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16. Mai 2023

Zwiespältige Perspektiven für die Betriebsrente

Hinter den Kulissen werkeln Fachleute beim Fachdialog an der dringend nötigen rechtlichen Entschlackung der deutschen bAV. Erste Einzelheiten drangen bei zwei Fachtagungen durch. Welche Perspektiven die Betriebsrente ab dem Sommer entwickeln könnte, bleibt zwiespältig.

Für die bAV könnte 2023 zu einem richtungsweisenden Jahr werden. Entweder gelingt der vielbeschworene Durchbruch bei der Beteiligung, die aktuell bei 53 Prozent aller Arbeitnehmer verharrt, auf 80 Prozent, die das Bundesarbeitsministerium (BMAS) mittelfristig als Ziel ausgegeben hat (siehe Ausgabe 1/2023). Oder die von den Arbeitgebern initiierte freiwillige Sozialleistung schrumpft zur Bedeutungslosigkeit, weil ihr womöglich ein einheitlicher Staatsfonds das Wasser abgräbt. Letzteres soll insbesondere der „Fachdialog zur Stärkung der Betriebsrente“, ausgelöst vom BMAS und flankiert vom BMF, verhindern. Alle maßgeblichen Akteure konnten dazu auf Druckpunkte aufmerksam machen, die aus ihrer Sicht geändert gehören (siehe Ausgabe 12/2022). Drei Bereiche stehen beim Fachdialog im Blickpunkt, wie schon berichtet: Arbeitsrecht, Finanzaufsichtsrecht und Steuerrecht.

Was die Perspektiven der bAV 2023 betrifft, so dürfte der Fachdialog die Weichen stellen. „Es haben sich zahlreiche rechtliche Baustellen angesammelt, die neu geregelt gehören“, sagt Rechtsanwalt Mathias Ulbrich, Professor für Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschaftsrecht der Hochschule Schmalkalden. Als Veranstalter der inzwischen siebten Auflage der Fachtagung „Berliner bAV-Auftakt“ listete Ulbrich Anfang März über 75 Fragen auf, die im Fachdialog geklärt werden sollen, und holte Meinungen von Verbänden und Sozialpartnern dazu ein. Zumeist ist man sich über die Abschaffung der vollständigen Beitragsgarantie in der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) einig.

bAV-Fachdialog in vollem Gange

Wie auf der Tagung bekannt wurde, gab es am 1. März bereits die neunte Sitzung zum Fachdialog. Diesmal waren nur die Sozialpartner geladen, am Ende blieb aber noch erheblicher Regelungsbedarf, war unter Teilnehmern zu hören. „Wir leuchten da nur die rechtlichen Ecken aus“, umriss Peter Görgen, Referatsleiter „Zusätzliche Altersvorsorge“ im BMAS, die zahlreichen Problemstellungen. Statt der bisherigen vier Zusageformen Leistungszusage, BZML, beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ) und reine Beitragszusage (rBZ) seien womöglich künftig nur noch zwei Zusageformen in der deutschen bAV nötig: die rBZ und die Leistungszusage (mit 80 Prozent Garantie).

Doch Arbeitsrechtler wie Ulbrich warnen zugleich vor rückwirkenden Maßnahmen bei der Veränderung von Zusagen. Solche Neuerungen seien rechtlich nur für neue Zusagen haltbar, nicht jedoch für den Bestand, so Görgen weiter. Einen Eingriff in bestehende Zusagen – eigentlich sinnvoll wegen immer größerer Qualitätsunterschiede der bAV für Alte, die gut versorgt sind, und Junge, die viel schlechtere Leistungen zu erwarten haben – hält Görgen aber für unwahrscheinlich. Grund: Es gibt enge verfassungsrechtliche Vorgaben und auch das Bundesarbeitsgericht hat bereits ausführlich zum Bestandsschutz bei bAV-Ansprüchen geurteilt.

Der Fachdialog wird voraussichtlich im Frühjahr in gemeinsamer großer Runde in Berlin abgeschlossen, wo BMAS und BMF ihre Ergebnisse Ergebnisse zusammenfassen und das weitere Vorgehen skizzieren. Einige Punkte zum Sozialpartnermodell (SPM) zeichnen sich schon jetzt ab, Stichwort „Öffnung der rBZ für möglichst alle Arbeitgeber“: Das BMAS will Hemmnisse für ein „Andocken“ an bestehende Tarifverträge abbauen helfen, so Görgen. Auch die umstrittene erleichterte Nutzung des SPM durch Nichttarifgebundene sei regelbar, etwa über einen positiven Anforderungskatalog. Görgen nannte auf der Ulbrich-Tagung dazu ein Beispiel: So sei ein Andocken nur für Sozialpartner denkbar, die mindestens sieben Prozent der Beschäftigten einer Branche vertreten. Dagegen soll ein Andocken an bestehende SPM nicht möglich sein, wenn in der jeweiligen Branche schon ein SPM und damit ein einschlägiger Tarifvertrag existiert.

BDA-Hauptgeschäftsführer Alexander Gunkel plädierte auf der Ulbrich- Tagung dafür, das SPM weiter zu vereinfachen und für alle Firmen auch ohne einschlägigen Tarifvertrag zu öffnen, sofern die Sozialpartner „vor Ort“ zustimmen. „Billigmodelle soll es nicht geben, da die Arbeitgeber zu dem jetzigen Qualitätsanspruch stehen“, so Gunkel weiter. Die Angst der Gewerkschaften vor einer Tariföffnung könne er nicht nachvollziehen, da nur „sozialmächtige“ Gewerkschaften wirksame Tarifverträge abschließen könnten und somit die Einschlägigkeit nicht auszuhebeln sei.

Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei Verdi, besteht darauf, solche Modelle weiter nur durch Tarifvertrag zu vereinbaren („Tarifrente“). Man kämpfe für den Erhalt der Tarifexklusivität. Ginge dieser Kampf verloren, sei ein Rückzug der Gewerkschaften aus dem SPM wahrscheinlich. Man sei aber vom erfolgreichen Vorgehen beim Energie-SPM überzeugt. Es habe Nachahmer verdient. Wichtige Leitplanke sei dabei, dass der Verzicht der Arbeitnehmer auf Garantien mit einem nennenswerten Beitrag des Arbeitgebers abgegolten werde und eine reine Entgeltumwandlung daher keine Option für SPM sei. Als Beispiel nannte Kerschbaumer einen Arbeitnehmer mit 50.000 Euro Jahresbrutto: Sein Arbeitgeber zahlt rund 1.500 Euro pro Jahr, der Arbeitnehmer 333 Euro – siehe Grafik. Der Arbeitnehmer erhält auch drei Prozentpunkte der Kosten gutgeschrieben, die durch kollektive SPM-Organisation eingespart werden.

bAV vereinfachen und Fehlentwicklungen vermeiden

Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba), möchte im Fachdialog 2023 Fehlentwicklungen vermeiden. Eine solche Fehlentwicklung wäre die Einrichtung eines öffentlich verantworteten Fonds. „Altersversorgung/Altersvorsorge darf nicht zu reiner Vermögensbildung werden“, warnte er auf der Tagung. Beim Finanzaufsichtsrecht plädiert die Aba massiv dafür, dass Altersvorsorge-Einrichtungen (AVE) nicht undifferenziert in die allgemeine Finanzmarktregulierung gehören, weil sonst für Einrichtungen der bAV (EbAV) eine Regulierung käme, die sich überhaupt nicht oder nur mit unvertretbarem Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Begünstigten umsetzen ließe. „Kleine Pensionskassen werden aktuell so behandelt wie große Lebensversicherungstanker“, beklagte Stiefermann. Es müsse ein Weg gefunden werden für das Dilemma zwischen „grundsätzlich sinnvoller Zielsetzung des Gesetzgebers“ und „systematisch unpassender Finanzmarktregulierung für EbAV“. Der Fachdialog sollte Flexibilisierung, Entbürokratisierung, Deregulierung und Digitalisierung bewirken, so die Hoffnung des Experten. „Falls das BRSG als gescheitert tituliert wird, steigt mein Blutdruck“, so Stiefermann.

Damit spielte er auf eine Bemerkung von Wolfgang Strengmann-Kuhn an, Volkswirt und für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Der hatte auf der Tagung das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) für gescheitert erklärt. Auch das SPM sei nur ein „Bausteinchen“ und für viele KMU nicht nutzbar, da dort meist keine Tarifbindung herrscht. Als Ausweg hatte er ein nicht näher erläutertes „Angebots-Obligatorium vom Arbeitgeber mit verpflichtendem Arbeitgeberbeitrag“ ins Feld geführt. Ein Bürgerfonds könnte für Strengmann-Kuhn eine Option auch zu bisherigen Durchführungswegen in der bAV sein. Dagegen warnte BDA-Chef Gunkel vor einer „Staatsfonds-Gläubigkeit“. Auch sie müssten alle Vorgaben des Aufsichtsrechts erfüllen und damit verbundene Kosten finanzieren. Zudem empfindet Gunkel das BRSG als Erfolg. Über eine Million Arbeitnehmer profitierten von der Geringverdiener-Förderung, die die Arbeitgeber bezahlen. „Es könnten noch mehr sein, wenn auch ‚Altzusagen‘ aus der Zeit vor dem BRSG in die Förderung einbezogen würden“, schlug der BDA-Chef für den weiteren Fachdialog vor.

Tatsächlich sind die Politiker aktuell aber gar nicht systematisch in den Fachdialog einbezogen. Dies ist erst der Fall, wenn es um die Gesetzgebung geht, die sich durch Ergebnisse des Fachdialogs womöglich ändert. Allerdings wurde die bAV bislang mit jeder Reform komplizierter, so Stiefermann. „Hoffentlich kehrt der Fachdialog diesen Trend um“, so der Aba-Chef.

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