Schwarzer Schwan
15. Februar 2013

Vom Spitzel zum Investmentbanker

Karriere im Arbeiter- und Bauernstaat und anschließend im kapitalistischen Finanzwesen durchstarten, das passt nicht zusammen? Doch, wie die Geschichte von Werner Stiller, dem wohl bekanntesten Überläufer der DDR, beweist.

Dass Werner Stiller einmal Karriere als Investmentbanker machen würde, hätte er anfänglich wohl selbst nicht geglaubt. Schließlich startete der gebürtige Sachsen-Anhaltiner seine berufliche Laufbahn in Diensten der Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik. Doch das Leben als Spitzel, der von der Berliner Stasi-Zentrale aus 50 Inoffizielle Mitarbeiter im Ausland führte, war Stiller auf Dauer offenbar nicht genug. Und so flüchtete er 1979 in den Westen – im Gepäck einen Koffer voll mit streng geheimen Dokumenten, die er zu Geld machte. Laut Spiegel Online ließ Stiller eine Vielzahl von Stasi-Agenten in der BRD auffliegen und bekam dafür immerhin 400.000 DM. Auch der US-Geheimdienst machte sich das Wissen des erfahrenen Doppelagenten zu nutze. Im Austausch für Informationen finanzierte die CIA sein BWL-Studium in den USA und ebnete damit Stillers Weg für eine Karriere in der Finanzbranche.
Inzwischen ganz auf Kapitalismus eingeschworen, kannte der Aufstiegswille Stillers keine Grenzen. So heuerte er zunächst bei Goldman Sachs und später bei Lehman Brothers an. Dabei erwies er sich als durchaus erfolgreich. Spiegel Online zitiert Stillers damaligen Boss bei Goldman Sachs, Bruno Cappuccini, mit den Worten: „Eine große Erfolgsgeschichte“. Wie es hieß, soll er einige hochkarätige Mandanten für die Investmentbank gewonnen haben.
Doch was ist das Geheimnis seines Erfolges? Wie schafft ein dahergelaufener Stasi-Spitzel den Sprung in die Hochfinanz? Stiller selbst hat für seine Karriere in den zwei grundverschiedenen Regimen eine einfache und zugleich brisante Erklärung parat. „Die Gemeinsamkeit zwischen Geheimdienst und Bankwesen ist, dass man sehr persönliche Netzwerke spinnt. Ich habe die Klienten beeinflusst – und sie wollten mir vertrauen“, erklärte er gegenüber Spiegel Online. Vertrauen wollten auch die Landesbanken und zwar den ABS-/MBS-Vertriebstruppen aus den USA. Dass sie damit auf die Nase gefallen sind, kann mit Blick auf Stillers Geschichte nicht überraschen.
Der Aufbau umsatzträchtiger Netzwerke, wie Werner „Wendehals“ Stiller sie gepflegt haben muss, ist so eine Sache. Man stöbert in personenbezogenen Datenbanken, trifft sich beim Lunch oder Dinner, tauscht Nettigkeiten aus, erweist kleine Gefälligkeiten und bahnt Geschäfte an. Um Zugang zu besonders lukrativen Mandaten zu bekommen, ist es übrigens hilfreich, wenn der Vertrieb die Schwächen seines Gegenübers kennt. Für Stiller muss es dank seiner Vorkenntnisse ein Leichtes gewesen sein, in der Finanzszene Kontakte zu knüpfen. Er musste nur darauf achten, dass er es nun nicht mehr mit Zielpersonen zu tun hatte, sondern mit sogenannten „Kunden“. 
Die Redaktion von portfolio wünscht Ihnen ein erkenntnisreiches Wochenende.
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