Pension Management
23. Mai 2022

Wenn der bAV-Tarifvertrag zur Falle für Arbeitgeber wird

Die von vielen Lebensversicherern verringerten Garantien mit der beitragsorientierten Leistungszusage könnten zur Nachhaftung von Arbeitgebern führen, wenn der bAV-Tarifvertrag eine 100-Prozent-Mindestleistung als arbeitsrechtliche Zusage enthält. Was tun?

Deutschlands große Branchenversorgungswerke trotzten der Zinskrise bislang erfolgreich. Die Metallrente etwa organisiert ­unter dem Dach von Tarifverträgen für über 50.000 Firmenkunden mit fast 860.000 Verträgen die bAV. Vereinbart ist dabei stets eine Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML). Wegen der BZML stehen zu Rentenbeginn mindestens die eingezahlten Beiträge zur Verfügung, die Höhe der Überschussrente wird zu Rentenbeginn ermittelt und dann garantiert, erläutert Laura Leithold, Leiterin Konsortialmanagement bei der Metallrente (siehe Ausgabe 3/2022).

Das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften hatte 2021 ­ausgerechnet, dass Anbieter versicherungsförmiger bAV diese vollständige Garantie bei 0,25 Prozent Rechnungszins ab 2022 selbst bei Laufzeiten von 30 Jahren nicht mehr wirtschaftlich abbilden können (siehe Ausgabe 5/2021). „Folgerichtig haben sich nahezu alle Anbieter mit dem Jahreswechsel 2021/2022 aus der BZML ­zurückgezogen oder angekündigt, dies in naher Zukunft zu tun“, sagt Michael Hoppstädter. „Aber Arbeitgeber stehen für solche ­Garantien gegenüber ihren Arbeitnehmern weiter gerade, wenn sie sich zur BZML ausdrücklich verpflichtet haben“, warnt der ­Geschäftsführer des bAV-Dienstleisters Longial. „Arbeitgeber ­sollten die BZML schnellstens für Neueintritte schließen und eine neue Versorgungsregelung als beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ) aufsetzen“, empfiehlt Hoppstädter.

Derweil setzt die Metallrente weiter auf die BZML, basierend auf den beiden Flächentarifverträgen von 2001 und 2006. „BoLZ-Angebote mit abgesenkten Garantieniveaus stellen aus unserer Sicht für Arbeitgeber wie für Beschäftigte nicht die werthaltigste Zusage dar“, meint Geschäftsführer Hansjörg Müllerleile. Die BZML biete dagegen „weiterhin Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und gute Leistungsniveaus“.

Das Versorgungswerk Klinikrente bietet seit diesem Jahr sein Vorsorgekonzept „Chance“ als BoLZ mit zeitgemäßen Garantieniveaus von wahlweise 90, 80 oder 60 Prozent an. „Die BZML gibt es bei der Klinikrente nur noch im Metall-Pen­sionsfonds“, sagt Friedhelm Gieseler, Mitglied der Geschäftsführung. Unter dem Namen „Klinikrente im Metall-Pensionsfonds“ können seit 2021 auch Beschäftigte im Gesundheitswesen mit dem Metall-Pensionsfonds vorsorgen. Die verringerten Garantien mit der BoLZ könnten jedoch zur Nachhaftung von Arbeitgebern ­führen, wenn der Tarifvertrag eine 100-Prozent-Mindestleistung als arbeitsrechtliche Zusage enthält. „Solche Tarifverträge (TV) gibt es im Bereich der Klinikrente aber nicht“, beruhigt Gieseler.

Manche Tarifverträge setzen auf 100 Prozent Garantie

Doch wie sieht das in anderen Branchen aus? Offensichtlich bunt gemischt. Fakten gibt es kaum, die Dunkelziffer an TV-­Abschlüssen, die eine Haftung der Arbeitgeber zumindest nicht ausschließen, ist hoch. Hintergrund: Jedes zweite Arbeitsverhältnis ist derzeit tarifvertragsgebunden. „Wer die tarifvertraglichen Vorgaben nicht kennt und keinen Zugang dazu hat, tappt als Arbeitgeber womöglich in die Haftungsfalle“, sagt Rechtsanwalt Christian Guse, der seit 20 Jahren bAV-Tarifvertragsparteien berät und bAV-­Tarifverträge mitformuliert hat. Es fehle schlicht an den nötigen Informationen, TV-Datenbanken beinhalten meist keine bAV-Tarifverträge.

Als ­einen Ausweg baute Guse zusammen mit einem Wirtschafts­ingenieur eine Datenbank für bAV-Tarifverträge auf und brachte dazu 2020 die App „bAV-Tarifvertragsprofi“ auf den Markt. Derzeit sind dort 262 bAV-Tarifverträge aus 60 Branchen gelistet. Die ­Tarifverträge werden nach Stichworten geclustert, relevante Inhalte für Berater und Arbeitgeber „übersetzt“. „Die Mehrzahl dieser ­Tarifverträge enthält keine Beitragserhalts-Garantie“, gibt Guse Entwarnung. Doch in zahlreichen Branchen und Tarifvertrags­gebieten muss die Summe der Beiträge (abzüglich des Verbrauchs für biometrische Risiken) vom Arbeitgeber garantiert werden, ­insbesondere im Einzelhandel – siehe Tabelle.

Fallen vor allem im Einzelhandel

Guse nennt ein Beispiel. Im bAV-Tarifvertrag für den Einzelhandel in Niedersachsen heißt es: „Die Leistung muss insgesamt mindestens dem Wert der eingezahlten Beiträge entsprechen“ (Paragraf 4 Ziffer 2). Wortgleich ist es im bAV-Tarifvertrag für den ­Einzelhandel in Schleswig-Holstein formuliert (Paragraf 4 Ziffer 3). „Es gibt ­meines Wissens keine andere so umfangreiche und vergleichbar aufbereitete digitale Sammlung von bAV-Tarifverträgen“, erklärt Rechtsanwalt Guse.

Über sein Netzwerk zu Verbänden und Gewerkschaften pflegt er mit seinem Team neue tarifvertragliche bAV-Regelungen in die Datenbank ein. Dieses Wissen wäre für ­viele kleinere Arbeitgeber, die sich an Tarifverträge ihrer Branchen zumindest angelehnt haben, auch bitter nötig. Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Tarifverträge, die in der bAV eine 100-Prozent-Beitragsgarantie vorsehen, diese aber bei Ablauf des Vertrags nicht erfüllen, bringen den Arbeitgeber in die Haftung für die fehlende Leistung (nach Paragraf 1 Absatz 1 Satz 3 ­BetrAVG): „Der Arbeitgeber steht für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann ein, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt“, erinnert Guse. Dieses Risiko besteht bei einer BZML formal nicht, aber bei Neuabschlüssen können Anbieter ­eine 100-Prozent-Garantie wirtschaftlich nicht mehr darstellen.

bAV-Tarifverträge mit 100-Prozent-Beitragsgarantie
bAV-Tarifverträge mit 100-Prozent-Beitragsgarantie

Fast alle Versicherer weichen in der bAV daher auf ­kapitalmarktnahe Produkte aus und reduzieren dabei die Garantie auf besagte 80 ­Prozent der Beitragssumme oder noch weniger. Das kollidiert in ­einigen Branchen und Tarifgebieten jedoch mit der arbeitsrechtlich zugesagten 100-Prozent-Beitragsgarantie. „Der Arbeitgeber kann nicht auf den Versicherer zeigen, wenn der nicht ausreichend ­leistet, sondern muss womöglich selber Geld drauflegen, um seine arbeitsrechtliche Zusage zu erfüllen“, warnt Guse.

Damit entpuppt sich die BZML, die bisher dem Arbeitgeberschutz gedient hat, plötzlich auch als Haftungsfalle. „Solche Tarifverträge gehören dringend nachverhandelt, es geht aber auch über einen Annex im bestehenden TV“, meint Guse. Zusage und Produkt sollten positiv zusammenpassen. „Eine Versorgungsordnung ohne BZML oder die Beschränkung der AG-Garantie auf 80 oder 90 Prozent über ­eine BoLZ reicht nicht, denn TV-Mindeststandards dürfen in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen nicht individualrechtlich unterschritten werden“, sagt Guse. Allerdings bestehe in vielen TV keine Pflicht zu BZML, dann könne betrieblich eine BoLZ vereinbart werden. „Wie groß oder klein die Haftungsfalle für betroffene Arbeit­geber ist, hängt entscheidend von der Wertentwicklung der Verträge und damit der Gesamtleistung ab, die tatsächlich ausgezahlt werden wird“, relativiert Longial-Chef Michael Hoppstädter. Die Wahrheit kenne man erst in einigen Jahren.

Arbeitgeber bräuchten nicht nur angepasste Versorgungsordnungen, sondern auch entsprechend aktualisierte bAV-Tarifverträge. Ausnahmen ­bestätigen die Regel. So dürfte Marktführer Allianz durchaus noch in der Lage sein, weiter eine 100-Prozent-Garantie über die BZML darzustellen. Und tut das auch noch, etwa bei ­Direktversicherungen der Metallrente. „Die BZML wird noch in bestehenden Kunden­beziehungen angeboten“, bestätigt ein Allianz-Sprecher. Dennoch richtet auch die Allianz den Fokus „noch stärker auf die BoLZ, die flexibel verschiedene Garantieniveaus ermöglicht, wobei ein Niveau von 80 Prozent im Fokus steht“, so Vorstand Klaus-­Peter Röhler.

Diesen Weg gehen fast alle anderen Versicherer schon ­länger – und verschärfen damit wohl die AG-Haftung durch die Diskrepanz zu manchem bAV-Tarifvertrag. Neue tarifvertragliche Regelungen ­stehen also objektiv auf der Agenda. Hoppstädter kennt noch keine Ergebnisse. „Arbeitgeber sollten die Lösungen des bisherigen Produktgebers mindestens mal prüfen – und für die bevorstehenden Tarifverhandlungen das Thema bei Ihren Arbeitgeberverbänden und Tarifkommissionen platzieren“, empfiehlt er. Guse beobachtet, dass einige AG-Verbände schon nach Lösungen suchen.

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