Strategien
4. Dezember 2014

Wirkungsorientiertes Investieren: neue Finanzierungsquellen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen

Gastbeitrag von Dr. Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, Vorsitzende des deutschen National Advisory Board (NAB) und ehemalige deutsche Repräsentantin in der Social Impact Investment Taskforce (SIITF).

Die Bertelsmann-Stiftung befasst sich als Wegbereiterin mit dem Auf- und Ausbau eines Marktes für wirkungsorientierte Investitionen (WI): einerseits durch konkrete Projekte im Bereich der WI, andererseits durch die Mitarbeit in nationalen und internationalen Gremien, wie zum Beispiel der Social Impact Investment Taskforce.

Die Social Impact Investment Taskforce (SIITF) ist mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Vertretern der Mitgliedsstaaten besetzt gewesen und hatte das Mandat, Empfehlungen für den Aufbau und die Weiterentwicklung von internationalen Märkten zu formulieren, auf denen Angebot und Nachfrage für wirkungs­orientiertes Investitionskapital effektiv zusammenfinden. Die auf der nationalen Ebene der G8-Staaten gegründeten National Advisory Boards bestanden aus ­Vertretern von Sozialwirtschaft, Finanzwirtschaft, Stiftungen, Wissenschaft und öffentlicher Hand und informierten die SIITF über die ­länderspezifischen Gegebenheiten und Erfahrungen mit privatem ­Investitionskapital im System sozialer Dienstleistungen. Die Abschlussberichte der SIITF sowie der NABs wurden am 15. September­ dieses Jahres veröffentlicht.

Wirkungsorientierte Investitionen sind Investitionen in Unternehmen, Organisationen und Fonds mit der expliziten Absicht, neben einer finanziellen Rendite eine soziale oder ökologische Wirkung zu erreichen. Grundsätzlich zeichnen sich solche Investitionen durch drei Kerncharakteristika aus:
1) Die Absicht: Der Investor hat die klare Vorstellung, eine positive soziale­ oder ökologische Wirkung zu erzielen.
2) Die Renditeerwartung: Die Investition sollte zumindest den Kapital­erhalt ermöglichen. Die Ertragsraten von wirkungsorientierten Investitionen­ können in verschiedenen Anlageklassen sowohl unter­ als auch über marktüblichen, risikobereinigten Renditen liegen.
3) Die Wirkungsmessung: Um die erzielte soziale und ökologische Wirkung zu quantifizieren und damit verbunden die Berechnung der Rendite vorzunehmen, muss die Wirkung analysiert und dargestellt werden.

Das Transaktions- und das Kommissionsmodell:
zwei WI-Modelle und deren Unterschiede

Das Transaktionsmodell ist, abgesehen von der Erzielung einer positiven sozialen oder ökologischen Wirkung, der „klassischen“ ­Investition sehr ähnlich. Die Finanzmittel des Investors werden ­direkt oder via Intermediär beim Mittelnehmer investiert. Die resultierenden finanziellen­ Erträge für die Investoren, also Ausschüttungen oder Zinsen, werden von den Mittelnehmern aus deren wirtschaftlicher Tätig­keit unmittelbar aufgebracht. Voraussetzung ist somit aufseiten des mittelnehmenden Sozialunternehmens ein Geschäftsmodell, das Überschüsse ermöglicht.

Das sogenannte Kommissionsmodell ist insbesondere für klassische gemeinnützige Organisationen, also Non-Profit-Organisationen, interessant. Es erlaubt, privates Investitionskapital einzuwerben, ohne­ selbst direkt Finanzerträge für die Investoren erwirtschaften zu müssen. Die unterstützten Organisationen verfügen normalerweise nicht flächendeckend über ein Geschäftsmodell, das Überschüsse generieren kann. Deswegen muss im Kommissionsmodell die Rückzahlung an Investoren nicht durch das Sozialunternehmen selbst, sondern durch einen interessierten Dritten, zum Beispiel einen öffentlichen Finanzierungsträger oder eine philanthropische Organisation, ­ge­sichert werden. Es handelt sich also um ein Dreiecksgeschäft ­zwischen Sozialunternehmen, Investoren und einem weiteren ­Akteur. Das Sozialunternehmen erhält in diesem Modell die Finanzmittel von den Investoren; diese wiederum erhalten ihre Mittel sowie ihre Rendite­ vom interessierten Dritten – in der Regel auf Basis einer vorher getroffenen Vereinbarung. Oft wird der Erfolg des Projekts an der erbrachten sozialen Leistung gemessen. Die Rückzahlung kann bei dieser Variante insbesondere durch öffentliche Finanzierungsträger übernommen werden, die von den finanziellen Effekten der sozialen Maßnahmen profitieren. In ersten Beispielen spart der Staat erheb­liche Ausgaben und garantiert so eine Rendite auf das investierte ­Kapital.  So wird es möglich, eine positive soziale oder ökologische Wirkung investierbar­ zu machen.

Die möglichen Investitionsformen
Als Beispiel einer Investition im Kommissionsmodell dienen Social­ Impact Bonds (SIB) – obwohl die Bezeichnung „Bond“ eher irre­führend ist. Tatsächlich handelt es sich bei diesem sozialen Finanzierungsinstrument um eine sektorenübergreifende Kooperation. Beteiligt­ an einem SIB sind in der Regel ein oder mehrere soziale Dienstleister, private, wirkungsorientierte Investoren und der Staat. Im Rahmen einer Vertragsregelung vereinbaren die Parteien ihre Zusammen­arbeit. Hier werden die konkreten Finanzierungs­mechanismen, die Verteilung der Risiken und die gewünschten Ergebnisse­ und Wirkungen festgelegt und die Verpflichtungen der Akteure­ fixiert.­

Ein Beispiel: Der soziale Dienstleister verpflichtet sich, eine ­bereits erprobte Intervention zu erbringen und dadurch eine messbare ­soziale Wirkung zu erzielen. Dies kann beispielsweise die enge ­Begleitung und Unterstützung von jungen Langzeitarbeitslosen sein, die dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit langfristig in den ­Arbeitsmarkt integriert werden können. Diese Intervention wird durch privates Investitionskapital finanziert. Erreicht die Intervention die fest­gelegte soziale Wirkung, erhalten die Investoren das ­eingesetzte Kapital­ und eine Rendite, die von der Wirkung der sozialen Maßnahmen abhängt. Die ausgezahlte Rendite kommt in diesem Fall nicht direkt­ vom Kapitalempfänger, dem sozialen Dienstleister, sondern wird vom Staat gezahlt – dies aber nur, wenn die finanzierte Intervention sich als wirksam erweist und sich dadurch Einsparungen in den öffentlichen Kassen ergeben.

Der Einsatz von SIB bietet sich dort an, wo präventive, skalier­bare Maßnahmen für eine klare Zielgruppe anstehen, deren Problemlage für die öffentliche Hand von hoher Bedeutung ist. Das SIB-­Modell ­erlaubt es der öffentlichen Hand, ihr Wirkungsziel entscheidend hochzufahren statt eine der „üblichen Maßnahmen“ zu finanzieren. Das unternehmerische Risiko wird von wirkungsorientierten Investoren getragen, die sich wiederum für eine direkte, nachvollziehbare und positive soziale Veränderung in ihrer Region einsetzen wollen. Diese Modelle werden international bereits geprüft und umgesetzt. In Deutschland wird unter der Ägide der Benckiser-Stiftung Zukunft ein SIB-Modell erprobt.

WI sorgen für Innovation, Prävention und Skalierung in der deutschen Sozialwirtschaft
In einem etablierten Sozialsystem wie Deutschland können ­wirkungsorientierte Investitionen hauptsächlich komplementär zur bestehenden Finanzierung wirken. So kann zusätzliches Kapital zur Förderung von Prävention, Innovation und Skalierung in die Sozialwirtschaft geleitet werden.

Durch Prävention werden einzelne Leistungen – oft auch das gesamte­ System von Leistungen und Maßnahmen – so angelegt, dass eine­ Verschlimmerung von Problemlagen vermieden wird. Diese Prävention­ kann in vielen Fällen nur durch neue Ideen erfolgen, die sich über die Grenzen historisch gewachsener­ Trennlinien zwischen Kostenträgern, Ministerien und Verwaltungsebenen hinwegsetzen.

Innovation ist in vielen Leistungsbereichen der Sozialwirtschaft lediglich aus dem Spielraum zu finanzieren, den die von den Kostenträgern gezahlte Vergütung hierfür zulässt; zudem gibt es gesetzliche Modellklauseln, die aber nur spezifische Innovationen fördern. Gründungsfinanzierung ist im Regelsystem nicht vorgesehen: Potenzielle Gründer werden meist auf die allgemeine Wirtschaftsförderung verwiesen. Diese sind für gemeinnützige Organisationen meist aber nicht zugelassen. Vielfach entspringen diesen Bemühungen Pilot- oder Leuchtturmprojekte, die nach erfolgreicher Beendigung nicht weiterverbreitet werden. Dies ist oft auf die projektbasierte Finanzierung und den damit nach Ablauf der Projektphase auftretenden Ressourcen­mangel zurückzuführen. Eine durchgängige Strategie, wirksame Projekte zu skalieren, könnte verhindern, dass das Rad vieler­orts neu erfunden werden muss, und würde viel Zeit, Kraft und finanzielle Mittel einer wirkungsvolleren Verwendung zuführen.

Die drei Ziele der Prävention, Innovation und Skalierung in der deutschen Sozialwirtschaft sollen gezielt und flächendeckend gefördert werden. Wirkungsvolles Investieren muss mittel- und langfristig als zusätzlicher Finanzierungsbaustein für Sozialunternehmen in Deutschland etabliert werden. Dieser Finanzierungsansatz hat das Potenzial, einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung kosten­intensiver demografischer und sozialer Herausforderungen zu leisten. Gleichzeitig besteht auf diese Weise auch ein Anreiz für Investoren, die es sich im Zweifelsfall nicht leisten können, zugunsten der sozialen Wirkung Renditeabschläge oder ein erhöhtes Risiko in Kauf zu nehmen. Marktorientierte Investoren müssen sich anders verhalten als primär philanthropisch motivierte Organisationen und Privatpersonen.

Wie institutionelle Investoren zu potenziellen Leistungsträgern werden können
Pensionskassen und Lebensversicherungen gelten bereits als eine der wichtigsten Gruppen für an sozialen Zwecken ausgerichtete Geldanlagen. Die strikte Regulierung stellt allerdings eine große Herausforderung für ein Engagement in wirkungsorientierte Investitionen dar. Die neue europäische Solvency-II-Regelung für Versicherungen, die ab 2016 die Eigenkapitalunterlegung von bis zu 59 Prozent für ­Anlagen mit Risikoeigenschaften vorsieht und zu denen etliche ­Formen von WI zählen dürften, ist ein weiteres Hindernis. Vielversprechende Anlagepotenziale dürften dagegen Investitionen in ­Immobilien darstellen. Unter der aktuellen Regulierung für Altersvorsorgeeinrichtungen sind Anlagen von bis zu 25  Prozent des Vorsorgekapitals entweder indirekt oder direkt­ in Immobilien gestattet.

Für die Entwicklung des WI-Marktes ist es zentral, die Rolle institutioneller Investoren zu stärken. Für Stiftungen, die im Bereich ihrer Anlagetätigkeiten ebenfalls als institutionelle Anleger mit weitreichenden Auflagen verstanden werden, wurde ein erstes Instrument geschaffen, das einen Einstieg in WI ermöglicht: Unter der Führung des Bundesverbandes deutscher Stiftungen und der Eberhard-von-Kuenheim­-Stiftung wurde­ der MRI-Pilotfonds „Bildung“ geschaffen. Dieser Fonds ermöglicht es, Vermögensanlagen von Stiftungen mit deren Förder- und Satzungszwecken im Bereich der Bildung in Deutschland in Einklang zu bringen. Der MRI-Pilotfonds „Bildung“ wurde aufgelegt, um es gemeinnützigen, dem deutschen Recht unterliegenden Stiftungen zu ermöglichen, einen Teil ihres Grundstockvermögens im Einklang mit ihrem satzungsgemäßen Zweck zu investieren. So können sie ihre soziale Wirkung maximieren. Projekte­ oder Unternehmen, in die investiert werden soll, sind Sozialunternehmen mit Fokus auf die Lösung von Problemen im Bildungsbereich im deutschsprachigen Raum. Das satzungszweckkonforme Investieren (Mission Related Investing, MRI) ermöglicht es Stiftungen, ihre ­soziale Wirkung in ihrem Interessengebiet zu potenzieren, da neben ihrer Tätigkeit auch ihre Anlagen selbst eine positive soziale Wirkung erzielen. Einer Studie des Bundesverbandes deutscher Stiftungen ­zufolge könnten neun Milliarden Euro zusätzlich zur Förderung der Stiftungszwecke in Deutschland resultieren, wenn 15 Prozent des Stiftungsvermögens satzungszweckkonform angelegt würden.

Analyse der sozialen und ökologischen Rendite
Die Wirkungsanalyse ist ein zentrales Element für alle beteiligten Akteure. Für Sozialunternehmen stellt sie ein zentrales Entscheidungs- und Steuerungsinstrument dar. Investoren benötigen Analysen,­ Vergleichbarkeit und Reporting-Standards, um die erwarteten sozialen und ökologischen Renditen möglicher Investitionen einzuschätzen. Es existieren zahlreiche Ansätze zur Wirkungsanalyse;  sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext ist eine angeregte Diskussion über die Ausgestaltung der Wirkungsanalyse im Gange. Angeführt wurden die Überarbeitung gesetzlicher Rahmen­bedingungen für soziale Organisationen, ihrer Managementstrukturen sowie der effiziente Einsatz von Ressourcen, aber auch eine­ Vereinheitlichung und Verbreitung von Wirkungsmessungen. Hierzu fehlt bis dato eine umfassende empirische Grundlage hinsichtlich der Anforderungen wirkungsorientierter Investoren. Entsprechend ergibt sich ein weiteres Feld für Forschung und Dialog zwischen den Akteuren im Bereich der WI.

Warum die Bertelsmann-Stiftung nach dem Vorliegen der NAB- und G8-Berichte zum sozialen Investieren nun nicht aussteigt
Wirkungsorientiertes Investieren kann als partnerschaftlicher Ansatz zwischen Privat- und Sozialwirtschaft sowie der öffentlichen Hand teilweise zur Bewältigung anstehender demografischer und sozialer Probleme beitragen. Noch ist der WI-Markt in Deutschland in einer Experimentier- oder Innovationsphase. Für den weiteren Marktaufbau ist eine „Proof of Concept“-Phase notwendig. In ausgewählten Bereichen der Sozialwirtschaft soll nun eine systematische Erprobung von WI-finanzierten Leistungen durchgeführt werden. Voraus­setzungen für die Weiterentwicklung und langfristige Systemrelevanz von WI sind somit gezielte Modell- und Pilotprojekte zur ­Erprobung dieser noch relativ neuartigen Finanzierungsansätze. Auf Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten dann Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen vorgenommen werden, um die Anwendung von WI in Deutschland zu verstetigen und in das bestehende Finanzierungssystem der Sozialwirtschaft einzugliedern. Für die Realisierung müssen verschiedene Akteure zusammenarbeiten, um die Kapitalnachfrage, das -angebot, die Wirkungsanalyse und die Rahmenbedingungen für den Markt weiterzuentwickeln. Eine ausführliche Beschreibung des Status quo im WI-Markt sowie Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des WI-Marktes finden sich im Abschlussbericht des National­ Advisory Board Deutschland. Dieser ist auf der Website der Bertelsmann-Stiftung erhältlich.

Durch das Projekt „Social Investment“ ist die Bertelsmann-Stiftung aktiv am Auf- und Ausbau des WI-Marktes beteiligt – einerseits durch die konzeptionelle und organisatorische Begleitung des National­ Advisory Board Deutschland, andererseits auch durch ­Anwendungsfälle. Seit 2013 wurde in diesem Projekt mittels Experten­gesprächen, Studien und Zusammenarbeit mit Vertretern aus der Sozial­wirtschaft, der Finanzwirtschaft, der Wissenschaft und der ­öffentlichen Hand fundiertes Wissen darüber erarbeitet, unter welchen Bedingungen WI das gegenwärtige Finanzierungssystem der deutschen Sozial­wirtschaft verstärken kann. Daraus resultierten zwei Analyse­felder, in denen Potenzial für die Anwendung von WI vermutet wird: Integration in Arbeit sowie Leben im Alter.

Auf der Seite des Kommissionsmodells werden diese zwei Be­reiche schwerpunktmäßig untersucht, um mittels Machbarkeits­analysen das Potenzial von Social Impact Bonds zu untersuchen. Im Transaktionsmodell wird zusätzlich mit Projektpartnern nach einer rigorosen Analyse der Angebots- und Nachfrageseite ein vielversprechendes wirkungsorientiertes Finanzinstrument ausgewählt, weiterentwickelt und in Kooperation mit potenziellen Investoren – öffentlich, privat oder gemeinwohlorientiert – und mit Intermediären einer Machbarkeitsanalyse unterzogen. Dies alles im Hinblick darauf, die Finanzierungslücke bei jungen Sozialunternehmen mit einem Kapital­bedarf zwischen 100.000 und 500.000 Euro zu schließen. Insgesamt erhofft sich die Bertelsmann-Stiftung, mit dem Projekt einen Beitrag zur nachhaltigen Stärkung der deutschen Sozialwirtschaft leisten zu können.

portfolio institutionell, Ausgabe 11/2014

Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert