Strategien
27. Februar 2019

Unwucht in der ESG-Welt

Der Klimawandel dominiert die Umweltdebatte in der Gesellschaft. Die Politik konzentriert sich immer mehr auf die Reduzierung des CO₂-Ausstoßes. Doch wo bleiben die sozialen ­Faktoren von ESG – ­also die Ethik im Portfolio? Unter Investoren, Experten und Asset Managern herrscht (noch) eine große Kakophonie.

Eine riesige Schlammlawine ergoss sich Ende Januar über die ­brasilianische Kleinstadt Brumadinho und begrub hunderte Menschen unter sich. Bisher ist unklar, wie giftig der Schlamm ist und welche Auswirkungen die Katastrophe auch auf das Trinkwasser und auf Flora und Fauna haben wird. Laut WWF ist eine Waldfläche von 120 Fußballfeldern betroffen. Das Unglück zeigt auf tragische Weise, wie soziale und Umweltaspekte oft ineinander ­greifen.

Viel abstrakter ist das Thema Klimaschutz. Und doch dominiert es die Diskussion um Nachhaltigkeit – zumindest in Europa und in Deutschland. „Die Debatte ist sehr stark nur auf den Klimaschutz fokussiert“, sagt Michael Dittrich von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Der Ausstieg aus der Kohle und der Ausbau der Erneuerbaren Energien seien jedoch nur ein kleiner Teil der Themen im Umweltbereich, was auch an der Operationalisierbarkeit liege. „Der CO₂-Ausstoß lässt sich noch relativ leicht messen, viel schwerer ist es dagegen, die langfristigen Auswirkungen vom Eintrag von Stoffen in die Umwelt oder des Artensterbens zu messen.“ Die DBU selbst legt 90 Prozent ihrer Kapitalanlagen entsprechend einer Nachhaltigkeitsstrategie an: „80 Prozent aller Aktien und börsengehandelten Anleihen müssen in einem der gängigen Nachhaltigkeitsindizes zu finden sein“, erläutert Dittrich. Daneben halte man auch Aktien von Small und Midcaps, die meist nicht von den Nachhaltigkeitsratings erfasst würden. Nur fünf Prozent der Assets under Management von derzeit rund 2,5 Milliarden­ seien in Alternativen Investments investiert, unter anderem in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Ausgeschlossen sind Investments in Rüstung, Glücksspiel, Tabak und Spirituosen.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Doch unter Investoren und Asset Managern gibt es eine große Kakophonie darüber, was Nachhaltigkeit ist. Der Klimaschutz gehört unbedingt dazu, sind sich viele einig. ­Insbesondere in Brüssel scheint man sich stark auf das CO₂-Ziel zu fokussieren – zu stark, finden einige. So kritisiert Volker Weber, Vorstandsvorsitzender des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), die Aufgabenstellung an die Technical Expert Group on Sustainable Finance, die eine ­Taxonomie für nachhaltige Geldanlagen entwerfen soll: „Die Ausrichtung der EU mit ihrem Actionplan for Sustainable Finance auf das Thema Klima und innerhalb dessen mit dem Fokus auf das CO₂-Ziel ist zu kurz ­gegriffen. Der Nachhaltigkeitsbegriff, den Brüssel hier vertritt, ist zu einseitig und zu kurz gedacht. Aber wir stehen mit Bundesabgeordneten in Kontakt und in Berlin sieht man dies zum Glück ähnlich.“ Auch Florian Sommer, Head of Sustainability Research bei Union Investment, kritisiert den engen Fokus der Technical Expert Group: „Zuerst kommt Klima, dann die restlichen Umweltthemen, und Soziales kommt bisher noch überhaupt nicht vor. Das wird dem Nachhaltigkeitsgedanken nicht gerecht. Es kann nicht dabei bleiben, wenn wir von Sustainable Finance sprechen.“ Beim Vermögensverwalter DJE Kapital AG sieht man das Thema anders: „Viele Diskussionen, zum Beispiel, ob man Unternehmen kaufen soll, die mit Kohleabbau ihr Geld verdienen, hätte man ohne den Trend zu mehr ESG vor fünf ­Jahren noch nicht geführt, sagt Florian Bohnet, Head of Research & Portfoliomanagement und Fondsmanager. „Die EU will, völlig zu Recht, einiges in diesem Bereich verschärfen.“

Das Thema Taxonomie treibt auch die Pensionskassen um, die seit ­Januar durch die Umsetzung der IORP II-Richtlinie in deutsches Recht angehalten sind, soziale und ökologische Aspekte in ihr ­Risikomanagement zu integrieren. Andreas Hilka, Vorstandsmitglied der Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe und Leiter des Fachausschusses Kapitalanlage in der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung (Aba), sagt dazu: „Die EU-Kommission springt hier sehr schnell sehr weit voran, dabei gibt es unter den EU-­Mitgliedern kein gemeinsames Verständnis darüber, was Nachhaltigkeit­ ist. Mein Gefühl ist, dass wir uns sehr stark auf den CO₂-Ausstoß kaprizieren und andere Faktoren wie zum Beispiel Governance wie beim Dieselskandal oder den Vorwürfen von ­Geldwäsche im Bankensektor zu wenig Beachtung schenken.“

Noch zu wenige Daten

Die beiden Pensionskassen der Hoechster Gruppe haben über 550 Trägerunternehmen und verwalten ein Vermögen von aktuell fast elf Milliarden Euro. ESG ist schon länger ein Thema: „Wir haben Ende 2016 begonnen, uns mit diesen Themen stärker zu beschäftigen, auch hinsichtlich der Risiken von so genannten Stranded Assets, die durch politische Entscheidungen Kursverluste erleiden und Reputationsrisiken bergen.“ Die Pensionskasse arbeitet nicht mit Ausschlusskritierien,­ ist aber dabei, sich Leitplanken für ESG zu geben. „Wir wollen nur mit Asset Managern zusammenarbeiten, die nach den UN Principles for Responsible Investment handeln, auch wenn sie diese nicht ­unterzeichnet haben. Wir messen und prüfen, ob wir perspektivisch ein bestimmtes Mindestrating auf ESG-Ebene als Zielgröße verfolgen wollen.“ Ein Problem bei der Messung ist Hilka zufolge immer noch die Verfügbarkeit an Daten bei den unterschiedlichen Ratings: „Die Abdeckung in unserem Portfolio liegt nur bei 60 bis 70 Prozent.“ Das liege mitunter an Pfandbriefen, für die es kein ESG-Rating gebe. „Es ist noch ein Problem, dass Daten fehlen, über viele Emittenten gibt es noch nicht genügend vergleichbare Informationen.“

Die Nachhaltigkeitsratingagentur ISS-Oekom hält beispielsweise für über 7.000 internationale Wertpapier-Emittenten ein Rating vor. „Wir sind dabei, das Universum auf mehr als 10.000 Emittenten auszuweiten,­ darunter viele US-Titel aus dem Small- und Midcap-Bereich“,­ kündigt Kristina Rüter, Head of Methodology bei ISS-Oekom, an. Schätzungen zufolge gibt es aber weltweit rund 30.000 börsen­notierte Unternehmen. Dabei gleichen sich die Ratings der großen ­Anbieter immer mehr an, findet Oliver Oehri von der Beratungsgesellschaft Center for Social and Sustainable Products (CSSP) und dem Fintech yourSRI.de. „Bei den Anbietern von Nachhaltigkeitsratings ist ein Konsolidierungsprozess im Gang, der auch die Standardisierung der Daten vorantreibt. So haben die Agenturen Vigeo und Eiris in den letzten Jahren ­fusioniert und kooperieren in Deutschland mit Imug, während ISS die ehemals selbstständige Oekom übernommen hat. MSCI, ISS ESG und Sustainalytics zählen mittlerweile zu den größeren Ratingagenturen.“­ Und Florian Sommer von Union ­Investment sagt: „Die Datenverfügbarkeit in der Breite und die ­Datenqualität in der Tiefe haben sich in den vergangenen fünf Jahren sehr verbessert, aber es ist nach wie vor so, dass Ratingagenturen mit ­Analysemethoden ­arbeiten, die oft nicht den Spezifika von Unternehmen gerecht ­werden. Ein Beispiel sind Versorger, die zwar noch ­nukleare Energie haben, aber in zunehmendem Maße ihr Portfolio von Erneuerbaren Energien ausbauen.“ Sich solche Unternehmen ­individuell ­anzuschauen, sei dann Aufgabe der Asset Manager. „Wir führen 4.000 Unternehmensgespräche pro Jahr. Davon sind 400 ­speziell auf ­Nachhaltigkeit fokussiert, bei denen wir die Themen zu Umwelt, ­Soziales und Governance unter die Lupe nehmen.“

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