Pension Management
25. Mai 2023

Wie Sozialpartnermodelle in die Breite kommen

Das vergangene Jahr brachte die ersten beiden Sozialpartnermodelle zum Laufen. Aktuell stehen die ersten Nachfolger in den Startlöchern. Doch bremst die Tarifexklusivität die Umsetzung? Wie Arbeitgeber und Gewerkschaften die Kuh vom Eis bringen wollen.

Bei der Altersvorsorge in Deutschland bewegt sich langsam etwas, aber noch zu langsam, meint Prof. Oscar Goecke, stellvertretender Direktor des Instituts für Versicherungswesen der TH Köln und einer der Mitentwickler der reinen Beitragszusage (rBZ) in Deutschland. „Bisherige Garantien waren nur befristete nominale Zinsgarantien, die jedoch keine sichere Altersversorgung garantieren können, weil das niemand kann“, erinnerte er kürzlich auf einer Fachtagung zu Sozialpartnermodellen (SPM) der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Kapitalgedeckte Modelle könnten zu echter Altersversorgung einen wichtigen Beitrag leisten. „Ziel muss eine faire Teilhabe am Produktionsfaktor Kapital sein“, so Goecke – als sinnvolle Ergänzung zur gesetzlichen Rentenversicherung, die Leistungen an die Lohnentwicklung koppelt und so eine faire Teilhabe am Produktionsfaktor Arbeit gewährleistet. Traditionelle Formen kapitalgedeckter Altersvorsorge wie klassische Kapitallebensversicherung, Riester-Rente oder die betriebliche Direktversicherung ermöglichten nur sehr bedingt eine faire Teilhabe am Kapital – gerade wegen der eingebauten Garantien. „Das SPM ermöglicht dagegen faire Teilhabe: durch kollektiven Risikoausgleich von Kapitalmarktschwankungen und zwischen Sparergenerationen sowie durch Reserven und einen Sicherungsbeitrag“, so Goecke weiter.

Der Risikoausgleich folge dem „Talsperren-Prinzip“: Regnet es viel, füllt sich die Talsperre, bei Trockenheit wird Wasser abgelassen, so dass insgesamt eine gleichmäßige Versorgung gewährleistet ist. Das bietet laut Goecke auch Resilienz, es absorbiert Schocks („irrational exuberance“) und passt sich langfristigen Veränderungen an, was man mit Garantien nicht schafft, und sei zudem kosteneffizient zu organisieren. Soweit die Theorie. In der Praxis tun sich SPM immer noch sehr schwer. So läuft zwar seit 1. Januar 2023 der Tarifvertrag für das Energie-SPM, vorgelegt von Verdi, IGBCE, dem Energieversorger Uniper, dem Arbeitgeberverband energie- und wasserwirtschaftlicher Unternehmungen sowie der Arbeitgebervereinigung Bayerischer Energieversorgungsunternehmen (siehe Ausgabe 11/2022). Doch auf große Teilnehmerzahlen können die Protagonisten noch nicht verweisen.

Wie Martin Eisele, Vizepräsident Pension Asset & Liability bei Uniper, auf besagter Tagung berichtete, wird die rBZ auf unterschiedlichen Wegen angeboten: Neue Arbeitnehmer bekommen bei Uniper prinzipiell die rBZ angeboten; erste Beiträge fließen seit Januar in das Spezialfonds-Portfolio des Energie-SPM beim Metzler Sozialpartner Pensionsfonds. Gleichwohl können sie aber binnen eines Monats in den alternativen IQ-Beitragsplan mit Garantie wechseln und damit ein aktives Opting-out ausüben, so Eisele. Bestandsmitarbeiter dagegen haben ab April 2023 die einmalige Wahl, der rBZ beizutreten oder im IQ-Beitragsplan zu bleiben (aktives Opt-in). „Wer sich für die rBZ entscheidet, zahlt ab Juli seine ersten Beiträge“, so Eisele weiter. Zu Teilnehmerzahlen will er derzeit noch keine Angaben machen. Übrigens: Bei der rBZ seien die Ansprüche sofort unverfallbar und zugleich insolvenzgeschützt.

Schon seit November gilt der Flächentarifvertrag für das Chemie-SPM. „Es wurde in den bestehenden Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge integriert“, erklärt Sebastian Kautzky, Geschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie. Das branchenweite SPM wird über den Chemie-Pensionsfonds organisiert. Im Blickpunkt steht die Entgeltumwandlung, die mit Arbeitgeber-Beiträgen aufgestockt wird. Nutznießer sind zunächst neue Tarifbeschäftigte in den Chemie-Betrieben. Mehr als 600 Beschäftigte aus 42 Firmen zahlen bereits ein und kommen auf über 500.000 Euro Beitragssumme, berichtet Kautzky.

Wer wird das nächste SPM an den Start bringen? Das Projekt des Versicherers Talanx und von Verdi, das gemeinsam mit Zurich über das Konsortium „Die Deutsche Betriebsrente“ eine Zielrenten-Lösung auf Basis eines kapitalmarktbasierten Pensionsfonds ansteuert, schien zunächst am weitesten zu sein. Die Protagonisten hatten den 1. Juli 2021 als Starttermin für ein SPM mit Haustarifvertrag für rund 11.000 Talanx-Beschäftigte genannt. Doch die Bafin hat die Unbedenklichkeitsbescheinigung bis heute nicht erteilt. Gründe dafür nennt keiner der Beteiligten. Hinter den Kulissen heißt es aber, dass zwei Punkte noch offen sind. So sollen unter anderem Differenzen zur Einräumung von Sonderkonditionen für Gewerkschaftsmitglieder und von bestandswirksamen Änderungen des Pensionsplans bei Änderungen des Tarifvertrages bestehen.

Letzteres erlaubt die Bafin nicht, obwohl die Gewerkschaft da offenbar auch Verschlechterungen der bAV eingeräumt haben möchte, falls in Tarifverhandlungen stärkere Barlohnforderungen auf die Tagesordnung kämen. Gleichwohl war eine solche Forderung beim Energie-SPM offensichtlich nicht gestellt worden, weil die Bafin es sicherlich auch dort abgelehnt hätte. Was den zweiten Punkt, die von Verdi gewünschten Sonderkonditionen für Gewerkschaftsmitglieder, betrifft, so muss man den im VAG fixierten Gleichbehandlungsgrundsatz für Versicherte beachten. „Das halte ich für lösbar“, sagt HDI-Leben-Vorstand Fabian von Löbbecke, ohne ins Detail zu gehen. Fazit: Würde Verdi die Forderung zurückziehen, dass auch eine verschlechternde Änderung des Tarifvertrages per Klausel im Pensionsplan bestandswirksam durchschlagen kann, dürfte die Kuh im Talanx-SPM vom Eis sein. „Wir wollen nicht, dass an dieser Frage das konkrete SPM scheitert“, so Martina Grundler, Bundesfachgruppenleiterin Versicherungen bei der Verdi.

Derweil plant auch der Bundesverband der Freien Berufe ein SPM. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS, brachte auf der Verdi-Tagung eine Öffnung bestehender SPM für Dritte ins Spiel, sofern die Sozialpartner „vor Ort“ der Öffnung zustimmen und Dritte nicht frei unter möglichen SPM wählen können, wenn es einen einschlägigen Tarifvertrag für sie gibt. Insbesondere Tierärzte, die selbst berufsständisch abgesichert sind, bemühen sich um eine rBZ für ihre Angestellten. Bei den freien Berufen gibt es fast fünf Millionen Beschäftigte, aber weder klare Sozialpartner und somit keinen Tarifvertrag (wegen sehr unterschiedlicher Firmenstrukturen) noch eine entsprechende Versorgungseinrichtung. „Der Gesetzgeber könnte helfen“, meint Peter Klotzki, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe: „Die Einschlägigkeit müsste geändert werden.“ Sonst könne man nicht an bestehende SPM andocken. Laut Gesetz können nichttarifgebundene Firmen nur eine einschlägige tarifliche Regelung vereinbaren (Paragraf 24 BetrAVG). Anfang Juli will der Verband laut Klotzki die Mitglieder um Abstimmung bitten, ob man eine eigene große Kasse der Freien Berufe aufbaut.

Zudem ist in der Diskussion, dass der 30.000 Mitglieder starke Verband der medizinischen Fachangestellten mit einem von drei möglichen Arbeitgebern einen Tarifvertrag schließt. Dort könnten Tier- und Zahnärzte für ihre Angestellten integriert werden. Für die anderen Berufszweige der Freien käme dieser Tarifvertrag noch nicht in Betracht, weil er nicht „einschlägig“ wäre. Einschlägig ist ein Tarifvertrag bisher nur, wenn der Arbeitnehmer bei Tarifgebundenheit unter den räumlichen, zeitlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrags fallen würde, entschied das Bundesarbeitsgericht schon 2011 (Az.: 3 AZR 154/09). Dazu soll im aktuellen bAV-Fachdialog eine Lösung gefunden werden.

Derweil ringt Verdi um weiteren Zuwachs bei SPM. Das Andocken an bestehende Tarifverträge durch tarifgebundene Sozialpartner scheint für die Gewerkschaft der Königsweg zu sein. Dagegen sieht man beim Andocken durch tariflich ungebundene Sozialpartner Probleme, falls der Beitritt ohne Vereinbarung einer einschlägigen tariflichen Regelung erlaubt wird. „Da die Arbeitgeberhaftung in der rBZ entfällt, ist die Tarifexklusivität neben dem Sicherungsbeitrag und der Durchführung und Steuerung durch die Sozialpartner ein teilweiser Ausgleich und Kompensation“, sagt Judith Kerschbaumer. Eine Verbetrieblichung würde bei dieser komplexen Materie ein deutliches Ungleichgewicht und eine Verschiebung ausschließlich zulasten der Beschäftigten bedeuten, fürchtet die Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei Verdi. „Für mich wäre das der Tod der Idee des Sozialpartnermodells“, erklärt Judith Kerschbaumer.

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