Recht, Steuer & IT
5. April 2022

Von der Transformation und von Spiegeleiern

Mit ihren ersten beiden Umweltzielen zu Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel hat die EU ihre Taxonomie auf den Weg gebracht. Doch was bedeutet die nachträgliche Aufnahme von Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Technologien für institutionelle Investoren? Und welches sind die nächsten Schritte der EU-Gesetzgebung in Sachen Sustainable Finance? Ein Überblick.

Bei Sustainable Finance auf EU-Ebene stehen im Lauf des Jahres unterschiedliche Projekte an: Das Rahmenwerk zur Taxonomie geht in die nächste Runde: Während die technischen Kriterien zur Taxonomie zu den beiden ersten beiden Umweltzielen, Klimaschutz und Klimawandel seit 1. Januar 2022 gelten, soll es bezüglich der vier weiteren Umweltziele bald einen Verordnungsentwurf für die Detailvorschriften (Level II) geben.

Die Taxonomie hat sechs Umweltziele, wobei die ersten beiden, nämlich a) Klimaschutz und b) Anpassung an den Klimawandel, schon umgesetzt sind. Die vier weiteren Umweltziele sind: c) die nachhaltige Nutzung und der Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, d) der Übergang in die Kreislaufwirtschaft, e) die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und f) der Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. „Einen technischen Bericht dazu mit einigen kontroversen Vorschlägen zum Thema Biodiversität erwarten wir noch im März“, sagt Dr. Magdalena Kuper vom Fondsverband BVI. Ebenfalls für März erwartet der Verband einen technischen Expertenbericht zu einer „braunen“ Taxonomie. „Welche Aktivitäten gelten als nicht nachhaltig beziehungsweise als neutral mit Blick auf die Nachhaltigkeit? Wo gibt es Potenzial für die Transformation? Das sind aus Investorensicht sehr spannende Fragen. Hier soll ein Konzept für eine Ergänzung der bestehenden „grünen“ Taxonomie vorgestellt werden“, kündigt Kuper vom BVI an.

Es hakt bei den technischen Regulierungsstandards

Aktuell hakt es aber an anderer Stelle der Nachhaltigkeitsgesetzgebung: bei den technischen Regulierungsstandards (in Englisch RTS für Regulatory Technical Standards) zur Offenlegungsverordnung (OV). Noch gibt es nur einen Entwurf, an dem sich die Finanzmarktteilnehmer, darunter Kapitalverwaltungsgesellschaften und Asset Manager sowie auch institutionelle Investoren wie Versicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds bei ihrer Offenlegung orientieren sollen.

Versorgungswerke werden von der OV, die in Englisch als Sustainable Finance Disclosure Regulation (kurz: SFDR) bezeichnet wird, ausdrücklich nicht erfasst. Magdalena Kuper vom BVI vermutet eine Konkretisierung der RTS für Anfang April, vielleicht aber auch später. „Wir beobachten, dass sich die Ausarbeitung der RTS immer weiter verzögert. Dabei müssen wir die finalen Regeln kennen, wenn diese Level-II-Gesetzgebung zur Offenlegungsverordnung Anfang 2023 in Kraft treten soll, so wie es von der EU-Kommission angekündigt ist“, sagt Kuper.

Seitens der europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) sind Templates geplant, nach denen Fondsanbieter nach einem standardisierten Schema sämtliche ESG-relevante Informationen für die Endkunden aufbereiten sollen. „Hierzu sollen die ESAs Muster-Templates und weitere technische Hilfestellung für die Umsetzung bereitstellen“, so Kuper.

Bei all den Überschneidungen zwischen Offenlegungsverordnung und Taxonomie ist für Investoren wichtig zu unterscheiden: Das, was nach der Offenlegungsverordnung als nachhaltige Investition gilt, wird nicht unbedingt auch nach der Taxonomie als nachhaltig eingestuft. „Man kann sich das in etwa vorstellen wie ein Spiegelei: Taxonomie-Konformität ist das Eigelb, und das Eiweiß rundherum ist die Nachhaltigkeitsdefinition der Offenlegungsverordnung“, veranschaulicht Nils Christian Ipsen, Rechtsanwalt für Kapitalmarktrecht der Kanzlei Lindenpartners den Sachverhalt. Es gibt aber Verschränkungen, da auch nach der Offenlegungsverordnung über die Taxonomie-Konformität berichtet werden muss. Zu erwarten ist, dass das Eigelb jedoch mit weiteren Taxonomien wächst, wenn innerhalb des Klassifizierungssystems die Evaluierungskriterien für die EU-Taxonomie nebst Klimazielen auf weitere Umweltziele ausgeweitet werden und sogar eine Soziale Taxonomie ergänzt würde, wobei Letzteres laut EU-Kommission noch nicht feststeht.

Keine Governance-Taxonomie

Der Abschlussbericht der Expertengruppe der „Platform on Sustainable Finance“ der EU-Kommission zur Sozialen Taxonomie wurde am 28. Februar vorgestellt. Die Vorsitzende der Gruppe ist Antje Schneeweiß, die in Deutschland Geschäftsführerin des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren (AKI) ist. In einem virtuellen Vortrag zur Sozialen Taxonomie für den deutschsprachigen Raum am 10. März, der vom AKI sowie dem ebenfalls kirchennahen Investorenverband CRIC (Corporate Responsibility Interface Center) veranstaltet wurde, stellte sie die möglichen Kernpunkte einer Sozialen Taxonomie vor, und machte zudem deutlich, dass es eine dritte Taxonomie zu Governance voraussichtlich nicht geben wird.

„Die Taxonomie als Klassifizierungssystem ist bezogen auf wirtschaftlich nachhaltige Aktivitäten und Themen wie Korruption und Steuervermeidung sind eben nicht aktivitätsbezogen, sondern betreffen das gesamte Unternehmen. Daher sollten Governance-Themen grundsätzlich über die Minimum Safeguards abgedeckt werden“, so Schneeweiß. Zur Erklärung: Die Minimum Safeguards gibt es schon in der Klimataxonomie als Mindeststandards für soziale Nachhaltigkeit, die zusätzlich eingehalten werden müssen, damit eine Taxonomie-konforme klimabezogene Tätigkeit auch als nachhaltig gelten kann.

Kompromiss zu Atomkraft und Erdgas

Das Eigelb im Spiegelei könnte also deutlich größer werden, wenn die EU-Taxonomie auch sozial nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten klassifizieren würde. Denn eben diese werden im Moment schon von der Offenlegungsverordnung abgedeckt, die nach ihrem „Artikel 8“ Produkte mit ökologischen und sozialen Merkmalen und nach „Artikel 9“ Produkte mit einer messbaren ökologischen und sozialen Wirkung, als sogenannte Impact-Produkte, umfasst. „Nur nach der Offenlegungsverordnung nachhaltig zu sein, ist auch in Ordnung und ist im Augenblick für alle sozial nachhaltigen Investitionen auch die einzige regulierte Möglichkeit, zum Beispiel, wenn Sie einen Investmentfonds nehmen, der in Social Bonds investiert. Dieser wird im Rahmen der SFDR als nachhaltig eingestuft, ist jedoch nicht Taxonomie-konform“, sagt Caroline Herkströter, Rechtsanwältin im Bereich Investment- und Bankaufsichtsrecht und Partnerin der Kanzlei Norton Rose Fulbright LLP.

Die Level-II-Gesetzgebung, also die sogenannten technischen Evaluierungskriterien der Klimataxonomie umfassen 70 bis 80 verschiedene Wirtschaftsaktivitäten. Durch die nächste Level-II-Verordnung zu den vier weiteren Umweltzielen könnten bis zu 100 Aktivitäten hinzukommen, schätzt Anwalt Ipsen. Absehbar sei, dass künftig auch die Sektoren Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie unter die Umwelttaxonomie fallen werden.

Im Januar dann beschloss die EU-Kommission unter einem großen Aufschrei der Öffentlichkeit, Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren. Sie könnten künftig also in nachhaltig deklarierte Investmentfonds und nachhaltige ETFs Eingang finden. Doch Anwalt Nils Ipsen gibt zu bedenken: „Man kann Atomkraft als nachhaltige Investition in die eigene Nachhaltigkeitsstrategie mit einbeziehen, niemand wird jedoch gezwungen, das zu tun. Deutsche Fondsanbieter werden weiter die Finger von Atomkraft lassen.“

Abneigung gegen Atomkraft

Dr. Christian Conreder, Rechtsanwalt für Kapitalanlagerecht der Kanzlei Rödl und Partner schätzt, dass die deutsche allgemein verbreitete Abneigung gegen Atomkraft auch ein Wettbewerbsvorteil für die Branche werden könnte: „Deutsche Emittenten werden meines Erachtens nach kein Atom- und kein Erdgas mit in ihre Fonds aufnehmen, aber bei französischen Anbietern könnte das durchaus anders aussehen“, so Conreder. „Diese könnten es künftig schwerer haben, ihre Produkte auch in Deutschland zu vertreiben. Passive Investoren müssten sich bei nachhaltigen ETFs im Zweifel schlau machen, was die Indizes genau enthalten.

Es klingt für deutsche Anleger zynisch, doch selbst Impact-Fonds, die eigentlich „dunkelgrün“ sein sollen, könnten künftig in Europa Atom- und Gas-Investments enthalten. Doch wie können Impact-Investoren (die in Fonds nach Artikel 9 der SFDR investieren) sehen, ob ihr Fonds tatsächlich in Atomkraft oder Erdgas investiert ist? Fondsanbieter müssen im Anhang zum Fondsprospekt künftig ein Template veröffentlichen, dass auf einen Blick zeigt, ob Atomkraft oder Erdgas im Fonds enthalten ist oder nicht. „Hier wird die Quote der Taxonomie-Konformität ausgewiesen und zusätzlich dazu müssen Aktivitäten in Nuklearenergie und Erdgas gesondert ausgewiesen werden in Prozent des Fondsvolumens“, erläutert Nils Christian Ipsen. Das Template ist in einer weiteren Level-II-Verordnung geregelt. „Die Ausweisung von Atomkraft und Erdgas als Sonderformen des grünen Investierens mag schräg sein, aber man sieht hierbei, dass ein Kompromiss geschlossen wurde“, so Ipsen.

Atomkraft und Erdgas als Übergangstechnologien klassifiziert

Atomkraft und Erdgas sind nach der Taxonomie als Übergangstechnologien klassifiziert, das heißt, dass „Atomkraft bis 2045 als nachhaltig gilt, Erdgas muss bis 2035 langsam umgestellt werden auf CO₂-frei produziertes Gas“, so Anwalt Nils Ipsen. Doch ob die ergänzende Verordnung wirklich Gesetz wird, und beide Technologien noch mit aufgenommen werden in die Taxonomie, ist noch nicht zu 100 Prozent sicher. „Theoretisch kann die ergänzende Verordnung noch von Parlament und Rat aufgehalten werden, notwendig wäre dazu im Parlament aber eine einfache Mehrheit oder im Rat müssten 20 Mitgliedsländer der EU dagegen stimmen, was sehr unwahrscheinlich ist“, so Ipsen.

Die ergänzende Verordnung über den Einschluss von Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten wurde am 2. Februar 2022 veröffentlicht, Österreich und Luxemburg haben ihrerseits eine Klage angekündigt, sollte die Verordnung kommen. Nun läuft die Frist von bis zu sechs Monaten, innerhalb der Rat und Parlament ein Veto einlegen können. Anwendbar wäre die Verordnung dann ab dem 1. Januar 2023. Die Veröffentlichung im Amtsblatt werde nach dieser Halbjahresfrist erfolgen, voraussichtlich also im August 2022, schätzt Anwalt Ipsen.

PAI-Statements mit Ausnahmen

Der 1. Januar 2023: Dieser Tag wird auch für die Offenlegungsverordnung noch einmal zu einem wichtigen Datum. Denn ab dann sollen auch die technischen Regulierungsstandards, die RTS der Offenlegungsverordnung, gelten, die die Details der konkreten Anwendung der Verordnung regeln. Institutionelle Investoren, wie Versicherer oder grundsätzlich auch Pensionskassen müssen heute schon die nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsaspekte, also die Principal Adverse Indicators (PAIs) berichten. „Die PAI-Statements sind jetzt schon nach den Vorgaben auf Level I verpflichtend“, so Anwalt Ipsen. Er rät, sich an die bereits veröffentlichten Informationen und Entwürfe dazu von den Aufsichtsbehörden zu halten. „Auch wenn die genauen Details dazu noch nicht in Kraft getreten sind, empfiehlt sich eine Näherung an diese bereits bekannten Vorgaben, die zum Beispiel zwischen verpflichtenden und freiwilligen PAIs unterscheiden“, rät Nils Ipsen.

Allerdings gibt es Ausnahmen von der PAI-Berichtspflicht, unter die nach Aussage der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e. V. (Aba) aktuell alle deutschen EbAVs fallen. Denn die Offenlegungsverordnung ermöglicht Finanzmarktteilnehmern unter 500 Mitarbeitern die sogenannte Comply-or-Explain-Regelung. „Das gilt auch für alle deutschen EbAVs, wobei solche, die die PRI unterzeichnet haben, hier sicher schon einen Schritt weiter sind“, sagt Dr. Cornelia Schmid, zuständig für EbAV bei der Aba. Auch seien EbAVs nicht erst seit der Offenlegungsverordnung mit Nachhaltigkeitsthemen konfrontiert, stellt sie klar. „Bereits die EbAV-II-Richtlinie enthält eine ganze Reihe von ESG-Anforderungen.“

Im Rahmen der „Erklärung zu Grundsätzen der Anlagepolitik“ muss den Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung bereits öffentlich Rechnung getragen werden. Größerer Nachjustierungsbedarf könnte bezüglich der PAI-Statements ab dem kommenden Jahr auf viele KVGen zukommen, vor allem auf die, die zu den kleineren Marktteilnehmern zählen. „Im Augenblick muss lediglich prinzipienbasiert berichtet werden, und einige KVGen halten daran fest. Diese müssen ab 2023 umfangreich nachbessern“, schätzt Anwältin Caroline Herkströter. Das Nachhaltigkeitsreporting sei zeit-kosten- und arbeitsintensiv. Dass sich viele KVGen weiter auf die Comply-or-Explain-Regelung berufen könnten, glaubt Herkströter nicht. „Es ist ja auch die Frage, inwieweit schiebe ich mich aus dem Markt, gerade wenn wichtige institutionelle Kunden diese Angaben fordern, dann verliere ich solche Anleger womöglich.“

Vorschlag für eine Corporate Sustainability Reporting Directive

Auch ein anderes Vorhaben der EU, das eng mit der OV und der Taxonomie verknüpft ist, ist der Vorschlag für eine Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Das EU-Gesetzgebungsverfahren zu diesem Richtlinienvorschlag vom April 2021 ist bereits weit fortgeschritten und geht in Richtung Trilogverfahren. „Es ist für die Erfüllung der Offenlegungspflichten enorm wichtig, dass den Finanzmarktteilnehmern entsprechende Daten vorliegen“, erklärt Verena Menne, bei der Aba zuständig für die Themen Europa und OECD. Die EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) habe hier eine wichtige Rolle bei der Konkretisierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung übernommen. „Die Datenverfügbarkeit ist noch ein großes Problem, vor allem im illiquiden Bereich fehlen noch die benötigten Daten “, so Cornelia Schmid von der Aba.

Die Aba befürchtet, dass viele deutsche EbAVs die Anforderungen der CSR-Richtlinie auch selbst erfüllen müssen. Natürlich sind das Hauptziel dieser Richtlinie große Unternehmen der Realwirtschaft. Es gebe aber für den Anwendungsbereich bisher drei Größenkriterien, nämlich die Bilanzsumme, die Nettoumsatzerlöse und die Zahl der Mitarbeiter, so Schmid. Wenn zwei der Größenkriterien gerissen werden, soll die Richtlinie greifen. „Das könnte für Versicherungsunternehmen und gegebenenfalls auch EbAVs mit nur wenigen Mitarbeitern bedeuten, dass sie auch selbst die CSRD-Anforderungen erfüllen müssen. Dies lehnen wir aber ab“, so Schmid. EbAVs seien regelmäßig keine Unternehmen, in die man investieren könne. Zudem hätte dies Doppelungen zur Folge und die Proportionalitätserwägungen in der OV, die bewusst eingeführt wurden, um den EbAVs Umsetzungsspielräume zu schaffen, würden durch die CSRD-Anforderungen ausgehebelt.

Eigentlich soll die Corporate Sustainability Reporting Directive schon ab nächstem Jahr gelten, aber das dürfte nicht mehr klappen, schätzt Anwalt Ipsen. „Der Rat hat jüngst seinen Standpunkt zur CSRD festgelegt und darin größere Umsetzungsfristen vorgeschlagen. Jetzt wird der Standpunkt mit dem Parlament verhandelt. Der finale Gesetzgebungsvorschlag wird im Herbst 2022 erwartet.“

Eines zum Schluss: Nachhaltigkeitsrisiken sind nicht Gegenstand der Level-II-Gesetzgebung der OV. „Die maßgebliche Regulierung war hier die Offenlegungsverordnung selbst und für deutsche institutionelle Investoren ist es das Bafin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“, erinnert Anwalt Conreder. Ansonsten drängt für die ESG-Regulierung die Zeit, denn die Transformation der Wirtschaft muss dringend vorangetrieben werden.

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