Schwarzer Schwan
31. Oktober 2014

Von Göttern, Propheten und Propagandisten

Kursbewegungen als Wille und Vorstellung: Dies gelingt nur selten. Meist regieren Zufall oder Misserfolg.

London, 1815: Die ganze Stadt schaut auf den gebürtigen Frankfurter Nathan Mayer Rothschild. Die Rothschilds waren nämlich bekannt dafür, über das damals beste Informationssystem zu verfügen, und damit auch als erste den Ausgang der Schlacht von Waterloo zu kennen. Als Rothschild nun der Sage nach britische Staatsanleihen zu verkaufen begann, gingen alle von einer Niederlage in der Schlacht aus und verkauften – panikartig. Die Kurse brachen ein. Erst jetzt begann der über den Sieg bei Waterloo wohlinformierte Rothschild zu kaufen und wurde zum damals reichsten Mann der Welt. 
Ein einziger Anleger hatte also einen ganzen Markt nicht nur manipuliert, sondern sogar zunächst noch durch eine Finte auf das falsche Bein gestellt. Rothschilds Wille geschah. Er schuf sich eine Börsenwelt und sah, dass sie – zumindest für ihn – gut war. Diesen sakralen Überlegungen folgte anscheinend auch Heinrich Heine: „Geld ist der Gott unserer Zeit und Rothschild sein Prophet.“
Solche religiöse Überhöhungen sind in der Neuzeit nur noch von Goldman Sachs bekannt. Vorstandschef Lloyd Blankfein erteilte sich der Einfachheit halber den Segen gleich selbst: „Ich bin ein Banker, der Gottes Werk verrichtet.“ Und als Werkzeug Gottes kann man zumindest noch auf kleinen, engen Märkten und in eine Richtung Kurse nach dem eigenen Willen bewegen. 2013 gab Goldman Sachs bekannt, Slowenische Staatsanleihen übergewichtet zu haben, und warb so subtil für Unterstützungskäufe. Ob die anderen Marktteilnehmer daraufhin eine fundamentale Neubewertung Sloweniens vornahmen oder Goldmans Einstieg eher als Prophezeiung sahen: auf jeden Fall begannen die slowenischen Renditen zu fallen.
Ebenfalls sehr überzeugt von sich ist Bill Gross, einst ein gefeierter Bond-König. Sein Abgang von Pimco zu Janus war auf jeden Fall kursbewegend. Die Aktie der Pimco-Mutter Allianz fiel, die von Janus stieg. Gestiegen sind aber auch die Renditen der von Pimco gehaltenen High-Yield-Anleihen, da der Markt damit rechnet, dass diese wegen Mittelabflüssen verkauft werden müssen. Der Fondsmanager Xaia Investment verweist in seinem aktuellen Quartalsbericht beispielsweise auf den Kursrutsch der Anleihen von Arch Coal. 
Während Rothschild einen großen Markt beliebig beeinflussen konnte, Goldman zumindest einen kleinen Markt in eine Richtung drängen kann, dürften die Gross´schen Kursbewegungen unbeabsichtigt erfolgt sein. Richtig ärgerlich wird es aber, wenn man Märkte und Systeme zu beeinflussen versucht, und es partout nicht klappen will. Man denke zum Beispiel an die Bemühungen Argentiniens und Venezuelas, Wechselkurse und Inflationsdaten zu manipulieren. Erinnert sei hier aber auch an den DDR-Chefpropagandisten Karl-Eduard von Schnitzler, dem vor 25 Jahren der „Schwarze Kanal“ abgedreht wurde. Von Schnitzler feierte in seinen schauerlichen, für weltoffene Bürger ungenießbaren Sendungen verlässlich den Mauerbau. Für ihn und seine Familie war es ja laut der Zeitung „Die Welt“ schließlich auch kein Problem, trotz Mauer im Westen auf Einkaufstour zu gehen. Peinlich nur, dass seine Frau in West-Berlin beim Ladendiebstahl ertappt wurde. Und das westlich-kapitalistische System wollte trotz aller Propaganda auch nicht fallen. Gefallen ist schließlich die Mauer – und immer wieder auch ein volltrunkener von Schnitzler von Barhockern. Diese standen übrigens in West-Berlin. 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. 
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