Statement
27. April 2022

Wie sich Quant Investing im digitalen Zeitalter verändert

Die Tech-Rally am Ende, Momentum fällt zurück, Value löst Growth ab: Der Rebound bei den Stil- und Faktorstrategien seit Ende vergangenen Jahres ist nicht zu übersehen. Vor allem der Rückgang der lange Jahre durch die Zentralbanken bereit­gestellten exzessiven Liquidität hat dazu geführt, dass die ­Phase vieler Übertreibungen an den Kapitalmärkten dem Ende ­zuzugehen scheint, auch wenn der Krieg in der Ukraine zu ­erhöhter Volatilität führt. Nach Jahren extremer Outperformance von Growth- und Technologiewerten rücken somit ­wieder klassische ­Geschäftsmodelle und fundamentale Faktoren stärker in den Fokus der Investoren. Die Qualität eines ­Unternehmens sowie auch dessen ­Bewertung lassen wieder mehr Rückschlüsse auf die künftige Aktienkursentwicklung zu, was im Jahr 2020 und auch im ­vergangenen Jahr lange nicht der Fall war.

Für das aktive quantitative Asset Management sind dies gute Nachrichten. Die systematische Verarbeitung von Informa­tionen sowie die modellgestützte Analyse spielen ihre Stärken typischerweise eher in rationaler werdenden Marktphasen aus. Gleichwohl beobachten wir schon seit längerem ein stark ­zunehmendes Angebot von neuen Akteuren, wie den großen Index- und ETF-Anbietern, die mit einer mannigfaltigen Auswahl von semiaktiven Strategien zu überzeugen versuchen. Eine gewisse Sättigung scheint erreicht, was allein schon daran sichtbar wird, dass es mittlerweile deutlich mehr Aktienindizes als Aktien gibt.

Die Folge ist nicht nur eine steigende Unübersichtlichkeit ­hinsichtlich der Produkte, sondern auch eine zunehmende Grauzone zwischen aktiven und passiven Anlageansätzen. Mit bestimmten Indizes, man denke hier nur an stark ­konzentrierte ESG- beziehungsweise SRI-Indizes, bekommt der Investor eine strategische Allokation, zum Beispiel zu ­Technologieaktien, obwohl der Index als passiv verkauft wird. Das ist ein Trugschluss. Denn jede dieser „passiven“ Strategien basiert im Kern auf aktiven Entscheidungen, wie beispielsweise der exakten Formulierung des thematischen Schwerpunkts oder der ­Auswahl der Regeln zur Gewichtung. Allerdings bleibt der Entscheidungsträger in der Regel im Verborgenen, einen Fondsmanager, der Rechenschaft ablegen kann, gibt es zumeist nicht.

Grenzen werden verschwimmen

Aber nicht nur die Unterschiede zwischen Index- beziehungsweise ETF-Anbietern und aktiven quantitativen Asset ­Managern werden kleiner. Die Grenzen von quantitativem zu klassischem Portfolio Management verschwimmen, da auch fundamentale Anbieter Quant-Techniken, wie etwa Faktormodelle, intensiv nutzen. Gleichzeitig beschäftigen sich aber auch Quant-­Investoren zunehmend mit Sichtweisen fundamentaler ­Manager bei der Weiterentwicklung ihrer Investmentprozesse und -modelle. Als Beispiele sind hier Business-Cycle-Analyse oder das Management von Makro-Risiken zu nennen.

Auch bei den Quants wird sich das Produktangebot ausdehnen, insbesondere außerhalb der Asset-Klasse Aktien. Bei Aktien ist das faktorbasierte oder stilorientierte Investieren bekanntlich bereits weit verbreitet und wird seit vielen Jahren in aktiven wie passivnahen Smart-Beta-Strategien genutzt. Wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse zeigen, dass das Prinzip des Factor Investing ebenfalls im Fixed-Income-Segment ­erfolgreich funktioniert und speziell institutionellen ­Investoren einen Mehrwert bieten kann.

Darüber hinaus ist absehbar, dass auch bisher als illiquid ­geltende Assets wie Private Debt oder Private Equity automatisiert analysiert und gehandelt werden können. Möglich wird dies vor allem durch die Tokenisierung dieser Assets und Blockchain-basierte Smart Contracts, durch die Fungibilität ­geschaffen wird. Der Bereich der Non-Fungible Token (NFT) hat gezeigt, wie schnell die digitale Entwicklung fortschreiten kann. Weil jedoch Themen wie Standardisierung und Ver­wahrung noch nicht eindeutig geklärt sind, ist aktuell bei ­institutionellen Anlegern noch Zurückhaltung spürbar, die ­voraussichtlich auch noch ein paar Jahre anhalten wird. Ungeachtet der Asset-Klasse gilt für Anleger künftig mehr denn je, dass aufgrund zunehmend niedriger Renditen eine hohe Diversifikation sowie ein optimales Rendite-Risiko-Management in kostenoptimierte Produktlösungen extrem wichtig sind.

Vielfalt an Business-Modellen

Auf der Anbieterseite erwarten wir zudem eine wachsende Vielfalt der Geschäftsmodelle. Der Trend zur ­Individualisierung maßgeschneiderter Anlagelösungen, wie sie Quoniam seit ­Jahren erfolgreich anbietet, ist unverkennbar. ­Außerdem ­werden künftig nicht nur die Aspekte Rendite und Risiko im Vordergrund stehen, sondern auch weitere Dimen­sionen Einzug halten, allen voran das Thema Nachhaltigkeit. Gerade hier können aktive Quant-Ansätze ihre Stärken ausspielen, denn viele Investoren haben ein ganz unterschiedliches Verständnis von Nachhaltigkeit, und die vorhandenen Daten sowie die ­Investmentprozesse lassen sich ­effizient und kostengünstig auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse angepasst produzieren.

Was aktives quantitatives Management benötigt

Noch deutlich mehr als bisher entscheiden in Zukunft die ­Beherrschung und die effiziente Umsetzung neuer Technologien über den Erfolg quantitativer Strategien. Diese erlauben den Zugang zu immer größeren und neueren Datenmengen, die für über klassische Risikoprämien hinausgehende Strategien genutzt werden können. Gleichzeitig sind aber auch die Hürden für den Zugang zu Technologie und Daten, zum Beispiel über Cloudplattformen, geringer geworden. Es gilt in diesem Wettlauf vorne mit dabei zu sein. Während in der ­Vergangenheit vorrangig wichtig war, überhaupt an genügend Daten heranzukommen, wird künftig die Herausforderung ­darin bestehen, die eigentlich zu stark gewachsenen Datenmengen mithilfe neuer Techniken sinnvoll zu belastbaren ­Anlageentscheidungen verarbeiten zu können. Das gilt insbesondere für unstrukturierte Daten wie Texte, Audio oder gar Video-Informationen.

Vier „big Vs“ von Bedeutung

Eine Herausforderung bleiben die sogenannten „big Vs“ von „Big Data“. Neben der Datenmenge (Volume) betrifft dies die Geschwindigkeit, mit der neue Informationen eintreffen ­(Velocity) und die Vielfalt der Datenquellen und -formate ­(Variety). Und nicht zuletzt wird künftig mehr denn je auch die Zuverlässigkeit der Informationen (Veracity) von Bedeutung sein – die Zahlen in einer Unternehmensbilanz sind in der ­Regel ­zuverlässig, aber Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe ­Wirecard. Ein Tweet kann dagegen von einem Bot manipuliert sein, und diese Quote liegt nach Schätzungen durchaus über 30 Prozent.

Um die riesigen Datenmengen effizient zu Signalen ver­arbeiten zu können, sind eine entsprechende Infrastruktur und ­Computing Power wichtige Voraussetzungen. Aber es bedarf auch hoher Kompetenzen in Data Management, Data Engi­neering und Data Science. Für den einzelnen quantitativen ­Asset Manager bedeutet ­diese skizzierte Entwicklung, dass er sich künftig noch stärker im Wettbewerb mit anderen Gesellschaften, aber auch Daten­providern hinsichtlich technischer Lösungen sowie Talente ­befinden wird. Auf diese Entwicklung gilt es zu reagieren. Quoniam hat schon vor Jahren begonnen, Informationen mit Machine-Learning-Methoden zu analy­sieren. Seit 2018 sind sie Teil des Investmentprozesses. Wir nutzen moderne, cloud-basierte Technologien, wo solche ­KI-Verfahren mit großen Datenmengen rasch umgesetzt ­werden können.

Neben dem technischen Setup ist aber auch Kapitalmarkt-­Expertise unabdingbar. Gerade unstrukturiert vorliegende ­Daten und die entsprechenden Faktorensignale erfordern eine finanzmarktbezogene Interpretation sowie ein starkes Know-how im Risikomanagement.

Kompetenzen clever kombinieren

Wem es gelingt, die beschriebenen Fähigkeiten im ­quanti­tativen Asset Management zu kombinieren, wird künftig die Nase vorn haben. Dabei bedarf es allerdings einer Strategie, die zum ­Geschäftsmodell passt. Während der Hedgefonds-­Manager ­beispielsweise eher noch mehr technische Fähig­keiten benötigt, ist für den Langfrist-Investor mehr Kapitalmarkt-Know-how ­gefragt.

Klar ist: Der Markt wird weiter in Bewegung sein. Es gibt nicht die eine Zukunft für das Quant Investing, sondern viele ­Bereiche, die von Spezialisten besetzt werden. Wahrscheinlich ist auch eine gewisse Konsolidierung vor allem in Nischen, weil es technisch immer aufwändiger wird, alles aus einer Hand ­anzubieten. Die Notwendigkeit dürfte deshalb zunehmen, sich auf ein Geschäftsmodell zu konzentrieren. Letztendlich aber wird auch für die Zukunft gelten: Nicht die Datenmenge an sich, sondern die kluge Modellierung, und nicht die Rechner-Power, sondern deren kluge Nutzung werden den entscheidenden Mehrwert ausmachen.

„Value und Quality simultan berücksichtigen“

Interview mit Dr. Volker Flögel, Head of Equities + Multi-Asset, Quoniam Asset Management

Der Faktor Value wird recht ­unterschiedlich definiert und viele Asset Manager sahen sich in den ­vergangenen Growth-Jahren ­gezwungen, ihr Verständnis von Value zu adjustieren. Was ist für Quoniam Value?

Wenn wir bei Quoniam von Value ­sprechen, dann verstehen wir darunter in erster Linie Unternehmen, die preiswert sind. Um dies zu messen, ­analysieren wir zunächst die Bewertung, also welchen Preis das Unternehmen relativ zu Buchwert, Gewinnen, Umsatz und weiteren Kriterien aufweist.
Natürlich haben wir unsere Bewertungsmaße im Laufe der Zeit verbessert. ­Beispielweise betrachten wir nicht nur, ob ein Unternehmen relativ zu seinen materiellen Vermögensgegenständen günstig ist, sondern berücksichtigen auch Schätzungen für immaterielle ­Vermögensgegenstände, die nicht in der Bilanz zu finden sind.
Der Gedanke ­eines relativen Value-­Maßes, den wir auf der Suche nach günstigen Unternehmen verfolgen, zeigt sich darüber hinaus durch die gleich­zeitige Berücksichtigung von Qualität. Dabei achten wir beispielsweise auf die Profitabilität eines Unternehmens, aber auch auf die Qualität seiner Gewinne.

Quality-Value klingt aber nach einem Oxymoron. Value ist nun mal zyklisch. Oder ist mit Quality die Governance gemeint? Oder Qualitätsunternehmen mit attraktiver Bewertung?

In der Tat klingt Quality-Value zunächst nach einem Widerspruch, ist jedoch in der Umsetzung durchaus schlüssig. Die gleichzeitige Berücksichtigung beider Dimensionen führt zu einem anderen Portfolio. Bei Quoniam betrachten wir in der quantitativen Aktienauswahl eine Vielzahl von Faktoren gleichzeitig. ­Insbesondere die Faktoren Value und Quality werden simultan in unsere ­Prognose einbezogen – das bedeutet, eine Aktie sollte immer beide ­Eigenschaften erfüllen, um sich für das Portfolio zu qualifizieren.

Wie stehen Benjamin Graham und Warren Buffett zur Value-Sichtweise von Quoniam?

Benjamin Graham empfiehlt in seinem 1941 erschienenen Buch „The Intelligent Investor“, neben ­bewertungsrelevanten Kenn­zahlen wie Price-to-Book oder ­Price-to-Earnings ­immer auch Qualitätskriterien zu ­berücksichtigen. So rät er dazu – neben weiteren Kriterien – nur in ­Unternehmen zu investieren, die einen bestimmten Verschuldungsgrad nicht überschreiten, ein positives Gewinnwachstum über fünf Jahre aufweisen und gleichzeitig kein Jahr mit negativem Gewinn hatten. Und Warren Buffett wird gerne zitiert mit „It’s far better to buy a wonderful ­company at a fair price than a fair ­company at a wonderful price“, was ebenfalls mit unserer Sichtweise in ­Einklang steht.

Welche Unternehmen sind für Sie Risky Value, welche Quality Value?

Unter den Risky-Value-Titeln ordnen wir aktuell insbesondere Banken und ­Zykliker ein. Quality Value ist schwerer zu finden, aber in den Sektoren ­Ver­sorger und Konsumgüter sowie im ­Bereich Kommunikation gibt es gute Investi­tionsmöglichkeiten.

Die Inflation ist aktuell hoch. Spricht eine hohe Inflation für Risky Value?

Eine Outperformance von Risky Value haben wir auch schon in Q4 2020 sowie in Q1 2021 ­gesehen, als klar wurde, dass die Touristikunter­nehmen und Airlines ­gerettet werden. Eine hohe Inflation und die Angst vor steigenden Zinsen spricht, analog zu Anleihen, vor allem für Aktien von ­Unternehmen mit kurzer Duration ­beziehungsweise kurzer Equity ­Duration. Firmen, deren Cashflows ­früher ­anfallen, entwickeln sich in ­diesen ­Zeiten besser als Aktien von Unter­nehmen, deren Cashflows sich erst weit in der Zukunft bilden. Vor dem ­Beginn der Ukraine-Krise waren das Banken und Energietitel, beides ­Sektoren, die ebenfalls riskanter als der Gesamtmarkt sind.

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