Jahreskonferenz
21. November 2021

Wege in die Zukunft

Die Menschheit steht vor sehr wichtigen Weichenstellungen. Wenn die großen Herausforderungen wie Demografie, Klimawandel oder Digitalisierung noch zu lösen sind, dann nur noch jetzt. Ein „weiter so“ darf es nicht geben. Doch wie kann die Zukunft gestaltet werden? Um diese großen Menschheitsfragen zu beantworten, hat portfolio institutionell drei bedeutende Ökonomen und Denker eingeladen, um den Weg in die Zukunft zu skizieren.

„Selten ist Deutschland in den vergangenen 30 Jahren vor so schwierigen Entscheidungen gestanden. Die Herausforderungen sind riesig“, machte Prof. Marcel Fratzscher auf den Ernst der Lage aufmerksam. Namentlich nannte der Präsident des Deutschen ­Instituts für Wirtschaftsforschung das Klima, das Verhältnis zu ­China, die digitale Transformation und nötige Innovationen. Das Konferenzmotto von den goldenen, wilden und grünen 20er-­Jahren könne durchaus zutreffen. Auch Tomáš Sedláček, Ökonom, ­Historiker und Autor, betonte die Relevanz dieser Dekade, deren Ausgang ungewiss ist. „Ich hoffe und bete, dass wir es gut ­machen.“ Um es gut zu machen, forderte Sascha Lobo eine „fortschrittsradikalere Sicht“ – und plädierte ganz konkret an einem bestimmten Punkt, nämlich an der deutschen Infrastruktur, anzusetzen: „Wir wissen, dass Glasfaser die Zukunft sind. Glasfaser sind die Voraussetzung für eine digitale Gesellschaft.“ Die deutsche Infrastruktur sei jedoch „gruselig“. Statistisch liege die Glasfaserverbreitung in Deutschland auf dem Niveau des Ex-Bürgerkriegslands Angola.

Marcel Fratzscher ordnete Deutschland diesbezüglich zwischen Trinidad & Tobago und Jordanien und damit auch nicht viel höher ein. Ein wesentlicher Grund: „Der deutsche Staat hat von der Sub­stanz gelebt. Seit 2000 waren die Nettoinvestitionen negativ“, so Fratzscher. Die Folge: „Wir haben eine der schlechtesten digitalen Infrastrukturen in Europa. Das ist ein Problem für die hiesigen Unternehmen.“ Er plädierte darum für eine Investitionsoffensive in Form von „klugen Investitionen“. Zukunftsorientiert zu investieren sei wirtschaftlich sinnvoll und es gelte, das Zinsniveau zu ­nutzen. „Kurzfristig führen Investitionen zu höheren Schulden. Kluge Investitionen bringen aber höhere Renditen und künftig ­höhere Steuereinnahmen, wodurch die Schulden dann langfristig niedriger sind als heute“, erläuterte der Ökonom sein Denkmodell. „Mit Blick auf die großen Herausforderungen ist der Fokus auf die Schuldenbremse falsch.“

 

Marcel Fratzscher plädiert für „kluge Investitionen“.
Marcel Fratzscher plädiert für „kluge Investitionen“.

Während Lobo konkrete Missstände anprangerte, spannte Tomáš Sedláček den ganz großen historischen Bogen von Prometheus, der in der Mythologie den Menschen reale Güter wie Essen und Feuer ­brachte, bis hin zu abstrakten Crypto-Währungen. Die ­Evolution der Menschheit hin zum Abstrakten ging einher mit der Globalisierung. Corona könnte dabei eine neue Weltordnung schaffen. ­„Regierungen oder Religionen haben nicht vermocht, die Welt zu koordinieren“, sagte der tschechische Ökonom. „Dies gelang aber der Wirtschaft. Künftig könnte es das Gesundheitswesen sein.“ Ein globales Pandemie-Warnsystem könne die Welt vereinigen.

Technologischen Fortschritt für die Menschheit sieht Sedláček – ­etwas überraschend – bei Banken. Seine Begründung: Die ­Institute könnten sich zu einem „digitalen Butler“ wandeln, wenn die ­Banken den Bürgern beispielsweise die langweiligen Dinge wie Steuerzahlungen abnehmen. Schließlich laufen alle Transaktionen über die Bank. Außerdem könnte die Bank, wenn sie noch Zugang zum Facebook-Account des Kunden hat, eigenständig ­Blumengrüße zum Geburtstag arrangieren und den Zahlungsverkehr abwickeln. Die höhere Idee dahinter: „Diese Banking Identity kann den Staat ersetzen und das globale Zusammenleben koordinieren.“

 

Tomáš Sedlácˇek prognostiziert den „ digitalen Butler“.
Tomáš Sedláček prognostiziert den „digitalen Butler“.

Das klingt sehr nach der von Aldous Huxley 1932 beschriebenen Brave New World und trägt wahrscheinlich nicht unbedingt dazu bei, den Menschen ihre Ängste vor der Digitalisierung zu nehmen. An diesem Punkt dürfte die fortschrittsradikalere Sicht von Sascha Lobo wohl enden, der gegen Ende seines Vortrags vor einer mög­licherweise zu tiefen emotionalen Bindung des Menschen zur ­Maschine warnte. Lobo rief darum zur „post-pandemischen Umkehr auf“. „Fragt nicht, was digitalisiert werden soll, sondern fragt, was nicht digitalisiert werden soll – und digitalisiert aber den Rest!“

Alle drei Ökonomen vertreten eine große Fortschrittsgläubigkeit. Ein Beispiel ist der (bio-)technologische und medizinische Fortschritt, der half, sehr schnell Wirkstoffe gegen das Coronavirus zu entwickeln. Zuvor lag laut Fratzscher der Entwicklungsrekord für ein Medikament gegen eine ansteckende Krankheit, nämlich ­Masern, bei zehn Jahren. Zudem betonte Fratzscher, dass die ­Chancen für Deutschland „eigentlich nicht schlecht“ sind. Deutschland leide zwar unter der Demografie und der in der Politik ­verbreiteten Besitzstandswahrung. „Wir haben aber innovative ­Unternehmen und gute staatliche Strukturen. „Darum können es grüne und goldene Jahre werden – wild werden sie aber sowieso.“

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