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28. Januar 2020

Vom umstrittenen Projekt zum Game Changer

Die Umsetzung des EU Action Plan for Sustainable Finance nimmt Gestalt an. So definiert die schon ­verabschiedete Offenlegungsverordnung die Informationspflichten, die Banken, Versicherungen und Pensionskassen bezüglich nachhaltiger Investments und Nachhaltigkeitsrisiken gegenüber der Öffentlichkeit haben. Die Taxonomie-Verordnung legt fest, welche Investments künftig als ökologisch nachhaltig gelten dürfen. Schon bald könnte auch sie Gesetz werden.

Sie sorgt derzeit für Gesprächsstoff an den Finanzmärkten: Die Verordnung (EU) 2019/2088 des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, kurz auch Offenlegungsverordnung (OV) genannt. Am 9. Dezember wurde sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Ab 10. März 2021, so steht es darin, soll sie gelten und zwar für alle, die ­darin als Finanzteilnehmer definiert werden. Die OV und mit ihr auch die geplante Taxonomie-Verordnung, die wiederum definieren wird, was als ökologisch nachhaltige Investition verstanden werden soll, gelten unter anderem für Versicherungsunternehmen, Wertpapierfirmen, Hersteller von Altersvorsorgeprodukten und Kreditinstitute, die Portfolioverwaltung erbringen sowie auch für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV), in Deutschland also Pensionskassen und Pensionsfonds. „Versicherer wie Pensionskassen müssen schon heute anfangen sich vorzubereiten, sich fragen: Was tun wir aktuell bereits auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit? Und dann eine Gap-Analyse vornehmen, die Produkte ebenso wie die organisatorischen Ebenen betrachten, zum Beispiel Compliance und Risikomanagement“, rät Dr. Lars Röh, ­Rechtsanwalt für Kapitalmarktrecht der Kanzlei Lindenpartners. Nicht unter den Anwendungsbereich der Verordnung fallen in Deutschland die ­berufsständischen Versorgungswerke. Berenike Simon-Schaefer, Leiterin Recht und Compliance sowie zuständige ­Ansprechpartnerin für Nachhaltigkeit im Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer, ­beobachtet dennoch die aktuelle Entwicklung mit ­großem ­Interesse: „Für uns als Unterzeichner der PRI ist der EU Action Plan von ­hoher praktischer Relevanz. Wir gehen davon aus, dass es auch für uns zu einem späteren Zeitpunkt Offenlegungsverpflichtungen ­geben wird und dass die Offenlegungsverordnung, die geplante ­Taxonomie-Verordnung und auch das Merkblatt der Bafin zu ­Nachhaltigkeitsrisiken mittelfristig auch für die Versorgungswerke mindestens als Anwendungsmaßstab dienen werden.“

Im Dezember hatte die Bafin ein 33-seitiges Merkblatt zum ­Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht, das den beaufsichtigten Unternehmen als Leitfaden für das Risikomanagement dienen soll. „Das Merkblatt qualifiziert juristisch als Auslegungshilfe. Ich gehe allerdings davon aus, dass es einen Standard setzt, an dem die ­Aufsicht und die Wirtschaftsprüfer die Unternehmen, die in den Anwendungsbereich fallen, messen werden, beispielsweise wenn es um die Prüfung von Risikomanagementsystemen im Rahmen der Jahresabschlussprüfung geht“, sagt Katja Lammert, Rechts­anwältin und Gründerin der Kanzlei Lammert-Legalconsulting und ehemalige Geschäftsführerin der Bayern-Invest. Die OV wiederum regelt, dass Finanzmarktteilnehmer künftig über Nachhaltigkeits­risiken und negative Auswirkungen ihrer ­Investmententscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren sowohl auf ihren Websites wie auch in den vorvertraglichen Informationen berichten müssen. Für die ­negativen Auswirkungen gibt es eine Ausnahmeregelung für ­solche ­Finanzmarktteilnehmer, die weniger als 500 Mitarbeiter haben. „Für die meisten Versicherer findet die Offenlegungsverordnung im Direktbestand unmittelbar Anwendung. Spannend wird aber die Handhabung der Meldepflichten der Spezialfonds. Soweit die Anzahl der Mitarbeiter der verwalteten Kapitalverwaltungsgesellschaften als Maßstab gilt, könnte hier die Ausnahmeregelung ­greifen, da viele KVGen unterhalb der 500 Mitarbeiter-Schwelle ­liegen. Viele Pensionskassen dürften über Konzernregelungen und ihre Mütter erfasst werden, so dass unter die Ausnahmeregelung zumeist nur Stiftungen fallen dürften“, sagt Katja Lammert.

Finanzmarktteilnehmer werden durchgeschüttelt

In Sachen Taxonomie kam es am 18. Dezember 2019 zur politischen Einigung zwischen dem EU-Parlament und dem Rat über „the world‘s first-ever ‚green list‘ – a classification system for sus­tainable economic activities, or taxonomy“, teilte die ­EU-Kommission in einer Pressemitteilung zu dem vereinbarten Vorschlag für ­einen Verordnungstext mit. Dr. Lars Röh von Lindenpartners schätzt, dass es bis zu einer formalen Verabschiedung des Verordnungsvorschlags nicht mehr lange dauern wird. „Das Papier muss formal vom Parlament und vom Rat noch anerkannt werden. Aber das ist zu 99 Prozent gesetzt.“ Mit der politischen Einigung sei nun ­geklärt, wie die Definitionen der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie darüber, was ein nachhaltiges Investment ist, ineinandergreifen: „Bislang gab es eine Situation der Parallelität zwischen der Definition der Offenlegungsverordnung und der geplanten ­Taxonomie-Verordnung darüber, wie nachhaltige Investments zu definieren sind. Die Begriffsdefinitionen sind nicht deckungsgleich“, sagt Röh. Demnach muss nach der Definition der OV die nachhaltige Investition zur Erreichung eines ESG-Ziels beitragen, nach der Taxonomie-Verordnung muss sie ­eine ökologisch ­nachhaltige Investition finanzieren. „Die Trilogpartner, also die Unterhändler der EU-Kommission, des Parlaments und des ­Europäischen Rates, haben jetzt beide Regelwerke geschickt mit­einander verschränkt, indem sie die Transparenzpflichten nach der Offenlegungsverordnung inhaltlich mit den Kritierien der Taxonomie-­Verordnung ‚befüllt‘ haben. Dort heißt es jetzt sinngemäß, dass überall da, wo die Transparenzpflichten zum Tragen kommen, dargelegt werden muss, dass und in welchem Maß ein Finanzprodukt die Kriterien der Taxonomie-Verordnung erfüllt. Die jetzige Einigung könnte damit zu einem echten Game Changer werden“, sagt Anwalt Röh. „Wir bekommen also eher ESG deep als ESG light, ­jedenfalls kein ESG außerhalb der Taxonomie.“ Eine Verabschiedung des Verordnungstextes zur Taxonomie könnte noch in ­diesem Quartal erfolgen, glaubt er. „Das ganze Thema ist extrem umfassend. Hier wird durch die Trilogpartner ein fundamentalerer ­Ansatz gefahren als bisher absehbar. Die Finanzmarktteilnehmer werden einmal durchgeschüttelt“, zieht Anwalt Röh ­Bilanz.

Die Taxonomie formuliert sechs Umweltziele. Die ersten beiden beziehen sich auf das Klima. Ziel Nummer eins liegt in der Abmilderung des Klimawandels (climate change mitigation) auf deutlich unter zwei Grad und möglichst begrenzt auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Umweltziel Nummer zwei liegt in der Anpassung an die Folgen des Klimawandels (climate change adaptation). Beide Klimaziele sollen nach Verabschiedung der ­Taxonomie über die technischen Durchführungsvorschriften, die die EU-Aufsichtsbehörden Esma, Eiopa und Eba als regulatorische Implikationen erarbeiten, konkretisiert werden. Nach der Taxonomie-Verordnung sollen beide Klimaziele bis zum 31.12.2021 konkretisiert werden. Die Offenlegungsverordnung gilt dann schon seit März 2021. Allerdings: „Was gilt in der Zwischenzeit, wird es Übergangsfristen geben, um die Taxonomie-Kriterien anzuwenden, ­welche Rolle spielen hier die Aufsichtsbehörden? Das alles sind spannende, offene Fragen! Aber die Lücke ist offenkundig“, so Röh. Für die Konkretisierung der übrigen vier Umweltziele bleibt den ­Aufsichtsbehörden voraussichtlich noch bis Ende 2022 Zeit.

Nach der Taxonomie werden Investitionen in Kohle und voraussichtlich auch Atomkraft nicht als nachhaltige Investitionen gelten können, Investitionen in Gaskraftwerke nur dann, wenn sie mit Biogas betrieben werden. Atomkraft ist nicht direkt als nicht-nachhaltig eingestuft, könnte aber über die Do-no-harm-Regelung aufgrund der Probleme der Endlagerung des Atommülls möglicherweise nicht unter die nachhaltigen Investments fallen, schätzt ­Anwalt Röh. Die Einigung zur Taxonomie sieht außerdem Aktivitäten als nachhaltig an, die den Übergang zu einem nachhaltigen ­Investment ermöglichen (transitioning), das heißt Stahlerzeuger, die sich verpflichten, ihren CO₂-Ausstoß zu reduzieren, zum ­Beispiel indem sie in ihrer Produktion auf Wasserstoff umstellen. Oder aktivierende Aktivitäten (enabling), die eine nachhaltige ­Investition erst ermöglichen, zum Beispiel die der Hersteller der Propeller für Windkraftanlagen. „Die Frage ist, wer soll die Taxonomie nutzen?“, fragt Dr. Klaus Wiener, Mitglied der Geschäftsführung und Chefvolkswirt beim GDV. „Wir sind der Meinung, dass die Emittenten von Wertpapieren eine Einordnung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten auf Basis der Taxonomie vornehmen sollten, denn wenn jeder Investor hinginge und seine eigene Klassifizierung vornehmen würde, wäre das wegen der Vielzahl der Investoren­ nicht nur ein gigantischer Aufwand mit erheblichen Kosten, wir hätten auch wieder ein Sammelsurium an Einstufungen.“ Auch seien hart messbare Ziele wie zum Beispiel bei der Stromproduktion­ nicht bei allen Aktivitäten einsetzbar. „Insbesondere bei S und G dürfte eine Quantifizierung oftmals kaum möglich sein. Aus ­Effizienzgründen und wegen der Vergleichbarkeit sollten daher Emittenten und nicht die Investoren diese Einordnung vornehmen“,­ ­fordert Wiener.

In Bezug auf das Reporting geht Anwältin Lammert davon aus, dass institutionelle Investoren hier verschärfte ­Ansprüche an Asset Manager und KVGen stellen werden: „Als ­Investor muss ich die Master-KVG und auch die Asset Manager in die Pflicht nehmen, mir die relevanten Daten zu liefern. Nur so kann ich die Nachhaltigkeitsdaten dann auch in meinem Risikomanagement verwenden und damit auch den Offenlegungspflichten nachkommen“, rät Lammert.

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