsst unter dem Mietspiegel bleiben. Ihr könnt auch Wohnungen mit einem geringeren Standard bauen, um bezahlbaren Wohnraum zu liefern. Wir ­haben spannende Debatten über diesen Zielkonflikt, der nicht einfach zu lösen ist. Da hängt es wirklich von dem einzelnen Objekt ab. Ich finde es gut, dass wir die ­Debatte führen, weil diese in der Gesellschaft ja auch kontrovers geführt wird. Wir haben nicht ohne Grund den Mietpreis­deckel in Berlin und die ganze Diskussion dies­bezüglich.

Im Transparenzbericht weisen Sie die Mietpreise ihrer Direktbestände aus. Werden Mietpreise im Immobiliensektor zu einem Kriterium wie der ökologische Fußabdruck, an dem man sich messen lassen muss?

Genau. Wenn man sich anschaut, welche Pensionskassen und Versicherungen im Immobilienbereich tätig sind – das ist ja Wahnsinn, was diese in den Büchern haben und welche Verantwortung sie eigentlich haben, die Preise nach oben zu treiben oder dämpfend zu wirken. Die Wohnraumdebatte wird, wie ich finde, ein bisschen plakativ nur bezogen auf die Deutsche Wohnen oder die Vonovia geführt, wenn man es vor dem Hintergrund sieht, wie viele Wohnimmo­bilien eigentlich in den Büchern von Pensionskassen und Versicherungen stehen.

Sicherlich werden sich die Deutschen ­fragen müssen: Bin ich da als Betriebsrentner oder als potenzieller Mieter gefragt? Wo sehe ich für mich den Zielkonflikt und wie gehen wir damit um? Ich fände es gut, wenn das auch in der Branche einmal thematisiert werden würde.

Sie verzichten bislang fast komplett auf ­Private Equity und Infrastruktur. Würden nicht zum Beispiel Erneuerbare Energien super passen?

Ja, wir sind gerade dabei, hier noch weiter Know-how aufzubauen. Das ist definitiv auf der Kaufliste. Es sind so viele Angebote auf dem Markt, die wir selber besser bewerten wollen. Wir haben aber in den vergangenen Wochen bereits die eine oder andere Unternehmensanleihe aus dem Bereich Erneuerbare gekauft.

Ist der sonstige Private-Equity- und Infrastruktur-Bereich ein Thema?

Nein, das ist für uns zu komplex. Dafür sind wir zu klein.

Insgesamt gibt es weiterhin einen recht ­starken Home Bias. Ist das weiterhin in Puncto Diversifikation gewollt?

Das hängt auch mit dem Thema Kompetenz zusammen. Wir wollen das kaufen, was wir selbst gut durchdringen können und wo wir auch eine gewisse Mitwirkungsmöglichkeit haben. Externe Kompetenz von Fonds­managern, die ich im Ausland bräuchte, ist wieder relativ teuer. Das haben wir bei dem Spezialfonds gesehen. Oft bezahlt man ­Dinge, die wir intern effizienter und besser können. Die Anleihen machen wir ­inzwischen wieder komplett selbst.

Gibt es insgesamt einen Trend von Do-no-Harm-Kriterien hin zur Frage, welchen ­Beitrag man wirklich leistet, beispielsweise im Hinblick auf die SDGs?

Ja, ich glaube schon. Ich würde trotzdem ­allen raten: Fangt mit Ausschlusskriterien an. Das ist der erste Schritt, der oft ­einfacher ist. Im zweiten Schritt sollte man dann überlegen: Was soll mein Geld eigentlich bewirken und welche gesellschaftlichen Probleme haben wir? Welche verschiedenen Wenden stehen uns vor der Tür? ­Energiewende, Agrarwende, Verkehrs­wende, Konsumwende. Und welche ­Unternehmen identifizieren wir, die ihren Beitrag dazu leisten und in die wir dann ­investieren.

Stichpunkt Transformation. Wie kann man gegenüber Stakeholdern glaubwürdig vermitteln, dass man tatsächlich an dieser Transformation interessiert ist? Und diese nicht quasi als Feigenblatt nutzt, um weiter investiert zu bleiben?

Schwierige Frage. Also ich glaube, man ­sollte sich hüten vor so Sätzen wie: ­Nach­haltigkeit war immer schon in unserer DNA. Mein Weg geht über die Benennung von Zielkonflikten. Welche Ziele habe ich, wie will ich diese erreichen und wo liegen Stolpersteine? Was lässt sich aktuell nicht lösen? Und darüber transparent zu ­berichten. Das Thema lebt von der ­Glaubwürdigkeit.

Sie sind stark nachhaltig investiert – rechnen Sie damit, dass Sie Vorteile bei der Performance haben, weil Sie schon investiert sind, während jetzt alle beginnen, sich ­damit zu beschäftigen?

Da gibt es unterschiedliche Thesen. Man könnte ja auch sagen, dass die nachhaltigen Unternehmen Mainstream werden, weil sie risikoärmer sind und alle nicht-nachhaltige Unternehmen aufgrund der höheren ­Risiken einen höheren Aufschlag ­bekommen. Das zeigt sich dann auch in ­deren Performance. Ich hoffe sehr stark auf die Internalisierung externer Kosten. Wir brauchen wahre Preise. Und wenn da die Politik mittel- bis langfristig weiter steuert und nicht-nachhaltiges Verhalten letzt­endlich höher besteuern wird, dann haben natürlich die anderen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, die bereits jetzt nachhaltig investieren und die dann hoffentlich in unserem Portfolio sind.

Aufsichtsbehörden und Zentralbanken ­legen einen starken Fokus auf ESG-Risiken, speziell Klimarisiken. Ist das auch der ­Fokus, den institutionelle Investoren primär einnehmen sollten?

Das ist sicherlich der erste Schritt und ­derjenige, der den meisten Investoren am ehesten einleuchtet. Sie hören ja bei mir raus, dass wir es immer auch anders ­diskutiert haben. Ich würde es grundsätzlich immer auch mit einer ethischen ­Dimension verbinden. Nur aus einer ­Risikoperspektive, finde ich, ­funktioniert Kapitalanlage nicht. Es geht auch darum, wo mein Geld wirksam ­werden soll, in ­welcher Gesellschaft ich leben will, wo das Geld dafür hingeleitet werden muss. Das hat dann eher mit einer Chancen­perspektive und mit einer politisch-­ethischen ­Dimension zu tun.

Sie legen Geld für die Altersvorsorge an. Die Anwärter wollen ja auch einen gesunden Planeten vorfinden. Gerade hat in Australien ein 24-Jähriger seinen Pensionsfonds verklagt, weil dieser Klimarisiken nicht ­genug berücksichtigt. Brauchen wir in Zeiten des Klimawandels ein anderes Verständnis von treuhänderischen Pflichten, eventuell sogar eine andere gesetzliche Grundlage?

Wenn Investoren rein auf ökonomische Prinzipien gucken, verletzen sie ihre treuhänderischen Pflichten. Letztendlich ist ja das, was wir im Bereich Nachhaltigkeit machen, ein Rundumblick auf ein Unternehmen. Daher brauche ich vielleicht noch mal eine Schärfung der treuhänderischen Pflichten, was jetzt aber kommt. Durch Bafin oder EU-Gesetzgebung wird, glaube ich, auch die letzte Pensionskasse dazu genötigt, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und eine Haltung dazu zu entwickeln. Aber das Thema unterscheidet sich vielleicht von anderen Regulierungsthemen, denn ich kann nicht die Schublade aufmachen und Variante A, B oder C nehmen, sondern muss mir selbst meine Gedanken machen: Was heißt Nachhaltigkeit für ­meine Pensionskasse, was wollen meine Mitglieder? Mit diesen muss ich in einen Prozess gehen.

Müssen Anspruchsberichtigte in Puncto Nachhaltigkeit mehr einbezogen werden?

Sicherlich, Mitglieder müssen einbezogen werden. Aber ich würde mir da auch eine Klarstellung wünschen, wenn sich Kollegen scheinbar immer noch rausreden, dass es nichts mit ihrer treuhänderischen Pflicht zu tun habe. Man hört da ja teilweise immer noch krude Argumente: es ist ein Performancekiller, es kostet nur Rendite, es ist wahnsinnig aufwendig und damit nicht im Sinne der Versorgungsberechtigten. Das ist in meinen Augen Quatsch, richtiger Quatsch. Für diese Vertreter braucht es ­vielleicht noch mal eine gesetzliche Klar­stellung, dass zur treuhänderischen Pflicht die Berücksichtigung und Einbeziehung dieser Kriterien dazugehört.

Brexit, Handelsstreit, Klimawandel, Mietendeckel – sind Finanzmärkte politischer ­geworden? Oder kommt die Politik stärker bei den Finanzmärkten an?

Finanzmärkte an sich waren ja immer schon relativ politisch. Weil diese ja immer schon sehr stark auf politische Entwicklungen ­reagiert haben. Was ich mir mehr wünschen würde – ich formuliere es mal positiv – ist, dass die Finanzmarktakteure politischer agieren. Und dass sie Verantwortung dafür übernehmen, welche Handlungen sie ­treffen und sie sich überlegen, wo sie ihr Geld investieren und welche Implikationen dahinter stehen. Das ist eine andere ­Dimension der treuhänderischen Verantwortung. Es ist ein erweiterter Begriff eines Wirtschaftsakteurs, der nämlich Teil dieser Gesellschaft ist und damit auch eine ­Verantwortung hat.

Die 450 Millionen Euro, die Sie verwalten, können Sie zur Not in der Nische anlegen. Wie schaffen wir es, 2,8 Billionen Euro institutionelle Gelder ­nachhaltig anzulegen? Ist das überhaupt zu schaffen?

Ich glaube ja, wenn auch sicherlich nicht auf einen Schlag. Ich kann sicher nicht die 2,8 Billionen sofort ganz nach strengen ­Kriterien anlegen. Aber wenn von der Politik – und das macht sie ja gerade sehr deutlich, gerade auf EU-Ebene – ganz klar ist, dass wir einen Green New Deal brauchen, dass wir unsere Wirtschaft transformieren ­wollen, dann ist das ein wahnsinniges ­Signal, was in den Markt geht. Auch Unter­nehmerinnen und Unternehmer, Leute, die Start-ups gründen, die merken ja auch, dass da gerade etwas ganz Neues passiert. Die jungen Leute gehen auf die Straße, es gibt von unten eine Bewegung, die sagt, wir ­wollen einen nachhaltigen Lebensstil.

Es wird eine Übergangsphase geben – da bin ich überzeugt –, die in den nächsten Jahren hart werden wird, weil wir uns von bestimmten großen, nicht nachhaltigen ­Unternehmen, sei es der Kohle, sei es der Verkehrsindustrie, in Teilen auch der Chemieindustrie, werden verabschieden ­müssen. Das lässt sich nicht automatisch in ein nachhaltiges Unternehmen transferieren. Wir werden Unternehmenspleiten ­haben, Schließungen, heftigen Strukturwandel, das gilt es klug und geschickt ­abzumildern. Es wird Verteilungskämpfe geben, da bin ich mir sicher, und es wird nicht witzig. Aber das müssen wir aushalten, weil es gar keinen anderen Weg für ­diese Transformation gibt. Und die anderen stehen in den Startlöchern, weil diese positiven, transformativen Signale da sind. Weil der Bedarf an nachhaltiger Innovation da ist und weil die Menschen kreativ sind und ­damit ­umgehen. Von daher bin ich einigermaßen gelassen. Das Geld ist da und es wird auch genug ­Investitionsmöglichkeiten geben. Aber nicht morgen, sondern in einer Übergangsphase.

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