Versicherungen
9. August 2011

Vorbereitung auf Solvency II

Solvency II kommt – daran gibt es nichts zu rütteln. Zu rütteln versucht die Assekuranz aber an ein paar der Regelungen. Es gibt aber auch Versicherungen wie die WGV, die Solvency II entspannt entgegensehen. Woher diese Gelassenheit kommt, erläuterte Finanzvorstand Dr. Klaus Brachmann auf dem portfolio-Expertenseminar.

Solvency II kommt – daran gibt es nichts zu rütteln. Zu rütteln versucht die Assekuranz aber zumindest an ein paar der Regelungen. Es gibt allerdings auch Versicherungen wie die WGV, die Solvency II entspannt entgegensehen. Woher diese Gelassenheit kommt, erläuterte Finanzvorstand Dr. Klaus Brachmann auf dem portfolio-Expertenseminar.

Seit Monaten gibt es in der Assekuranz ein Thema, das alles andere überdeckt: Solvency II. Für das europäische Regelwerk, dessen Kern Solvabilitätsvorschriften für die Eigenmittelausstattung von Versicherungen sind, hagelt es von allen Seiten Kritik. Zu den Kritikern gehört auch der Gesamtverband deutscher Versicherungen (GDV). Dieser nimmt unter anderem Anstoß an der vorgeschlagenen Zinsstrukturkurve. Diese mache das Abgeben langfristiger Garantien derart teuer, dass ernsthaft infrage stehe, ob es Lebens- und Rentenver­sicherungen mit lebenslangen Leistungszusagen in Zukunft noch geben­ kann. Weiterer Kritikpunkt: Solvency II verleite zu kurzfristigen Investments, die Verbindlichkeiten sind jedoch langfristig. An all diese­ kritischen Stimmen hat man sich inzwischen gewöhnt. Aufhorchen lässt stattdessen, wenn ein Versicherer der Solvency-Diskussion mit offensichtlicher Gelassenheit begegnet. Eine solche legt die Württem­bergische Gemeinde-Versicherung (WGV) an den Tag. „Ich bin kein Gegner von Solvency II, auch nicht vom Standardmodell mit all seinen­ Fehlern. Ich finde das eigentlich toll. Endlich bekommt man mal auf dem Silbertablett serviert, wie viel Risikokapital man mit seiner Allocation verbraucht“, sagte WGV-Finanzvorstand Dr. Klaus Brachmann auf dem portfolio-Expertenseminar „ALM und Solvency II – Die adäquate Steuerung der Kapitalanlagen in Versicherungsunternehmen“.­
Wer nun annimmt, dass die WGV ohnehin mit einem internen Modell arbeitet und deshalb dem Standardmodell gegenüber gelassen ist, irrt gewaltig. Als kleiner Direktversicherer mit Kapitalanlagen nach Zeitwerten von knapp zwei Milliarden Euro und einem dreiköpfigen Team, das sich um die Kapitalanlagen und den aktivseitigen Part von Solvency II kümmert, sei dies gar nicht möglich. „Es gibt für uns überhaupt keine andere Wahl als das Standardmodell“, sagte Brachmann. Das ist jedoch nicht der einzige Grund. „Wir haben auch keine Motivation, was anderes zu tun. Denn ob ich das SCR mit einem internen Modell um zehn oder 20 Prozent runterkriege, spielt überhaupt keine Rolle“, so Brachmann. Mit einer Eigenkapitalquote von 37 Prozent im Rücken lassen sich solche Worte relativ leicht aussprechen.

_Wohlfühlfaktor 175 Prozent

Wie Brachmann auf dem Expertenseminar vorrechnet, kommt die WGV mit dem Standardmodell auf eine SCR (Solvency Capital Requirement) von 110.000 Euro, so dass sich bezogen auf die Eigenmittelgröße eine Solvabilitätsquote von 227 Prozent ergibt. Das Minimum ist auf 175 Prozent festgesetzt, was laut Brachmann der Wohlfühlfaktor­ ist, an dem er noch genügend Puffer sieht. Ausgehend von diesen Zahlen kommt der WGV-Vorstand zu dem Schluss, dass der SCR in der Gesamtbetrachtung bei gegebenem Eigenkapital 30 Prozent höher sein könnte. Dies sei das Limit, das sich die WGV gibt.
Wie die meisten deutschen Versicherungen ist der Direktversicherer für Kommunen sowie gewerbliche Kunden und Angehörige des öffentlichen Dienstes zu etwa 80 Prozent in Rentenpapiere investiert. Die Aktienquote beläuft sich auf 5,5 Prozent, mit Private Equity zusammen sind es sechs Prozent. Die Aktien liegen allesamt in den sechs Spezialfonds der Versicherung, in denen sie derzeit einen Anteil von etwa 20 Prozent ausmachen. Für den Aktienanteil in den Spezialfonds berechnet Brachmann einen SCR von 17.000 Euro. Doch wie viel Aktienquote könnte sich die WGV eigentlich maximal leisten? Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, hat Brachmann in seinem Vortrag auf dem Expertenseminar der Einfachheit halber die Annahme getroffen, dass alles andere in der Allokation konstant bleibt. Auch den Diversifikationseffekt ließ er unberücksichtigt. Unter diesen Bedingungen kam er zu folgendem Ergebnis: In den Spezialfonds könnte die WGV einen SCR von 31.400 Euro akzeptieren. Die maximal mögliche Aktienquote im Spezialfondsportfolio könnte somit um 85 Prozent auf fast 38 Prozent erhöht werden. In der Praxis ist die WGV jedoch von dem, was sie realisieren könnte, weit entfernt. „Im Nach­hinein, wenn man sich das vergangene Jahr anschaut, muss man feststellen, dass man viel zu zurückhaltend war“, so Brachmann.
Anders als die WGV wird die Talanx-Gruppe mit einem internen Modell arbeiten. Auf dem Expertenseminar berichtete Dr. Stefan Heine­mann, Abteilungsleiter Risk Management bei Talanx Asset Management,­ ehemals Ampega Gerling Asset Management, von seinen Erfahrungen mit der Finanzaufsicht Bafin und der Überprüfung des internen Modells. Immerhin sieben Tage lang waren drei Mitarbeiter der Behörde bei ihm in der Abteilung. „Ich kann nur sagen: Hut ab. Das ist nicht mehr die alte Bafin-Beamtengeneration mit Ärmelschonern, dem Bleistift hinterm Ohr und dem Gesetzbuch unterm Arm. Es war auch nicht der junge Uni-Abgänger, der Theorien auswendig herbeten kann und der Meinung ist, einem Aktuar von der Front zu zeigen, was er auswendig gelernt hat“, erklärte Heinemann. Seiner Ansicht nach hat sich die Bafin nicht einfach in Diskussionen um eine einzige Formel festgebissen, sondern genau die richtigen Fragen gestellt. Bei der Prüfung der quantitativen Methoden für die strategische Asset Allocation sei es beispielsweise darum gegangen, wie diese in der Praxis laufen. „Es ging nicht darum, welches Papier wir gelesen haben und welches Zinsstrukturmodell wir auf dem Rechner­ realisieren können, sondern darum, was wir tatsächlich benutzen“, so Heinemann. Sein Fazit zum Bafin-Besuch fällt durchweg positiv aus: „Wen das aus meinem Kollegenkreis noch nicht getroffen hat, dem kann ich nur sagen, dass dies eine sehr objektive und auch sehr hilfreiche Prüfung war.“ Laut Bafin hatten bis Anfang Juni knapp 15 Versicherungsunternehmen bei der Behörde einen Vorantrag auf ein internes oder semi-internes Modell eingereicht oder zumindest ihr Interesse­ bekundet.

_Mathematisch sauber, aber unpassend

Auf dem Expertenseminar waren allerdings auch kritische Stimmen zu Solvency II zu vernehmen. Eine davon gehörte Dr. Thomas Keller. Der Vorstand und Chief Risk Officer bei Prime Capital hatte vor allem zwei zentrale Kritikpunkte. Unverständlich ist für ihn, dass die Solvenzkapitalanforderung auf dem Liquiditätsprinzip des Value-at-Risk-Paradigmas basiert, obwohl es eigentlich um die Unternehmensfortführung zur Sicherung der langfristigen Zahlungsverpflichtungen geht. Die Value-at-risk-Methode sei Mitte der 90er Jahre von JP Morgan aufgebracht worden und habe der Messung der Handelsrisiken gedient. In diesem Fall sei die Methode durchaus sinnvoll, da man hier eine eintägige Passivseite hat und somit unterstellt werde, dass die Verbindlichkeiten täglich fällig sind. „Aber das ist letztendlich in der Übertragung auf die Banken und das Anlagebuch überhaupt nicht erfüllt“, merkte Keller an. Und was bei Banken in Basel III schon nicht funktioniert, könne auch bei den Versicherungen nicht funktionieren. „Das ist der Hauptkritikpunkt, den man Solvency II machen kann. Jenes Modell, das mathematisch sauber und ausformuliert ist, passt ökonomisch nicht“, führte Keller aus.
Der zweite Kritikpunkt des Prime-Capital-Vorstandes geht in eine ganz andere Richtung und richtet sich weniger gegen das Modell als die Politiker. „Man gewinnt den Eindruck, dass über die Art und Weise, wie kalibriert wird, unter dem Deckmantel der Risikoorientierung politische Zielsetzungen durchgedrückt werden sollen“, sagte Keller auf dem Expertenseminar. Auf der einen Seite solle gewährleistet bleiben, dass die Versicherungsbranche nach wie vor ein großer Investor in europäische Staatsanleihen sein kann. „Das ist politisch notwendig“, so Keller. Auf der anderen Seite sieht er einen Kriegszug gegen Kreditderivate, da diese in den Augen der Politik die Ursache für die Staatskrise in Griechenland seien. Aus diesem Grunde versuche die Politik, das Derivatethema in eine „Schmuddelecke“ zu drängen und zum Teil wider besseren Wissens mit entsprechenden Eigenkapitalunterlegungen zu versehen. Ob das wirklich zu einer höheren Sicherheit der Versicherungsbranche führt, daran hat Keller seine Zweifel. „Man sollte sich wieder auf die marktwirtschaftlichen Prinzipien konzentrieren“, so sein Plädoyer. Dabei sei Transparenz besonders wichtig. Seiner Ansicht nach sollte jeder Investor sehen, welche Risiken in einer Unternehmung stecken. Man sollte es den Verantwortlichen überlassen, risikobewusst mit diesen Themen umzugehen, um den Schutz der Versicherten gewährleisten und am Ende auch dem Aktionär­ tolle Eigenkapitalrenditen versprechen zu können.

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