Schwarzer Schwan
18. September 2015

Von Zinsen und Zigaretten

Selbst kleinste Spreads zünden bei Investoren, wie die Emission der neuen EU-Anleihe zeigt. Und in den USA löst sich eine Zinserhöhung mal wieder in Rauch auf.

20 Jahre, zwei Milliarden Euro und 1,50 Prozent: Das sind die Eckdaten der in dieser Woche begebenen Anleihe der Europäischen Union, die wegging wie warme Semmeln. Bereits 2 Stunden und 15 Minuten nach Öffnung der Bücher am Dienstag wurden diese  wieder geschlossen, um eine „weitere Überzeichnung“, wie es heißt, zu verhindern. 78 Investoren waren im Orderbuch vertreten, mehr als die Hälfte davon waren Versicherungen und Pensionsfonds. Mehrheitlich stammten die Zeichner aus Deutschland und Österreich.
Sind 1,50 Prozent Rendite pro Jahr für eine 20-jährige Benchmark-Anleihe tatsächlich so attraktiv, dass Investoren dem Emittent quasi die Tür einrannten? Nun ja, zugegeben: Es ist zumindest etwas mehr, als man für eine Bundesanleihe mit vergleichbarer Laufzeit bekommen hätte. Exakt 39,6 Basispunkte beträgt der Aufschlag gegenüber der Referenzanleihe der Bundesrepublik, die eine vergleichbare Duration und damit Fallhöhe aufweist. Und: Glaubt man den großen Rating-Agenturen, dann ist die Rendite der EU-Anleihe fast ebenso sicher wie die der deutschen. Fitch vergibt ein AAA, S&P ein AA+ und Moody’s ein Aaa.
Doch Vorsicht! Ein gutes Rating ist keine Garantie für Sicherheit und Risikolosigkeit, das haben wir unlängst auf die harte Tour gelernt. „Kein deutscher Professor mit gesundem Menschenverstand wäre auf die Idee gekommen, eine Staatsanleihe sei ein risikofreies Investment. Wir haben in den vergangenen 100 Jahren mehrfach das Gegenteil bewiesen bekommen. Den risikolosen Zins gibt es nicht, allerdings das zinslose Risiko“, erinnert Philipp Vorndran, Investmentstratege beim Kölner Vermögensverwalter Flossbach von Storch, im Gespräch mit portfolio zum Thema „Risikoprämien“.
Nun gut, die EU ist kein Staat, sondern eine Union von Staaten. Das macht es jedoch keineswegs sicherer. Im Gegenteil. So stellt sich vielmehr die Frage: Wie stabil ist die EU? Kann Sie in ihrer jetzigen Form langfristig so weitermachen? Zweifel daran haben sich spätestens mit Ausbruch der Schuldenkrise breit gemacht. Und das Griechenland-Drama ist noch längst nicht ausgestanden, es pausiert nur. Die neue Anleihe hat mit den Problemen um Hellas jedoch nichts zu tun. Die eingesammelten Mittel gehen an ein anderes Sorgenkind: Irland. Es ist die erste Tranche zur Refinanzierung der fünf Milliarden Euro EFMS-Anleihe, die im Dezember fällig werden.
Ein berühmter griechischer Ökonom mit ausgeprägtem Geltungsbedürfnis dürfte aber trotzdem seine Freude an der Emission gehabt haben. „Das Problem der Schuldenumstrukturierung in der Eurozone ist von entscheidender Bedeutung, steht aber gleichzeitig zu der impliziten Verfassung im Widerspruch, die der Europäischen Währungsunion zugrundeliegt. Wenn die Regeln einer Institution mit der Ökonomie in Konflikt geraten, müssen die Politiker entweder kreative Wege finden, die Regeln zu ändern, oder ihren Institutionen beim Kollabieren zuschauen“, erläutert Professor Yanis Varoufakis, der in seiner Sechs-Monats-Amtszeit als griechischer Finanzminister viel Glaubwürdigkeit aufgebaut hat, kreative Regeländerungen auszubrüten und (griechischen) Institutionen beim Kollabieren zuzuschauen. Vordenker Varoufakis sieht aber auch noch Finanzierungspotenzial jenseits des EFMS-Rettungsschirms: „Die naheliegende Lösung der Eurokrise wäre eine föderale Lösung. Aber durch die Krise, die auf tragische Weise stolze Nationen gegeneinander aufgebracht hat, ist eine Föderalisierung nicht wahrscheinlicher, sondern unwahrscheinlicher geworden.“
Zweifel an einer solchen Lösung sät auch die wenig erfolgreich verlaufene Gemeinschaftsmission der föderalen Bundesrepublik mit zehn Bundesländern im Jahr 2013. „Reiche“ Bundesländer schauten lieber zu, wie sich die anderen Bundesländer billiger verschulden konnten. An einer gemeinschaftlichen Emission mit den sexy, aber armen Preußen aus Berlin hinderte die Bayern jedoch nicht ihr Stolz, sondern die Tatsache, sich allein billiger verschulden zu können. Zudem einte die sechs Verweigerer die weise Vorsicht, keine Diskussion über Eurobonds aufkommen zu lassen.
Auch jenseits des Atlantiks wird nicht dem Föderalismus gefrönt – dafür aber dem Glauben, dass die Schuldenkrise nur mit weiteren Schulden gelöst werden kann. Auch in ihrer jüngsten Sitzung hat die Fed darauf verzichtet, eine Zinswende einzuläuten. Das Warten geht also weiter. Philipp Dobbert, Chefvolkswirt der Quirin-Bank, vergleicht den Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik ziemlich treffend mit dem Versuch eines Rauchers, dieses Laster aufzugeben: „Irgendwie ist immer ein denkbar schlechter Zeitpunkt. So ergeht es der US-Notenbank Fed schon seit Monaten: Erst sind Arbeitsmarkt und Inflation zu schwach, dann stimmt die Inflation aber der Arbeitsmarkt nicht, dann ist es umgekehrt. Jetzt schließlich bereiten China und die Weltwirtschaft Sorgen, die sich schon an den Finanzmärkten niedergeschlagen haben.“ Ob Janet Yellen wohl Raucherin ist? Statt an Varoufakis sollte sich Yellen ein Bespiel an Altkanzler Helmut Schmidt nehmen. Der Altkanzler hat bereits seit zwei Wochen keine Zigarette mehr angerührt. Diese Einsicht wäre dem 96-Jährigen aber fast zu spät gekommen.   
In diesem Sinne wünscht die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. 
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